Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Später, als das Ende kam, staunte Dafyd darüber, wie viele kritische Entscheidungen seines Lebens ihm in dem betreffenden Augenblick unbedeutend erschienen waren. Wie viele furchtbare Probleme sich im Rückblick als trivial erwiesen hatten. Und wenn er einmal den Ernst irgendeiner Situation erfasst hatte, führte er sie oft auf die falschen Ursachen zurück. Bei jenem letzten Anlass fürchtete er sich davor, an der Jahresendfeier im Wissenschaftlerclub teilzunehmen. Wie sich zeigen sollte, waren seine Ängste durchaus berechtigt, auch wenn sie nichts mit den Dingen zu tun hatten, auf die es wirklich ankam.
»Ja, schon klar, ihr Biologen sucht immer nach einem Ausgangspunkt, ihr stellt die Frage nach dem Ursprung«, behauptete der schlaksige große Mann, der vor Dafyd stand. Er richtete seinen Spieß mit Schweinebraten und Apfelstücken auf Dafyd und verlor angetrunken, wie er war, anscheinend einen Moment lang den Faden. »Aber wenn ihr die Ursprünge sehen wollt, dann müsst ihr euch von euren Mikroskopen lösen. Ihr müsst den Blick heben.«
»Das ist wahr«, stimmte Dafyd zu. Er hatte keine Ahnung, worauf der Mann hinauswollte, und fühlte sich trotzdem, als werde er gerade abgekanzelt.
»Fernfeldsensoren. Wir können ein Teleskop einsetzen, dessen Linse so groß ist wie ein Planet. Ja, wirklich, so groß wie ein Planet. Sogar noch größer. Nicht, dass ich das immer noch tun würde. Jetzt mache ich Nahfeld.«
Dafyd gab ein höfliches Brummen von sich. Der große Mann zupfte ein Stück Schweinefleisch vom Spieß. Beinahe sah es so aus, als würde er es gleich in den Hof fallen lassen. Dafyd malte sich aus, wie es im Innenhof im Glas eines Gastes landete.
Der große Mann bekam sein Essen in den Griff und schob es sich in den Mund. Sein Adamsapfel hüpfte heftig, als er den Bissen hinunterschluckte.
»Ich untersuche eine faszinierende anomale Zone direkt am Rand der Heliosphäre, die kaum eine Lichtsekunde groß ist. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, wie klein das für die konventionelle Telemetrie ist?«
»Keine Ahnung«, gab Dafyd zu. »Ist eine Lichtsekunde nicht eine ziemlich große Strecke?«
Der Mann sackte in sich zusammen. »Verglichen mit der Heliosphäre ist das ein sehr, sehr kleiner Bereich.« Er aß seine Portion auf, kaute enttäuscht und legte den Spieß auf das Geländer. Schließlich reinigte er sich mit einer Serviette und gab Dafyd die Hand. »Llaren Morse. Nahfeldastronomie an der Dyan-Akademie. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Wenn er einschlug, musste er die schmierigen Finger des Mannes berühren. Noch schlimmer, es bedeutete, dass er sich auf eine Unterhaltung einließ. Wenn er andererseits so tat, als hätte er jemanden bemerkt, und sich entschuldigte, musste er sich einen neuen Zeitvertreib suchen. Eine unbedeutende Entscheidung. Völlig trivial.
»Dafyd«, sagte er und schlug ein. Als Llaren Morse einladend nickte, nannte er seinen vollen Namen: »Dafyd Alkhor.«
Sofort veränderte sich Llaren Morses Haltung. Zwischen den Augenbrauen erschien eine kleine Falte, und sein Lächeln wirkte ein wenig unsicher. »Ich habe das Gefühl, ich müsste den Namen kennen. Welche Projekte haben Sie geleitet?«
»Keines. Vermutlich denken Sie an meine Tante. Sie sitzt im Vergabeausschuss.«
Llaren Morses Miene wurde blitzschnell neutral und förmlich, als hätte der Mann einen Schalter umgelegt. Dafyd glaubte beinahe, das Klicken zu hören. »Oh, richtig, das erklärt es vermutlich.«
»Wir haben nicht mit den gleichen Projekten zu tun«, fügte Dafyd etwas zu hastig hinzu. »Ich sitze hier nur meine Zeit als Forschungsassistent ab. Ich tue, was man mir sagt, und halte mich bedeckt.«
Llaren Morse nickte und grunzte leise und unverbindlich. Dann zögerte er unschlüssig, als wollte er sich am liebsten sofort verdrücken, überlegte zugleich aber auch, ob er einen Vorteil daraus schlagen könnte, dass vor ihm der Neffe einer Frau stand, die über die Mittelvergabe entscheiden konnte. Dafyd hoffte, die nächste Frage zielte nicht auf das Projekt, an dem er gerade arbeitete.
»Woher kommen Sie eigentlich?«, wollte Llaren Morse wissen.
»Ich bin von hier, aus Irvian«, erklärte Dafyd. »Ich bin zu Fuß von meiner Wohnung herübergekommen. Eigentlich bin ich gar nicht hier, um .« Er mache eine ausholende Geste in die Richtung der Besucher, die unter ihnen, auf den Galerien und in den Fluren umherwandelten.
»Nein?«
»Es gibt da eine Frau, der ich hoffentlich hier begegnen werde.«
»Ist sie denn überhaupt hier?«
»Das nehme ich stark an«, antwortete Dafyd. »Ihr Freund ist auf jeden Fall da.« Er lächelte, als sei es ein Scherz. Llaren Morse zuckte leicht zusammen, dann lachte er. Es war ein Trick, den Dafyd gut beherrschte: Die Wahrheit entschärfen, indem man sie humorvoll verkündete. »Und Sie? Wartet zu Hause jemand auf Sie?«
»Meine Verlobte«, antwortete der große Mann.
»Ihre Verlobte?«, wiederholte Dafyd und gab sich Mühe, damit es amüsiert und neugierig klang. Sie waren jetzt fast so weit, dass Dafyd nichts mehr über sich selbst preisgeben musste.
»Seit drei Jahren«, antwortete Llaren Morse. »Wir wollen heiraten, sobald ich eine dauerhafte Anstellung bekomme.«
»Einen festen Posten?«
»Genau. Der Job an der Dyan-Akademie ist auf zwei Jahre befristet, und es gibt keine Zusagen, dass die Finanzierung verlängert wird. Ich warte auf einen Vertrag über mindestens fünf Jahre, ehe wir irgendwo wirklich Wurzeln schlagen.«
Dafyd schob die Hände in die Jackentaschen und lehnte sich an das Geländer. »Das klingt, als sei Ihnen Stabilität wirklich wichtig.«
»O ja, unbedingt. Ich will mich doch nicht auf eine Anstellung einlassen, und dann geht der Posten eines Tages an jemand anders, verstehen Sie? Wir geben uns viel Mühe mit unserer Arbeit, und sobald man Resultate erzielt, wird man von einem größeren Fisch geschluckt.«
Damit war das erledigt. Die nächste halbe Stunde verbrachte Dafyd damit, alles zu wiederholen, was Llaren Morse sagte, entweder mit dessen eigenen Worten oder mit sehr ähnlichen Begriffen, oder er umschrieb, was der Mann seiner Ansicht nach sagen wollte, und spielte es ihm zurück. Das Gesprächsthema wechselte von akademischen Intrigen an der Dyan-Akademie zu Llaren Morses Eltern, die ihn ermutigt hatten, in die Forschung zu gehen, und weiter zur Scheidung der Eltern, die ihn und seine Schwestern sehr getroffen hatte.
Dem Mann entging völlig, dass Dafyd absolut nichts über sich selbst preisgab.
Dafyd hörte zu, weil er ein guter Zuhörer war. Darin hatte er viel Übung, und so stand er nicht im Rampenlicht. Die meisten Menschen erzählten ohnehin gern etwas über sich selbst, und am Ende schlossen sie ihn ins Herz. Das war ihm ganz recht, selbst wenn er die Zuneigung nicht immer erwidern konnte.
Als Morse ihm erzählt hatte, wie seine ältere Schwester Liebesbeziehungen mit genau den Menschen gemieden hatte, die sie eigentlich am meisten mochte, entstand unten im Hof eine gewisse Unruhe. Man hörte Applaus und Gelächter, und die Aufmerksamkeit der Gäste richtete sich auf Tonner Freis.
Vor einem Jahr war Tonner ein vielversprechender Projektleiter in der Forschung gewesen. Jung, brillant, fordernd und mit einer vorzüglichen Intuition für die Strukturen, die sich in lebendigen Systemen herausbilden. Das Wohlwollen der Institutionen war ihm sicher. Als Dafyds Tante ihn beiläufig auf Tonner Freis aufmerksam gemacht und erwähnt hatte, dass der junge Wissenschaftler ein großes Potenzial besäße, hatte sie damit gemeint, dass Freis in zehn Jahren, wenn er sich bewährt und sich bis zur Spitze vorgearbeitet hatte, in einer guten Position wäre, um jüngere Forscher aus seinem Team bei deren Karriere zu unterstützen. Also ein Mann, an den Dafyd sich halten konnte.
Sie hatte nicht wissen können, dass Tonners Projekt zur Proteomkonsolidierung an erster Stelle im Bericht des Medrey-Rates erwähnt werden würde oder dass der Forschungsausschuss dem Projekt seine besondere Unterstützung zuteilwerden ließ und dass dieses Vorhaben im Parlament und von der Bastiangesellschaft als vorrangig bewertet werden würde. Es war das erste befristete Projekt, das in ein und demselben Jahr auf allen drei Listen an der ersten Stelle stand. Tonner Freis - mit dem angespannten Lächeln und den vor der Zeit ergrauten Haaren, die wie eine Rauchwolke über der heißen Stirn wallten - war im Augenblick der berühmteste Forscher auf der ganzen Welt.
Von seinem Standort und aus diesem Winkel konnte Dafyd Tonners Gesicht nicht richtig sehen. Auch die Frau im smaragdgrünen Kleid an seiner Seite konnte er kaum erkennen. Es war Else Annalise Yannin, die ihr eigenes Forschungsteam aufgegeben hatte, um sich Tonners Projekt anzuschließen. Wenn sie lächelte, hatte sie ein Grübchen auf der linken Wange, und auf der rechten Seite waren es sogar zwei. Wenn sie nachdachte, tappte sie mit den Füßen komplizierte Rhythmen auf den Boden, als müsste sie mit dem Körper an Ort und Stelle tanzen, während ihre Gedanken umherschweiften.
Else Yannin, die stellvertretende Projektleiterin und bekanntermaßen Tonner Freis' Geliebte. Else, die Dafyd zu sehen gehofft hatte, obwohl er wusste, dass es ein Fehler war.
»O ja, genieße es nur, solange du es noch darfst«, sagte Llaren Morse, während er zu Tonner hinunterstarrte, der sich im Applaus sonnte. Dafyds Nackenhaare sträubten sich, doch Morse hatte nicht mit ihm gesprochen. Der Kommentar hatte Tonner gegolten, und er hatte höhnisch geklungen.
»Er soll es genießen, solange er es noch darf?« Die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.