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Sommer 2024 | Tiefwasserhafen JadeWeserPort,
Wilhelmshaven
Der Schmuggel aus Fernost war ausgefeilter, dreister geworden. Bisher standen Technik-, Mode- und Sportartikel im Fokus der Ermittlungen. Vor wenigen Tagen bekam ich von meiner Informantin in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong den chiffrierten Hinweis auf unautorisierte Nachbauten von Tesla-Fahrzeugen, die sich auf dem Weg nach Deutschland befänden. Meine Informantin war Buchhändlerin, ihr Partner arbeitete in einer Schlüsselposition mit Kontakten zur Entwicklerszene von Plagiaten und illegalen Produktionsstätten in Taiwan. Ob er selbst daran beteiligt war und sich durch die Tipps nur ein zweites Standbein schaffen wollte, entzog sich meiner Kenntnis - und ich wollte es auch nicht wissen. Jedenfalls waren Informationen aus dieser Quelle stets zuverlässig und jede Mühe wert. Die Bezahlung für derartige Hinweise floss über ein Treuhandkonto und weiter auf das Konto einer fiktiven Stiftung, auf das die Buchhändlerin oder ihre Kontaktperson Zugriff hatten. Etwas umständlich, aber so funktionierte es.
Der JadeWeserPort lag in erwartungsvoller Julivormittagspositur. Es war halb elf. Durch den Dunst über der See glänzte der Sonnenball wie ockerfarbenes Dotter. An diesem herrlichen Tag saß ich leider nicht auf meinem Balkon, sondern auf dem Beifahrersitz eines Einsatzfahrzeugs des Zollamts. Am Lenkrad des VW-T5 sprach Zollamtmann Stefan Bents das magische Wort "Aufsitzen!" ins Mikro, was unnötig war. Die Einsatztruppe steckte bereits einsatzbereit in den Mannschaftstransportern, hinter einer Reihe Lastwagen zwischen Güterverkehr- und Dienstleistungszentrum. Das wenige, was sich auf jedem der drei Zollbullis erkennbar verändert hatte, waren die jetzt zuckenden Blaulichter.
Stefan blinzelte mich über den Rand seiner Pilotenbrille an. Mit dem melierten Schnauzbart, den grauen Bartstoppeln und dem blütenweißen Hemd, wirkte er wie einer dieser korrupten Sergeants aus Highway-Patrol-B-Movies. Stefan war jedoch alles andere als korrupt! Er war ein feiner Kerl und hatte seit Beginn unserer Zusammenarbeit jede Menge Vorschussvertrauen in mich investiert. Und ich gab mir alle Mühe, ihn nicht zu enttäuschen. Er war etwa zehn Jahre älter als ich und auf der Zielgraden, wie man so sagt. Seine Pensionierung war in Sichtweite, Altersteilzeit kam für ihn nicht infrage. Ganz oder gar nicht war seine Devise, sowohl dienstlich als auch privat, und das verlangte ihm einiges ab. Vielleicht ein wenig zu viel. Hin und wieder quälte ihn lästiges Herzstolpern. Nach dem Tod seiner Frau, vor ungefähr zehn Jahren, war unsere Kooperation um ein Vielfaches gewachsen, wir konnten uns blind aufeinander verlassen. Die Zuständigkeiten waren sauber abgegrenzt, unsere Handlungen fassten ohne das sonst übliche Kompetenzgerangel lautlos und stimmig ineinander. Den Begriff 'wie geschmiert' vermeide ich, auch wenn der zutrifft. Meist war unsere Zusammenarbeit von Erfolg gekrönt, was zwischen Ermittlungsbehörden seinerseits und Privatwirtschaft meinerseits nicht gerade selbstverständlich war.
Wir starrten durch die mit Fliegendreck verschmutzte Windschutzscheibe. Die Sonne stieg immer höher, sie quälte uns mit ihren Lichtteilchen, es wurde spürbar heißer. Endlich bekam Stefan über Digitalfunk das "Go". Vom Zollamt Wilhelmshaven kam die Bestätigung, dass das unter der Flagge Hongkongs verkehrende Containerfrachtschiff festgemacht hatte. Die Schiffs-Crew war noch an Bord, und das solle vorerst so bleiben, wies Stefan die Hafenbehörde an. Der Zollamtmann blies zur Attacke, die Mannschaftswagen setzten sich in Bewegung. Es ging links am Güterverkehrszentrum und der Anlage für den Kombinierten Verkehr vorbei. Wir passierten bunte Stapel TEU- und FEU-Container, rollten parallel zum Kai in Richtung Süden und stoppten in Höhe des letzten Drittels des dreihundertsiebenundneunzig Meter langen und sechsundfünfzig Meter breiten Frachters der Emma-Mærsk-Klasse. Die mit automatischen Waffen ausgestatteten Männer und Frauen sprangen aus den Bullis und erklommen im Laufschritt die Gangway bis hinauf aufs Achterdeck. Oben verteilte sich die Einheit auf die unterschiedlichen Ebenen wie Mannschafts- und Offiziersmesse, Aufenthaltsraum, Ladebüro, Hauptdeck, bis hoch zur Brücke im siebten Stock. Maschinenraum, Schlafräume und Kombüse blieben erst mal unberücksichtigt.
Stefan zog die Uniformmütze auf, tat einen letzten Blick auf den richterlichen Beschluss, öffnete die Fahrertür, stellte sich neben das Fahrzeug und wartete auf seinen jungen Kollegen aus dem Transporter hinter uns. Die beiden Beamten gingen als Letzte an Bord, nachdem ihnen vom Gruppenführer das "Gesichert!" übermittelt wurde.
Ich stieg ebenfalls aus, ging um den Wagen herum und lehnte mich mit gekreuzten Armen an die Fahrertür. Mein Blick glitt die rote Schiffswand hinauf bis zum Poopdeck, von wo ein Matrose an der Reling mit betretenem Gesicht zu mir herunterschaute. Der musste da jetzt durch - wie wir alle. Meine Aufgabe bestand darin, sichere Hinweise, Indizien und bestenfalls Beweise an die ermittelnden Behörden weiterzuleiten. Was darauf folgte, ist Routine: Stefan Bents setzt die begründete Untersuchung gegenüber Kapitän und Ladebüro durch, er lässt sich die Ladepapiere aushändigen, gleicht die Nummern ab und ordnet nach der Entladung die Öffnung einiger Vierzig-Fuß-Container an. Bestätigt sich der Verdacht, nimmt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf. Meine Arbeit wäre eigentlich nach Sicherstellung der betreffenden Container erledigt. Anschließend gerät automatisch der Empfänger der Waren ins Visier der Ermittlungen - so die übliche Vorgehensweise.
Bereits in den 90ern, während meines Kriminalistikstudiums in Hamburg, exerzierte ich diese Prozedur immer wieder durch. Unmittelbar nach dem Wechsel zur Fakultät für Rechtswissenschaften und dem abschließenden Diplom zum Wirtschaftsjuristen machte ich mich mit einer Detektei für Wirtschaftskriminalität in der Hamburger Speicherstadt selbstständig. Ein schönes Büro im Alten Wandrahm, dritter Stock, drei Räume mit Blick auf den Hauptbahnhof. Nach und nach entstand mithilfe ehemaliger Studenten, Kollegen und anderer Kontaktpersonen im Ausland ein dünnes Netz aus Informanten in Russland, Pakistan und Fernost, was die Hinweisdichte zwar erhöhte, aber nicht zwangsläufig zuverlässiger machte.
Die Geschäfte liefen trotz allem gut, ich konnte mich nicht beklagen, was allerdings zulasten meiner Ehe ging - das merkte ich zu spät. Etwa mit der Eröffnung des Jade Weser Ports bezog ich 2012 mein zweites Büro, zunächst im Wilhelmshavener Industriegebiet, 2017 dann der Umzug in ein modernes Penthouse auf einem ehemaligen Hochbunker - Wohnung und Büro zugleich. Dieser Zweitwohnsitz in Wilhelmshaven hatte sich für mein kleines Ein-Mann-Unternehmen bezahlt gemacht. Im vergangenen Jahr wurden circa neunzigtausend gefälschte Produkte im Wert von sechs Millionen Euro sichergestellt, Tendenz steigend.
Was wir heute am Pier erwarteten, war allerdings eine andere Hausnummer. In der Regel gab es maximal nachgebaute Felgen, Motoren oder Maschinenteile, aber komplette Fahrzeuge im hochpreisigen Segment übertrafen alles bisher Dagewesene. Für mich eine besondere Erfahrung, man kann auch von einer Herausforderung sprechen!
Oben auf der Gangway tat sich was. Stefan und sein junger Kollege kamen die Stahltreppe herunter. Ihre Köpfe schienen wie heiß gelaufen, ob von der Sommerglut oder weil sich etwas ereignet hatte, würde sich gleich herausstellen. Sie kamen geradewegs auf mich zu.
"Das war ein Griff ins Klo", sagte Stefan verärgert, nahm die Mütze ab und kratzte sich die Stirn. Er gab mir den Zettel mit den Ziffern zurück und zeigte auf die Containernummern. "Diese Blechbüchsen sind nicht an Bord. Ich bin die Ladeliste durchgegangen, aber diese Nummern fehlen."
"Was?!" Ich hielt das Papier wie ein Notenblatt und betrachtete die Zahlen. "Wie kann das sein?"
"Entweder wurden die Container in einem anderen Hafen gelöscht, in Rotterdam vielleicht, oder sie erhielten schon auf dem Versandhafen eine andere Kennzeichnung. Dann wären die Kisten allerdings doch an Bord, was wir aber erst nach dem Löschen und Durchleuchten der Ladung wissen können."
"Na, herzlichen Glückwunsch! Habt ihr die tatsächliche Route gecheckt?", gab ich zu bedenken.
"Noch nicht, ich veranlasse das jetzt." Stefan nickte seinem Kollegen zu, der trabte zum Transporter zurück.
Ich sah zum Schiff hoch und fragte: "Ist der Kudder hier vielleicht eins dieser Feederschiffe, die mehrere Häfen im Zubringerverkehr ansteuern?"
"Wohl kaum", Stefan schüttelte den Kopf, "dafür ist der Kahn zu groß."
"Oder ein Drop off auf hoher See?"
"Ganze Container? Unwahrscheinlich!"
Ich machte dicke Backen, war einigermaßen ratlos. "Wow! Wie oft hatten wir den Fall, dass die Info nicht stimmte?"
"Das ist Jahre her. Inzwischen haben wir ja einen Scanner im Einsatz, der die Container durchleuchtet, um uns die Arbeit zu erleichtern. Aber Tesla-Kopien in nur vier Büchsen .", er hob eine Hand, " . das gleicht einer Suche im Heuhaufen, ziemlich aussichtslos."
Ich fragte: "Wie viele Tesla fasst ein Vierzig-Fuß-Container? Vier?"
"Ich tippe auf drei. Kommt auf das Modell an."
"Also eher ein Pröbchen als ein echter Auto-Export." Ich lächelte schief.
Stefan hob seine Sonnenbrille an, um sich die Augen abzutupfen. Dann steckte er das Papiertaschentuch weg und ließ die Brille zurück auf den Nasenrücken fallen. "Es könnte tatsächlich ein Test sein, um zu sehen, ob...
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