Schweitzer Fachinformationen
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Es war Winter. Ein kalter Morgenwind wehte vom Meer herüber und brachte einen säuerlichen Salzgeruch und einen peitschenden Regen mit, der unweigerlich die Kraft aus den Bogensehnen ziehen würde, wenn er nicht bald nachließ.
«Wenn ihr mich fragt», sagte Jake, «ist das nichts wie gottverdammte Zeitverschwendung.»
Niemand beachtete ihn.
«Wären wir bloß in Brest geblieben», grummelte er. «Schön gemütlich beim Feuer. Mit 'nem Becher Ale.»
Wiederum keine Reaktion.
«Vielleicht sehen wir ja die Amsel wieder?», meinte Sam und sah zu den Bogenschützen hinüber.
«Vielleicht tut sie uns einen Gefallen und jagt dir einen Bolzen in den Mund», knurrte Will Skeat.
Die «Amsel» war eine Frau, die jedes Mal, wenn die Truppe einen Angriff versuchte, auf den Stadtmauern erschien und sich am Kampf beteiligte. Sie war jung, hatte schwarzes Haar, trug einen schwarzen Umhang und schoss mit einer Armbrust. Beim ersten Angriff, als Will Skeats Bogenschützen in der Vorhut gewesen waren und vier Männer verloren hatten, waren sie nah genug gewesen, um die Amsel deutlich zu sehen, und sie hatten sie alle schön gefunden, obwohl nach einem Winterfeldzug voller Niederlagen, Kälte, Schlamm und Hunger beinahe jede Frau schön aussah. Dennoch war an der Amsel etwas Besonderes.
«Die Armbrust lädt sie aber nicht selbst», sagte Sam, unbeirrt von Skeats mürrischer Bemerkung.
«Natürlich nicht, du Holzkopf», erwiderte Jake. «Keine Frau ist stark genug, um 'ne Armbrust zu spannen.»
«Doch, die Träge Mary», sagte ein anderer Mann. «Hat Muskeln wie 'n Ochse, die Frau.»
«Und sie schießt mit geschlossenen Augen», sagte Sam, der immer noch bei der Amsel war. «Hab ich selbst gesehen.»
«Ja, weil du rumgeträumt hast, statt deine verdammte Arbeit zu tun», schnaubte Will Skeat. «Also halt die Klappe, Sam.»
Sam war der jüngste von Skeats Männern. Er behauptete, er sei achtzehn, wusste es aber selbst nicht genau, weil er nicht mitgezählt hatte. Er war der Sohn eines Tuchhändlers, hatte das Gesicht eines Cherubs, braune Locken und ein Herz so schwarz wie die Sünde. Doch er war ein guter Bogenschütze; niemand kam in Will Skeats Dienste, wenn er nicht gut war.
«In Ordnung, Männer», sagte Skeat, «macht euch bereit.»
Er hatte die Bewegung im Lager hinter ihnen gesehen. Auch der Feind würde sie bald bemerken, die Kirchenglocken würden Alarm läuten, und auf den Stadtmauern würden sich die Verteidiger mit ihren Armbrüsten sammeln. Die Armbrüste würden ihre Bolzen in die Angreifer rammen, und Skeats Aufgabe bestand darin, diese Armbrustschützen mit seinen Pfeilen von der Mauer zu schießen. Schön wär's, dachte er grimmig. Die Verteidiger würden sich hinter den Zinnen verstecken, um seinen Männern kein Ziel zu bieten, und somit würde dieser Angriff gewiss genauso enden wie die vorigen fünf, nämlich mit einer Niederlage.
Der ganze Feldzug war eine einzige Niederlage. William Bohun, der Earl of Northampton, der die kleine englische Armee anführte, hatte diesen Winterfeldzug in der Hoffnung unternommen, eine Bastion in der nördlichen Bretagne zu erobern, doch der Angriff auf Carhaix war eine peinliche Schlappe gewesen, die Verteidiger von Guingamp hatten die Engländer ausgelacht, und die Mauern von Lannion hatten sämtlichen Angriffen standgehalten. Sie hatten Tréguier eingenommen, aber da diese Stadt keine Mauern besaß, war es keine große Leistung und der Ort nicht geeignet, um dort eine Festung einzurichten. Nun, da das bittere Jahr sich dem Ende zuneigte und es nichts Besseres zu tun gab, hatten die Truppen des Earls sich vor dieser kleinen Stadt versammelt, die kaum mehr war als ein ummauertes Dorf, doch selbst dieser armselige Steinhaufen widerstand der Armee. Der Earl hatte Angriff um Angriff versucht, und jedes Mal waren sie zurückgeschlagen worden. Die Engländer waren mit einem Hagel von Armbrustbolzen beschossen, die Sturmleitern von der Brustwehr gestoßen worden, und bei jeder Niederlage waren die Verteidiger in Jubel ausgebrochen.
«Wie heißt dieses gottverdammte Kaff?», fragte Skeat.
«La Roche-Derrien», antwortete ein hochgewachsener Bogenschütze.
«Das weißt du natürlich, Tom», sagte Skeat. «Du weißt ja alles.»
«Stimmt, Will», erwiderte Thomas ernst. «Da hast du vollkommen recht.»
Die anderen Bogenschützen lachten.
«Nun, wenn du so viel weißt», sagte Skeat, «dann sag mir noch mal, wie diese elende Stadt heißt.»
«La Roche-Derrien.»
«Dämlicher Name», sagte Skeat. Er hatte graues Haar und ein schmales Gesicht, und er besaß fast dreißig Jahre Felderfahrung. Er stammte aus Yorkshire und hatte seine Laufbahn als Bogenschütze im Kampf gegen die Schotten begonnen. Da er nicht nur Geschick, sondern auch Glück gehabt hatte, war es ihm gelungen, bei Plünderungen Beute zu machen, Schlachten zu überleben und innerhalb der Armee aufzusteigen, bis er wohlhabend genug gewesen war, eine eigene Truppe zusammenzustellen. Mittlerweile führte er siebzig Soldaten und ebenso viele Bogenschützen an, die er in den Dienst des Earl of Northampton gestellt hatte, und das war der Grund, weshalb er jetzt hinter einer nassen Hecke einhundertfünfzig Schritt von den Mauern einer Stadt entfernt hockte, deren Name sich ihm einfach nicht einprägen wollte. Seine Soldaten waren im Lager, wo sie sich nach dem letzten gescheiterten Angriff einen Tag ausruhen durften. Will Skeat hasste Niederlagen.
«La Roche wie?», fragte er Thomas.
«Derrien.»
«Was zum Henker soll das heißen?»
«Das, muss ich gestehen, weiß ich leider auch nicht.»
«Gütiger Jesus», sagte Skeat in gespieltem Erstaunen, «er weiß doch nicht alles.»
«Es ist allerdings sehr nahe an derrière, was bedeutet», fügte Thomas hinzu. «Ich würde es am ehesten mit übersetzen.»
Skeat öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch in dem Moment begann die erste von La Roche-Derriens Kirchenglocken Alarm zu läuten. Es war die gesprungene Glocke, die so grell klang, und innerhalb von Sekunden stimmten die anderen Kirchen ein, sodass der feuchte Wind von ihrem Dröhnen erfüllt war. Als Antwort ertönte ein gedämpfter Kampfschrei der Engländer, als die Angriffstruppen das Lager verließen und die Straße zum südlichen Stadttor hinaufmarschierten. Die Männer an der Spitze trugen Leitern, der Rest Schwerter und Äxte. Der Earl of Northampton führte den Angriff an, wie er es stets getan hatte, unübersehbar in seiner Rüstung, die halb von einem Waffenrock mit seinem Emblem aus Löwen und Sternen bedeckt war.
«Ihr wisst, was ihr zu tun habt!», bellte Skeat.
Die Bogenschützen stellten sich auf, spannten die Sehnen und schossen. Es waren keine Ziele auf den Mauern, da die Verteidiger sich hinter die Brustwehr duckten, doch das Prasseln der stählernen Pfeilspitzen sollte sie in Deckung halten. Die weiß gefiederten Pfeile zischten im Flug. Zwei weitere Einheiten von Bogenschützen unterstützten sie, wobei viele von ihnen steil in die Luft schossen, sodass ihre Pfeile senkrecht auf den Rand der Mauer hinunterstießen, und Skeat war überzeugt, niemand könne unter diesem Hagel aus Stahlspitzen überleben, doch sobald der angreifende Trupp des Earls sich auf hundert Schritt genähert hatte, zischten die ersten Armbrustbolzen aus der Mauer hervor.
In der Nähe des Tores befand sich eine Bresche. Sie war von einem Katapult geschlagen worden, dem einzigen Belagerungsgerät, das noch halbwegs funktionierte, und es war eine armselige Bresche, denn die großen Wurfsteine hatten lediglich das obere Drittel der Mauer durchbrochen, und die Stadtbewohner hatten die Lücke mit Holz und Stoffbündeln gestopft. Doch es war immerhin eine Schwachstelle in der Mauer, und die Männer mit den Leitern stürmten johlend darauf zu, während die Armbrustbolzen sich in ihre Körper bohrten. Männer stolperten, fielen, krümmten sich und starben, doch es überlebten genug, um zwei Leitern an der Bresche aufzustellen, und die ersten Soldaten begannen den Aufstieg. Die Bogenschützen schossen, so schnell sie konnten, um die Stelle oberhalb der Bresche freizuhalten, doch dann tauchte dort ein Schild auf, der sofort von Pfeilen durchbohrt war, und im Schutz dieses Schildes schoss ein Armbrustschütze direkt hinunter auf eine der Leitern und tötete den obersten Soldaten. Ein weiterer Schild erschien, ein weiterer Bolzen wurde abgeschossen. Ein Topf wurde auf die notdürftig geflickte Bresche gehievt und umgekippt, und eine Flut dampfender Flüssigkeit ergoss sich nach unten. Ein Mann schrie vor Schmerzen. Die Verteidiger stießen Felsbrocken über die Bresche, und ihre Armbrüste knallten.
«Näher!», rief Skeat, und seine Bogenschützen schoben sich durch die Hecke und liefen auf hundert Schritt an den Stadtgraben heran, von wo sie erneut ihre langen Bogen spannten und ihre Pfeile in die Schießscharten sandten. Jetzt starben auch einige der Verteidiger, da sie ihre Deckung aufgeben mussten, um ihre Armbrustbolzen in das Gewimmel...
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