Schweitzer Fachinformationen
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Noch vor einem Jahr hätte Georg Reifegerste verständnislos an sich hinuntergesehen. Flache Sache. Flaute im Karton. Mittlerweile war ihm die Angelegenheit bekannt, wenn auch nicht gut bekannt. Dass Hella neuerdings ständig diese Countertenöre hörte und den ganzen Abend lang Kastratengejaule durch Georgs Wohnzimmer klang, half nicht unbedingt.
»Ach, Schatz, das macht doch nichts.« Hella zog ihre warme Hand zurück. Immer sagte sie denselben Satz, anfangs verständnisvoll, mittlerweile teilnahmslos.
Sie lupfte den Träger des rosa Seidenhemdchens wieder über ihre Schulter, die eckig gewebte Spitze am Ausschnitt erinnerte Georg an Stahlmatten. Morgen früh wollte er um acht bei Helmut sein.
»Ich möchte gern, dass du zu Hause bist, wenn dein Sohn kommt.« Die Haut über Hellas Oberlippe war knitterig.
Mist, dachte Georg, Adam mitsamt Anhang. Das bei Helmut könnte länger dauern. Sollte es vielleicht sogar.
»Karl und Franz wollen sicher mit ihrem Opa spielen«, fügte Hella an.
Während du mit Olga in der Küche sitzt und Sekt trinkst, dachte Georg.
»Im Ruhestand hast du ja nun mehr Zeit für die beiden.« Hellas Stimme trug ein Fünkchen Schnippigkeit.
Opa, Ruhestand, das macht doch nichts. Gerade kam sich Georg wie ein Tattergreis im Altersheim vor.
»Schlaf gut, mein Lieber.« In der Duftwolke ihrer Hautcreme drehte sich Hella um und zog die Decke hoch bis unter die Achseln. Die Schultern ragten schön gerundet heraus, Hellas aschblondes Haar floss in dicken Strähnen über das Kopfkissen. »Machst du bitte das Licht aus?«
»Ja sicher«, grummelte Georg. Seine Hand tastete nach dem Kippschalter der Nachttischlampe, mit einem Klicken wurde es dunkel. Georg lag auf dem Rücken und starrte gen Zimmerdecke.
Acht fünfzig auf zehn Meter, Ausschachttiefe fünfundvierzig. Helmut brauchte eine neue Mehrzweckhalle, seinem Betrieb ging es offenbar gut. Einer seiner Söhne machte ja auch weiter.
Georgs Sohn dagegen war in die Stadt abgedampft, arbeitete irgendwas mit IT und war mit einer polnischen Ärztin verheiratet, die ihm überdrehte Zwillinge geboren hatte. Adam war nicht danach gewesen, in Georgs Fußstapfen zu treten. Dabei hatte das Bauunternehmen Reifegerste stets schwarze Zahlen geschrieben, es bot eine solide Existenz, gebaut wurde immer. Aber Adam war weich und bequem, seine Mutter hatte ihn hoffnungslos verwöhnt.
In Georgs Bauch gluckerte der Rotwein. Schwerer Bordeaux, eine durchdringende Falsettstimme und Hella, die den gemütlichsten der Wohnzimmersessel besetzte und schmunzelnd »ein richtig gutes Buch« las. So sahen Georgs Abende derzeit aus.
Er drehte sich auf die Seite und zähmte einen gewaltigen Rülpser gerade noch in ein unterdrücktes »Ullppss«. Ein Schluck der Rotweinbrühe floss aus seinem Magen hoch bis in die Kehle, beim Zurücklaufen hinterließ er ein unangenehmes Brennen.
Na super, dachte Georg, kippte seine Beine aus dem Bett und richtete den Oberkörper auf. Die Fußsohlen berührten den Hochflor-Bettvorleger, Hella hatte das Schlafzimmer wie eine Ausstellungsfläche in einem Möbelhaus umgestaltet.
Georg stand auf, er hatte Lust auf ein Bier.
»Musst du noch mal auf Toilette?«, fragte Hella durch das Dunkel des Raums.
Eigentlich liebte er sie. Aber manchmal konnte er sie nicht leiden.
»Nee«, brummte er. »Ich geh kurz runter, was nachgucken.«
Vorsichtig tappte Georg ein paar Schritte bis zur Tür, öffnete sie und trat auf den Flur.
»Bringst du bitte eine Flasche Mineralwasser mit hoch?«, rief ihm Hella hinterher.
»Jaja.«
Georg drückte auf den Lichtschalter, kniff die Augen zusammen und ging auf blanken Sohlen die Holztreppe hinunter. Unten angekommen steuerte er die Küche an. Die gestreifte Schlafanzughose schlackerte um seine Beine. »Mako-Satin«, hatte Hella gesagt. »Georg, du brauchst ein paar gescheite Pyjamas .«
Bei seiner Exfrau Irene hatte er Schlafanzüge getragen, mit ausgeleiertem Hosengummi und im Winter aus Frottee.
Zielstrebig öffnete Georg die Kühlschranktür, an der ein Zettel mit Hellas Terminen für die Herzsportgruppe und zwei kritzelige Zeichnungen seiner Enkel hingen.
Das Innenleben des Kühlschranks stand in Reih und Glied da, Georgs Blick flog über Joghurtbecher, Marmeladengläser, Oliven, Frischkäse, saure Gürkchen. Auf dem untersten der Glasböden lagen zwei Flaschen Sekt. Olga war trinkfest. Hella auch. Georg vermutete, dass beide nach drei bis vier Gläsern gemeinsam über Adam herzogen, aber er mischte sich in die Frauengespräche nicht ein.
Ungeduldig öffnete er das Gemüsefach, schob Lauch, Paprika und Kopfsalat beiseite und erspähte eine Flasche Export. Wie einen verschollenen Schatz barg er sie aus dem Grünzeug und hebelte mit einem Öffner den Kronkorken ab. Das Zischen war Musik in seinen Ohren, eine kleine Kohlensäurefahne stieg aus dem Flaschenhals auf. Georg setzte sich an den Küchentisch und trank einen ordentlichen Schluck.
»Aah.« Schnalzend schlug seine Zunge an den Gaumen, das kühle Gebräu tat dem brennenden Hals gut.
Auf der Tischplatte lag Georgs Handy, er griff danach und schaltete es ein. Der Empfang einer neuen Nachricht wurde angezeigt.
»Vielleicht von Helmut«, murmelte er vor sich hin und trank noch einen Schluck. Mit seinem schwieligen Zeigefinger tippte er auf das Briefsymbol, während er das Telefon in ausreichende Entfernung von seinen Augen weghielt.
Irene hatte ihm geschrieben. »Erinnerst du Adam bitte daran, dass er morgen auch bei mir vorbeikommt?«
Natürlich, dachte Georg, der Junge guckt sicher bei seiner Mutter rein. Dabei reichte es Irene völlig, wenn Adam sie besuchte. Georg wusste, dass sie dessen Frau nicht leiden konnte. Wahrscheinlich war Olga ihr zu lebenslustig, damit hatte es Irene nicht so. Und ihre Enkel waren ihr zu wild, von ihrem Geschrei bekam sie Kopfschmerzen.
Einen Moment lang überlegte Georg, ob er seiner Ex antworten sollte. Mit einem Blick auf die große runde Uhr über der Anrichte entschied er sich dagegen. Ein Mann im besten Alter, so wie er, hatte um diese Zeit entweder Spaß oder schlief.
Georg hob die Bierflasche an den Mund und trank. Hoffentlich hielt das Wetter. In strömendem Regen musste er morgen mit dem Ausschachten gar nicht erst anfangen.
Den größten Teil seines Fuhrparks hatte er schon verkauft, aber einen Bagger hatte er behalten, den kleinen Grundbock. Damit konnte er gut nebenher noch was machen. Überhaupt war man mit gerade mal Mitte sechzig nicht weg vom Fenster. Georg fühlte sich in vollem Saft und sah auch noch ziemlich passabel aus. Stattlich, hatte Irene immer gesagt, Hella sagte eher attraktiv, ein Schnittchen oder gut in Schuss - auch wenn Georg um die Bauchgegend herum etwas stärker geworden war und sein volles Haar grau.
Er stand auf und ging mit der Flasche zur Terrassentür. Ein Blick in den Nachthimmel konnte nicht schaden. Tagsüber war es schwül gewesen und hatte nach Regen gerochen. Georg öffnete die Tür, trat hinaus und atmete tief ein. Es hatte deutlich abgekühlt.
Er schaute in den Garten, der hinter dem Haus lag. Hella konnte dort stundenlang Rosen schneiden, Unkraut jäten und Kräuter hegen und pflegen. Dabei bändigte sie ihr blondes Haar mit einem roten Band, trug geblümte Gartenhandschuhe und strahlte. Wenn Georg sie so sah, fühlte er sich zwanzig Jahre jünger. Und ungefähr hundert Jahre jünger als seinerzeit mit Irene.
Georg beugte sich über das hölzerne Geländer der Veranda. Mit einem Geräusch, das an einen fetten Trompetenfrosch denken ließ, ging ihm ein Wind ab. Er schnüffelte und wich zwei Schritte zur Seite aus.
Gerade hob er die Bierflasche an den Mund, als es metallisch krachte. Er schrak zusammen, seine Hand zuckte. Einen Moment hielt er inne, ließ den Arm sinken und stand reglos da. Wieder krachte es, so als versuche jemand, gegen Metall anzugehen. Ganz in der Nähe. Auf seinem Grundstück.
In Georgs Adern pulste Adrenalin, er drehte den Kopf nach rechts, lauschte in die Dunkelheit. Ein leises Quietschen drang zu ihm, es kam aus der Richtung seines gerade erst fertiggestellten Carports.
Vorsichtig stellte Georg die Bierflasche auf dem Geländer ab, zögerte noch ein paar Sekunden und schlich dann barfuß die fünf Stufen der Terrassentreppe hinunter.
Unter der Veranda lagen Latten des alten Gartenzauns, die im nächsten Winter verfeuert werden sollten. Georg bückte sich und griff nach einer. So bewaffnet pirschte er an Hellas Rosenstauden vorbei zur Seite des Hauses, an die Garage und Carport angrenzten. Ein gepflasterter Pfad führte vom Garten aus zu den Anbauten. Der Dreiviertelmond leuchtete vom Nachthimmel und spendete gutes Büchsenlicht.
Mit beiden Händen hielt Georg die Zaunlatte wie einen Baseballschläger quer vor seiner Brust. Etwas stach in seinen Fuß, eine Distel zwängte sich zwischen den Pflastersteinen hervor. Georg schlich weiter, er war nur noch ein paar Meter vom Hintereingang der Garage entfernt.
Im Carport bewegte sich ein Schatten.
»He!«, schrie Georg, ohne nachzudenken. »Was machen Sie da?« Schon stürzte er los. Doch in der Vorwärtsbewegung blieb seine schlackernde Pyjamahose an einem Rosenbusch hängen. Georg strauchelte, ließ die Latte fallen, ruderte mit den Armen verzweifelt nach Gleichgewicht und schlug lang auf die Pflastersteine. »Argh«, entfuhr es ihm, Schmerz funkte durch Handflächen und Knie. »Verdammt!«
So schnell es ging, rappelte er sich hoch. Jemand lief zwischen seinem Grundbock und dem Anhänger aus dem Carport.
»Stehen bleiben!«, schrie Georg...
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