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Easy Beauty ist ein brillantes Memoir über das Leben mit Behinderung und die universelle Frage, wie man Schönheit und Erfüllung findet. Philosophisch klug, schonungslos ehrlich und mit großer Zärtlichkeit berichtet Chloé Cooper Jones von der Suche nach Momenten des Glücks, die allen Vorurteilen trotzen.
Chloé Cooper Jones wurde mit einer unvollständigen Wirbelsäule geboren. Die sichtbare körperliche Behinderung bereitet ihr nicht nur täglich Schmerzen, sondern zieht auch Blicke auf sich, die alle dasselbe meinen: Du reimst dich nicht mit dem, was wir kennen - du bist eine Fremde. Als Cooper Jones wider Erwarten Mutter wird, fällt ihr auf, wie sehr Schutzmechanismen, Unsicherheit und Unbehagen sie daran hindern, im eigenen Leben zuhause zu sein. Überstürzt bricht sie auf, begibt sich auf eine Reise. Sie will ergründen, was Schönheit ist und welche Bedeutung sie hat. Sie betrachtet Berninis Skulpturen in Rom, besucht ein Beyoncé-Konzert, erkundet Kambodscha in einem Tuk Tuk und fährt in die Wüste, um Roger Federer spielen zu sehen. Es ist die Reise einer unermüdlich Suchenden, aber auch der Weg einer Heimkehr - zu ihrem Sohn, ihrer Familie und der vielleicht größten aller Herausforderungen: lieben und geliebt zu werden.
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Ein Fremder starrt mich an. Ich senke die Schulter und mustere ihn flüchtig. Er ist groß. Mit geschmeidigem, sicherem Schritt durchquert er den Raum in meine Richtung. Sein Blick heftet sich an mich, bindet meine ganze Aufmerksamkeit. Seine Augen gleiten über meinen Körper, dann schaut er weg, zurück, weg, schenkt sich jegliche Diskretion und schätzt mit auf und ab wanderndem Blick meine Größe ein. Neuheit animiert das Auge, und ich bin immer etwas Neues. Kaum hat er sich an mich gewöhnt, wendet er sich ab und betrachtet die Bernini-Skulptur vor uns, eine Szene aus Ovids Metamorphosen. Jetzt bin ich mit dem Starren dran.
Der Fremde ist wie am Reißbrett entworfen. Von Kiefer zu Nacken, von Schulter zu Rumpf, von Hüfte zu Knie: ein Körper aus geraden Linien, Design, Absicht. Mein Gesicht ist gerötet, mir ist heiß, ich stinke, triefe vor Schweiß, Rinnsale der Selbstvorwürfe. Er steht jetzt neben mir, trocken und lächelnd; seine Trockenheit nervt mich. Ich hatte mein Hotel um die Mittagszeit verlassen: ein Fehler. Die Straßen flirrten vor Hitze. Die Luft war klebrig und feucht wie ein Mund. Der in feinen Schwaden in der Luft treibende Staub legte sich wie ein Film über mich.
In der Galleria Borghese wimmelt es von Touristen; sie drängeln, umschließen uns, bilden einen Rahmen um mich und den Fremden. Aus der Ferne sehen wir vielleicht aus wie höfliche Menschen, die eine schöne Skulptur bestaunen, doch an meinem Platz inmitten der Menge sehe ich all die verstohlenen, trägen Blicke, die geröteten Gesichter, die großen Augen, das Grinsen, die Pulsschläge und Wallungen, und ich bin gefangen in ihrer Stimmung, überspült von den roten Wellen ihrer Energie. Alle Blicke haften an einem einzigen Punkt der Skulptur, dort, wo Plutos Hand in Proserpinas nacktes Bein greift.
Die Skulptur stellt eine Szene aus der römischen Mythologie dar. Eine Version geht so: Pluto beleidigt Venus, die Göttin der Liebe. Aus Rache bittet sie Amor, seinen Pfeil durch Plutos Herz zu schießen, damit ihn augenblicklich ein liebesähnlicher Wahn befalle. Proserpina, die Tochter der Göttin Ceres, ist in der Nähe und pflückt Blumen. Pluto, der Gott der Unterwelt, entführt sie aus der Natur und bringt sie gewaltsam in sein dunkles, isoliertes Reich.
Bernini hält für uns den Moment fest, in dem Pluto Proserpina erblickt und sie grob an sich reißt. Er schlingt eine harte Hand um ihren Schenkel, und an diesem Berührungspunkt lässt der Künstler auf unglaubliche Weise metamorphen Stein weich erscheinen. Die Erotik dieser Aggression, wie marmorne Finger in marmornem Fleisch versinken - sie beunruhigt mich, aber ich wende den Blick ebenso wenig ab wie alle anderen.
Der Fremde kommt ein Stück näher. Sein Ellbogen streift meine Schulter. Die Stelle, an der wir uns berühren, wird zu einer eigenen sinnlichen Welt aus Wärme, Schwere, einem Duft wie von nassem Laub. Dann löst sich sein Arm kaum merklich von meinem, und die Welt erweitert sich um den schmalen Raum, der uns trennt, und durch diesen Raum tut sich vibrierend ein mögliches Abenteuer auf. Feine Härchen und poriges rotes Fleisch erheben sich, um die Lücke zwischen meinem Körper und seinem zu überbrücken. Meine Gedanken kriechen über meine Haut. Der Fremde und ich atmen im Gleichtakt, warten gespannt auf die Geste des anderen. Ich stelle mir vor, dass der Fremde mich packt, so wie Pluto Proserpina packt. Er neigt sich näher, und eine Wärme entfaltet sich in mir. Ein Gedanke, der in Richtung Lust geht: zu sehen, wie er mir knieend den römischen Staub von meinem bloßen Bein leckt. Im selben Moment beugt sich der Fremde vor und atmet tief ein, als könnte er dadurch ein winziges Teilchen des Bernini in sich aufnehmen, um es noch lange nach dem Verlassen des Museums in seinem Inneren zu bewahren. Er wippt zurück, nickt der Statue zu - eine seltsame Geste, vielleicht Respekt? - und geht dann ohne mich weiter, schlängelt sich durch die Menge. Ich bleibe noch eine Weile stehen und betrachte die mit einem Werkzeug eingemeißelte Gänsehaut Proserpinas.
In anderen Bearbeitungen dieses Mythos zeichnen Künstler eine schwächere Heldin. Dürer stellt Proserpina (Proserpina beim italienischen Bildhauer Bernini, Persephone bei den Griechen) in seiner Eisenradierung als schwindelerregendes Windrad von Gliedmaßen dar, in dessen Mittelpunkt ihre Brüste sind, die sich merkwürdig wölben wie hervortretende Augen. Alessandro Allori zeigt sie ruhig und ausdruckslos, irgendwie gelangweilt von ihrer Entführung. Rubens präsentiert sie rückwärts gekrümmt über den Rand von Plutos rasendem Kampfwagen, willenlos angesichts der verwirrenden Szene. Bei Rembrandt krallt sie sich ins Leere fallend an Plutos Gesicht fest. Und bei Theodoor van Thulden wirkt sie bestürzt, den Kopf nach oben gereckt, die Arme himmelwärts gerichtet, als bäte sie einen gerechteren Gott, einzugreifen und sie vor ihrem Schicksal zu retten.
Aber Berninis Proserpina ist lebendig.
Ihr Körper ist stark, sie wendet ihn energisch gegen Pluto und versucht, sich zu befreien. Sie drückt ihm ihren Handballen ins Gesicht. Er zieht eine Grimasse. Bernini zeigt Pluto verstört, aus dem Gleichgewicht, taumelnd, als wollte er uns daran erinnern, dass Amors Pfeil ihn auch seiner Kraft beraubt hat. Ovids Mythos erzählt von zwei erzwungenen Transformationen, und Bernini zeigt uns zwei Menschen in Bewegung, die sich vergeblich gegen ihr Schicksal wehren. Die Statue strahlt, überstrahlt alles im Raum, und sie vibriert von der Energie der Betroffenen - Pluto verletzt Venus, die Pluto verletzt, der wiederum Proserpina verletzt; eine Kette von Verletzungen, sichtbar auf Proserpinas Schenkel, deren steinernes Fleisch unter dem Griff des Gottes nachgibt. Es ist verblüffend: Ich bin hin- und hergerissen zwischen Ehrfurcht, Abscheu, Verlangen.
In meiner rechten Hüfte meldet sich der vertraute Schmerz von zu langem Stehen. Wenn ich keinen Ort finde, wo ich mich hinlegen, strecken und ausruhen kann, wird mein Körper gleich streiken. Die Riemen an meinem Rucksack sind nicht gleich lang, ich spüre schon jetzt den Druck, der die Muskeln rechts von meiner gekrümmten Wirbelsäule verkrampfen lässt.
Ich suche meinen neutralen Raum und zähle 1 2 3 4 5 6 7 8.
Langsam gehe ich an der Skulptur vorbei. Es gibt hier noch andere Kunst zu sehen. Ich bleibe stehen, um das Gleichgewicht zu finden und auszuruhen. Mein Rücken ist steif und wird noch steifer. Der Schmerz verwandelt die unangenehme Schräge des Bodens, ordnet sie neu, verzerrt sie, setzt sie in Bewegung; sowohl die Breite als auch die Neigung der Fläche verändern sich. Der Reiz all der Kunst ist verschwunden, ich bin nur noch von Dingen umgeben. Der Schmerz kappt meine Verbindung zu allem, nur nicht zu ihm.
Ich suche nach einem Ausgangsschild und gehe in einen neuen Saal. Auch der Fremde ist dort.
Er steht von mir abgewandt, doch die Linie seiner Schulter strafft sich in meine Richtung. Er spürt meine Nähe. Ich starre einen Moment zu lange, er dreht sich zu mir. Ich erschrecke, beruhige mich und betrachte verwirrt das nächste Bild, alles, nur nicht ihn. Er beobachtet mich. Was für ein Gefühl! Woanders hingucken kriegt etwas Elektrisierendes. Ich spüre, wie er sich anmutig durch die Menge manövriert. Sein langes Betrachten eines Kunstwerks, sein kurzer Blick an die vergoldete Decke - alles nur mir zuliebe. Ich versuche, genug Energie aufzubringen, um mir eine andere Realität vorzustellen, eine, in der ich zu einem schönen Körper werde, der vor Verlangen errötet, ohne Schmerz, mit leerem Verstand, lustvoll im gegenwärtigen Moment aufgehend und dort zurückgelassen, verwirrt und hellwach. Ich folge ihm....
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