Schweitzer Fachinformationen
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Nach sechs Tagen im Solana Sunshine Club steht zumindest eines fest: Es bleibt nicht viel Zeit für eingebildete Psychosen. Keine Zeit, über Dinge nachzugrübeln wie diese Sache mit meinem Vater. Oder was ich nach Spanien mit meinem Leben anstellen werde. Ich habe kaum mehr an Nathalie gedacht, geschweige denn an meine Mutter. Dafür bin ich zu müde. Viel, viel zu müde. Und alles tut weh. Die Arme, die Beine, die Füße, der Kopf. Gefühlt ist der Muskelkater bis in meine Fingerspitzen vorgedrungen, was nach den Stunden, die ich damit zugebracht habe, Obst zu schälen und Gemüse zu schnippeln, kaum verwundert. Und ja, ich habe meine innere Zynikerin zum Leben erweckt. Auch das hat der Solana Sunshine Club vollbracht.
In diesen sechs Tagen, die ich jetzt hier bin, habe ich von morgens sieben bis nachts halb zwölf durchgepowert, und es würde mich wirklich überraschen, wenn es auch nur irgendeine Aufgabe auf diesem Riesengelände gäbe, mit der ich noch keine Bekanntschaft gemacht habe. Wobei, das ist gelogen. Es würde mich überhaupt nicht überraschen, keineswegs. Anbei eine kurze Übersicht dessen, was ich bereits alles auf meiner Liste abhaken darf:
Da wäre also besagte Obsttheke mit ihren Abertausenden Früchten, hinter der ich geschwitzt habe, weniger allerdings als im Aquarellstudio, wo ich Helena dabei half, mit einer Horde Kleinkindern T-Shirts zu bemalen, ich habe mit einer Gang etwas größerer Kinder Müll am Umwelttag gesammelt, spielte Pizzabäckerin am Abend, Cocktailserviererin am Nachmittag, ich unterhielt Gästekontakt an der Bar und ja, als absoluten Höhepunkt meiner Karriere darf ich wohl meine Teilnahme am Clubtanz betrachten, den ich bereits dreimal das Vergnügen hatte, am Pool aufzuführen, lucky me. Zwei Schritte nach links, zwei nach rechts, die Arme rotieren vor der Brust, dann Drehung, vier Schritte geradeaus, Oberkörper vorbeugen .
Abends falle ich todmüde ins Bett, unfähig, auch nur noch eine Nachricht abzusetzen, geschweige denn mit Nathalie zu facetimen. Ich versinke schlicht ins Koma. Ich bin so kraftlos, es bleibt nicht mal mehr die Energie für einen Gedanken an Ihr-wisst-schon-wen.
Milo.
Okay.
Das ist gelogen.
Ich denke an Milo, vor allem deshalb, weil ich ihn seit meiner Ankunft so gut wie nicht mehr gesehen habe und nicht einschätzen kann, was das bedeutet. Ist es Zufall? Gehe ich ihm unbewusst aus dem Weg? Meidet er mich? Ist es, weil ich Dinge über ihn weiß? Und sollte ich die für mich behalten? Hat er Helena erzählt, was er getan hat?
In der Regel ist das der Punkt, an dem mein Gedankenrad zu einem quietschenden Halt kommt, denn: Es geht mich nichts an. Richtig? Was auch immer er getan hat - die Drogen, das Dealen, der Jugendarrest - , liegt in der Vergangenheit und . ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß ja nicht mal sicher, ob es stimmt. Alles, was damals verbreitet wurde, waren Gerüchte. Und ich sage nicht, dass ich nicht anfällig bin dafür, was der Großteil anderer Menschen zu glauben scheint. Ich sage nur, dass ich Dinge nicht unbedingt weitererzählen möchte, von denen ich nicht absolut sicher sein kann, dass sie stimmen.
Der Milo hinter der Poolbar, der mit diesem aufgesetzten Grinsen alten Damen Kaffee zubereitet, er wirkt so völlig anders als der Milo, den ich kannte. Der mürrische, verschlossene Milo, der nur für einen kurzen Augenblick aus sich herausgekommen ist, für sieben Minuten in einem Schrank.
Ich schüttle den Gedanken ab. Wie jedes Mal, wenn er mir zu nah kommen will.
Helena ist nett. Sie ist witzig, freundlich, hilfsbereit. Sie ist eine, die jeden Abend ein Instax-Foto in ihr Tagebuch klebt mit dem Moment, der sie besonders glücklich gemacht hat, und seit ich hier bin, war ich jedes Mal mit auf diesem Bild. Weil, Helena ist nun mal . Helena. Aber sie ist nicht meine Freundin. Sie ist nicht Nathalie, und ganz abgesehen davon, scheint sie begeistert zu sein von Milo, denn er ist auf den restlichen Aufnahmen zu sehen.
Der neue Milo.
Geht dich nichts an, Penny.
Es ist gleich halb sechs und ich bin auf dem Weg zum clubeigenen Amphitheater. Ich übertreibe nicht. Das Rundtheater mit seinen steil nach unten abfallenden Rängen ist tatsächlich einem Amphitheater nachempfunden, und es wird mit einer Inbrunst bespielt, vor der Verweigerer wie ich am liebsten davonlaufen würden. Ich kann nicht spielen. Weder das noch singen noch tanzen. Ich habe es nie getan und nie das Bedürfnis danach verspürt. Und seit dem Casting wusste ich, dass es zum Job gehört, an mindestens zwei der rund fünfzehn Produktionen teilzunehmen, die im abendlichen Wechsel aufgeführt werden, doch aus mir heute unerklärlichen Gründen nahm ich an, ich würde schon irgendwie darum herumkommen. Oder Nathalie vorschieben. Oder . oder .
Nun.
Beides ist hinfällig jetzt.
Nicht nur ist Helena begeisterte Tänzerin, wie sich herausstellte, sie ist auch fest entschlossen, mich für die Theaterwelt des Clubs zu begeistern. Weshalb sie mich in die Garderobe bestellt hat, die ich allerdings erst einmal finden muss.
Im Stechschritt eile ich über die Anlage, von den Mitarbeiterquartieren durch den Park, am Erwachsenenpool vorbei zur Boutique, wo ich Ramón zuwinke, der sie leitet, zur Bar, in deren Außenbereich gerade der allabendliche Sundowner serviert wird. Automatisch halte ich Ausschau nach Milo, nur um mich im nächsten Moment darüber zu ärgern.
Du bist froh über jeden Augenblick, in dem du ihn nicht triffst, ermahne ich mich selbst, bevor ich die Tür zum Theater aufstoße und mich Stille verschluckt.
Ich bin erst einmal hier gewesen, am Tag meiner Ankunft, an dem mich Helena durch den Club gehetzt und so gut wie jede Tür aufgerissen hat, die auf unserem Weg lag. Ich warf einen flüchtigen Blick auf Ränge und Bühne, auf der gerade eine Besprechung stattfand, inmitten von wild durcheinandergeschobenen Kulissen, schon hatte sie mich wieder nach draußen gezogen. Als jetzt die Tür hinter mir ins Schloss fällt, ist der Raum ein völlig anderer, und ich halte überrascht die Luft an. Die Bühne ist leer, bis auf ein kreisrundes Podest, das aussieht, als müsste es Teil einer Spieldose sein. Wie alles um mich herum ist es in warmes rotes Licht getaucht, und dennoch scheint es mir zwischen den Steinstufen der Ränge deutlich kühler als draußen. Ich bin nicht sicher, ob es der Temperaturabfall ist, der mir Gänsehaut verursacht, oder die Stimmung, die das leere Theater in mir wachkitzelt. Fast bedächtig schreite ich die Stufen zwischen den Sitzreihen hinab, ich weiß nicht mal, warum, ich sollte Helena in der Garderobe treffen, wo auch immer das sein mag. In der Bühnenmitte bleibe ich stehen, um mich umzusehen, und dann erleide ich beinah einen Herzstillstand, als plötzlich ein Scheinwerfer aufblendet und mich in grelles Spotlight taucht. Tatsächlich stolpere ich ein paar Schritte, bevor ich mich wieder fange und mit der Hand die Augen abschirme.
Lautsprecher knacksen. Mein Herz rast wie wild.
»Hast du dich verlaufen?«
»Frag mich das noch mal, wenn man mich reanimiert hat.«
Lachen. Leise und heiser. Milo. Und aus irgendeinem Grund bleibe ich stehen, als wäre ich festgewachsen.
Mehr Knacksen. »Wo du gerade hier bist, könntest du dich kurz auf das Podest stellen? Ich bin dabei, das Licht einzurichten.«
Ich werfe einen Blick auf besagtes Podest, dann in die Richtung der Technikkabine. Sie liegt unmittelbar zwischen den zwei Eingängen, die ins Theater führen, und von dort aus hat Milo jeden meiner Schritte beobachten können.
Der Gedanke verursacht ein Kribbeln in meinem Nacken, doch ich tue, worum er mich bittet, klettere auf das kreisrunde Podium, lasse unschlüssig die Arme herabbaumeln, verschränke sie dann vor der Brust.
Der Lichtkegel, aus dem ich eben getreten bin, erlischt, zwei Sekunden später trifft er mich erneut. Milo richtet den Scheinwerfer ein Stück nach hier, ein Stück nach da, schließlich sagt er: »Kannst du dich etwas aufrichten?«
Ich recke das Kinn nach oben. Milo korrigiert den Scheinwerferstrahl, dann die Farbe, von Weiß zu Orange, zu Grün, zu Blau, wieder von vorn.
Und noch einmal halte ich den Atem an, während mein Herz mir davongaloppiert. Ich fürchte, ich werde verrückt. Oder warum kommt es mir so vor, als badete ich in diesem Licht, dem Licht, mit dem Milo mich einhüllt, mit dem er mich berührt . Was stimmt nicht mit mir? Das ist lediglich ein blöder Lichtkegel, und das da oben ist Milo, an den du hundert Jahre nicht gedacht hast.
Ich muss mich daran erinnern, wo ich bin. Und wer. Und mit wem ich es zu tun habe. Er mag anders aussehen als damals und sich anders geben, doch er ist immer noch Milo. Der Milo, der mich so wild und entschlossen geküsst hat wie keiner nach ihm. Der mich dann keines Blickes mehr gewürdigt hat, bevor er von der Schule verschwand, so plötzlich, wie er aufgetaucht war, von einem Tag auf den anderen. Autodiebstahl, hieß es.
»Alles klar, danke.«
Diesmal zucke ich zusammen bei seiner blechernen Lautsprecherstimme, ich springe von dem Podest und laufe so schnell ich kann zum Bühnenrand.
Wieder dieses fürchterliche Knacksen. »Penny?«
Ich bleibe stehen. »Was?«
»Zu den Garderoben geht es da lang.« Der Scheinwerferkegel, dieses Mal ein dunkles, irgendwie anrüchiges Blau, schwenkt ein Stück nach links und zeichnet so den Weg zum anderen Ende der Bühne, wo ein schwerer Stoff vor eine Wand gespannt wurde.
»Hinter dem Vorhang.«
Wortlos drehe ich mich um und gehe in die Richtung, die Milo mir aufgezeigt hat, darum bemüht, auf keinen Fall...
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