PLAN UNG
"Als erstes werden wir uns alle in Frage kommenden Filme ansehen."
"Filme?"
"Das machen wir immer so."
"Hier geht es aber um die Wirklichkeit."
Die beiden Filmdetektive sahen sich an.
"Naja... besser, wir sehen uns die Filme an! Wir sollten uns auf keinen Fall von der Wirklichkeit in unsere Arbeitsweise hineinpfuschen lassen."
"Nein, das sollten wir wirklich nicht."
"Wir werden uns also mit allem Filmmaterial auseinandersetzen, in dem ähnliches passiert ist. Ähm, man könnte sagen, die Filmwelt beeinflusst die Wirklichkeit... auch irgendwie, nicht wahr? Also haben wir vielleicht einen Fall, wo sich jemand von einem Film hat beeinflussen lassen, wäre ja möglich, und darauf würden wir nie kommen, wenn wir den Film nicht finden würden, hab ich recht? Naja, dann sollten wir vielleicht doch ein paar Konzessionen an die Wirklichkeit machen."
"Gott sei Dank", murmelte Akim. "Welche?"
"Wir werden essen gehen." Die beiden erhoben sich. "Das machen wir öfter, es hilft uns, zu überleben."
Burns schloss das Fenster und ein Rauchschleier breitete sich im Zimmer aus.
"Dann werden wir uns mal irgendwann in Ihrer Wohnung umsehen, es wäre ganz nett, wenn Sie uns Ihre Adresse daließen. Und Ihre Schlüssel oder so. Naja, und dann müssen wir Sie auch erreichen können, falls wir noch Fragen zu diesem Film... zu diesem Fall haben sollten. Und einen Vorschussscheck brauchen wir auch."
"Und wir werden uns bei der Zeitung umsehen und mit den Polizisten sprechen, die Sie verhaftet haben."
"Geben Sie uns eine Woche, vielleicht finden wir einen Verleih... einen Hinweis, vielleicht auch nicht, das kann man nie wissen..."
"...wir machen so etwas nämlich zum ersten Mal..."
"...und können daher von nichts garantieren."
"Für!"
"Das auch."
Millhouse steckte sich ein kleines Filmlexikon ein und geleitete Akim zur Tür, nachdem er allen ihren Aufforderungen nachgekommen war.
"Wir melden uns bei Ihnen. Haben Sie vielleicht noch Fragen zu einem bestimmten Film, als Gratiszugabe vielleicht? Nein? Wir können Ihnen auch fast alle Synchronsprecher nennen, wenn Sie wollen! Kein Interesse? Schade, wirklich schade, Synchronstimmen sind meine Spezialität."
Gildea Bergholz hielt nicht viel davon, den Orgasmus vorzutäuschen. Genau genommen hielt sie überhaupt nicht viel davon, irgendetwas vorzutäuschen, sei es nun Kompetenz oder Sinnesfreue, deswegen, oder vielmehr aus beiden Gründen, hatte sie sich aus der Politik zurückgezogen. Natürlich hassten sie alle Karrierefrauen, die weiterhin alles Mögliche vortäuschten und dafür kämpften, dass auch auf Damentoiletten Pinkelbecken installiert wurden, nicht, weil es sinnvoll war, sondern allein aus Gründen der Gleichberechtigung. Diese Gilde von Frauen führte einen erbitterten Kampf gegen den Erbfeind Mann, der bereits alle Grenzen des Lächerlichen überschritten hatte und zunehmends alberner und unzurechnungsfähiger wurde. Damit hatten sie sich der landesüblichen Politik perfekt angepasst und es würde nicht mehr lange dauern, bis alles im Sumpf von Dummheit, Korruption und Inkompetenz versinken würde. Dessen ungeachtet hatte Gildea Bergholz ihr Diaphragma eingepackt und der Politik und der Frauenbewegung den Rücken gekehrt. Sie wollte frei sein, sie wollte gleichberechtigt sein, aber sie wollte nicht im Stehen pinkeln müssen.
Der Sonnenuntergang verbarg sein fahles Licht hinter der nächsten Laterne, die Dirne im Hausflur knipste das Licht aus und Schweigen fiel über die Stadt her und raubte sie aus. Peter Schweigen, seines Zeichens Menschenrechtsverachter, Einbrecher, Massenmörder und Fernsehmoderator betrat mit einem lachendem und einem weinenden Ohr die Bühne des Fernsehstudios und begrüßte sowohl seine Gäste daheim, die bei ihm im Wohnzimmer saßen und Chips aßen, als auch seine Gäste hier im Studio, wo sie herumsaßen und Chips aßen.
Peter Schweigen war der Mann, das Lexikon hatte versucht, ihn als die Mann zu führen, aber der Duden hatte schärfsten Protest eingelegt, den das Bundesverfassungsgericht in letzter Distanz und Instanz hingebungsvoll für recht oder Recht bekundete, da war es sich nicht so sicher und zog sicherheitshalber den Duden hinzu, der daraus eine Staatsaffäre machte, in die außer ein paar Substantiven auch ein paar höchst unanständige Verben verwickelt waren.
Mit ansteigendem Applaus wurde der Late Night Moderator von seinen Fans, oder von seinem Publikum, eventuell von beidem, vielleicht aber auch nur von aufgezeichnetem Tonbandgeklatsche begrüßt, das wusste niemand so recht [so Recht], denn die Sendung wurde nicht live aufgezeichnet. Launisch strich er über die Bühne und klaubte eine zertretene Softgetränkdose einer Firma, für die er nicht Reklame machte, weil ihre Umweltschutzkampagne ehrlich gemeint war und nicht nur ein erlogener Werbegag um die bescheuerten Zuschauer in der Sicherheit zu wiegen, man würde etwas für die Zukunft ihrer Kinder tun, anstatt nur ihre Kohle abzuzocken, aus der Dekoration hervor und bewarf damit einen Kameramann, der umgehend entlassen wurde.
Mit dem strahlendesten Lächeln, das die Maskenbildnerin aus seinem Gesicht hatte zaubern können, schüttelte er die Hand seines ersten so genannten Talkgastes, mit dem er über Satellit verbunden war, da er sich in der Todeszelle eines Zuchthauses befand und in der Sendung live hingerichtet werden wollte. Kein Trick, kein doppelter Boden, keine Schau, alles echt und wirklich, das war seine Devise und es war auch die Devise des Mannes gewesen, der ihn bei seinen vier Gesichtsoperationen operiert hatte und ebenso die Devise des Mannes, der ihn davon hatte überzeugen können, dass sich für eine solche Karriere, wie die, die er machen wollte, ein Name wie Schicklmairgruber nicht eignete und er sich lieber was peppigeres aussuchen sollte.
Der Mann in der Todeszelle wirkte sehr locker, naja, er konnte es sich leisten, immerhin hatte er 50 Menschen qualvoll zu Tode gesungen und man hatte ihn zu Tod durch Rap verurteilt. Während die Techniker noch die Anlage prüften, gestand der Gefängnisdirektor, dass man den Gefangenen gegen die Genfer Konvention ein wenig mit Technomusik gefoltert hätte, aber da er ja kein Kriegsgefangener und Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war, war das egal und kein Hahn krähte danach und wenn doch wurde er halt einfach erschossen. Auch der Gefängnisdirektor machte einen recht gefassten Eindruck, aber immerhin war es ja auch nicht er, der in wenigen Minuten getötet wurde.
Draußen vor dem Tor des Gefängnisses hatte sich eine Gruppe von Demonstranten gebildet, die sich gegen die Todesstrafe verwahrten und eine Gruppe von Gegendemonstranten, die es rassistisch fanden, dass der Mörder nicht mit Techno hingerichtet wurde, während eine schwarze Bluesgang, die zufällig vorbeigekommen war, zeigte, was wirkliche Musik war, was aber keiner wissen wollte.
Der Gouverneur des Staates wurde live befragt, ob er die eingereichte Strafaufschiebung unterzeichnen und dem Hinzurichtenden noch ein wenig Bedenkzeit geben würde, aber er meinte, das hätte es schon oft genug gegeben und er müsste an die Leute seines Landes denken, denn immerhin waren nur knapp tausend vor dem Tor und gegen die Todesstrafe, während die restlichen Millionen an ihren Fernsehgeräten säßen, um die Hinrichtung live mitzubekommen, also: The Show must go on! ["Die Menge muss weitergehen!" Bezogen auf die Menge vor dem Tor des Gefängnisses. Anm. d. Übers.]
Die Techniker am Mischpult machten noch einen letzten Soundcheck, dann wurden dem Mörder die Kopfhörer aufgesetzt. Der Exekutionsbeamte verließ die Zelle, die Tür wurde abgeschlossen und schalldicht gemacht. Die drei Vollzugsbeamten traten an ihre Schalter, keiner von ihnen wusste, ob er es war, der den Lautstärkenregler bediente. Der Gouverneur wurde noch einmal angerufen, er winkte ab und schaltete seinen Fernseher ein.
Nun war es so weit. Das rote Licht leuchtete auf, die Autos hielten vor der Ampel. Ein paar Fußgänger gingen hinüber. Ein kleiner Junge hetzte seinem Ball hinterher und wurde von einem vorbeirasenden Auto übersehen, das vorbeiraste und der Junge erwischte seinen Ball und ging mit seinen Freunden spielen. Langsam drehten die Vollzugsbeamten, die sich nicht gerne als Henker bezeichneten, sondern als Leute, die schlicht ihren Job taten, Worte, die wir aus den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg kennen, ihre Schalter auf, ein erstes Zucken ging durch den Verurteilten und dann... wurde die Hinrichtung für Werbung unterbrochen.
Peter Schweigen wischte sich den Schweiß aus den Achseln und zuckte sie dann ein paar Mal probeweise, er ließ sich das Haar richten und die Zähne und bevor das Jahrhundert sein Ende gefunden hatte war die Werbeunterbrechung auch schon vorbei und die anonymen Hinrichtungsbeamten drehten die Lautstärke so weit auf, dass selbst der härteste Rapfan geweint hätte. Einige Sekunden später war der Verurteilte tot und die Hinrichtungskammer wurde wieder zu...