Schweitzer Fachinformationen
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Sobald ich das Ortseingangsschild passiere, auf das die von Beeren umrahmten Worte »Willkommen in Wildberry Bay!« gemalt sind, atme ich zum ersten Mal wirklich durch. Meine Schultern entspannen sich augenblicklich, und auch mein Griff um das Lenkrad lockert sich ein wenig. Erst jetzt wird mir klar, wie verkrampft ich die ganze Fahrt über war. Die gesamten rund 1300 Kilometer, die ich mit meinem treuen Subaru von Montreal bis hierher, an die Südküste von Nova Scotia, zurückgelegt habe, war ich extrem nervös und hatte ständig das Gefühl, verfolgt zu werden. Was natürlich Blödsinn ist, schließlich habe ich auf meinem Telefon extra die »Track-my-phone«-Einstellung deaktiviert, durch die Tom bisher immer sehen konnte, wo ich war. Und was noch wichtiger ist: Er weiß noch gar nicht, dass ich es wirklich getan habe. Dass ich ihn verlassen habe. Denn mein Mann ist auf einem Businesstrip in New York und glaubt, dass ich zu Hause auf ihn warte, wie ich während der fünf Jahre unserer Ehe immer auf ihn gewartet habe.
Trotzdem habe ich wieder und wieder in den Rückspiegel gesehen, als ich dem scheinbar endlos langen Trans-Canada-Highway gefolgt bin: erst durch Québec, am Sankt-Lorenz-Strom entlang, dann durch die Provinz New Brunswick und bis nach Nova Scotia. Selbst hier habe ich immer noch nervös nach Tom Ausschau gehalten, während ich mich endlich auf dem Highway 103 befand, der mich der Atlantikküste näher und näher gebracht hat, bis ich nun tatsächlich hier bin.
Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich diese Fahrt ohne Übernachtung bewältigt habe. Die reine Fahrzeit beträgt ungefähr zwölf Stunden, wenn man es ohne Stau schafft. Natürlich habe ich mir Pausen gegönnt, und einmal habe ich sogar eine halbe Stunde geschlafen - auf einem Walmart-Parkplatz, ganz außen, am Rande einer Wiese, wo ich mich unbeobachtet und dennoch nicht zu abgeschieden gefühlt habe. Denn was, wenn Tom mir doch folgen und meinen Subaru entdecken würde? Mich beim Schlafen überraschen würde?
Mir ist bewusst, wie unwahrscheinlich das ist. Dass ich regelrecht paranoid geworden bin. Tom kann nicht wissen, dass ich fort bin.
Noch nicht.
Allein bei der Vorstellung, Tom mitteilen zu müssen, dass ich ihn verlassen habe, wird mir übel. Rasch blinke ich und halte am rechten Straßenrand. Als der Wagen zum Stehen gekommen ist, öffne ich das Fahrerfenster, um die frische Seeluft hereinzulassen, bevor ich den Motor ausschalte und reglos sitzen bleibe, meinen Blick auf den Atlantik geheftet, der sich friedlich im letzten Licht des Tages vor mir erstreckt. Ich atme tief die salzige Luft ein und schließe kurz die Augen. Oh, wie ich diesen Duft nach Meer vermisst habe!
Als ich die Augen wieder öffne, verrät mir die Digitalanzeige auf dem Display, dass es kurz nach 21 Uhr ist. Ich bin heute Morgen um sechs Uhr in Montreal gestartet. Erschöpft starre ich wieder auf das Meer in seinem tiefen Violett, das sanft in ein Tintenblau übergeht. Bleierne Müdigkeit erfüllt mich nach dieser endlos langen Fahrt, und dennoch werde ich gleichzeitig von einer fast fiebrigen Aufregung erfüllt. Von ungläubigem Stolz. Ich habe es tatsächlich nach Wildberry Bay geschafft! Und zwar nicht, wie bei Florentines geplatzter Hochzeit im Juli, mit dem Flugzeug und nur einem kleinen Koffer voll hübscher Sommersachen. Nein, dieses Mal bin ich vorbereitet. Ich werfe einen Blick über meine Schulter, auf die vielen Taschen, die sich auf meiner Rücksitzbank stapeln. Im Kofferraum türmt sich noch mehr Gepäck. Im Fußraum des Beifahrersitzes steht Gloria, mein Hibiskus, der unterwegs, irgendwo zwischen Montreal und Québec City, zwei pfirsichfarbene Blüten verloren hat. Trotzdem bin ich froh, Gloria nicht einfach bei Tom gelassen zu haben, der sie garantiert hätte vertrocknen lassen - oder sie gleich entsorgt hätte, aus Rache an mir.
Ein empörtes Maunzen reißt mich aus meinen Gedanken. Ich beuge mich vor und spähe durch die Gitterstäbe in die Transportbox auf dem Beifahrersitz, nur um entrüstet von meinem Kater angestarrt zu werden.
»Ich weiß, Elmo, ich weiß. Aber wir haben es geschafft. Willkommen in Wildberry Bay, Süßer!«
Ja, auch Elmo musste natürlich mitkommen. Tom hätte ihn garantiert genauso entsorgt wie Gloria. Ich muss ein Schaudern unterdrücken. Genau in diesem Moment vibriert mein Telefon, und ich sehe, dass ich eine WhatsApp-Nachricht von Tom bekommen habe. Mein Herz beginnt, schmerzhaft gegen meine Rippen zu hämmern, als ich mit klammen Fingern nach meinem Telefon greife und die Nachricht öffne.
Hey, Darling, alles klar bei dir? Bin noch bei einem Geschäftsessen, melde mich danach.
Ich atme tief durch. Jetzt oder nie. Meine Finger zittern, und ich verschreibe mich mehrfach, aber ich tippe trotzdem entschlossen die Nachricht, die ich schon so lange geplant und im Kopf zigmal umformuliert habe. Die ich jedoch erst jetzt, hier, in Wildberry Bay, wirklich abzuschicken wage:
Lieber Tom, ich habe es ja neulich schon gesagt, aber du wolltest es nicht hören: Ich trenne mich von dir. Wenn du nach Hause kommst, bin ich nicht mehr da. Ich werde mich wieder melden. Gwendolyn.
Mein Herz schlägt so heftig gegen meine Rippen, dass Übelkeit beginnt, in mir hochzuzüngeln. Ich muss meine Handflächen an meiner Jeans abwischen, weil ich Sorge habe, dass das Telefon sonst meinen feuchten Händen entgleiten könnte. Ein paar tiefe Atemzüge lang versuche ich, mich selbst zu beruhigen.
Soll ich das wirklich tun? Die ängstliche Stimme in meinem Kopf, die sich so gut an Toms Wutausbrüche erinnert und die panische Angst vor seiner lauten Stimme, seinem hochroten Gesicht, seinem festen Griff hat, wispert flehentlich, dass ich es sein lassen soll. Einfach nicht reagieren.
Aber die selbstbewusstere Stimme in meinem Kopf, die sich in den Wochen seit Florentines geplatzter Hochzeit immer mehr Gehör verschafft hat, die mir in den Momenten tiefster Verzweiflung zugeflüstert hat, dass ich nicht allein bin, dass ich eine Familie habe, die mich liebt, und Freunde, die für mich da sind - die erinnert mich jetzt mit Nachdruck daran, dass ich es tun muss. Dass dieser Schritt unvermeidlich ist.
Außerdem - warum diese Panik? Es ist immerhin nicht so, dass Tom um die Ecke wartet und sofort herangestürmt kommt, sobald ich die Nachricht verschickt habe!
Allein diese Vorstellung reicht aus, um die Übelkeit stärker werden zu lassen, und ich fürchte kurz, die Fahrertür öffnen und den extragroßen Caffè Latte, der mich seit meiner letzten Toilettenpause in Truro wachgehalten hat, herausspucken zu müssen. Doch mit ein paar weiteren tiefen Atemzügen bekomme ich meinen kurzen Panikanfall und mit ihm die Übelkeit in den Griff, und ich straffe meine Schultern.
Ich benehme mich albern. Nicht wie eine 36-jährige Frau, sondern wie ein Mädchen, das Angst vor dem Ungeheuer im Schrank hat. Entschlossen vermeide ich den Gedanken, dass Tom mir tatsächlich immer öfter wie das Ungeheuer in meinem Schrank vorgekommen ist, und drücke auf Senden.
Atemlos starre ich auf das Display meines Telefons. Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, als die hellgrauen Häkchen blau werden. Tom ist online. Er ist rund tausend Kilometer von hier entfernt, in New York City (ja, ich habe mir die Entfernung vorher bei Google Maps anzeigen lassen, einfach nur, um mich sicherer zu fühlen) - und trotzdem fühlt es sich so an, als könnte er jeden Augenblick aus dem Telefon steigen und mich am Arm packen. Mich schütteln und sagen, dass ich dumm bin, so schrecklich dumm.
Tom schreibt, teilt mir WhatsApp mit. Ich muss mein Telefon zur Seite legen. Elmo miaut laut und nachdrücklich, aber ich kann mich gerade nicht um meinen Kater kümmern. Als das Vibrieren meines Telefons eine neue Nachricht ankündigt, öffne ich doch die Fahrertür und übergebe mich auf das trockene Gras des Seitenstreifens.
Dann sitze ich ein paar panische Herzschläge lang in der geöffneten Tür und starre auf den Atlantik, während ich Mut sammele. Mut für das, was kommt.
Mit zittriger Hand greife ich nach meinem Telefon, wobei mir wieder bewusst wird, wie nackt meine Hand ohne die zwei Ringe wirkt, die ich seit Jahren getragen habe: den Verlobungsring mit dem großen Diamanten und den Ehering. Beide liegen zu Hause auf meinem Nachttisch.
»Du hast den Verstand verloren, Darling. Hör gefälligst auf mit diesem Blödsinn. Morgen früh steige ich in den Flieger nach Hause. Und ich kann dir nur raten, dort auf mich zu warten, wenn ich ankomme.«
Ich lasse mein Telefon sinken und übergebe mich erneut ins Gras neben den Subaru. Dann trinke ich den Rest aus meiner Wasserflasche, die ich zuletzt in Truro aufgefüllt habe.
»Kann ich Ihnen helfen, Ma'am?«
Beim Klang der Männerstimme zucke ich erschrocken zusammen. Als ich den gebückt gehenden alten Mann erblicke, der neben meiner Motorhaube stehen geblieben ist und mich sorgenvoll mustert, brauche ich ein paar Sekunden, ehe ich das wettergegerbte Gesicht und das lichte weiße Haar einordnen kann: Ja, das muss Earl White sein, an den ich mich tatsächlich gut erinnern kann, auch wenn er zwanzig Jahre älter ist als bei meinem letzten Sommer in Wildberry Bay. Genau wie ich natürlich selbst zwanzig Jahre älter bin, wobei ich mich momentan wieder sehr wie die Sechzehnjährige von damals fühle: verloren und verängstigt.
Earl White mustert mich besorgt, starrt flüchtig auf mein Erbrochenes und sieht wieder mich an. Meine Wangen beginnen, vor Verlegenheit zu brennen.
»Hi, Mr. White. Ich bin es, Gwendolyn Hobbs. Walker. Geborene Walker.«
Bald hoffentlich wieder...
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