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Kapitel 2
Freitag, 31. Oktober 2014 - 16.15 Uhr
"Zugriff!" Besonnen sprach Zolloberinspektor Rolf Hansen von der Zollfahndung Hamburg-Hafen die Anweisung an das Sondereinsatzkommando ins Funkgerät. Dann folgte die übliche Routine. Schwarz gekleidete und behelmte Einsatzkräfte des SEK drangen mit Schnellfeuergewehren im Anschlag zum Tatort vor; gleichzeitig ertönten Warnhinweise aus dem Megafon. Grelles Scheinwerferlicht und die blauen Stroboskopblitze der Einsatzwagen ließen die Szenerie irreal erscheinen. Verschreckte Täter blickten sich nach allen Seiten um, versuchten zu fliehen. Die Erfahrenen verschränkten unaufgefordert ohne zu zögern die Arme hinter ihre Nacken und stellten sich breitbeinig gegen die Container.
Innerhalb einer halben Minute war der Spuk vorbei, Schusswechsel oder Verfolgung gab es glücklicherweise nicht.
Neu für mich war, dass die Aktion nicht wie sonst zur nächtlichen Stunde, sondern bereits am späten Nachmittag durchgeführt werden konnte. Der Schmuggel von gefälschten Luxusgütern aus Fernost nahm immer größere Ausmaße an, und der richtete sich nicht nach Tages- oder Nachtzeit, vielmehr nach den Fahrplänen der Containerschiffe.
Aus dem Funkgerät ertönte zufriedenes Gemurmel, ein Knacken, ein kurzer Piepton. Rolf bestätigte und legte das Gerät zurück auf das Armaturenbrett. Er lächelte zufrieden und reichte mir seine Hand. "Gut gemacht, Frank! Ein herzliches Dankeschön von uns allen!"
Ich ergriff sie. "Keine Ursache. Der Dank gebührt meinem Auftraggeber und einer kleinen Gruppe von Informanten."
Jemand klopfte aufs Autodach. Rolf ließ die Scheibe herunter, ein Zollbeamter mit schmalem Gesicht und ovaler Brille beugte sich halb zu uns herab. "Der Sack ist zu. Die Ware ist beschlagnahmt und wird noch heute Abend ausgewertet. Nach ersten Schätzungen, würde ich sagen, ist das einer der dickeren Fische, der uns ins Netz gegangen ist!"
Noch bevor Rolf antworten konnte, meldete sich aus dem Fond des Wagens die Zollanwärterin Inga Bergholz: "Rolf, wenn du erlaubst, werde ich mir das mal vor Ort ansehen."
Rolf erlaubte es, er erlaubte es uns beiden. Wir kletterten aus dem Auto und näherten uns dem grünen, offen stehenden Container, von denen hier am Pier mehrere hundert herumstanden.
"Weißt du, Inga", Rolf blickte sie kurz an und setzte im Gehen seine Mütze auf, "mitten in Hamburg existierte hundertfünfundzwanzig Jahre lang eine echte Grenze, mit achtzehn Kilometer langen meterhohen Zäunen, sieben Grenzstationen und Zollkontrollen, zwischen der Stadt und dem Freihafen. Und zum Jahreswechsel 2012/2013 endete diese Ära, die für die wirtschaftliche Entwicklung der Hansestadt eine enorme Bedeutung hatte ."
"Ich weiß, Rolf", unterbrach sie ihn sanft, "das war im letzten Monat Stoff in der Akademie und vorige Woche Teil der Klausur." Vor dem geöffneten Container der Firma Evergreen blieben wir stehen. Inga lächelte uns an und vergrub ihre Hände in den Hosentaschen.
"Rolf, du kannst einpacken. Inga wird ihre Hausaufgaben gemacht haben", bemerkte ich leicht spöttisch.
Er lächelte säuerlich, nicht ganz glücklich darüber, sein Fachwissen nicht an die Frau gebracht zu haben.
Das sollte nicht mein Problem sein. Meine Aufgabe war es, den Fall heute zum Abschluss zu bringen und meinem Auftraggeber sichere Erträge zu bescheren. Nach Ermittlung der Fakten übergab ich meine Unterlagen den Behörden. Die Exekutive erledigte den Rest und ich war froh, mich aus dem gefährlichen Teil raushalten zu können. Rolf war aber stets so freundlich, mich zum Finale einzuladen - ich brauchte nicht um Freikarten zu betteln.
Ich löste mich von den beiden, ging zum Containerschiff Maersk Semarang, dessen Ladung erst zum Teil gelöscht worden war und auf dem Predöhlkai auf Abfertigung wartete. Im Nordwesten drehten die Boote der Wasserschutzpolizei Waltershof ab, sie waren offensichtlich zurückbeordert worden. Von hier wirkte die Szenerie weniger bedrohlich, fast wie ein experimentelles Bühnenstück, in dem die Container wie riesenhafte Legosteine teilweise übereinandergestapelt auf der Bühne herumstanden. Die Schmuggler wurden zu den Transportern geführt, an den Mannschaftswagen der Einsatzkräfte wurde Tee aus Thermoskannen ausgeschenkt.
Bis zum Sonnenuntergang war es vielleicht noch eine halbe Stunde. Die Luft war kühl und trocken, der Himmel klar. Von Westen zogen einige Wolkenbällchen auf; sie wurden von der Sonne illuminiert, erinnerten an glühende Brötchen. Der Wetterdienst hatte für heute Nacht ein Unwetter angekündigt, was man nicht recht glauben konnte. Jedenfalls war es gut, dass die Polizeiaktion bereits beendet war.
Rolf und Inga kamen auf mich zu.
"Frank, das wird dich interessieren .!" Er steckte seinen Schreiber in die Hemdtasche und blätterte Papiere durch. "Es läuft gut. Einer der Verhafteten hatte die Hosen gestrichen voll. Er bot sich als Informant an und ließ durchblicken, dass weitere Plagiate auf dem Weg nach Hamburg seien." Er wies auf den Container hinter sich. "Darin befände sich wohl nur ein Bruchteil, dabei ist dieser Container schon randvoll. Das könnte 'ne lange Nacht werden."
Ich nickte und merkte, wie Ingas Aufmerksamkeit plötzlich nachließ, sie biss sich auf die Unterlippe.
Rolf war das ebenfalls nicht entgangen. "Frank, könntest du Inga in Osdorf absetzen? Es liegt doch auf deinem Weg, oder?"
Ihr Blick hellte sich auf.
"Selbstverständlich! Vorher muss ich kurz mit meinem Klienten telefonieren." Ich zog das Smartphone aus der Tasche, entfernte mich erneut von den beiden Beamten und brachte meinen Auftraggeber auf den aktuellen Stand. Dann nickte ich den beiden zu, als Zeichen, dass es losgehen konnte. Rolf hob die Hand, Inga kam angelaufen. Wir unterquerten einen der dreiundzwanzig Containerkräne in Richtung Eurogate Container Terminal. Dort stand mein silberfarbener Volvo. Der Löschbetrieb, der wegen der Zollaktion eingestellt worden war, kam wieder in Gang.
Inga strich sich eine Locke ihrer hellblonden Haare hinters Ohr, warf mir einen fragenden Blick zu.
"Woher kennen Sie und Rolf sich, wenn ich fragen darf?"
Der Druck auf den Funkschlüssel entriegelte die Türen, wir stiegen ein.
"Rolf habe ich während des Studiums am Institut für Kriminalwissenschaften kennengelernt, Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre." Wir fuhren los, bogen auf die Zellmannstraße in Richtung A 7. "Die ersten beiden Semester haben wir es da gemeinsam ausgehalten, dann wechselte ich zur Fakultät der Rechtswissenschaften, während Rolf beim Zoll anheuerte. Er war die blanke Theorie satt, wollte näher am Ort des Geschehens sein."
"Das passt zu ihm", warf sie ein.
"Stimmt, er traf damals die für ihn richtige Wahl. Ich mag ihn, er ist ein Pfundskerl! Ursprünglich waren wir beide Teil eines Dreiergespanns, zu Beginn des Studiums haben wir noch zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Vielleicht kennen Sie ihn, Thomas Deeken. Er wechselte später zur Kripo."
"Thomas Deeken . Ja, natürlich, Hauptkommissar Thomas Deeken, Kripo Wandsbek", gab sie leicht zögernd von sich.
Ich blickte sie kurz an, um in ihrer Miene einen Grund für dieses Zögern zu entdecken, aber ich fand keinen. "Ist irgendetwas mit Thomas?"
"Was passiert ist, weiß ich nicht ." Eine Pause. "Er . er wurde vor kurzer Zeit versetzt oder hat sich versetzen lassen ." Neue Pause. "Es war jedenfalls von einem Versetzungsantrag die Rede. Deeken arbeitet jetzt irgendwo in der Provinz. Keine Ahnung, wo."
Ich nickte, ließ es aber unkommentiert. Deeken war immer der spaßige Typ gewesen, mit einem gehörigen Hang zum Sarkasmus; daraus erwuchs irgendwann schwer zu ertragener Zynismus. Auf Dauer konnte man das nicht ignorieren und nicht jeder war in der Lage, sich gegen die giftigen Pfeile zu wehren, mit denen er verbal um sich schoss. Manchmal waren die Verletzungen so gravierend, dass sie nicht mehr heilen wollten, und sie hatten auch mich getroffen. Von mir aus konnte Deeken arbeiten, wo der Pfeffer wächst.
Ich lenkte den Wagen über die Finkenwerder Straße zur Autobahnauffahrt.
Inga blickte mich mit schräg geneigtem Kopf an. "Und wie ging es dann mit Ihnen weiter? Wie wird man eigentlich privater Ermittler?"
Nach dem Einfädeln in den Feierabendverkehr antwortete ich: "Danke, dass Sie nicht 'Privatdetektiv' sagen. Dieser Begriff impliziert im Allgemeinen die Beschattung treuloser Ehepartner, das Anbringen von Abhöranlagen, das Waschen schmutziger Wäsche, und andere Klischees ."
Wir warfen rechts einen kurzen Blick auf die Köhlbrandbrücke, die sich dem abendlichen Horizont entgegenschlängelte.
Ich fuhr fort: "Mir wurde relativ schnell klar, dass ich auf eigenen Beinen stehen wollte. Nach meinem Abschluss zum Diplom-Wirtschaftsjuristen habe ich mein Gewerbe angemeldet und mir ein Büro in der Speicherstadt gesucht."
Ingas Augen schweiften in die Ferne, dann waren sie wieder auf mich gerichtet. Sie räusperte sich. "Und davon kann man leben? Ich meine, lassen Ihnen die Behörden genügend Spielraum, um überhaupt tätig werden zu können?"
Ich musste überlegen, wo ich anfangen sollte. "In diesen Zeiten immer knapper werdender Mittel und immer umfangreicherer Ermittlungsverfahren in Bereichen wie zum Beispiel der Produktpiraterie stoßen die Behörden häufig genug an ihre Grenzen. Notwendige Ermittlungen werden nicht weitergeführt, weil die Personaldecke zu dünn ist und die finanziellen...
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