Schweitzer Fachinformationen
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»Los, los, los!« Afra Haberl, die Hausdame der Familie von Seybach, warf einen gehetzten Blick auf ihre silberne Taschenuhr und ließ sie wieder in der Brusttasche ihres fein gestreiften Kleides verschwinden. »So eilt euch doch, Mädchen! Der junge Erbgraf wird jeden Moment hier eintreffen.« Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete sie die Dienstbotinnen, die mit ihren Staubwedeln und Putzeimern zurück in die Küche liefen. Louisa, die als jüngste Dienstbotin im Palais besonders eilfertig war, huschte an der gebieterischen Hausdame vorbei. Dass Frau Haberl sie immer so triezen musste . Andererseits war das ihre Aufgabe. Wenn bei Maximilian von Seybachs Ankunft irgendetwas nicht perfekt war, würde man es auf sie zurückführen, also war es nur verständlich, dass sie die Mädchen so antrieb. Trotzdem hätte sie dies auch ein wenig freundlicher tun können, fand Louisa.
»Gretel, Annelies, hört auf zu tuscheln!«, ermahnte Afra Haberl gleich darauf die beiden Küchenhilfen. Jedes Mal, wenn jemand auf den Sohn des Hauses zu sprechen kam, wurden diese ganz aufgeregt und vergaßen alles um sich herum. »Für solche Albernheiten haben wir keine Zeit. Wie weit ist das Essen, Berti?«
Die mollige Köchin hob den Deckel eines Topfes an und pikste mit einer Fleischgabel so in den Braten, dass der Saft herausspritzte. »Ha, a Wiele wird des Fleisch scho no braucha«, sagte sie in ihrem schwäbischen Singsang.
Afra Haberl wandte den Blick zur Decke. »Der Herr weiß, warum ich das verdient habe«, murmelte sie.
Annelies und Gretel, die an dem großen Holztisch in der Küchenmitte Kartoffeln schälten, kicherten wieder. Wenn die Herrschaft gegessen hatte und sich der Abend dem ruhigeren Teil zuwandte, würden sich später hier die Dienstboten versammeln, die Reste genießen und sich über die aufgeschnappten Neuigkeiten austauschen. Das war der Vorteil, wenn im Lilienpalais, wie Herrschaft und Diener das Haus gleichermaßen liebevoll nannten, ein feierliches Abendessen gegeben wurde. Zwar sorgten die Vorbereitungen nahezu für eine Verdopplung der täglichen Arbeit, doch Carl von Seybach, der Hausherr, hatte sich noch nie lumpen lassen, wenn es um das Wohl seiner Angestellten ging.
»Dem Herrn han i hit scho a Gebet gschickt, wo sich gwäscht hot«, brummte Berti und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Der Pudding isch nämlich nint worra.«
»Was soll das heißen?«, giftete Afra Haberl sofort. »In der Menübesprechung hatten wir ausdrücklich drei Gänge festgehalten: ein Rübensüppchen, den Sonntagsbraten und einen Pudding mit Obst.«
»Des woaß i scho, aber wega dem wurd der Pudding au it andersch.«
Die Hausdame wurde blass wie der weiß gestärkte Spitzenkragen an ihrem dunkelgrau gestreiften Kleid. »Gott sei mir gnädig«, murmelte sie erneut, und wieder kicherten die Mädchen. »Sag, Louisa! Wie weit ist das Zimmer des gnädigen Herrn?«
Louisa knickste und senkte leicht den Blick. »Alles ist vorbereitet, Frau Haberl«, erwiderte sie mit sanfter Stimme. Sie wusste, dass die Hausdame sie besonders kritisch beäugte, denn sie war als Letzte hier eingestellt worden. Seit einem knappen Jahr arbeitete sie im Hause derer von Seybach. Davor hatte sie eine Anstellung bei den Nachbarn angetreten, doch weil es bei den von Löwensteins nicht so gut gepasst hatte, hatte Carl von Seybach sie abgeworben.
»Gut, das werde ich mir gleich ansehen«, entschied Afra, raffte ihre Röcke und verließ die Küche.
»Mach dich auf ein Donnerwetter vom Gifthaberl gefasst, wenn du die Bettdecke auch nur einen Millimeter zu weit zurückgeschlagen hast«, gluckste Annelies.
»Keine Sorge, ich habe genau darauf geachtet.« Louisa schenkte ihr ein dankbares Lächeln. In den ersten Wochen hatte Frau Haberl sie deutlich spüren lassen, wie viel Glück sie hatte, im Lilienpalais sein zu dürfen. Kein gutes Haar hatte sie an Louisas Arbeiten gelassen, sie die Schuhe mehrfach putzen und die Kerzenleuchter nachpolieren lassen. Immerhin in den Küchenhilfen hatte Louisa gleich Verbündete gefunden.
»Ihr solla Erdepfel schela un it Maulaff feilhalta!«, ermahnte Berti sie, die einen großen Topf mit Wasser auf den Herd wuchtete. »Louisa, hosch dia Servierplatta scho poliert?«
Louisas Augen weiteten sich erschrocken. Das hatte sie in dem Eifer ganz vergessen. Seit der Brief des Erbgrafen angekommen war, befand sich das ganze Haus in Aufruhr.
»Na, hopp, bevor des Gifthaberl kunnt!« Berti zwinkerte ihr zu.
Louisa setzte sich zu den Dienstbotinnen an den Küchentisch und begann damit, die silbernen Servierplatten mit dem Familienwappen - ein Helm mit Schild, dessen obere Hälfte die bayrischen Rauten zeigte, die untere in Anlehnung an den Familiennamen einen sich dahinschlängelnden Bach - zu polieren.
»Ob der Erbgraf alleine anreist?« Gretel hielt einen Moment inne und blickte verträumt vor sich hin.
»Darauf hoffst du wohl, was?« Ein unsanfter Stoß von Annelies in die Rippen ließ Gretel mit dem Kartoffelschälen weitermachen.
»Jede hofft das«, verteidigte sich die Dienstbotin, und Louisa spürte, wie ihr Gesicht eine sanfte Röte überzog. Schnell senkte sie den Kopf noch ein wenig tiefer, damit es im Schein der Kerzen nicht auffiel.
»Eine gute Partie ist er, unser junger gnädiger Herr. Vor allem jetzt, wo er auch ein Doktor ist«, seufzte Annelies sehnsüchtig. »Und so lange schon lässt er die heiratsfähigen Damen Münchens zappeln. Aber von einem wie ihm kann unsereins nur träumen. Ein Skandal wäre das.«
»Sunsch hot des Personal jo nint zum Schwätza«, brummte Berti vom Herd aus.
»Soweit ich weiß, ist er um die Weihnachtszeit öfter mit Helene von Riepenhoff ausgegangen«, sagte Gretel.
Louisa musste schlucken, als sie daran dachte, wie oft er und die Komtess zusammen gesehen worden waren. »Man sagt sogar, dass er zum Neujahrsessen bei ihr im Hause eingeladen war.« Die Erinnerung daran versetzte ihr immer noch einen kleinen Stich.
»Bei dem großen Adventsball hat man sie auch des Öfteren zusammenstehen sehen«, meinte Annelies.
»Ja, aber getanzt hat er nicht mit ihr, oder?«, wandte Gretel ein.
»Die Erdepfel, Meidle!«, rief Berti mit durchdringender Stimme.
Die drei Dienstbotinnen warfen einander amüsierte Blicke zu und kicherten wieder.
»Vielleicht tanzt er ja nicht gerne?«, fragte Louisa neugierig, doch auf Bertis Räuspern hin schwieg jetzt auch sie.
»Louisa?«
Sie zuckte zusammen, als sie die Stimme der Hausdame hinter sich hörte. Sofort stand sie auf und sah Afra Haberl mit klopfendem Herzen an. »Ja, Frau Haberl?«
»Gute Arbeit.« Afras Lippen waren schmal wie die Nadelstreifen auf ihrem Kleid, als bereitete es ihr größte Mühe, das Kompliment auszusprechen. »Du hast heute eine Premiere: Du wirst beim Abendessen servieren. Anna ist leider unpässlich. Oben auf dem Dachboden steht eine Kleidertruhe. Nimm dir von dort eine Dienstbotenuniform. So kannst du dich keinesfalls sehen lassen.« Missbilligend blickte sie an Louisas dunkelbrauner Robe hinunter. Der grobe Stoff war nicht der beste, doch er wärmte gut, war schmutzresistent und reißfest, und ihre Familie hatte es einen ganzen Monatslohn gekostet, um für Louisas neue Anstellung dieses Kleid fertigen zu lassen.
Die Hausdame griff sich in ihre ergrauenden Locken, die sie fest nach hinten gesteckt hatte, und prüfte geistesabwesend, ob sich auch ja keine Haarsträhne aus ihrer strengen Frisur gelöst hatte. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte. »Finni soll dir helfen. Es gibt bestimmt noch ein Kleid, das dir passt und in dem du der Herrschaft unter die Augen treten kannst. Und solltest du dich bewähren, lassen wir dir deine eigene Uniform schneidern - oder eines der Kleider für dich abändern«, fügte sie mit gekräuselten Lippen hinzu.
Louisa nickte, doch sie stand noch immer wie festgewachsen vor der Hausdame.
»Na los!«, rief diese. »Oder brauchst du eine gesonderte Einladung?«
»Nein, Frau Haberl.«
»Wir sehen uns in .« Sie zog wieder ihre silberne Taschenuhr aus der Brusttasche. »Sieben Minuten. Und lass dir von Finni zeigen, wie man einen ordentlichen Haarknoten macht.«
Louisa knickste und lief, zwei Stufen auf einmal nehmend, das hintere Treppenhaus des Stadtpalais nach oben in den zweiten Stock. Das vordere Treppenhaus mit der imposanten Glaskuppel, dem üppig begrünten Wintergarten, in dem es gerade zuging wie in einem Ameisenhaufen, und den beeindruckenden Balustraden war der Familie und deren Gästen vorbehalten. Louisa hatte noch am Mittag auf der Leiter gestanden und dort das Porträt Eloise von Seybachs, der verstorbenen Gemahlin des Hausherrn Carl, abgestaubt. Eine wunderschöne Dame mit blonden Locken, kunstvoll zu einer Frisur gesteckt, und dazu trug sie ein champagnerfarbenes Kleid, das sie elfenhaft und zart wirken ließ. Sie musste eine beeindruckende Frau gewesen sein, und manchmal fragte sich Louisa, ob der Schatten ihres Todes noch immer über dem Haus lag, denn die Gräfin war viel zu früh an Schwindsucht gestorben. Louisa hatte wie jede Woche die Lilien - Gräfin Eloises Lieblingsblumen, denen das Palais seinen Namen verdankte - aus der Bodenvase vor dem Gemälde genommen und gegen einen frischen Strauß aus dem Gewächshaus getauscht.
Sie erreichte die zweite Etage, in der die privaten Gemächer der Herrschaft untergebracht waren. Zur Straße hin hatten Carl von Seybach und sein Sohn Maximilian ihre Zimmer, dahinter lagen die Räume der Hausherrin Gräfin Henriette,...
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