ZWEITES KAPITEL
DIE FAMILIE ROTHSCHILD IN DER ZEIT NAPOLEONISCHER MACHTFÜLLE
Inhaltsverzeichnis Die Jahrhundertwende fiel mit einem wichtigen Abschnitt in den Kriegen gegen die aus der Revolution hervorgegangene Französische Republik zusammen. Der im Jahre 1801 geschlossene Friede von Luneville besiegelte des genialen Bonaparte Landsiege, schuf damit die Vormachtstellung Frankreichs zu Lande, bestätigte aber auch die Englands zur See. Während Bonaparte sonst aller Gegner Herr geworden, mußte er sich sagen, daß das vom Meer umgürtete England aufrecht geblieben war. Der auf den Luneviller folgende Friede von Amiens war nur ein Ubergangsstadium und mußte notwendig zur Wiederaufnahme des Kampfes führen, bis einer der beiden großen Gegner blutend am Boden lag. Die nächsten fünfzehn Jahre blieben im Zeichen dieses Kampfes, und die Verhältnisse, die in der Folge fast das ganze festländische Europa in einen Kriegsschauplatz verwandelten, brachten wohl zahllose wohlbegründete und reiche Firmen, Bankhäuser und Privatleute um ihr Vermögen, boten aber gleichzeitig energisch zupackenden, die Konjunktur klug und berechnend ausnutzenden, dabei fleißigen und aktiven Leuten Gelegenheit, zu Reichtum und Macht zu gelangen.
Die Familie Rothschild war zumindest innerhalb ihrer Kaste zu jener Zeit schon so hoch gekommen, daß die nun folgenden Weltereignisse tief in ihr Schicksal eingreifen mußten. Der Vater Meyer Amschel war um 1800 ungefähr schon der zehntreichste Jude in Frankfurt, und es handelte sich nur darum, wie der Chef des Handlungshauses und seine Söhne sich in den stürmischen Kriegszeiten verhalten würden. Zahlreiche Konkurrenten waren reicher oder ebenso reich wie sie, hatten von früher her noch bessere Verbindungen und waren zum Teil christlich und unbeschwert von dem den Juden anhaftenden Makel; andererseits kam den Rothschild die solide, mit gutem Menschenverstand, dabei emsig und energisch arbeitende Person des Firmenchefs zugute, den vier tüchtige, unter der Zucht und Leitung dieses Vaters zu vorzüglichen Kaufleuten erwachsende Söhne unterstützten. Einer von ihnen, Salomon, hatte eben Karoline Stern, die gleichfalls recht wohlhabende Tochter eines Frankfurter Handelsmannes, geheiratet und sich so seinen eigenen Herd gegründet. Der fünfte, Nathan, weilte im Lager des großen Feindes Napoleons, in England. Dort im Lande des Welthandels und der Weltmacht über See waren seine Unternehmungen auch weit besser gegen Napoleonischen Zugriff geschützt als die des Vaters und der Brüder auf dem Festlande. Er konnte die Weltereignisse, die sich in jenen Jahren überstürzten, viel ruhiger verfolgen, beurteilen und ausnutzen. Dazu kam, daß Nathan von allen fünf Söhnen der unternehmendste war, eine Naturanlage, die sich schon in seinem aus eigener Initiative gefaßten Entschluß, nach England zu gehen, äußerte.
Das heimatliche Geschäft des Hauses Rothschild in Frankfurt beschränkte sich nicht auf einen Zweig allein. Wo es etwas zu gewinnen gab, bei Kommission und Spedition, bei dem inzwischen zum Handel freigegebenen Tuch und Wein, bei Seide und Musseline, wie Münzen und Antiquitäten, zögerte es nicht, zuzugreifen. Besonders der Weinhandel nahm sehr große Ausdehnung an. Dabei vergaß Meyer Amschel nicht, seine Beziehungen zu Fürstlichkeiten und großen Herren auch außerhalb des Kreises des Landgrafen von Hessen zu erweitern.
Eine der wichtigsten in Frankfurt erworbenen Verbindungen war die mit dem fürstlichen Hause Thurn und Taxis, dessen Chef, Fürst Karl Anselm, die wichtige Stelle eines Erb-Postmeisters im Heiligen Römischen Reiche einnahm. Diese ursprünglich aus dem Mailändischen stammende Familie, in Italien della Torre, in Frankreich de la Tour genannt, war es, die als erste zu Ende des 15. Jahrhunderts in Tirol eine Post einführte und dann von Kaiser Maximilian I. aufgefordert wurde, 1516 eine reitende Botenpost von Wien nach Brüssel zu legen. Schon damals erhielt eines ihrer Mitglieder die Würde eines Generalpostmeisters. Das war der Ausgangspunkt für die spätere großartige Entwicklung der Thurn und Taxisschen Post, die ganz Mitteleuropa umspannte. Hauptsitz und Zentrale waren in Frankfurt. Das Haus ließ sich aber an der weiten Ausdehnung des Unternehmens nicht genügen. Es benutzte auch die ihm an vertrauten Briefe und Nachrichten zu gewinnbringender eigener Orientierung. Zu Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts blühte das Unwesen, anvertraute Briefe zu erbrechen, vom Inhalt Kenntnis zu nehmen und dann weiterzusenden. Um sich das Postmonopol zu erhalten, bot das Haus den Deutschen Kaisern die Mitteilungen, die die sogenannte geheime Briefmanipulation ergab, zur Kenntnis an. Wenn man sich also mit diesem Hause gut stellte, so konnte man sich leicht und schnell Nachrichten verschaffen und solche ebenso auch versenden. Meyer Amschel Rothschild war sich im Laufe der Zeit darüber klar geworden, daß richtiges und rasches Orientiertsein, insbesondere das Früherwissen von Nachrichten in Kriegszeiten, von größter Wichtigkeit für den Bankier und Handelsmann sind. Da nun die Zentrale für diesen Post- und Nachrichtendienst in seiner Vaterstadt lag, so hatte er sich in kluger Voraussicht an das Haus Thurn und Taxis herangemacht und Geldgeschäfte aller Art zu dessen hoher Zufriedenheit besorgt. Darauf berief sich Meyer Amschel, als er sich an die höchste Instanz des kaiserlichen Reichsoberpostamtes in Frankfurt, an des Kaisers Majestät selbst, wandte. Gerade das, wovon er am meisten Nutzen gezogen, nämlich die Geld- und Lieferungsgeschäfte im Kriege gegen Frankreich, dann die dem Hause Thurn und Taxis geleisteten Dienste, führte er in einem Majestätsgesuche um Verleihung eines Hoffaktortitels für sich und seine Söhne als Verdienste an. Redlich und pünktlich war er in seinen Geschäften gewesen und konnte sich Zeugnisse darüber verschaffen, mit denen er sein Ansuchen belegte. Tatsächlich ließ sich der Römisch-deutsche Kaiser, dessen ganze Macht sich zu jener Zeit mehr oder weniger auf Ernennungen und Verleihungen beschränkte, dazu herbei, mit Patent vom 29. Januar 1800 Meyer Amschel den Titel eines kaiserlichen Hoffaktors zu verleihen. Das hatte für diesen nicht nur den Wert eines freien Passierscheines durch das ganze Römische Reich Deutscher Nation, sondern gestattete ihm auch das persönliche Mitführen von Waffen und befreite ihn von mehreren, den Juden jener Zeit abverlangten Steuern und Leistungen. Patent und Titel waren von Franz II. lediglich als Römisch-deutschem Kaiser unterschrieben und verliehen und hatten mitli Österreich und seinen Behörden nichts zu tun. Erst viel später traten die Gebrüder Rothschild in wirkliche Beziehungen zu Österreich und zu seinen Staatsmännern. Auch als 1795 der Landgraf von Hessen dem Kaiser Franz eine Million Gulden und 1798 noch eine halbe Million dazu lieh, hatten andere Bankiers die Vermittlung übernommen, und Rothschild hatte damit nicht das geringste zu tun.
Die in dem erworbenen kaiserlichen Hoffaktorspatent erwähnten Erleichterungen standen freilich mehr oder weniger auf dem Papier, weil die meisten kleinen oder großen Territorialherren, an denen Deutschland um 1800 so reich war, doch ihre eigenen Gesetze und Vorschriften anwenden ließen. Darauf kam es aber Meyer Amschel weniger an; das Wesentliche war, daß der neue Titel "kaiserlicher Hoffaktor" noch bedeutend besser klang als landgräflich hessischer, und manch anderen Titel nach sich zog. Der Fürst von Ysenburg, der deutsche Johanniterorden verliehen ihm beide im Zusammenhang mit von Meyer Amschel mit kurfürstlichem Gelde besorgten Anleihegeschäften ihre Hoftitel. 1804 bat Rothschild, mit Hinweis auf seinen kaiserlichen Faktortitel, den Fürsten Thurn und Taxis um die gleiche Begünstigung auch für einen seiner Söhne.
5. Eine Seite aus dem Rothschildschen Münzkatalog
Stadtbibliothek Frankfurt a. M.
Es ist sehr bezeichnend, daß er bei Erbitten des kaiserlichen Titels auf die dem Hause Taxis geleisteten Dienste hinwies und dann von diesem eine Gunst mit Hinweis auf die kaiserliche Anerkennung erbat. Alle diese Rangerhöhungen mußten ihm auch bei seinem alten Gönner, dem trotz allem noch sehr mißtrauischen Landgrafen von Hessen, nützen. Er war nach wie vor für Meyer Amschel die Hauptperson, denn Wilhelm von Hessen war ungeheuer reich, viel reicher als der Kaiser selbst und war räumlich nahe, was damals eine weit größere Rolle spielte als heute. Überdies hatte er verwandtschaftliche Verbindungen mit England, wo Nathan weilte, und mit dem stets geldbedürftigen Dänemark, an dem soeben das Haus Rüppell und Harnier sowie das Haus Bethmann durch Anleihen viel verdient hatten. Meyer Amschel riet dem Landgrafen, sich an diesen Anleihen durch Ankauf von Obligationen zu beteiligen. Das geschah auch in beschränktem Maße, und Rothschild war die geschäftliche Abwicklung übertragen worden. Er führte sie zur Zufriedenheit durch, brauchte aber damals, da sich günstige Gelegenheit zum Ankauf von Waren und Wechseln bot, größere Summen Bargeldes. Weil er wußte, daß der Landgraf, dessen in England sowie im Deutschen Reiche entliehene Kapitalien reiche Zinsen trugen, Geld zur Anlage frei hatte, so erbat und erhielt er zweimal im November 1801 und im Juli 1802 160000 Taler und 200000 Gulden in Form einer Lombardanleihe vorgestreckt, d. h. er gab seinem Herrn dänische und Frankfurter Obligationen dafür als Pfand. Obwohl für das Geld auf solche Weise große Sicherheit geboten war, bedurfte es doch kräftigen Nachdrucks und besonderer Fürsprache des landgräflichen Vermögensverwalters Buderus, um Wilhelm von Hessen dazu zu bestimmen. Immerhin war es schon ein guter Schritt nach vorwärts in der von Rothschild angestrebten Vertrauensstellung beim Landgrafen. Die zweite...