Schweitzer Fachinformationen
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Turk Gap Trail, Shenandoah Nationalpark, Virginia
Maxwell Cho genoss die erhabene Stille der Shenandoah Mountains. Selbst seine große Hündin Kona zügelte ihre sonst so unbändige Energie und trottete geräuschlos neben ihm her. Max atmete tief ein, legte den Kopf in den Nacken und blickte in der kühlen Morgensonne zu dem dichten Baldachin aus kupferfarbenen und goldenen Blättern auf.
»Ich glaube, der Herbst hat seinen Höhepunkt erreicht, mein Mädchen«, sagte der FBI-Agent leise, um den Zauber nicht zu stören. Er hatte sich seit Monaten auf einen freien Tag gefreut, und nun spürte er, wie nach und nach der Stress von ihm abfiel. Er liebte sein Leben im quirligen, lauten, dreckigen Washington, D.C., aber manchmal überkam ihn die Sehnsucht nach den Bergen.
Er wollte den steil ansteigenden Pfad weitergehen, als Kona plötzlich erstarrte und, die Nase in die Luft gereckt, aufgeregt zu schnüffeln begann.
Auch Max blieb regungslos stehen. Er vertraute seiner Hündin; außerdem waren in der Gegend jüngst einige Bären gesichtet worden.
»Was hast du denn, Kona?«
Sein Blick glitt über den Felsvorsprung, der Richtung Norden hinter den Baumwipfeln aufragte, dann über den dichten Wald im Osten.
Nichts zu sehen.
Plötzlich bellte Kona. Es war nicht das tiefe Wuff, das sie von sich gab, wenn sie der Spur eines Vermissten folgten, sondern ein kurzer, scharfer Laut. Ihre Rute stand waagerecht nach hinten ab. So zeigte sie an, dass sie eine Leiche gewittert hatte.
»Wir haben heute frei. Komm, lass uns weitergehen.« Er machte der Hündin ein Zeichen, ihm zu folgen, doch die bellte erneut und rührte sich nicht von der Stelle.
Als Spürhundeteam des FBI waren Max und Kona darauf spezialisiert, vermisste Personen zu finden - egal, ob tot oder lebendig. Und aus irgendeinem Grund schien Kona zu glauben, dass sie im Dienst waren.
Max seufzte. So viel zu dem Mittagessen bei seiner Mutter nach einer langen Bergwanderung. Wahrscheinlich stand sie schon in der Küche und bereitete ein Festmahl für ihn zu. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was ihm blühte, wenn er absagte.
»Hast du Witterung aufgenommen?«
Kona bellte zum dritten Mal, und dann tat sie etwas, was Max in den vier Jahren ihrer Zusammenarbeit noch nie erlebt hatte: Sie fing an zu winseln.
Ein ungutes Gefühl ließ ihm die Haare im Nacken zu Berge stehen.
»Warte. Ich gebe das lieber mal durch, bevor wir uns hier auf eine wilde Querfeldeinjagd einlassen.«
Max zückte sein Handy und wählte.
»Shenandoah Nationalpark, wie kann ich Sie weiterverbinden?«, meldete sich eine Frau mit deutlich ausgeprägtem Südstaatenakzent.
Max erkannte die Stimme sofort. Er schwieg einen Moment und überlegte, wie er das Gespräch beginnen sollte. Er war in Rockfish Gap, einem kleinen Ort knapp zwanzig Meilen entfernt, aufgewachsen und kannte praktisch jeden aus der Gegend. Es gab einen guten Grund, weshalb er nach seiner Rückkehr aus dem Irak zum FBI gegangen war, statt in seiner Heimatstadt bei der Polizei anzufangen. Aber die Wunden der Vergangenheit durften ihn nicht daran hindern, seine Pflicht zu tun.
»Piper, hier ist Max Cho.«
»Max! Wie schön, deine Stimme zu hören. Wie geht's dir? Bist du in der Stadt, um deine Mutter zu besuchen?«
»Ja, wir sind später noch verabredet. Aber eigentlich rufe ich an, um etwas zu melden. Ich bin auf dem Wanderweg zum Turk Mountain unterwegs, und meine Leichenspürhündin hat gerade angeschlagen.«
»Ach du liebe Zeit, ist das einer dieser Hunde, die Tote erschnüffeln? Soll das heißen, da oben im Wald liegt eine Leiche?«
»Möglich. Irgendwas muss sie jedenfalls gewittert haben, ich habe noch nie erlebt, dass sie falschen Alarm gegeben hätte. Gibt es irgendwelche Vermisstenmeldungen bei euch?«
Max gebot Kona mit der flachen Hand, sich nicht vom Fleck zu rühren. Die Hündin tänzelte erregt auf der Stelle und schien es gar nicht erwarten zu können, der Fährte zu folgen, die sie aufgenommen hatte.
»Im Moment nicht, nein«, antwortete Piper.
»Okay. Dann lasse ich meine Hündin jetzt suchen. Falls wir was finden, melde ich mich noch mal.«
»Braucht ihr Hilfe? Soll ich einen Kollegen zu euch rausschicken?«
Max warf einen Blick auf Kona, die mit zitternden Flanken dastand, die Witterung in der Nase. »Nicht nötig. Meine Hündin ist kaum noch zu halten, die Geruchsquelle muss also ganz in der Nähe sein. Ich würde sagen, wir schauen erst mal, womit wir es hier überhaupt zu tun haben.«
Während Max noch telefonierte, sträubte sich plötzlich Konas Nackenfell. Augenblicklich schrillten bei Max sämtliche Alarmglocken los.
»Warum sagst du mir nicht wenigstens, wo ihr seid, damit ich schon mal jemandem Bescheid geben kann?«
Max las die Koordinaten ihres Standorts von seinem Handy ab und fügte leise hinzu: »Ich rufe an, wenn ich was gefunden habe.«
»Sei bloß vorsichtig - so ganz allein im tiefen dunklen Wald«, zog Piper ihn auf.
Max beendete die Verbindung und zuckte leicht zusammen, als Kona erneut bellte. Er fragte sich, wann ihm der draufgängerische Mut seiner Jugend abhandengekommen war. Früher war er hinter feindlichen Linien aus Hubschraubern abgesprungen. Jetzt gruselte es ihn bei der bloßen Vorstellung, in den Wäldern von Virginia über eine Leiche zu stolpern.
»Such, Kona!«, befahl er und zeigte mit der Hand auffordernd in den Wald.
Mit einem Kläffen schoss Kona davon.
In einer weiten Zickzackbewegung immer hin und her laufend, folgte sie der Geruchsspur in der Luft. Erst ging es einen steilen Hang hinauf, dann über eine Lichtung voller Wiesenhafer und schließlich in einen Bestand aus Ahornbäumen hinein. Die Sonne war zwischenzeitlich höher gestiegen und erwärmte die frische, klare Herbstluft. Der Duft taufeuchter Erde stieg Max in die Nase, als sie sich weiter und weiter vom Wanderweg entfernten.
Konas Pendelbewegungen wurden kleiner, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich ihrem Ziel näherten.
Sie erklommen noch einen Felsen und erreichten schließlich einen Aussichtspunkt, von dem aus man den Blick über das ganze Flusstal hatte. Max hielt einen Moment lang inne, um den Shenandoah River zu betrachten, der in trägen Mäandern und vom Feuerrot und Orange der Herbstbäume gesäumt die Hügellandschaft durchschnitt.
Weiter vorne stieß Kona ein Knurren aus.
Max spürte ein Kribbeln im Nacken.
Gleich darauf sauste Kona ohne jede Vorwarnung mit voller Geschwindigkeit den Abhang hinunter und verschwand im Wald.
Max bemühte sich nach Kräften, mit ihr Schritt zu halten. Je weiter sie vordrangen, desto dichter wurde die Vegetation. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, während er blindlings durchs Unterholz stolperte.
»Hey!«, rief er. »Kona, stopp!«
Kona ignorierte seinen Befehl. Das hatte sie noch nie getan.
Irgendetwas war hier faul.
Max, der längst den Sichtkontakt zu seiner Hündin verloren hatte, folgte, so schnell er konnte, ihrem Rascheln im Gehölz. Etwa auf halber Höhe des Berghangs gelangte er auf ein kleines Plateau mit einer Lichtung. Dort war auch Kona. Sie lief wie wild im Kreis herum und hörte gar nicht mehr auf zu bellen. Ihr Verhalten erschien Max immer rätselhafter.
Hohe Bäume beschatteten die felsige, sanft abfallende Stelle, die in einem steilen Vorsprung endete. Langsam wagte Max sich weiter vor, wobei er wachsam den Boden mit Blicken absuchte. Er konnte nichts entdecken, was Konas Aufregung erklärt hätte.
»Such!«, befahl er noch einmal in der Hoffnung, dass sie ihm eine konkrete Stelle anzeigen würde.
Stattdessen jaulte sie, scheinbar verwirrt, und setzte sich auf die Hinterläufe. Sie war ein sehr pflichtbewusstes Tier und sichtlich zerknirscht, weil sie die Geruchsquelle nicht ausfindig machen konnte.
Vorsichtig überquerte Max die mit Geröll übersäte Lichtung, bis er neben Kona stand, die auf einem kleinen Felsen hockte. Weit und breit war nichts zu sehen als Steine und ein paar kleine Grasbüschel. Hier konnte man unmöglich eine Leiche verstecken.
»Was ist nur los mit dir, Mädchen? Ist das etwa dein erster falscher Alarm?« Er streckte die Hand aus, um sie zu streicheln.
Doch kaum hatte er das Gewicht nach vorn verlagert, geriet der Boden unter ihm ins Rutschen.
Seine Zeit beim Militär lag Jahre zurück, doch das Training saß tief. Blitzschnell machte er einen Hechtsprung zur Seite.
Zu spät. Im nächsten Moment brach er ein.
Wild mit Armen und Beinen rudernd und begleitet von einer Lawine aus Erde und Geröll, stürzte er in die Tiefe. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihm, seinen Körper zu drehen, sodass er auf den Füßen landete. Trotzdem war die Wucht des Aufpralls so heftig, dass er vor Schmerz ächzte und die Knie unter ihm wegknickten.
Die Arme schützend über den Kopf haltend, wartete er ab, während Erdklumpen und kleine Steine auf ihn herabrieselten. Weiter oben bellte Kona wie verrückt, weil ihr Herrchen plötzlich verschwunden war.
Als der...
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