Schweitzer Fachinformationen
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Johanna
»Halte dich gerade, Mädchen, um des lieben Himmels willen!« Henriette von Seybach stieß den Stock auf den Boden, und Johanna drückte unweigerlich den Rücken durch. Ihre Großmutter ging um sie herum, langsam, als begutachtete sie ein Pferd, machte dazu ein paar recht passende Schnalzlaute und stieß den Stock schließlich ein weiteres Mal so kräftig auf den Marmorboden, dass Johanna zusammenzuckte.
»Gräfin von Seybach, lassen Sie sie doch erst einmal ankommen«, sagte einer der beiden dunkelhaarigen jungen Männer, die gerade in die Eingangshalle traten.
»Eben«, kam es von seinem Begleiter. »Sie ist ja kaum zur Tür herein.«
»An deinen Cousin Maximilian erinnerst du dich ja gewiss noch«, sagte die Großmutter und deutete auf den, der zuletzt gesprochen hatte. »Und der junge Herr neben ihm, der gerade gehen möchte , ist der Graf von Reuss. Ich frage mich, ob er hier wohl demnächst als Dauerkonversationspartner ein Zimmer im Lilienpalais beziehen möchte. Fehlt nur noch der Dritte im Bunde, der junge Herr von Löwenstein, aber ihn halten wohl die diplomatischen Angelegenheiten des Landes beschäftigt.«
Johanna begegnete erst dem Blick ihres Cousins, dann dem seines Freundes - hielt diesen einen Moment länger fest, als statthaft war. In den braunen Augen des Grafen von Reuss meinte sie einen gewissen Schalk zu erkennen, und als er lächelte, konnte sie nicht anders, als es zu erwidern. Er war attraktiv und wirkte auf eine weltgewandte Art elegant in dem dunklen Rock, der ihm wie auf den Leib geschneidert saß. Alexander von Reuss blieb am Fuß der Treppe stehen, sein Blick hielt immer noch den Johannas, und kurz war es ihr, als wollte der junge Graf etwas sagen, als die resolute Stimme der Großmutter erneut erklang und der Moment erwartungsvoller Stille zerstob.
»Geh und sag deinem Vater Bescheid, dass deine Cousine ange kommen ist«, befahl Henriette von Seybach, an Maximilian gewandt. Dabei schlug sie die Stockspitze gegen den Saum von Johannas Kleid, als müsste sie verdeutlichen, wer gemeint war.
Maximilian verdrehte die Augen, sagte aber nichts, sondern ver ließ kopfschüttelnd die feudale Eingangshalle.
»Und du!«, dieses Mal verfehlte die Stockspitze Johannas Fuß nur knapp, »Haltung, habe ich gesagt! Starren ist zutiefst un höflich.«
Folgsam senkte Johanna die Lider und sah zu Boden, hörte, wie sich Maximilians Schritte sowie die des jungen Grafen von Reuss entfernten. Sie wollte wieder fort, wollte nach Hause, nach Königsberg, wollte es so unbedingt, dass sie gar für einen Moment die Augen schloss, als bedürfte es nur eines Blinzelns, und sie stünde wieder in ihrem Zimmer, inmitten von Wärme und Vertrautheit. Dann verflog dieser flüchtige Moment, und sie war wieder hier, in jener marmorglänzenden Halle, die Entree und Wintergarten zugleich war. Vorsichtig, stets in Erwartung einer weiteren Ermah nung, hob Johanna den Blick, ließ ihn über üppig aus Kübeln wachsendes Grün wandern, über ein mit roter, golddurchwirkter Seide bezogenes Kanapee, über die schön geschwungene Treppe, die zu einer Galerie in der Beletage und einer weiteren im zweiten Stockwerk führte. Johanna hob den Blick noch weiter und sah in die prachtvolle Glaskuppel, die durch mehrfaches Brechen aus dem einfallenden Sonnenlicht eine funkelnde Kaskade machte.
»Beeindruckend, nicht wahr?«, hörte sie eine Männerstimme sagen und wandte den Kopf. Ihren Onkel Carl hatte sie seit mehreren Jahren nicht gesehen, verändert hatte er sich indes nicht. Schlank, hochgewachsen, aristokratische Züge, braune Augen. Nur Haar und Schnurrbart waren mittlerweile vollständig ergraut. Er betrachtete sie nachdenklich, schüttelte dann leicht den Kopf und sagte schließlich: »Was mache ich jetzt mit dir, hm?«
Da Johanna darauf schlechterdings keine Antwort geben konnte, schwieg sie.
»Ich habe ja gleich gesagt«, ereiferte sich ihre Großmutter, »dass Constantin diese Frau niemals hätte heiraten dürfen.« Constantin war Johannas Vater, diese Frau ihre Mutter. »So ein Irrsinn. Was hat er bei den Missionaren in Afrika zu suchen? Das war doch niemals seine Idee.«
»Nun ja«, wagte Johanna einzuwenden, »streng genommen .«
Der Knall, mit dem der Stock auf den Boden gestoßen wurde, brachte sie zum Schweigen. »Sprich erst, wenn du angesprochen wirst!«
Wie bitte? War sie hier auf einem Kasernenhof? Ihre Eltern hatten ihr nicht einmal im Kleinkindalter den Mund verboten.
»Aber du«, die Großmutter stieß den Finger in Carls Richtung, »hast mir ja in den Ohren gelegen, den Jungen heiraten zu lassen.«
»Der Junge «, gab Carl gereizt zurück, »hatte da bereits die dreißig überschritten, und nach all seinen Eskapaden können wir froh sein, dass er überhaupt geheiratet hat.« Im selben Moment wurde ihm offenbar bewusst, dass dergleichen Anspielungen über die Eltern sich in Gegenwart der - unverheirateten! - Tochter keineswegs gehörten, und er räusperte sich so laut, als könne er damit das Gesagte im Nachhinein übertönen.
Ehe Henriette von Seybach antworten konnte, waren eilige Schritte zu hören. »Antoinette! Bei Fuß.«
Die Angesprochene - ein Hund, der eher an ein flauschiges weißes Fellknäuel erinnerte als an französische Eleganz - sah diesen Befehl offenkundig eher als Empfehlung an, denn sie flitzte um die Ecke, schlitterte auf dem glatten Marmor und landete in Henriette von Seybachs ausladenden dunklen Röcken. Glücklicherweise war der Hund zu flink für den Stock, mit dem die alte Frau entrüstet nach ihm schlug, und im nächsten Moment kam auch schon eine junge Frau in das Entree gelaufen, Johannas Cousine Isabella, das achtzehnjährige Nesthäkchen der Familie.
»Antoinette! Großmutter, tu ihr nicht weh!« Sie kniete sich hin und fischte unter dem Kleid der Großmutter nach dem Hund. Johanna spürte, wie ein heftiger Lachreiz in ihr aufstieg, und biss sich auf die Unterlippe, um der Situation mit dem nötigen Ernst zu begegnen.
Eine Frau betrat die Eingangshalle, erfasste die Situation mit einem Blick. »Isabella! Was ist das für ein Benehmen? Sofort stehst du auf.«
Johannas Cousine kam auf die Beine und versuchte, den Hund zu halten, der sich in ihren Armen wand.
»Schaff diese Promenadenmischung aus dem Haus!«, schimpfte Henriette von Seybach, während sie mühevoll ihre Röcke und Unterröcke ordnete. »Und dann dieser französische Name! Du bist wohl toll!«
Johannas Gesicht war ganz heiß vor Anstrengung, nicht zu lachen. Sie sah die Frau an, die nun vor Isabella stand und sie prüfend musterte.
»Der Hund bleibt«, mischte sich Carl ein. »Darüber haben wir gesprochen. Wenn es Isabella gefällt, Hunde zu halten, dann mag sie das tun. Das schult das Gefühl für Erziehung und Verantwortung, nicht wahr, mein Liebes?« Sein Blick, der vorher noch so unschlüssig auf Johanna geruht hatte, wurde ganz weich vor väterlicher Zuneigung, als er nun seine Tochter ansah.
»Vor allem Erziehung «, murmelte Henriette von Seybach. Dann straffte sie sich. »Nanette!« Die Fremde blickte auf, und ihr Blick traf den Johannas. »Meine Enkelin Johanna von Seybach. Ich nehme an, die Räumlichkeiten sind vorbereitet?«
»Ja, gnädige Frau.« Ein subtiler, kaum merklicher Spott lag in den Worten, und Johanna fragte sich, ob nur sie ihn wahrnahm. Die Großmutter würde so ein Verhalten gewiss nicht dulden.
»Johanna, das ist Nanette, die Gouvernante.«
Mit einer leichten Neigung des Kopfes begrüßte sie die Frau, während sie überlegte, woher - um alles in der Welt! - ihr dieses Gesicht bekannt vorkam. Die Gouvernante mochte um die vierzig sein und sprach mit einem leichten Münchner Zungenschlag. Johanna forschte in Nanettes Zügen nach einer Spur des Wiedererkennens. Sie waren sich doch schon begegnet, nicht wahr? Die stumme Frage löste keinen Widerhall im Gesicht der Frau aus.
»Wo ist Maximilian?«, fragte die Großmutter an Carl gewandt. »Er sollte dir doch nur eben Bescheid geben.«
Carl sah sich um, und Johanna fragte sich, ob dieser Ausdruck von Ratlosigkeit womöglich gar nicht ihr geschuldet gewesen war, sondern seine Miene...
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