1. Kapitel
Lediglich Traudels Fürsorge rechtfertigte es, die Zamis-Villa noch als trautes Heim zu bezeichnen.
»Dein Boss hat sich einige Frechheiten erlaubt«, brummte Michael. »Das Benehmen der Oppositionsdämonen war peinlich und amateurhaft.« Michael verschwieg geflissentlich, dass sich auch das Team Asmodi nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte, was Kompetenz anging. »Du solltest dir einen besseren Verbündeten suchen als Nocturno. Der Mann ist nichts weiter als ein Großsprecher und Budenzauberer.«
»Wenn du das sagst, Geliebter.« Die sanften Finger, die Michaels Nacken massierten, konnten nicht über den spöttischen Tonfall hinwegtäuschen.
»Er ist ein Betrüger, ein Lump und ein ehrloser Schuft!«, fuhr er sie an.
»Das sagt man auch über dich.« Kichernd fuhr sie ihm durchs Haar und schmiegte sich enger an ihn. Aber Michaels Stimmung war gründlich ruiniert. »Was soll das heißen? Was bist du plötzlich so aufsässig?«
»Plötzlich?« Traudels Kichern mutierte zu einem gehässigen Zischen. »Du kennst mich nicht, Michael Zamis. Aber du wirst mich kennenlernen.«
Unvermittelt ringelte sich ein Schlangenleib um seine Hüften und Beine. Wand sich, schnürte ihn ein. Ihre Finger schossen zu seinem Hals und würgten ihn. Michael wollte das Weib von sich stoßen, sie mit einem finsteren Fluch niederstrecken, aber auf einmal war seine Zunge bleischwer. Die Arme gehorchten ihm nicht mehr.
Die Schlampe hatte eine magische Falle aktiviert. Plötzlich roch er das beißende Gift im Badewasser. Die Dämpfe lähmten ihn, sein Schädel hämmerte. Wann hatte Traudel den Angriff vorbereitet und so gut getarnt, dass der Giftzauber allen entgangen war?
Wahrscheinlich während der jüngsten Machtkämpfe in Asmoda. Anscheinend hatte das Dreckstück mehr getan, als nur das Haus gehütet. Wer vermochte jetzt noch zu sagen, wie lange der Verrat geplant gewesen war?
Die Erkenntnis nutzte Michael jedoch wenig, denn Traudels Finger drückten ihn unbarmherzig unter Wasser. Der Druck um seinen Hals raubte ihm den Atem. Er konnte nicht einmal strampeln, denn ihr Schlangenleib presste die Lebenskraft aus seinem gelähmten Körper.
Ein zorniges Gurgeln entrang sich Michaels Brust, während seine knappen Bewegungen weiter erlahmten.
Schwärze wallte vor seinen Augen auf und zog ihn langsam aber sicher in ihren betäubenden Schoß.
Doch dann hielt etwas seinen sanften Fall in die Finsternis auf. Ein Platschen, Fingernägel, die wie Skalpelle in seine Haut stachen, Traudels Körper, der wild zuckte und die Kontrolle über ihn verlor.
Licht und Ton kehrten zurück in seine Welt. Ebenso der Wille zum Widerstand. Mit einem Minimum an Bewegung, das sein gepeinigter Körper noch aufbrachte, stieß Michael die Schlange von sich und kämpfte sich an die Wasseroberfläche. Seine Lungen lechzten nach Sauerstoff.
Erleichtert schnappte Michael nach Luft und blickte in das Gesicht seiner Frau. Thekla. Blut lief über ihr Handgelenk, tropfte von der Klinge einer runenverzierten Axt. Theklas Augen blitzten. Michael fürchtete, dass die Axtschneide gleich seine Kehle durchbohrte, doch dann streckte ihm Thekla mit einem bösen Lächeln Traudels schmerzverzerrtes Haupt entgegen. Traudels Schlangenkörper lag jedoch noch neben Michael in der Wanne. Ganz still.
Das ehemals helle Wasser hatte nun eine dunkelrote Farbe und einen metallisch-süßlichen Geruch.
»Ein Bad in Drachenblut, mein Gatte?« Theklas Lächeln, als sie sich auf den Badewannenrand setzte und das Haupt der Medusa achtlos gegen die Zimmertür warf, war warm und herzlich wie schon lange nicht mehr. »Das soll gut gegen Schwachstellen in der eigenen Abwehr sein.«
»Es hilft allerdings nicht gegen Blindheit«, brummte Michael.
Theklas Lächeln wuchs. Sie beugte sich vor und gab Michael einen sanften Kuss. Dass Traudels Blut an seinen Lippen klebte, schien sie nicht zu stören. Im Gegenteil, der Kuss führte beide Eheleute in eine innige Umarmung. Michael wusste, dass seine kluge Frau seine Entschuldigung erkannt und verstanden hatte. Sie erwartete nicht, dass er sie aussprach oder zu Kreuze kroch. Das hatte ihn auch sofort zu ihr hingezogen. Die stille Art, mit der sie seine Eskapaden hinnahm, wohl wissend, dass er immer wieder zu ihr zurückkehrte.
Jetzt fiel ihm alles wieder ein.
Die gemeinsamen Stunden mit Traudel hingegen, ihr angebliches Verständnis, ihr aufregender Körper, die Wollust - das alles erschien Michael nur noch wie ein ferner, verwirrender Traum. Als ob der Tod der Schlangenfrau die Erinnerung an sie gleich mit ausgelöscht hatte.
»Wir sollten auf Nummer sicher gehen, dass diese Klette sich nicht doch noch irgendwie regeneriert. Immerhin ist sie schon einmal zurückgekommen.«
»Was schlägst du vor?« In diesem Augenblick war Michael durchaus geneigt, den Ratschlägen seiner Frau Gehör zu schenken.
»Wir versteinern das, was von ihr übrig ist, und setzen das Ganze dann im Keller noch zusätzlich unter einen Bannzauber.« Thekla betrachtete den Leichnam in der Badewanne eingehend, und ein verächtliches Lächeln huschte über ihre schmalen Lippen. »Das Dreckstück soll keine weitere Gelegenheit haben, in unserer Familie Unfrieden zu stiften.«
»Es sei, wie du sagst«, gestand Michael zu. Nebenbei duschte er sich ab und stieg aus der Wanne. Thekla reichte ihm einen frischen, weichen Bademantel.
»Du wusstest, dass sie das versuchen würde«, stellte Michael schließlich fest, nachdem das Werk im Keller getan war und mächtige Bannzauber Traudels zerteilten und versteinerten Körper gefangen hielten. Die Schlangendämonin sah wirklich sehr tot aus, aber sicher war eben sicher.
»Ich ahnte, dass die Schlampe es nicht nur auf Coco und mich, sondern auch auf dich abgesehen hatte«, erklärte Thekla leichthin. »Außerdem hatte ich so ein Gefühl, dass Nocturno sie nach unserer Rückkehr aus Asmoda auf dich ansetzen würde.«
Obwohl Michael seiner Frau mehr als dankbar war, dass sie ihn vor seiner verräterischen Geliebten bewahrt hatte, stutzte er.
»Inwiefern? Was für ein Gefühl?«
Sie zuckte die Achseln, blickte zum Fenster. »Nur eine Ahnung. Ich mochte sie nie. Sie hat mir nach dem Leben getrachtet. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob nicht irgendwer das Weib nach ihrer sogenannten Wiederauferstehung als Schläferin in unser Haus eingeschleust hat.«
Theklas Worte klangen vernünftig, logisch und überzeugend. Dennoch blieb ein schaler Geschmack auf Michaels Zunge zurück, wenn er daran dachte, wie lange Nocturno seine Frau bei sich behalten hatte. Hatte die schwarze Eminenz Traudel benutzt, um Michael von seiner Gattin abzulenken und ihn auszuschalten, damit er selbst Thekla besitzen konnte?
Michael schüttelte den Kopf. Zu viele Feinde. Zu viele Beinahe-Katastrophen, verursacht durch die Oppositionsdämonen. Das ging auch an ihm nicht spurlos vorüber. Langsam wurde er paranoid. Andererseits ... undenkbar war es nicht.
Als Michael seine Frau in dieser Nacht liebte und den Bund der Ehe auf die Weise mit ihr erneuerte, schien sie ihm nicht recht bei der Sache. Die Bitterkeit begleitete ihn in einen unruhigen Schlaf.
Flugplatz Fliegerhorst, Lübeck,
24. August 1940
(Georg)
Ich folgte Nocturno über den Flugplatz. Die sinkende Sommersonne umgab die Jäger und Bomber und auch die geschäftigen Menschen, die an ihnen werkelten, mit einer rot glühenden Aureole. Im Stabsgebäude flammten die ersten Lichter auf.
Um uns herum dröhnten Propeller bei Wartungstests, ratterten Motoren, wurden schwere verbogene Tragflächen zurechtgeklopft.
Meine Rekrutenuniform lag ungewohnt auf meiner Haut, der Kragen schnürte mich ein. Nocturnos Feldjacke hingegen passte ihm wie angegossen. Als sei die Uniform für ihn gemacht. Aber das war bei meinem Lehrmeister nichts Ungewöhnliches. Welche Rolle auch immer er annahm, er überzeugte bis ins kleinste Detail, konnte sein Verhalten und seine Persönlichkeit verbiegen und formen wie Teig.
Ich hingegen hatte große Schwierigkeiten, mit meiner neuen Größe zurechtzukommen. Mit einem Fingerschnippen hatte Nocturno Vaters Zauber entkräftet und mir meine wahre Größe zurückgegeben. Nun war ich ein hoch aufgeschossener Achtzehnjähriger. Zu dumm nur, dass ich mein ganzes Wachstum verpasst hatte. Ich fühlte und bewegte mich zum Teil noch wie ein Achtjähriger, was mir nicht nur eine erhöhte Unfallneigung bescherte, sondern Fremde zum Lachen reizte.
Auch jetzt stolperte ich schlaksig und mit schlenkernden Armen hinter Nocturno her. Ich spürte die mitleidigen Blicke der Piloten, die erschöpft von zu vielen Einsätzen ihre von Kämpfen gezeichneten Maschinen bemannten.
Ich konnte die allgemeine Erschöpfung, die Auszehrung und nervliche Anspannung spüren wie einen giftigen Algenteppich, der die sonst so freien Fluten des Meeres verseuchte. Welche der zerschundenen alten Dornier-Bomber würden beim nächsten Einsatz den britischen Spitfires zum Opfer fallen? Wer geriet als...