1. KAPITEL
Kauai.
Endlich.
Die Garteninsel galt als einer der schönsten Orte der Welt, und zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Megan Hart mit ihrer Künstlerseele die unterschiedlichen Eindrücke begierig in sich aufgenommen. Die Wärme der exotisch duftenden Luft auf ihrer Haut, das leuchtende Grün der tropischen Regenwälder mit den unzähligen strahlend bunten Blumen, das überraschend schwarze Lavagestein, das von Geschichte und Geheimnissen sprach.
Doch es war zwei Uhr nachts, und sie saß auf einer unbequemen Holzbank draußen vor dem Haupteingang des Lihue Airports. Drinnen herrschte Chaos. Frustrierte Fluggäste mussten sich wegen Störungen im Flugbetrieb mit geänderten Abflugzeiten und Flugausfällen herumschlagen, weil die Flieger, die eigentlich hätten ankommen sollen, irgendwo festsaßen.
Keona, der Fahrer, den das Hale Iwa Kai Resort für Meg geschickt hatte, hatte einen kurzen Blick auf ihr müdes Gesicht geworfen. Dann hatte er ihr sanft den Gepäckschein aus der Hand genommen und sie nach draußen gescheucht.
Ihre Begeisterung über ihren ersten Trip nach Hawaii hatte spätestens vor zwei Tagen einen Dämpfer bekommen, als plötzliche Winterstürme Flugreisen in Nordamerika in ein absolutes Chaos verwandelt hatten.
Zum dritten Mal umgeleitet, war Meg an einem Flughafen im Mittleren Westen gestrandet und hatte durch die großen Fenster nach draußen auf eine Piste gestarrt, die der Schneesturm vollständig unter sich begraben hatte.
Und während sie in das undurchdringliche Weiß starrte, war ihr bewusst geworden, dass sie die Hochzeit verpassen könnte.
Und die schreckliche Wahrheit lautete?
Sie war erleichtert gewesen.
Tatsächlich war ihre Angst vor der Feier immer größer gewesen als ihre Begeisterung darüber, Hawaii zu sehen.
Natürlich wollte sie an der Seite ihrer besten Freundin Caylee Van Houtte sein, wenn sie und der Milliardär Jonathon Winston sich bei ihrer hawaiianischen Hochzeit das Jawort gaben. Wie könnte Meg dies nicht wollen, wenn sie Caylee noch nie zuvor so glücklich gesehen hatte? Die Hochzeitsvorbereitungen hatten etliche Monate gedauert, denn selbst ein Milliardär wie Jonathon konnte nicht mal eben so die schönsten Cottages des Hale Iwa Kai Resorts buchen.
Nein, es ging nicht darum, dass sie diese Momente mit Caylee und Jonathon nicht teilen wollte.
Und es ging auch nicht darum, dass Meg sich vor ihrem Reisefluch fürchtete, der sicher auch hier diesmal wieder zuschlagen würde. Obwohl dieser Fluch ihr schon einen gebrochenen Fuß in Paris, eine Lebensmittelvergiftung in Thailand und eine Unterkühlung in der Schweiz eingebrockt hatte.
Nein, Meg hatte Angst davor, Morgan Hart wiederzusehen, den Mann, der bald ihr Ex-Mann sein würde. Seit acht Monaten waren sie nun getrennt, und jedes Mal, wenn sie über ihre gescheiterte Ehe nachdachte, hatte sie das Gefühl, von einer Dunkelheit verschluckt zu werden, die ihr jede Luft nahm, sodass sie nicht wusste, wie sie das überleben könnte.
Und natürlich würde sie Morgan bei der Hochzeit sehen.
Zum ersten Mal nach der Trennung! Denn nach ihrer bitteren Entscheidung hatte Meg ihre Koffer gepackt, war von Vancouver nach Ottawa gezogen und hatte sich nicht mehr bei Morgan gemeldet.
So war es am besten gewesen. Ein klarer Schnitt, ohne dass die Chance bestand, ihm noch einmal über den Weg zu laufen. Aber jetzt war er der Trauzeuge ihrer ehemaligen Ehrenbrautjungfer .
Vielleicht hatte Morgan schon eine Neue, aber sie hatte es nicht über sich gebracht, Caylee zu fragen, ob er eine Frau mit zur Hochzeit bringen würde. Aber ihre Freundin hätte das doch sicher erwähnt?
Morgan und Jonathon waren seit ihrer Kindheit beste Freunde - so wie sie und Caylee.
Es war Meg gewesen, die Caylee damals Jonathon vorgestellt hatte.
Wie konnte sie Morgan wiedersehen, ohne dass es ihr erneut das Herz brach?
Besonders vor dem Hintergrund einer Hochzeit! Auch wenn sie selbst nur eine kleine Hochzeit gehabt hatten, wie könnte ein so romantisch aufgeladenes Ereignis in Meg nicht Erinnerungen daran wecken, wie Morgan und sie sich das Jawort gegeben hatten? Wie sich herausstellte, war sie so naiv gewesen zu glauben, es sei für immer.
Hör auf damit! befahl Meg sich im Stillen.
In den letzten achtundvierzig Stunden hatte sie nur wenig geschlafen. Vielleicht lag es nur an ihrer Erschöpfung, dass sie das Gefühl hatte, es nicht schaffen zu können. Außerdem wusste Meg seit dem Tag, als sie ihn verlassen hatte, dass sie Morgan bei dieser Hochzeit nicht aus dem Weg gehen konnte.
Sie war bis jetzt immer sicher gewesen, ihm kühl begegnen zu können, sodass er nicht merken würde, dass sie ihn noch liebte. Und dass sie ihn immer lieben würde.
Morgan würde nie erfahren, dass sie immer noch nachts aufwachte und die Hand nach ihm ausstreckte. Um sich dann in den Schlaf zu weinen, wenn sie merkte, dass er nicht da war.
Dass sie in schwachen Momenten seine Fotos auf ihrem Handy ansah, sein Gesicht berührte. Oder dass sie von der Erinnerung an seinen Duft verfolgt wurde, der sie mit einer Sehnsucht, einem Verlangen erfüllte, das niemals befriedigt werden konnte.
Und er würde nie den wahren Grund erfahren, warum sie ihn verlassen hatte .
Meg wurde abrupt aus ihren Gedanken gerissen, als Keona in seinem bunten Hawaii-Hemd durch die Tür trat und ihr einen mitfühlenden Blick zuwarf. Einen Moment glaubte sie, ihr Gepäck sei nicht angekommen, doch ihr Koffer rollte gehorsam hinter Keona her.
Dass er sie so mitfühlend ansah, lag wohl daran, dass man die düsteren Gedanken über Morgan an ihrer gequälten Miene ablesen konnte.
Aber auch ohne diese Gedanken gab Meg sicher ein bemitleidenswertes Bild ab. Im Waschraum hatte sie im Spiegel einen kurzen Blick auf sich selbst erhascht. Sie war blass vor Erschöpfung, ihre Kleidung war zerknittert, auf ihrem hellrosa Rock befand sich ein Kaffeefleck. Ihre blonden Haare hatten schon lange jedem Versuch standgehalten, sie zu bändigen. Das, was von ihrem Make-up übrig war, hätte sie für eine Rolle in einem Horrorfilm qualifiziert, und sie war sicher, dass sie nicht gerade nach Rosen duftete.
Seufzend folgte sie Keona zu der eleganten schwarzen Limousine, die auf sie wartete. Er hielt ihr die Tür hinten auf, dann verstaute er ihr Gepäck im Kofferraum. Natürlich war es ein Wagen der Luxusklasse, mit weichen Ledersitzen, Klimaanlage und einer Bar.
Eine Erinnerung an das Leben, das sie geführt hatte, wenn auch nur kurz, ehe sie alldem den Rücken gekehrt hatte.
Als der Wagen mit einem leisen Surren losfuhr, wünschte Meg, einen Blick auf die Insel erhaschen zu können. Doch als sie durch die getönte Scheibe starrte, sah sie nichts als den mit Sternen übersäten Nachthimmel und Palmen, die sich sanft in der Brise bewegten.
Eingelullt von der leisen Musik einer Ukulele gab Meg schließlich ihrer Müdigkeit nach, und ihre Augen fielen zu.
Und öffneten sich erst wieder, als eine sanfte Stimme sie aus ihrem erstaunlich tiefen Schlaf weckte.
"Mrs. Hart."
Einen Moment ließ sie die Augen noch geschlossen. Vielleicht weil sie so wunderschön geträumt hatte und immer noch Mrs. Hart war.
Als sie die Augen aufschlug, sah sie jedoch, dass Keona sich zu ihr beugte und sie mit seinen braunen Augen ansah. Sie sollte ihm sagen, dass sie nicht mehr Mrs. Hart war.
Auch wenn sie es eigentlich noch war, denn die Scheidungspapiere waren noch nicht unterschrieben worden. Tatsächlich konnte sie sich nicht einmal dazu aufraffen, sich die umfangreiche Trennungsvereinbarung anzusehen, die eine bekannte Anwaltskanzlei aus Vancouver ihr hatte zukommen lassen.
Allerdings wollte sie einem Fremden gegenüber, auch wenn er noch so nett war, nicht so offen sein.
"Wir sind sehr müde", sagte er, und Meg wurde bewusst, dass er nicht nur sie meinte, sondern auch sich selbst.
Verschlafen kletterte sie aus dem Wagen, während Keona ihr Gepäck aus dem Kofferraum nahm. Leise rollte der Koffer, an dem er fachmännisch ihre Tragetasche befestigt hatte, hinter ihm her, als er eine sanft beleuchtete und völlig menschenleere Open-Air-Lobby betrat.
Auch wenn sie zwei Jahre Mrs. Hart gewesen war, hatte Meg sich nie richtig an die geschmackvollen, luxuriösen Orte auf der Welt gewöhnt, die die Reichen willkommen hießen.
Die Lobby von Hale Iwa Kai war solch ein Ort.
Doch sie war zu müde, um die mächtigen Pfeiler richtig würdigen zu können, die die hohe Decke stützten. Die einladenden Sofas. Die Ölgemälde, die Ereignisse der hawaiianischen Geschichte darstellten. Sogar ein hölzernes Auslegerkanu zierte die große Eingangshalle.
"Das war ein verrückter Tag", sagte Keona zu ihr, als sie an einer Wand aus Lavagestein vorbeigingen, an dem Wasser hinunterlief. "So viele Flüge wurden gecancelt. Gäste von hier sollten eigentlich heute abreisen, konnten aber nicht. Zum Glück hatten ein paar Flüge, die hier ankommen sollten, ebenfalls Verspätung, sodass wir alle wieder unterbringen konnten. Aber wir sind erschöpft."
Sie folgte ihm durch einen Durchgang über eine Brücke, die aus dem gleichen Lavagestein bestand wie die Wand eben. Meg erhaschte einen Blick auf Fische, die durch das türkisfarbene Wasser...