Schweitzer Fachinformationen
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Bosch machte das Warten nichts aus. Die Aussicht war überwältigend. Er setzte sich nicht auf die Couch des Wartezimmers, sondern stellte sich ganz dicht an die Glasscheibe und genoss den Blick über die Dächer von Downtown Los Angeles zum Pazifik. Er war im neunundfünfzigsten Stock des U. S. Bank Tower, und Creighton ließ ihn warten, weil er das aus Prinzip tat. Das war schon so gewesen, als er noch im Parker Center war. Damals hatte man allerdings im Wartezimmer nur von ziemlich weit unten auf die Rückseite der City Hall geschaut. Seit seiner Zeit beim Los Angeles Police Department war Creighton zwar nur fünf Straßen weiter gezogen, aber nach oben war er erheblich weiter aufgestiegen, bis in die luftigen Höhen, in denen die Finanzgötter der Stadt zu Hause waren.
Trotz des Blicks verstand Bosch nicht, wie jemand sein Büro im Tower behalten konnte. Als höchstes Gebäude westlich des Mississippi war er schon das Ziel zweier vereitelter Terroranschläge gewesen. Bosch konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Umstand nicht jedem, der Morgen für Morgen durch die Glastüren trat, neben dem berufsbedingten Stress zusätzliches Unbehagen bereitete. Eine gewisse Abhilfe schaffte da höchstens der verglaste Turm des Wilshire Grand Center, der ein paar Straßen weiter in den Himmel ragte. Nach seiner Fertigstellung würde ihm die Auszeichnung »höchstes Gebäude westlich des Mississippi« zufallen - und vermutlich auch die damit einhergehende Funktion als Zielscheibe.
Bosch freute sich über jede Gelegenheit, seine Stadt von hoch oben zu betrachten. Als junger Detective hatte er oft Extraschichten als Beobachter in einem der Überwachungshubschrauber des LAPD übernommen - einfach nur, um über Los Angeles fliegen zu können und an seine scheinbare Endlosigkeit erinnert zu werden.
Jetzt blickte er auf den Freeway 110 hinab und sah, dass sich der Verkehr darauf bis hinunter nach South Central staute. Auch die Anzahl der Hubschrauberlandeplätze auf den Dächern unter ihm fiel ihm auf. Der Hubschrauber war das Pendlerfortbewegungsmittel der Elite geworden. Angeblich flogen sogar einige der Basketballstars der Lakers und Clippers mit dem Hubschrauber zum Training ins Staples Center.
Das Glas war dick genug, um von draußen kein Geräusch hereindringen zu lassen. Die Stadt lag vollkommen lautlos unter ihm. Das Einzige, was Bosch hörte, war die Empfangsdame, die sich immer wieder mit dem gleichen Spruch am Telefon meldete: »Trident Security, was kann ich für Sie tun?«
Bosch bemerkte einen Streifenwagen, der auf der Figueroa Street mit hohem Tempo in Richtung L. A. Live District fuhr. Die großen Ziffern 01 auf dem Kofferraumdeckel verrieten ihm, dass der Wagen von der Central Division war. Ihm folgte in kurzem Abstand ein LAPD-Hubschrauber, der tiefer flog als die Etage, auf der Bosch sich befand. In diesem Moment wurde er von einer Stimme hinter ihm abgelenkt.
»Mr Bosch?«
Er drehte sich zu einer Frau um, die in der Mitte des Wartebereichs stand. Es war nicht die Empfangsdame.
»Ich bin Gloria«, stellte sie sich vor. »Wir haben bereits am Telefon miteinander gesprochen.«
»Ach ja, stimmt«, sagte Bosch. »Mr Creightons Assistentin.«
»Ja, freut mich, Sie kennenzulernen. Sie können jetzt nach hinten kommen.«
»Gut. Noch etwas länger, und ich wäre gesprungen.«
Sie lächelte nicht. Sie führte Bosch durch eine Tür in einen Flur. Die Aquarelle an den Wänden waren alle im exakt gleichen Abstand gehängt.
»Das Glas ist bruchfest«, sagte sie. »Es hält einem Hurrikan der Stärke fünf stand.«
»Das beruhigt mich aber«, sagte Bosch. »Sollte außerdem nur ein Witz sein. In seiner Zeit als Deputy Chief bei der Polizei war Ihr Chef bekannt dafür, die Leute warten zu lassen.«
»Tatsächlich? Hier ist mir das aber noch nicht aufgefallen.«
Das ließ Bosch stutzen. Immerhin hatte sie ihn gerade fünfzehn Minuten nach dem vereinbarten Termin im Wartezimmer abgeholt.
»Das hat er damals vermutlich in einem Ratgeber für Führungskräfte gelesen«, fügte Bosch hinzu. »Sie wissen schon, lass sie warten, auch wenn sie pünktlich sind. Versetzt einen automatisch in die stärkere Position, wenn sie endlich vorgelassen werden. Damit sie merken, dass man viel zu tun hat.«
»Diese Geschäftsphilosophie ist mir neu.«
»Ist ja wahrscheinlich auch eher eine Polizeiphilosophie.«
Sie betraten eine Bürosuite. Im Vorzimmer standen zwei Schreibtische. An einem saß ein Mann von ungefähr Mitte zwanzig in einem Anzug. Der andere war nicht besetzt, und Bosch nahm an, dass er Gloria gehörte. Sie gingen zwischen den Schreibtischen hindurch zu einer Tür. Gloria öffnete sie und trat dann zur Seite.
»Bitte sehr. Darf ich Ihnen eine Flasche Wasser bringen?«
»Nein danke«, sagte Bosch. »Nicht nötig.«
Bosch betrat einen noch größeren Raum mit einem Schreibtisch auf der linken Seite. Auf der rechten befand sich eine Sitzgruppe aus zwei einander gegenüberstehenden Sofas und einem gläsernen Couchtisch dazwischen. Creighton saß an seinem Schreibtisch, ein Zeichen dafür, dass der Termin mit Bosch förmlichen Charakter hatte.
Es war über zehn Jahre her, dass Bosch Creighton persönlich begegnet war. Er wusste nicht mehr, bei welcher Gelegenheit das gewesen war, aber vermutlich war es bei einer Besprechung seiner Einheit gewesen, zu der Creighton erschienen war, um etwas über das Überstundenbudget oder die Reisekostenverordnung des LAPD zu sagen. Damals war Creighton der Cheferbsenzähler gewesen - neben seinen anderen Verwaltungsaufgaben auch zuständig für die Haushaltsplanung der Polizei. Er war bekannt dafür gewesen, dass er es mit der Genehmigung von Überstunden sehr genau nahm und auf ausführlichen schriftlichen Begründungen bestand, die auf grünen Formularen eingereicht werden mussten. Da die Genehmigung - oder Ablehnung - normalerweise erst erfolgte, wenn die Überstunden bereits abgeleistet waren, wurde diese neue Regelung als Maßnahme betrachtet, Polizisten davon abzubringen, Überstunden zu machen, oder sie, noch schlimmer, Überstunden einlegen zu lassen und diese dann nicht zu genehmigen oder mittels Freizeitausgleich abzugelten. Es war in dieser Phase seiner Polizeilaufbahn, dass Creighton bei der Truppe den Spitznamen »Kretin« bekam.
Obwohl Creighton schon bald danach in die Privatwirtschaft gewechselt war, blieben die »Greenies«, wie die grünen Formulare genannt wurden, weiter in Gebrauch. Bei der Polizei erinnerte man sich nicht wegen eines spektakulären Rettungseinsatzes oder Schusswechsels oder wegen der Festnahme eines besonders gefährlichen Kriminellen an Creighton, sondern wegen der grünen Überstundenformulare.
»Kommen Sie rein, Harry«, sagte Creighton. »Nehmen Sie Platz.«
Bosch ging zum Schreibtisch. Creighton war ein paar Jahre älter als er, aber noch in guter körperlicher Verfassung. Er stand hinter seinem Schreibtisch und hielt ihm die Hand entgegen. In seinem maßgeschneiderten grauen Anzug sah er nach Geld aus. Bosch schüttelte ihm die Hand und nahm vor dem Schreibtisch Platz. Er hatte sich für den Termin nicht in Schale geworfen, sondern trug Bluejeans, ein blaues Jeanshemd und ein dunkelgraues Sakko, das schon mindestens zwölf Jahre alt war. Neuerdings hingen Boschs Anzüge aus seiner Zeit bei der Polizei in Plastikschutzhüllen im Schrank. Sie bloß für einen Termin beim Kretin herauszunehmen, hatte er nicht für nötig befunden.
»Wie geht's, Chief?«, fragte er.
»Die Chief-Zeiten sind längst vorbei«, sagte Creighton lachend. »Ab jetzt einfach John.«
»Dann also John.«
»Sorry, dass ich Sie habe warten lassen, Harry. Ich hatte einen Kunden am Telefon, und, na ja, Sie kennen das ja, der Kunde hat immer Vorrang.«
»Klar, kein Problem. Einen tollen Blick haben Sie hier.«
Das Fenster hinter Creighton ging in die andere Richtung, nach Nordosten über das Civic Center hinweg bis zu den schneebedeckten Gipfeln von San Bernardino. Bosch vermutete aber, dass sich Creighton nicht wegen der Berge für dieses Büro entschieden hatte, sondern wegen des Civic Center. Denn so konnte er von seinem Schreibtisch auf den Turm der City Hall, das Police Administration Building und das Los Angeles Times Building hinabschauen. Hier thronte er über ihnen allen.
»Die Welt von hier oben zu sehen hat schon was«, sagte Creighton.
Bosch nickte und kam zur Sache.
»Also, was kann ich für Sie tun . John?«
»Zuerst möchte ich Ihnen danken, dass Sie hergekommen sind, ohne zu wissen, was ich von Ihnen will. Gloria hat gesagt, es wäre nicht ganz einfach gewesen, Sie dazu zu bewegen.«
»Ja schon, tut mir leid. Aber wie ich ihr bereits am Telefon gesagt habe, bin ich nicht interessiert, wenn es dabei um einen Job geht. Ich habe nämlich bereits einen.«
»Ich weiß. In San Fernando. Aber wahrscheinlich nur Teilzeit, oder?«
Bei dem leicht spöttischen Unterton, in dem Creighton das sagte, musste Bosch an einen Spruch aus einem Film denken, den er mal gesehen hatte: »Wenn du kein Cop bist, bist du der letzte Arsch.« Und man war sogar dann der letzte Arsch, wenn man nur für ein kleines Police Department arbeitete.
»Ich habe dort so viel zu tun, wie ich zu tun haben möchte«, sagte er. »Außerdem habe ich eine Lizenz und übernehme den einen oder anderen privaten Auftrag.«
»Die Sie alle auf Empfehlung bekommen, richtig?«
Bosch sah Creighton kurz an.
»Soll ich mich jetzt etwa beeindruckt zeigen, dass Sie Erkundigungen über mich eingezogen haben?«, fragte er schließlich. »Ich habe kein Interesse daran, hier zu arbeiten. Egal, wie viel Sie zahlen, und egal, was es für Fälle...
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