Schweitzer Fachinformationen
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Lochlan: Es ist nach Mitternacht. Meine Frau gilt jetzt offiziell als vermisst. Wirklich begriffen habe ich das noch nicht.
Das sind die Fakten: (1) Gestern Abend kurz nach sieben hatte ich über FaceTime Kontakt mit Eloïse, da war sie in der Küche beim Pfannkuchenmachen, und die Kinder haben friedlich im Wohnzimmer gespielt, und (2) irgendwann heute zwischen zehn und dreizehn Uhr ist sie, während die Kinder oben im Bett lagen und schliefen, aus unserem Haus verschwunden. Es gibt (3) keinerlei Hinweis darauf, dass jemand hier war, Max hat niemanden gesehen, und (4) Eloïses Sachen, Ausweis, Kreditkarten, Autopapiere, Führerschein und Handy sind hier, im Haus. Sie kann sich also nicht melden, kommt nirgendwohin - weder mit der U-Bahn noch mit einem Taxi oder Flieger - und hat keine Möglichkeit, sich etwas zu essen oder zu trinken zu kaufen. Und (5) niemand hat auch nur die Spur einer Ahnung, wo sie stecken könnte.
Die abgepumpte Muttermilch ist aufgebraucht. Ich bin so durch den Wind, dass Cressida eine halbe Ewigkeit schreien musste, bis mir dämmerte, dass sie vielleicht mal wieder gefüttert werden muss. Vor einer Stunde habe ich ein Taxi gerufen, dem Fahrer einen Fünfziger gegeben und ihn beauftragt, mir Babynahrung aus dem Supermarkt zu besorgen. Anfangs war Cressida irritiert: weil sie schon wieder an einem Plastikteil saugen musste und wegen des fremden Geschmacks der Folgemilch, aber am Ende hat sie sich damit abgefunden und das Fläschchen in einem Rutsch geleert.
Mrs Shahjalal ist nach Hause gegangen. Sie lebt allein in Nr. 39, gleich gegenüber. Sie hat angeboten, am Morgen wiederzukommen und zu helfen, so gut sie eben kann. Im Moment bin ich komplett durcheinander, nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
Während der Bahnfahrt ab Waverley, Edinburgh, habe ich Eloïses Freundinnen abtelefoniert in der Hoffnung, dass sie sich bei einer von ihnen gemeldet hat. Natürlich hat seit gestern oder vorgestern niemand etwas von ihr gehört. Auf meinen Facebook-Post hin sind jede Menge weinende Emojis und gute Wünsche bei mir eingegangen, mit anderen Worten: nichts Brauchbares. Nach langem Zögern habe ich Gerda, Eloïses Großmutter, eine SMS geschrieben und gefragt, ob El vielleicht in ihrem Haus in Ledbury ist. Angesichts der Tatsache, dass die Kinder noch hier sind, ziemlich unwahrscheinlich, aber ich wusste einfach nicht, wen ich sonst noch fragen sollte.
Vier- oder fünfmal habe ich das ganze Haus abgesucht. In Kleiderschränke, den Badezimmerschrank, die komische Abseite unter der Treppe, sogar unter den Betten und auf dem Dachboden habe ich geschaut, dann bin ich mit einer Taschenlampe durch den Garten hinten gegangen und habe mir die Büsche und den Schuppen vorgenommen. Ich muss wohl gedacht haben, sie könnte irgendwo feststecken. Es war ein Gefühl, als würde ich verrückt. Und bei alldem sprang Max um mich herum und fragte, ob wir jetzt was spielen und ob er sich verstecken soll, und Cressida merkte, dass sie von jemand anderem gehalten wurde als von ihrer Mutter, und meinte, halb London davon in Kenntnis setzen zu müssen.
Gerda rief zurück und sagte, sie habe El seit letzter Woche nicht mehr gesehen, aber am Sonntagabend mit ihr telefoniert. Dann fing sie an, mich auszuquetschen, und ich stammelte so was wie, Eloïse sei nicht da gewesen, als ich am Nachmittag nach Hause gekommen sei. Es entstand eine lange Pause.
»Was soll das heißen, Eloïse ist nicht da? Wo steckst du, Lochlan?«
»Ich bin in London.«
»Und wo sind die Kleinen?«
»Hier.«
»Willst du sagen, Eloïse ist gegangen?«
»Ich will sagen: Sie ist nicht zu Hause. Ihr Auto steht da, ihre Schlüssel sind da und ihr Handy. Alles.«
»Ruf die Polizei.«
»Das hab ich schon.«
Ich sah mir Els Handy an, alle Nachrichten - für den Fall, dass irgendeine Notlage eingetreten war, die sie aus dem Haus gezwungen hatte, aber außer einer Anfrage wegen einer eBay-Anzeige für einen Hochstuhl, Mails von Etsy, Boden, Sainsbury und Laura Ashley sowie Outlook-Memos für den Elternabend von Max' Spielgruppe am nächsten Freitag und einem Impftermin für Cressida beim Kinderarzt fand ich nichts.
Gegen elf kam, müde um die Augen und in seinen Grüffelo-Bademantel gehüllt, Max nach unten. Das blonde Haar, länger, als ich es in Erinnerung hatte, war statisch aufgeladen und stand pusteblumengleich in alle Richtungen ab.
»Hallo, Papa.« Er gähnte.
»He, Maxiboy. Wie geht's?«
Er kam herübergetapst und kletterte auf meinen Schoß. In einer Wallung von Zärtlichkeit drückte ich ihm einen Kuss auf den Kopf.
»Ist Mami wieder da?«
Es tat weh, Nein sagen zu müssen.
Er rollte sich ein und kuschelte sich an mich. »Musste sie einkaufen gehen? Hat sie vergessen, dass Cressida und ich noch hier waren?«
»Das glaube ich nicht.«
»Hat sie sich auf dem Heimweg verlaufen?«
Ich schüttelte den Kopf, und er wurde grantig.
»Ich will Mami! Wo ist Mami?«
Als der Kummer darüber, ihn nicht trösten zu können, und die Sorge, er könnte Cressida wecken, übermächtig wurden, fing ich an zu schwindeln.
»Vielleicht wollte sie einen Blumenstrauß für ihre Freundin besorgen.«
»Welche Freundin?«
»Äh . die mit den langen schwarzen Haaren, die von der Spielgruppe.«
Er richtete sich auf. »Sarah?«
»Genau, Sarah.«
»Nein! Das kann gar nicht sein, Sarah hat nämlich jetzt gelbe Haare.«
»Dann eben für Niamh.«
»Warum soll Mami denn Niamh Blumen kaufen? Ist Niamh traurig?«
»Ich glaube.«
»Was für Blumen?«
»Weiß ich nicht, Maxi.«
»Rufst du Niamh mal an und sagst ihr, dass wir Mami hier bei uns brauchen?«
»Mach ich bald, Süßer, bald. Aber jetzt bringen wir dich erst mal ins Bett.«
In einem flüchtigen Augenblick von Klarheit im Kopf dachte ich an die Hightech-Baby-Monitore, die El hatte anbringen lassen, als Max auf die Welt kam - im Ernst, regelrechte Überwachungskameras -, und sah auf Els Handy nach, ob da vor Kurzem Daten gespeichert worden waren. Aber nein, die Kameras waren schon vor Ewigkeiten abgeschaltet worden. Natürlich.
Ich versuchte es mit Bestechung: Wenn er schlafen ging, ohne dass seine Mami ihn gebadet und ihm seine Lieblingsgeschichte vorgelesen hatte, versprach ich ihm, würde ich mit ihm in den Thomas-und-seine-Freunde-Park fahren. Er bestand trotzdem darauf, unten bei mir zu bleiben, und weinte sich in den Schlaf.
Es ist kurz vor zwei Uhr nachts, als draußen ein Polizeiwagen hält und zwei Uniformierte vor der Tür stehen, ein Mann und eine Frau. Ich führe sie ins Wohnzimmer, aber um auch nur hören zu können, was sie sagen, muss ich zunächst Cressida beruhigen. Ihr Gesicht ist purpurrot, Tränen kullern über ihre Wangen, und die kleinen Fäuste boxen wild in die Luft. Max liegt auf dem Sofa und schläft. Er hat sich den Quilt, den Eloïse ihm gemacht hat, bis ans Kinn gezogen und murmelt ab und zu vor sich hin.
»Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Frau gesprochen, Mr Shelley?«, fragt der Mann.
Ich wiege Cressida vor und zurück. »Das habe ich doch alles am Telefon schon gesagt«, erwidere ich. Ich will Antworten. Lösungen. Die Polizisten sollen ihren Zauberstab schwingen und meine Frau hier erscheinen lassen.
»Tut mir leid, aber einige Informationen müssen noch einmal bestätigt werden. Bevor wir die Ermittlungen aufnehmen, müssen wir noch ein paar Fragen stellen.«
»Ich war ab Montag in Edinburgh. Am Dienstag habe ich gegen neunzehn Uhr über FaceTime mit ihr gesprochen«, sage ich mit einem Seufzer. »Manchmal rufe ich auch tagsüber an, aber im Büro war so viel zu tun. Ich hatte gar keine Gelegenheit.«
»Wo arbeiten Sie?«
Ich hieve Cressida in eine andere Position, etwas weiter weg von meinem Ohr. Mit ihren drei Monaten ist sie immer noch winzig; noch kann ich sie der Länge nach auf dem Unterarm halten. Als ich sie so herum lege, gibt sie ein gewaltiges Bäuerchen von sich.
»Gut gemacht«, sage ich, doch sie fängt gleich wieder an zu weinen. »Bei Smyth and Wyatt. Vier Tage die Woche bin ich in Edinburgh, die restliche Zeit in der Filiale am Victoria Embankment.«
Der Officer notiert: Smith & White South - Bank.
»Es ist keine Bank, sondern ein Corporate-Finance-Haus.«
Er streicht seine Notiz durch. »Gut. Gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und Ihrer Frau? Irgendwas, das sie bewogen haben könnte zu gehen?«
»Hören Sie, das habe ich alles schon gesagt. Meine Frau ist nicht gegangen. Cressida ist gerade mal zwölf Wochen alt. El stillt noch.«
Ich bin sauer. Frustriert. Vor allem aber habe ich Angst. Unweigerlich male ich mir aus, welche Sorgen Eloïse sich macht, egal, wo sie ist, denn nachdem es bei Max schwierig war, hat sie alles darangesetzt, Cressida stillen zu können, und sie sagt immer, sie tue es nach Bedarf. Ist das so schwer zu verstehen? Meine Frau ist nicht gegangen; sie will stillen. Sie fragen, was El beruflich macht, und ich erkläre, dass sie gerade in Elternzeit ist, trotzdem aber gelegentlich im Fernsehen auftritt, um über ihre Arbeit zu sprechen.
»Sie hat vor einigen Jahren eine kleine Hilfsorganisation gegründet, die sich um Flüchtlingskinder kümmert. Sehr erfolgreich«, sage ich. »Sie wird oft für Medienauftritte angefragt. Meine Sorge ist, glaube ich, dass . ich weiß es nicht. Es laufen so viele Verrückte herum.« Ich klammere mich an jeden Strohhalm, schon klar, aber mir schwirrt alles Mögliche durch den Kopf, und mein Körper vibriert vor Adrenalin....
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