Schweitzer Fachinformationen
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Es ist Sommer am Comer See, und die Hitze lässt die Luft auf den Straßen flirren, als Commissaria Giovanna Ruggieri von der Polizei in Como Nachricht über einen Mordfall erhält: Auf Comacina, der einzigen Insel des Sees, wurde der angesehene und beliebte Arzt Simone Fabrizio aus Menaggio erschossen aufgefunden. Beinahe zeitgleich bekommt es Ispettrice Maria di Bartolomeo im am Seeufer gelegenen Städtchen Bellano mit einem Verkehrstoten zu tun, der anscheinend nachts die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Die Spuren führen Giovanna und Maria schon bald an einen Ort, wo beide Männer vor zwanzig Jahren in ein weitreichendes dunkles Geheimnis verwickelt waren ...
Como«, schallte als Fahrtrichtung blechern aus dem Lautsprecher am Hafen von Bellagio, während Giovanna über die Promenade zur Anlegestelle hastete. Und noch einmal: »Como!« Die letzten Passagiere betraten schon die frühe Personenfähre, die an das Südende des Comer Sees fuhr. Nur Giovanna war immer noch gut achtzig Meter vom Schiff entfernt.
»Signori!« Sie winkte den beiden uniformierten Männern zu, die jetzt den Übergang zur Fähre schließen wollten. »Warten Sie, bitte!«
Tatsächlich hielten die beiden inne und ließen sie - ausnahmsweise, wie der Ältere betonte - das Schiff noch besteigen. »Aber nur, weil wir es uns mit der Polizei nicht verscherzen wollen«, ergänzte der Jüngere, ein attraktiver sportlicher Mann Mitte dreißig in einem leuchtend blauen Hemd, mit Sonnenbrille und etwas zu viel Gel in den Haaren.
Normalerweise war Giovanna die Pünktlichkeit in Person, aber heute hatte ein amerikanisches Touristenpärchen sie aufgehalten, das in der Bar in der Schlange vor ihr zwei Tassen Cappuccino unbedingt auf Italienisch hatte bestellen wollen, obwohl die Besitzerin perfekt Englisch sprach. Giovanna hatte ihren eigenen Caffè nur noch hinunterstürzen können, bevor sie sich im Laufschritt auf den Weg zum Hafen machen musste.
»Signora Commissaria, wenn Sie einen Wecker benötigen, ich könnte .«
Sie ignorierte wie üblich den Flirtversuch des jungen Mannes, versuchte sich im Vorbeigehen aber immerhin an einem Lächeln. Schließlich hatten er und der andere ihr heute einen Gefallen getan, die nächste Fähre kam erst in einer Dreiviertelstunde.
Giovanna stellte sich an die Reling und atmete tief durch, während sie ihr Gesicht in die Sonne hielt und ihre dunklen Haare schüttelte, damit ihr der Wind die Locken nicht ins Gesicht wehte. Zu dieser Uhrzeit war die Luft noch angenehm, später würde es unerträglich heiß werden.
Seit einem halben Jahr lebte sie nun hier und nahm jeden Werktag um 06:46 Uhr die Fähre nach Como. Schon am dritten Morgen hatte der gut aussehende Mitarbeiter von Navigazione del Lago herausbekommen, dass sie dort als Commissaria bei der Polizia di Stato arbeitete. Neuigkeiten sprachen sich schnell herum, Bellagio war einfach klein. Es gab zu wenig Platz und zu viele Touristen, und dennoch liebte Giovanna den Ort und ihre gemütliche Wohnung mit Garten heiß und innig. Sie hatte früher ihrer Großmutter gehört, Nonna Maura, der Mutter ihres Vaters, bei der Giovanna einige Zeit gelebt hatte, bevor diese sehr krank geworden war.
Die Fahrt dauerte eine Dreiviertelstunde, und als Giovanna der Wind um die Nase wehte und sie die feuchte Alpenluft einsog, entspannte sie sich ein wenig. Sie genoss die ruhige Zeit auf der Fähre jeden Morgen und Abend. Die Straßen um den See waren fast immer verstopft, man stand hupend und fluchend im Stau, vor allem auf ihrem Heimweg - wie viel angenehmer war es da, an Deck in der Sonne zu sitzen. Sie hatte sogar wieder angefangen zu lesen. Im Augenblick versuchte sie es mit I promessi sposi, einem Liebesroman aus dem 19. Jahrhundert von Alessandro Manzoni, der lange am Comer See gelebt hatte. Nachdem sie das umfangreiche Buch damals in der Schule nur mit großem Widerwillen gelesen hatte, war sie inzwischen bereit, sich erneut darauf einzulassen. Doch sie wurde abgelenkt von den Geräuschen auf der Fähre und sah sich immer wieder um. Inzwischen kannte sie die meisten hier auf dem Boot, die wie sie zur Arbeit pendelten: der Anzugträger, der die gesamte Fahrt über telefonierte, die zwei Frauen in langen Kleidern, die gern mit den meist männlichen Mitarbeitern an den Fährhäfen ein paar scherzhafte Worte wechselten, und der Radler, vermutlich der einzige Passagier hier, der nicht zur Arbeit fuhr. Der Mann schien für den Giro d'Italia zu trainieren, so oft, wie sie ihn hier antraf. Giovanna ließ ihren Blick über die Umgebung schweifen und genoss die Aussicht: Der Hafen von Bellagio, den sie verließen, wirkte im Morgenlicht besonders romantisch. Gelbe und orangefarbene Häuser mit bunten Fensterläden schlängelten sich am sanften Hügel der grünen Halbinsel hinauf, die den See in Richtung Lecco und Como in zwei Arme teilte. Nach Westen zog sich die von Oleander gesäumte Promenade hin, und das blaue Wasser des Sees glitzerte in der Morgensonne.
Als Teenager hatte Giovanna hier einige Jahre verbracht, Jahre, an die sie sich gerne erinnerte, vor allem an Nonna Mauras Wärme und das Plätschern der Wellen ans Ufer beim Einschlafen. Jetzt war sie zurück. Allein.
Um halb acht erreichte die Fähre schließlich ihr Ziel, und Giovanna hoffte, die Woche würde so friedlich beginnen, wie die letzte geendet hatte. Am Freitag hatte sie nur noch die letzte Zeugin einer Einbruchsserie befragt, und auch wenn Signora Maravallo ziemlich gerne und viel redete und Giovanna damit auf die Nerven gegangen war, so hatte sie zumindest Licht ins Dunkel des Falls gebracht. Sie war das erste Opfer, das den Einbrecher gesehen hatte und ihn somit beschreiben konnte. Sogar die Haarfarbe hatte sie ihnen nennen können, Signora Maravallo entging wirklich nichts, jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie den Mann fassen würden.
Giovanna beschloss, einen zweiten Espresso zu trinken, und kaufte noch ein Cornetto, das sie mit ins Büro nahm. Um kurz vor acht betrat sie das graubraune Gebäude der Questura, der Dienststelle der Polizia di Stato in der Nähe des Bahnhofs.
»Buongiorno, Commissaria Ruggieri!«, grüßte der ältere Kollege, der ihr entgegenkam.
Giovanna quittierte den Gruß mit einem Nicken, Small Talk war noch nie ihre Sache gewesen. Effizienz schon eher, und so hatte sie sich mit Mitte dreißig bereits zur Commissaria heraufgearbeitet. Ihre Kolleginnen und Kollegen schätzten sie, denn auch wenn Giovanna nicht die Herzlichkeit in Person sein mochte, so bearbeitete sie ihre Fälle gewissenhaft und hartnäckig. Gerechtigkeit war ihr nicht nur bei der Arbeit wichtig, sondern auch im Umgang auf der Questura, und so stellte sie sich bei Kritik gerne schützend vor ihre Mitarbeiter, was ihr Respekt eingebracht hatte. Sie scheute sich nicht, ihre Hartnäckigkeit auch bei höhergestellten Personen anzubringen, und so wurde sie von ihren Vorgesetzten gleichermaßen geschätzt und auf Abstand gehalten.
Gut, Questore Aliverti, ihr neuer Chef in Como, war anders. Der Polizeipräsident ließ ihr Freiheiten, vertraute auf ihr Urteil und, womit sie noch nicht ganz klarkam, lud sie gern zum Mittagessen ein, was sie bisher jedoch meist abgelehnt hatte. Private Gespräche waren ihre Sache nicht, schon gar nicht mit Menschen, mit denen sie zusammenarbeitete. Die längsten Unterhaltungen führte sie mit Bruno, und Bruno antwortete meist nur mit einem in Zeitlupe gehobenen Kopf - wenn er überhaupt reagierte. Aber so war das mit Schildkröten.
»Ruggieri!« Daniele Aliverti stand in der Bürotür und sah sie auffordernd an. Trotz der Hitze, die in spätestens zwei Stunden über sie hineinbrechen würde, trug der Questore auch heute eine Krawatte und ein weißes Hemd unter einem hellgrauen Jackett. Sein Modegeschmack war einwandfrei, seine Fähigkeit, sich dem Wetter anzupassen, eher gering.
Giovanna hatte gerade eben den Computer angeworfen und nicht einmal einen Bissen von ihrem Cornetto nehmen können. Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte sie zu ihrem Chef, dann auf ihr Gebäckstück. Doch Aliverti bedeutete ihr nur ungeduldig, Cornetto Cornetto sein zu lassen, und scheuchte sie in sein Büro.
»Es gibt eine Beschwerde«, eröffnete er ohne Umschweife das Gespräch, und vielleicht war gerade das einer der Gründe, warum er ihrer Versetzung von Bergamo nach Como sofort zugestimmt hatte: Sie machten beide nicht viele Worte.
»Über mich?«
Nun war er es, der die Augenbrauen hochzog. »Nein, Giovanna, über die Sekretärin der Speditionsfirma drei Straßen weiter, ich wollte dir nur den neuesten Klatsch und Tratsch erzählen«, antwortete er sarkastisch. »Also ja, natürlich über dich.« Das »wieder einmal« dahinter verkniff er sich, es hallte dennoch laut und deutlich in Giovannas Kopf nach.
Seufzend nahm sie auf dem altmodischen Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz. Das Gespräch würde länger dauern. »Um was geht es heute?«, fragte sie.
»Signora Maravallo, die alte Dame mit der Katze, die du als Zeugin in dieser Einbruchsserie vernommen hast.«
Giovanna dachte angestrengt nach, versuchte sich an ein Fehlverhalten zu erinnern, konnte aber keines erkennen. »Ich habe bei ihr einen schauderhaften Caffè getrunken, hat es was damit zu tun?« Vielleicht war der Dame aufgefallen, dass sie dabei kurz das Gesicht verzogen hatte?
»Nun ja.« Aliverti hatte eine entschiedene Abneigung gegen schlechten Caffè. »Du hast dich auf jeden Fall geweigert, ihre Katze zu streicheln. Obwohl Papillon mehrfach um deine Beine gestrichen sei.«
»Das ist nicht ihr Ernst.« Ungläubig blickte Giovanna ihren Chef an. »Das ist nicht dein Ernst.«
»Giovanna, würde es dich umbringen, Menschen ein kleines bisschen freundlicher zu begegnen?« Aliverti hob die Arme, um sein Unverständnis auszudrücken.
»Ich glaube nicht, dass in meinem Arbeitsvertrag etwas über das Streicheln von Katzen steht«, antwortete sie steif. Nicht, dass sie Katzen nicht mochte, im Gegenteil, sie fand die Fellknäuel durchaus knuffig. Aber Bruno hatte Angst vor ihnen, und wenn Giovanna nach einer Katze roch, verkroch er sich ins hinterste Eck seines Geheges. Es war eine Frage der Abwägung, und Bruno siegte über Signora Maravallo. Auch über eine Beschwerde beim Polizeipräsidenten....
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