Schweitzer Fachinformationen
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Das geht ja gut los! Meine Reise hatte noch nicht einmal richtig begonnen, und schon war mir nach Aufgeben zumute. Vor dem Schloss in Celle musste ich mir einen Weg durch eine Traube schöner Menschen bahnen, die offensichtlich auf ein Brautpaar warteten. Und ich steckte mittendrin, mit schwerem Outdoor-Rucksack und hochrotem Kopf.
Und meine Blase drückte. Wieso nur hatte ich auf der Bahnfahrt von Hamburg auch diesen riesigen Latte Macchiato getrunken? Es war ja klar, dass ich gleich nach dem Aussteigen dringend aufs Klo musste. Die öffentlichen Toiletten am Bahnhof waren noch nicht geöffnet gewesen an diesem frühen Montagmorgen.
Seltsam, dass sich um diese Uhrzeit schon so viele Hochzeitsgäste versammelt hatten. Jedenfalls nahm ich an, dass sie für eine Trauung hier waren. Die Frauen trugen schicke Kleider und Hüte, die Männer gutsitzende Anzüge.
Hilfesuchend blickte ich mich nach einem Hinweis auf ein Klo um. Denn ich konnte mich wohl kaum in aller Öffentlichkeit hinter einen der zahlreichen Bäume hocken. Langsam kroch Panik in mir hoch. Wenn dieser verdammte Rucksackgurt nicht auch noch so drücken würde .
Also in Richtung Fußgängerzone. Ich war das erste Mal in Celle, aber allein schon, weil Tessa, meine Chefredakteurin, so von der Altstadt geschwärmt hatte, beschloss ich die Stadt nicht zu mögen. Auch wenn der Schlossplatz mit seinem großen parkähnlichen Gelände, umrahmt von Wassergräben, eigentlich hübsch anzusehen war.
Trotz meines fast zwölf Kilo schweren Gepäcks ging ich eilig über die Straße in Richtung Innenstadt. Sofort begann ich wieder zu schwitzen und spürte, wie meine Wangen glühten.
Endlich, hinter der zweiten Straßenecke fand ich ein Café, vor dem zwei Kellnerinnen gerade Stühle für das beginnende Tagesgeschäft bereitstellten.
«Entschuldigen Sie, dürfte ich vielleicht mal .», begann ich zaghaft und wurde sogleich unterbrochen.
«Durch den Gang und dann links», rief mir die ältere der beiden Damen zu.
Ich nickte dankbar, betrat das kühle, etwas plüschig eingerichtete Café und flitzte den Gang entlang. Umständlich quetschte ich mich mitsamt dem Rucksack auf die Toilette, weil ich es sonst einfach nicht länger ausgehalten hätte.
Puh!
Am liebsten wäre ich einfach sitzen geblieben und hätte mich die nächsten vier Wochen hier im Café versteckt. Denn schon der Gedanke an die bevorstehende Strecke ließ mich erschaudern: über 200 Kilometer zu Fuß, mit schwerem Gepäck und ohne WLAN. Ein totaler Irrsinn!
«Das ist genau das Richtige für dich», hatte Tessa vor einigen Wochen in der Redaktionssitzung befunden. Die Blicke aller Kollegen hatten sich erwartungsvoll auf mich gerichtet. Ich konnte zwar ganz gut schreiben, war aber in der direkten Kommunikation meist nicht besonders schlagfertig. Deshalb hatte ich leider nichts Verwertbares erwidern können - und hatte nun diesen absolut schwachsinnigen Auftrag am Hals. Oder besser gesagt an den Hacken. Pilgern vor der Haustür sollte meine Reportage heißen. Laut Tessa ein echtes Trendthema. Dafür sollte ich den angeblich schönsten Wanderweg Deutschlands gehen, den Heidschnuckenweg - von Celle quer durch die Lüneburger Heide bis zurück nach Hamburg. Und wenn es nach Tessa ging, sogar bis vor die Tür der Redaktion. Caro hatte mich mit großen Augen angestarrt und mir später zugeraunt, dass das Angebot doch ziemlich ungewöhnlich sei angesichts des allgemeinen Sparzwangs auf dem Printmarkt und ich deshalb keine Wahl hätte. Dreißig Tage gewährte Tessa mir für die Reise und bis zur Abgabe meines Berichts. Trotzdem hätte ich liebend gern auf diese Erfahrung verzichtet.
Es war außerdem der denkbar schlechteste Zeitpunkt, jetzt nicht zu Hause zu sein, dachte ich, als ich die Toilette verließ und in den mit zahlreichen Geranien bepflanzten Hinterhof des Cafés trat. Ob ich mir hier unauffällig mal die klobigen Schuhe ausziehen konnte? Die Behauptung stimmte wohl: Man musste Wanderschuhe einlaufen.
An einem schattigen Tisch setzte ich ächzend den Rucksack ab und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Die jüngere Kellnerin kam heraus, um nach meiner Bestellung zu fragen.
«Äh . Könnte ich einfach nur einen frisch gepressten O-Saft bestellen?», fragte ich schuldbewusst. Ich wollte die Toiletten nicht ohne Gegenleistung benutzen.
«Gerne, kommt sofort!» Sie verschwand wieder im Inneren des Cafés.
Anstatt mir sofort die Schuhe von den Füßen zu streifen, kramte ich erst mal mein Handy hervor. Dabei stieß ich auch auf mein kleines Notizbüchlein, das ich mir unterwegs besorgt hatte. Ich legte es auf dem Tisch ab und blickte neugierig aufs Display. Ob Frieda sich schon gemeldet hatte? Im selben Augenblick erschien es mir reichlich absurd. Sie war schließlich noch in der Schule und hatte gar kein Handy dabei. Wenigstens in diesem Punkt konnte ich mich zu hundert Prozent auf meine Tochter verlassen. Zwar war sie im besten Teenageralter, aber sie würde nie eine Schulregel brechen, auch das Handyverbot nicht. Aber ich war nervös, weil sie heute zwei wichtige Zeugnisnoten erfahren würde. Und ich fragte mich, ob sie und Simon während meiner Abwesenheit allein zurechtkamen.
Es fiel mir wirklich nicht leicht, loszulassen. Zumal heute auch noch die neue Ausgabe unseres monatlichen Magazins Feel feminine erschien. Zu diesem Anlass kam immer die gesamte Redaktion zusammen, um sich der Blattkritik zu stellen. Dieser Termin war allseits gefürchtet, weil Tessa immer etwas zu beanstanden hatte. Trotz stabiler Verkaufszahlen blieb die Branche angespannt, weil kein Anzeigenkunde und damit auch kein Job mehr sicher war. Von außen betrachtet war alles Hochglanz, einschließlich unseres verspielten, aber hochwertigen Layouts und des imposanten Verlagsgebäudes in der Hafencity. Doch hinter den Fassaden regierten Rotstift und Ellenbogen. Schon vier enge Kolleginnen hatte ich in den vergangenen zwei Jahren gehen sehen. Meine Freundin Caro, mit der ich mir seit Jahren das Büro teilte, sagte immer, ich solle keine Perlen vor die Säue werfen und mich nicht länger für die Feel feminine prostituieren, sondern als freie Autorin Romane oder Kinderbücher schreiben. Dabei wusste doch jeder, dass es dem Buchmarkt mindestens genauso schlecht ging wie dem Zeitschriftenmarkt. Natürlich träumte ich wie die meisten Redakteure heimlich von einem Bestseller. Und von einem verwunschenen Ort zum Schreiben, an dem ich ganz für mich sein konnte. Doch das war eben nur ein Traum. Nicht mehr und nicht weniger.
Und deswegen schrieb ich weiter für Tessa über aktuelle Kulturtipps und neue Entschleunigungstrends. Einfach, weil ich nichts anderes konnte. Weder konnte ich mit Zahlen etwas anfangen, noch hatte ich eine besondere Begabung oder Spezialwissen auf einem bestimmten Gebiet. Mir fehlte das Händchen fürs Backen und das Näschen fürs Kochen. Meine Welt als Lifestyle-Redakteurin bestand aus Zeilen und Deadlines und leicht verdaulichen Themen zur Entfaltung der weiblichen Persönlichkeit. Die vielen Interview- und Recherchetermine ließen mir gar keine Zeit für ein Hobby. Und ich hatte meines ohnehin zum Beruf gemacht. So gesehen war der Heidschnuckenweg vielleicht doch eine gute Gelegenheit, um im wahrsten Sinne mal rauszukommen und etwas anderes zu sehen.
«Hier kommt eine gesunde Stärkung für den Weg», sagte die nette Kellnerin, als hätte sie meine Gedanken gelesen. «Sie wollen doch Schnucken gucken?»
Ich lächelte sie dankbar an, als sie mir das gutgefüllte Glas hinstellte.
«Wollen Sie den ganzen Weg laufen?»
Ich nickte zaghaft. «Etwa 15 Kilometer habe ich mir pro Tag vorgenommen. Keine Ahnung, ob das realistisch ist.»
Das hatten Caro und ich jedenfalls grob überschlagen: vierzehn Tage wandern und zwischendurch vierzehn weitere Tage, um meine Eindrücke aufzuschreiben. Allerdings sah mein geheimer Notfallplan vor, Abkürzungen einzubauen und auf die letzte Etappe bis zum Ziel zu verzichten. Schließlich wollte ich in Hamburg, wo ich seit mehr als einem Jahrzehnt zu Hause war, ganz sicher niemandem begegnen. Es wäre doch auch vollkommen sinnlos, durch mir bereits vertraute Gegenden zu latschen. Für alles andere gab es zur Not auch Google Maps. Und das Internet lieferte mir ohnehin alle erdenklichen Infos, da musste ich nun wirklich nicht bis in die Hafencity laufen.
«Freuen Sie sich drauf», sagte die Kellnerin mit einem warmherzigen Lächeln. «So eine Wanderung kann das ganze Leben verändern.»
«Ach ja?» Fragend sah ich sie an.
«Ich bin den Heidschnuckenweg mal von Hamburg aus gegangen und dann hier gestrandet.» Ihr hübsches Gesicht wurde von beneidenswerten Locken in Rotblond umrahmt.
«Sie kommen auch aus Hamburg?», fragte ich erstaunt, als könnte man sich freiwillig für die Provinz entscheiden.
Doch die Frau bejahte und erklärte, sie habe schon etliche Touren quer durch Europa unternommen. «Mit einer Freundin zusammen bin ich sogar den Jakobsweg gegangen. Aber wirklich bei mir angekommen bin ich erst, als ich allein direkt aus Ottensen losgelaufen oder besser gesagt weggelaufen bin. Danach habe ich mein Studium abgebrochen, mein WG-Zimmer untervermietet, und jetzt jobbe ich hier erst einmal eine Saison durch.»
Nach dem Beginn einer ganz großen Karriere klang das nicht gerade. Trotzdem: Wäre es nach Tessa gegangen, hätte ich auch direkt von zu Hause aus loslaufen sollen, dachte ich etwas beschämt. Doch der umgekehrte Weg war mir sinnvoller erschienen, weil ich mich dann mit jedem Tag meinem gewohnten Leben näherte.
«Ich mache das...
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