Schweitzer Fachinformationen
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Türme von Autos ragten über dem alten Mann in den Himmel, wo die Sonne in roten Querstreifen versank und lange Schatten über den Schrottplatz warf. Er lenkte den Frontlader auf einen verrosteten Crown Vic zu und presste die zwei gewaltigen Zinken in die Motorhaube. Das Blech barst, und der Motorblock kam zum Vorschein. Weiter hinten zermalmte eine hydraulische Presse gerade einen Ford-Truck wie eine Bierdose.
Das letzte Tageslicht ließ das Glas einer kleinen Flasche funkeln, die aus der Brusttasche des Mannes ragte. Hinter der Flasche steckte ein Briefumschlag. Es krachte und splitterte, als der Mann den Crown Vic in der Schrottpresse auf dem platt gedrückten Ford platzierte. Er griff zur Brusttasche und ließ seinen Finger über den Plastikdeckel der Flasche gleiten, spürte, wie rau der Deckel an den Rändern war. Doch statt der Flasche zog er den Umschlag heraus, schwarze Fingerabdrücke auf weißem Papier, und überflog, was dort stand:
Sehr geehrte/r Joanna Fitzjurls,
wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass der Zulassungsausschuss Sie zum Studium an der University of Arkansas zugelassen hat. Bitte kommen Sie am .
Der alte Mann knüllte den Brief zusammen. Er stand auf, reckte sich und stieg aus. Seine Schritte wirbelten kleine Wolken von trockenem rotem Staub auf. Er ging ganz nah an die Schrottpresse heran. Nah genug, dass er die dunklen Flecken erkennen konnte, mit denen die gewaltigen Platten übersät waren. Im schwindenden Licht wirkten die Ölflecken wie Blut. Eine schnelle Handbewegung reichte, und der Brief verschwand im Inneren des halb zerlegten Crown Vic.
Für so etwas waren Schrottplätze der ideale Ort.
Aber der alte Mann wusste genau, dass man auf dem Schrottplatz Dinge nicht verschwinden lassen konnte. Alles wurde nur zerkleinert, gepresst und dann hoch und immer höher gestapelt, Block für Block errichtete Pyramiden mit Gräbern tief in ihrem Inneren, die ihre Geheimnisse für sich behielten.
Die Platten der Schrottpresse senkten sich wieder, und der alte Mann humpelte davon. Er hatte Fett an den Hüften, wirkte jedoch eher quadratisch als rund. Von den Füßen bis zum Hals war alles an ihm dick. Seine Haut hatte die Farbe von Naturleder, bräunlich-blass. Auf dem ovalen Namensschild an seinem Carhartt-Arbeitshemd stand Jeremiah.
Die Sonne verschwand hinter den Schrottbergen, als er zurück zum Büro ging, Betonwände mit Wellblechdach. Keine Fenster. Neben der Eingangstür befand sich ein kleines Beet, Rosen wuchsen aus der rissigen Erde. Jeremiah stützte sich ab, die Flasche zitterte in seinen Fingern.
»Lass es dir schmecken, Hattie«, sagte er und goss die braune Flüssigkeit auf die Erde rund um die Stängel, sein allabendliches Ritual.
Jeremiah steckte die Flasche in eine der Taschen seiner tarnfarbenen Cargohose und öffnete die Tür. Der Bau beherbergte mehr Räume als nur das Büro, war aber nicht so gemütlich wie ein richtiges Wohnhaus. Ein Kamin. Zwei Stühle an einem Tisch in einer Ecke, die man als Küche bezeichnen konnte. Schatten erfüllten den Raum, als wäre man im Keller, und verdunkelten einen großen Forellenbarsch, der im Flur hing. Jeremiah schloss die Tür und tippte auf einer elektronischen Tastatur an der Wand herum. Ein rotes Licht, ein grünes Licht und dann ein dumpfes metallisches Geräusch - die Außentür hatte sich hinter ihm verriegelt.
Von hinten aus dem Anbau drang Musik zu ihm. Der quäkende Tenor wirkte fehl am Platz. Die Wände warfen die Töne als unheimliche Echos zurück; der dicke Beton war zum Schutz gebaut worden, nicht für die tolle Akustik. Jeremiah schlich geräuschlos durch das Wohnzimmer und spähte in Richtung des Ursprungs der Melodie. In der Ecke hinter dem abgewetzten Sofa war noch eine Tür. Sie reichte ihm kaum bis an die Schultern, aber dafür war sie dick. Fünfzehn Zentimeter Stahl. Jeremiah duckte sich, als er den Tresorraum betrat.
Hier drinnen gab es ein Arsenal, mit dem man einen Krieg vom Zaun brechen konnte - oder einen beenden. Der Raum war die reinste Waffenkammer, an den Wänden hingen Freunde aus seiner Vergangenheit: abgesägte Schrotflinten, Glocks, die an ihren Abzugsbügeln baumelten, Sturmgewehre mit Schnellfeuerkolben, Infrarot-Zielfernrohre und Kurvenmagazine. Eine M72 LAW, eine Panzerabwehrbüchse, lag im hinteren Teil des Raumes auf einem Tisch, als wäre sie eine rostige Rasenmäherklinge, ein kaputtes Teil, das schon länger darauf wartete, dass der alte Mann es reparierte.
Jeremiah kramte in seiner Hosentasche nach der Flasche und stellte sie auf ein Regalbrett. Dann kam die Pistole. Er hängte Gürtel und Holster an einen Haken. Neben der Waffe baumelte der Bronze Star, den Uncle Sam ihm angepinnt hatte, nachdem er Jeremiah alles andere genommen hatte. Neben dem Orden Regalbretter voller Bücher: Hemingway, Faulkner, Flannery O'Connor, auch ein paar Grishams und Stephen Kings. Dann waren da die richtig alten Wälzer, Bücher, in denen die Antworten auf die wichtigsten Fragen standen: Platons Der Staat, ein paar dickere Bände von Schopenhauer, eine dünne Taschenbuchausgabe des Daodejing und natürlich die Bibel, der zerfledderte Einband lederartig wie die Haut des alten Mannes. Hier gab es sogar noch mehr Bücher als Gewehre. Jeremiah hatte vor langer Zeit begriffen, dass auch ein Buch eine Waffe sein kann, und wie immer hatte er sich ausreichend bewaffnet.
Ein Foto war an der Wand befestigt: ein alter Mann und ein Kind in den Ozarks, vor einem fernen Hügel, hinter dem die Sonne unterging. Jeremiah blieb stehen, und sein Blick fiel auf das einsame rostige Gewehr auf dem Tisch. Die restlichen Waffen waren sauber, makellos, sogar der alte Raketenwerfer. Jeremiah verließ den Tresorraum und schloss die Tür hinter sich.
Er ging jetzt zügig durch das Haus, fühlte sich frei von Sorgen, während die Musik immer lauter wurde. Er blieb vor der Tür des Zimmers seiner Enkelin stehen, spähte durch den Spalt und beobachtete, wie sie zu einem ihm unbekannten Lied lautlos den Mund bewegte. Ihr Zimmer wirkte trotz rosa Farbtupfern und Paisleymustern trostlos, das einzige Licht kam von einer Leuchtstoffröhre, die über ihrem Kopf flackerte. Sie trug Shorts und ein T-Shirt mit dem Maskottchen der Razorbacks, der Footballmannschaft der University of Arkansas, auf der Brust. An der Schranktür hing ein schickes bodenlanges, mit Pailletten besetztes blaues Kleid. Es hatte mehr gekostet, als der Schrottplatz in den letzten zwei Wochen eingebracht hatte. Das Kleid glitzerte vor sich hin, während Joanna mehrere dicke Schichten hellen Puder auf ihre Wangen pinselte.
»Du bist, was du bist, Jo«, sagte Jeremiah von der Tür aus. »Das kannst du nicht verstecken.«
Joanna sah ihn über ihre Schulter hinweg an. »Und was soll das sein?«
»Meine Enkelin.«
Sie lächelte.
»Meinst du nicht, dass du es übertreibst?«
»Zieh dich um«, sagte Jo und beugte sich zum Spiegel vor. »Du musst auch vorzeigbar aussehen.«
»Bist du dir wirklich sicher?«
»Wer soll mich denn sonst begleiten?«
Jo drehte sich um und schaute ihren Großvater an. Ihr Gesicht war eine Mischung aus dem Besten, was ihre Eltern zu bieten hatten: stahlblaue Augen, volle Lippen, hohe Wangenknochen und eine niedliche kleine Nase, bei der die Nasenspitze nach oben zeigte, wenn sie lächelte. Trotzdem war es nicht leicht, die Bürger von Taggard, Arkansas, dazu zu bringen, nicht ständig daran zu denken, was das Mädchen alles durchgemacht hatte. Nicht an ihren Vater, geschweige denn an ihre Mutter. Vielleicht heute Nacht, dachte Jeremiah und verlor sich in ihren dunkelblauen Augen. Vielleicht denken sie heute Nacht ja ausnahmsweise mal nicht daran.
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Jo.
Jeremiah blinzelte.
»Meinst du, wir sollten ihn anrufen?«
»Ist schon ganz schön spät.«
»Scheiße, Opa.«
Wenn man sie ansah, konnte man meinen, Jo wäre eine Heilige, aber das Mädchen hatte jetzt schon eine ziemlich große Klappe, und Jeremiah wusste genau, von wem.
»So ein Anruf kostet ein Vermögen«, sagte er. »Und wir wissen nicht mal, ob er zurückruft.«
»Opa.«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen: Wenn er dieses eine Wort hörte, diese drei Buchstaben, tat Jeremiah so ziemlich alles für sie. Er zog ein klobiges Klapphandy aus der Cargohose. Er wählte die Nummer, drückte das uralte Ding ans Ohr und wartete. Jo starrte das Handy an. Hinter der Musik war es still. Sie waren jetzt näher dran, wieder an der Stelle, wo alles angefangen hatte. Der Schrottplatz spürte es auch, trotz der anderthalb Meter dicken, wetterfesten Wände und trotz der Waffen im Tresorraum. Diese geweihte Erde hatte den Sturm nicht vergessen.
»Ich will eine Nachricht für einen Insassen hinterlassen«, durchbrach Jeremiah die Stille. »Ja, Jake Fitzjurls. Er soll innerhalb der nächsten halben Stunde seine Tochter anrufen. Sie wird nachher Homecoming Queen.«
Jo strahlte und wandte sich wieder dem Spiegel zu. Ihre dicke Mähne war zu engen Zöpfen geflochten, die um den Kopf führten. Jeremiah wusste, dass sie die Zöpfe selbst geflochten hatte. Ein Mädchen, das bei seinem Großvater aufwuchs, musste lernen, alles selbst zu machen: Haare und Make-up, Kochen und Putzen.
»Hast du noch was von der Tech gehört?«, fragte Jeremiah und steckte das Handy wieder in die Tasche.
»Der Tech?«
»Ich hätte dich halt gern in meiner Nähe.«
»Du weißt doch, dass ich auf die Uni will, Opa. Ich gehe nach Fayetteville«, sagte sie und zeigte auf den zähnefletschenden Keiler auf ihrem Hemd. »Die haben das beste...
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