Das Vermächtnis des Toten
Ich konnte die Italiener nie besonders leiden. Um ehrlich zu sein, sie mich auch nicht. Iren und Italiener sind hier in Chicago wie Feuer und Wasser. Dennoch empfand ich keine Befriedigung, als der Maler den Namen meines Partners von der Bürotür kratzte. Das Joe von Joe Bonadore war schon weg. Eigentlich ist er ja auf den Namen Giovanni getauft worden, aber so waren sie halt in der zweiten Generation, wollten unbedingt als waschechte Amerikaner durchgehen. Ein Blick in sein Gesicht und man wusste, wo die Wiege seiner Familie stand. Jetzt lag er sechs Fuß unter der Erde und von seinem Gesicht war auch nicht mehr viel übrig geblieben. Was ihn voll erwischt hatte, konnte selbst der Gerichtsmediziner nicht mit Bestimmtheit sagen, am wahrscheinlichsten waren wohl fünf Kilo Eisen an einem entsprechend langen Hammerstiel.
Sie hatten ihn vor einer Woche unten auf der South Side in der Nähe der Wabash gefunden, einer Gegend, wo man nicht sterben will, es aber ziemlich häufig tut. Bonadore und ich hatten zwar keine Geheimnisse voreinander, aber ich wusste nicht mehr, als dass er an einer Scheidungssache dran gewesen war, vor denen ich mich immer zu drücken versuchte. Mir lag es einfach nicht, in den Schlafzimmern anderer Leute herumzuspionieren.
Das Tapetenmesser des Malers quietschte über die Türscheibe. Ich sah dem Mann zu, wie er meinen Partner noch einmal Stück für Stück auslöschte. Als er fertig und mit einem Fünfer verschwunden war, stand auf der Tür nur noch:
PAT CONNOR
PRIVATE INVESTIGATIONS
Wobei zwischen meinem Namen und dem P. I. eine hässliche Lücke klaffte. Ich legte meine Beine auf den Schreibtisch und starrte auf den leeren Platz zu meiner Linken. Die tief stehende Sonne warf einen hellen Schein auf den Schreibtisch meines Ex-Partners und den schmalen Aktendeckel mit den Ermittlungsunterlagen des Falls, den er nicht mehr hatte abschließen können. Das alles war mir zuwider: Die hässliche Leiche von Bonadore, die ich identifizieren musste, der tränenerfüllte Rehblick seiner Dauerverlobten Lucia bei der Beerdigung, mit dem sie mich bat, seinen Mörder zu finden, der prompte Hinweis von unserer, jetzt meiner, Sekretärin Betty, dass ich mich ranhalten müsste, damit ich sie bezahlen könnte, und schließlich das geheuchelte Mitgefühl von Lieutenant Quirrer, der uns Privatdetektive sonst nur als Kanalratten bezeichnete. Missmutig zog ich die unterste Schublade meines Schreibtischs auf und kramte von ganz hinten den verbeulten Flachmann mit der Notreserve hervor. Es gab wahrlich genügend Gründe, sich zu betrinken, und einer der besten davon war die Prohibition.
***
Direkt neben mir erfolgte eine Explosion, die mich aus dem Schlaf riss. Das Scheppern von Glas hallte in meinem Schädel nach, der über Nacht um das Dreifache angewachsen zu sein schien.
»Na, mal wieder abgestürzt.«
Ich öffnete die Augen und sah zuerst verschwommen, dann aber leider ganz deutlich Betty Meyer. Sie stand, die Arme kampflustig in die Hüften gestützt, vor ihrem Schreibtisch und hatte, als sie mich auf der Couch liegen sah, die Bürotür kräftig zugeworfen. Sie war so mitfühlend wie eine Backsteinmauer, wenn man dagegen rannte.
»Kommen Sie hoch, Pat. Die Arbeit wartet. Geld verdienen, um die treue Seele des Büros zu bezahlen.«
»Wieso«, krächzte ich und kippte mich mühsam in die Vertikale, eine Bewegung, die meinen Kopf heftig protestieren ließ. »Joe ist doch tot.« Ich merkte, wie es in ihrem Kopf ratterte, dann rasteten die Zahnräder ein und sie knallte ihre Handtasche auf den Tisch.
»Pat, ich kündige!«
Mir war alles recht, wenn nur wieder Stille einkehren würde. Trotzdem siegte die Vernunft. »Hören Sie, Betty, ich weiß doch, was ich an Ihnen habe, aber heute Morgen geht es mir nicht so gut. Vergessen Sie's einfach. Gehen Sie zur Tür hinaus, kommen noch mal rein - und dann beginnen wir ganz von vorne.«
»Morgen?« Sie verzog doch tatsächlich angeekelt ihr Gesicht. »Heute ist Mittwoch, da arbeite ich nachmittags.«
Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand hinter Joes verwaistem Schreibtisch. Die Stellung der Zeiger konnte halb zwei nachts oder halb zwei mittags bedeuten. Die Stellung der Sonne war allerdings eindeutig. Mit trübem Blick verfolgte ich, wie Betty sich an ihren Schreibtisch setzte und nichts tat.
Ich schraubte mich von der Couch hoch und ging an ihr vorbei ins Bad. Mehrere Hände voll kaltem Wasser brachten mich so weit ins Leben zurück, dass ich den Kerl rasierte, den ich im Spiegel eigentlich nicht wieder erkannte. Dann schlich ich zu Joes Schreibtisch und nahm mir den Aktendeckel mit seinem letzten Fall vor. Irgendwann musste ich schließlich anfangen, etwas für mein Ehrgefühl zu tun. Betty lackierte sich hingebungsvoll die Fingernägel und ich bezahlte ihr fünfundzwanzig Dollar die Woche dafür.
Obenauf lag ein Blatt, auf dem der Name des Klienten, Jack Wallmer, verzeichnet war, der auf der North Side in einem der besseren, fast guten Viertel wohnte und Zollinspektor unten an den Chicago-Docks war. Er hatte Joe damit beauftragt, seine Frau Sylvia zu überwachen, von der er annahm, dass sie sich in eindeutiger Weise herumtrieb. Hauptsächlich in ein paar bekannten Jazzklubs auf der South Side. Joe sollte ihm den Beweis dafür bringen, dass es dabei nicht nur um den reinen Kunstgenuss ging, sondern dass die Lady auf fremden Flöten spielte. Verdammt, es war genau die Art von Auftrag, vor der ich normalerweise so schnell ich konnte davon lief.
Auf dem zweiten Blatt waren einige Notizen von Joe, die ich mit Müh und Not entziffern konnte. Er hatte festgestellt, dass die Lady wohl ein festgelegtes Programm hatte. Es begann meist, wenn ihr Mann nachts an den Docks zu tun hatte, im Star Blush, State Street Ecke 15th. Der Name sagte mir nichts. Dann folgten ein paar der üblichen Speakeasys, wohl um aufzutanken, und es endete im Lee Side Club an der oberen Wabash. Ein recht gutes Etablissement, wo man schon mal die Riege der Stadträte treffen konnte, ganz abgesehen von den Leuten, die mit irgendwelchen Geschäften nicht unter 200.000 im Jahr machten.
Ganz unten auf der Seite war noch ein Name gekritzelt: Piet de Holden. Das war's. Nur noch ein Foto. Wenn die Frau darauf, und daran zweifelte ich nicht, Mrs. Wallmer war, dann alle Achtung. Blond, ungefähr eins siebzig groß und mit einer Figur, die Jesus vom Kreuz herabsteigen lassen würde.
Kein Ansatzpunkt. Ich warf den Aktendeckel auf Joes Schreibtisch. Wem war er so heftig auf die Füße getreten, dass man ihn mit einem Hammer rasiert hatte? Vielleicht hatte er ja bei seiner Verlobten geplaudert. Ich rief die Barnington-Versicherungsgesellschaft an, wo Lucia als Schreibkraft arbeitete, und ließ ihr ausrichten, sie solle mich nach Feierabend in Joes Wohnung treffen. Aus der mittleren rechten Schublade fischte ich die Reserveschlüssel von Joes Wohnung. Bettys Fingernägel erstrahlten inzwischen in frischem Glanz.
»Ich geh jetzt frühstücken«, erklärte ich und nahm meinen Hut vom Garderobenständer. Sie warf mir einen Blick zu, der an Verachtung nicht zu überbieten war. »Sie können heute früher Schluss machen, ich brauch Sie nicht mehr. Das heißt, wenn Ihre Fingernägel Sie auch nicht mehr brauchen.«
Das hatte gesessen.
***
Ich hatte Joes Wohnung schon auf den Kopf gestellt und saß niedergeschlagen in einem Sessel, als es zaghaft an der Tür klopfte. Bevor ich »Herein« sagen konnte, wurde sie schon vorsichtig aufgeschoben.
»Komm rein, Lucia«, forderte ich die verschüchterte Gestalt auf, die sich im Türrahmen zeigte. Bonadores Dauerverlobte, jetzt Pseudowitwe, war nicht unbedingt mein Fall; sie hatte etwas zu viel Rundungen an den falschen Stellen, war aber ein nettes Mädchen und hatte zu meinem beleibten Partner gepasst.
Sie blickte sich irritiert um. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, nach meiner Suche nach Hinweisen auf Bonadores letzten Fall wieder Ordnung zu schaffen. Ich quälte mich aus dem Sessel und überließ ihn ihr.
»Wie geht's dir?«, fragte ich überflüssigerweise. Ihr bleiches Gesicht mit den dunklen Augenringen sprach Bände. Stumm schüttelte sie den Kopf.
»Und?« Es war wenig mehr als ein Lufthauch.
Ich schüttelte eine Lucky Strike aus dem Päckchen und zündete sie mir an. Irgendwie musste ich Zuversicht verbreiten. »Ich bin an der Sache dran«, erklärte ich so, als ob ich seit Tagen nichts anderes getan hätte, »aber ich komm nicht so recht weiter. Wenn sein letzter Fall etwas damit zu tun hat .«
»Aber natürlich«, warf Lucia mit einer Bestimmtheit ein, die mich hoffen ließ.
»Du weißt etwas darüber?«, hakte ich hoffnungsvoll nach.
»Natürlich. Er hat immer alles mit mir besprochen.« Sie richtete sich im Sessel auf. »Er war an einer Scheidungssache dran. Sylvia Wallmer, die hat sich immer in irgendwelchen Klubs herumgetrieben mit irgendwelchen Kerlen. Joe hat sie nächtelang verfolgt. Wir haben uns kaum noch gesehen. Immer wenn ich von der Arbeit kam, war er schon auf dem Sprung und kam erst in den frühen Morgenstunden nach Hause.«
»Und weiter?«
Sie sah mich mit großen Augen an. Mir wurde klar, dass sie eigentlich nichts wusste, jedenfalls nicht mehr, als ich aus dem Gekritzel im Büro erfahren hatte. Anscheinend war Joe doch nicht so gesprächig gewesen.
»Das muss doch genügen. Diese Wallmer hat ihn bestimmt aus dem Weg geräumt, als er ihr auf die Schliche kam.«
Ich behielt für mich, dass die Lady nicht so aussah, als ob sie mit einem Fünfkilohammer umgehen könnte. Vielleicht hatte sie die...