Zweites Kapitel
Inhaltsverzeichnis Ein paar französ'sche Phrasen - das war Alles,
Was er gelernt für seine ferne Reise:
Und so, gehorsam seines Herrn Befehlen,
Versucht der Junge denn die fremde Weise.
Cowper. Es war mittlerweile beinahe völlig dunkel geworden, und die Menge, welche nunmehr ihre müssige Neugierde befriedigt hatte, begann sich allmählig zu zerstreuen. Signor Viti blieb bis zuletzt, denn in solchen unruhigen Zeiten, das fühlte er wohl, forderte die Pflicht von ihm, auf seiner Hut zu sein; bei all' seiner geräuschvollen Thätigkeit war es aber seiner Wachsamkeit dennoch entgangen und auch seine emsig fortgesetzten Beobachtungen wollten ihm nichts davon entdecken - daß der Fremdling, der mit so vieler Zuversicht in die Bai hereingesteuert war, seinen Ankerplatz auf einem Punkt gewählt hatte, wo nicht eine einzige Kugel von den Batterien ihn erreichen konnte, während er selbst, wenn er anders zu Feindseligkeiten geneigt gewesen wäre, den ganzen kleinen Hafen hätte bestreichen können. Das machte aber - Vito Viti war zwar ein enthusiastischer Verehrer, aber nichts weniger als ausübender Kenner der Schießkunst, und mochte sich nicht gerne mit der Wirkung von Kugeln befassen, den einzigen Fall ausgenommen, wenn dieselbe nicht auf ihn selbst, sondern auf Andere berechnet war.
Von all' den neugierigen, zum Theil wohl auch ängstlichen und Schlimmes witternden Zuschauern, welche sich seit dem Augenblicke, da die Absicht des Luggers, in die Bai hereinzusteuern, bekannt geworden - im Hafen und in dessen Nähe versammelt hatten, blieben Ghita und 'Maso allein am Strande zurück, nachdem das Schiff vor Anker gegangen war. Der Lugger war von den Beamten, welche das Quarantaine-Gesetz - diesen mächtigen, physischen wie moralischen Popanz des mittelländischen Meeres - aufrecht zu erhalten hatten, laut angerufen und die vorgelegten Fragen auf eine Art beantwortet worden, welche für den Augenblick alle weiteren Zweifel beseitigte.
»Woher kommt Ihr?« lautete die Frage, welche im italienischen Provinzialdialekt gestellt wurde.
»Aus England, mit Berührung von Lissabon und Gibraltar,« lautete die Antwort, welche glücklicherweise lauter Orte enthielt, welche, was die Pest betraf, von jedem Verdachte frei waren und eben damals sehr günstige Gesundheitstabellen aufzuweisen hatten.
Nur der Name des Fahrzeugs schien von der Art, daß sich alle Kenner der englischen Sprache, deren Porto Ferrajo sich rühmen konnte, vergeblich die Köpfe darüber zerbrachen. Er war zwar von einem der an Bord Befindlichen deutlich genug angegeben worden; aber das Quarantaine-Personal hatte auf seine Frage:
» Come chiamate il vostro bastimento?« 10 immer wieder und zu drei verschiedenen Malen die Antwort erhalten:
» The Wing and Wing.«
» Come?«
» The Wing and Wing.«
Eine lange Pause folgte; die Beamten steckten die Köpfe zusammen, um vorerst die Worte, die sie gehört, mit denen, wie ihre Gefährten sie vernommen, zu vergleichen, und dann einen Einwohner, welcher das Englische zu verstehen vorgab, dessen Kenntniß aber nur so weit reichte, als dieß bei einem Sprachkundigen in einem wenig besuchten Hafen gewöhnlich der Fall ist - um die Bedeutung derselben zu befragen.
» Ving-y-Ving!« brummte dieser Dolmetscher, der sich in keiner kleinen Verlegenheit befand, »was zum Teufel ist das für ein sonderbarer Name! Fragt sie doch noch einmal!«
» Come si chiama la vostra barca, Signori Inglesi?« 11 wiederholte Derjenige, der zuerst angerufen hatte.
» Diable!« fluchte Einer auf Französisch, »es heißt the Wing and Wing; Ala e Ala 12.«
» Ala e Ala!« wiederholten die Quarantaine-Beamten, sahen einander erstaunt in's Gesicht und lachten, wiewohl noch immer etwas verlegen und zweifelhaft - » Ving-y-Ving!«
Diese Scene ereignete sich, eben als der Lugger seinen Anker auswarf und die Menge sich zu zerstreuen anfing. Das Ganze verursachte nicht wenig Gelächter, denn bald verbreitete sich in dem Städtchen das Gerücht, es sei so eben ein Fahrzeug aus England angelangt, das in der Sprache jener Inselbewohner - Ving-y-Ving - auf Italienisch - Ala e Ala - heiße - ein Name, der Allen, die ihn hörten, ausnehmend abgeschmackt vorkam.
Zur Bestätigung der Thatsache zeigte der Lugger übrigens an dem Ende seiner großen Raa eine kleine viereckige Flagge, auf welcher, wie man dieß zuweilen in Wappenbüchern findet, zwei große Flügel mit einem Hahnenschnabel in der Mitte gemalt oder eingewirkt waren. Das Ganze hatte viel Aehnlichkeit mit dem Aeußern eines Cherubs, wie die menschliche Einbildungskraft sich diese himmlischen Wesen zu denken gewohnt ist, und schien auch die Beobachter am Strande vollkommen zu befriedigen, welche allzu wohl mit Kunstgebilden vertraut waren, um nicht zuletzt doch noch einen ziemlich deutlichen Begriff von dem, was » Ala e Ala« zu bedeuten habe - zu erhalten.
Wie schon gesagt, waren 'Maso und Ghita, selbst nachdem die Andern sich zum Abendessen nach Haus verfügt hatten, allein am Ufer zurückgeblieben. Der Lootse - denn so wurde Tonti gewöhnlich genannt, weil er, als ein mit der Küste wohl vertrauter Seemann, auf den verschiedenen Fahrzeugen, worauf er diente, vornehmlich dieses Amt versah - behauptete seinen Posten am Bord einer Felucke, zu welcher er gehörte, und bewachte die Bewegungen des Luggers; das Mädchen aber hatte, wie es ihrem Geschlechte geziemte, ihren Standpunkt auf dem Quai so gewählt, daß sie mit den rohen Matrosen im Hafen nicht in Berührung kommen, und doch Alles bemerken konnte, was mit dem »Doppelflügler« vorging.
Es verstrich übrigens mehr als eine halbe Stunde, ehe irgend ein Zeichen sichtbar wurde, das die Absicht zu landen verrathen hätte; erst als es völlig dunkel war, wurde auf dem Lugger ein Boot ausgesetzt, das man gegen die gewöhnliche Hafentreppe heranrudern sah, wo einige Mauthbeamte zu seinem Empfange bereit standen.
Es ist eben nicht nöthig, uns bei den Förmlichkeiten dieser Offizianten länger aufzuhalten. Die lästigen Menschen hatten Laternen bei sich, und waren, wie gewöhnlich, sehr aufmerksam bei der Untersuchung der Papiere; es schien aber, daß der im Boote befindliche Fremde Alles in Ordnung hatte, denn nach kurzem Aufenthalte wurde ihm die Landung gestattet.
In diesem Augenblicke ging Ghita nahe an der Gruppe vorüber, indem sie Gesicht und Gestalt des Fremden scharf in's Auge faßte; sie selbst war so dicht in einen Mantel gehüllt, daß ein Erkennen ihrer Person sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich gewesen wäre. Das Mädchen schien mit dem Resultate ihrer Untersuchung zufrieden, denn unmittelbar darauf war sie verschwunden.
Nicht so 'Maso, denn dieser hatte sich unterdessen von der Felucke herbeigemacht, und gelangte noch zeitig genug zu der Treppe, um mit dem Fremden ein Wort zu sprechen.
»Seine Excellenz, der Podesta,« begann der Lootse, »hat mir aufgetragen, Euch zu sagen, Signore, daß er in seinem Hause der Ehre Eures Besuches harre; dasselbe ist ganz in der Nähe, in der Hauptstraße der Stadt, so daß es Euch nur Vergnügen machen kann, dahin zu lustwandeln; ich weiß, daß es ihn sehr verdrießen würde, wenn er nicht so glücklich wäre, Euch bei sich zu sehen.«
»Seine Excellenz ist ein Mann, den man nicht verdrießlich machen darf,« antwortete der Fremde in sehr gutem Italienisch; »die nächsten fünf Minuten sollen ihm beweisen, wie sehr mir daran gelegen ist, ihm meine Achtung zu beweisen.«
Mit diesen Worten wandte er sich an die Mannschaft seines Boots und befahl ihnen, nach dem Lugger zurückzukehren und wohl auf das Signal Acht zu geben, das sie vielleicht an den Strand zurückführen könnte.
Während 'Maso dem Fremden den Weg nach Vito Viti's Wohnung zeigte, konnte er sich nicht enthalten, in der Hoffnung, daß hierdurch einige Zweifel, die ihn beunruhigten, beseitigt werden könnten - verschiedene Fragen an denselben zu richten.
»Seit wann, Signor Capitano,« fragte er, »habt ihr Engländer euch zu der Segelweise der Lugger bekehrt? Für Euer einen ist dieß doch eine ganz neue Takelage?«
» Corpo di Bacco!« gab der Andere lachend zur Antwort, »wenn Ihr mir auf's Haar hin den Tag bestimmen könnt, wo Branntwein und Spitzen zum ersten Mal aus Frankreich nach meinem Vaterlande eingeschmuggelt wurden, dann, mein Freund, will ich Euch Eure Frage beantworten. Mir scheint, Ihr seid auf Euren Seefahrten wohl niemals so weit nördlich gekommen, daß Ihr die Bai von Biscaya oder den brittischen Kanal gesehen hättet, sonst müßtet Ihr wissen, daß ein Guernsey-Bewohner mit dem Takelwerke eines Luggers weit besser als mit dem eines größeren Schiffes vertraut ist.«
»Guernsey ist ein Land, von dem ich noch niemals gehört habe,« versetzte 'Maso in seiner Einfalt - »hat es etwa Verwandtschaft mit Holland - oder gar mit Lissabon?«
»Mit keinem von beiden. Guernsey ist eine ehemals französische Besitzung, welche die Engländer aber schon vor mehreren hundert Jahren erobert haben. Es ist eine Insel, die dem König Georg gehört, die aber in Sprache und Sitten immer noch halb gallisch ist, wie denn ein größerer Theil ihrer Bewohner noch französisch spricht. Dieß ist der Grund, warum wir die Lugger den Kuttern vorziehen, welch' letztere mehr die englische Takelage führen.«
'Maso schwieg, denn diese Antwort hatte in der That die mancherlei Besorgnisse, welche er hegte, mit einem Male zerstreut. Er hatte an dem fremden...