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Mylady habe ich vorhin schon einmal erwähnt. Tatsache ist, daß der Diamant nie in unser Haus gelangt wäre, wo er dann auch verlorenging, hätte Myladys Tochter das Juwel nicht geschenkt bekommen. Und Myladys Tochter wiederum hätte den Diamanten nicht als Geschenk empfangen können, wäre sie nicht von Mylady mit viel Ach und Weh in die Welt gesetzt worden. Wenn wir also mit Mylady anfangen, gehen wir auch gleich weit genug zu den Anfängen der Geschichte zurück. Und angesichts der schweren Aufgabe, die mir bevorsteht, ist das ein rechter Trost.
Sofern Sie sich überhaupt für das Leben der oberen Zehntausend interessieren, haben Sie auch schon von den drei schönen Herncastle-Schwestern gehört, von Miß Adelaide, Miß Caroline und Miß Julia, der jüngsten, die, meiner Meinung nach, die beste war. Weshalb ich mir dieses Urteil erlauben darf, sollen Sie gleich erfahren. Ich trat nämlich schon beim alten Lord, dem Vater der drei Schwestern, in Dienst. Der alte Herr war, unter uns gesagt, der geschwätzigste und zugleich reizbarste Mensch, der mir je begegnet ist.
Ich wurde also als Fünfzehnjähriger Kammerdiener der drei jungen Damen.
Auf diesem Posten blieb ich, bis Miß Julia den inzwischen verstorbenen Sir John Verinder heiratete. Ein tadelloser Mann, der nur der Führung durch eine feste Hand bedurfte, um prächtig zu gedeihen, glücklich und zufrieden zu leben und eines leichten Todes zu sterben. Und diese feste Hand verspürte er von dem Augenblick an, da ihn Mylady zum Traualtar führte, bis zu dem Augenblick, da sie ihm den letzten Atemzug erleichterte und die Augen schloß.
Ich sollte noch einfügen, daß ich mit der Braut hierher in das Haus und auf die Ländereien des Bräutigams übersiedelte. »Sir John«, sprach sie, »ohne Gabriel Betteredge komme ich nicht zurecht.« »Mylady«, sprach Sir John, »mir geht es geradeso.« Auf diese Weise pflegten sich die beiden immer zu einigen. Und so kam ich in Sir Johns Dienst. Mir war es ohnehin gleichgültig, wohin ich zog, Hauptsache, ich konnte bei Mylady sein.
Als ich merkte, daß Mylady Interesse für die Ländereien und unsere Bauernhöfe zeigte, tat ich es ihr nach, was um so naheliegender war, da ich als siebenter Sohn eines kleinen Bauern geboren bin. Mylady unterstellte mich dem Verwalter ihrer Güter, und da ich anstellig war und zur Zufriedenheit meiner Herrschaft arbeitete, wurde ich entsprechend befördert.
Ein paar Jahre darauf, es muß ein Montagmorgen gewesen sein, sagte Mylady: »Sir John, Euer Gutsverwalter ist ein törichter alter Mann. Gebt ihm eine gute Rente, und setzt Gabriel Betteredge an seine Stelle.« Und dann, das war demnach am Dienstagmorgen, sagte Sir John: »Mylady, der Gutsverwalter bekommt eine gute Rente, und Gabriel Betteredge ist sein Nachfolger.« Man hört nur allzuoft von Ehepaaren, die schlecht miteinander auskommen. Hier erleben Sie einmal das Gegenteil. Unser Beispiel möge also manchen Lesern als Ermutigung, anderen zur Warnung dienen.
Doch lassen Sie mich fortfahren. Ich war nun ein gemachter Mann, wie man so schön sagt. Ich hatte eine Vertrauensstellung, ein Häuschen, ein paar Inspektionsgänge am Morgen, die Rechnungsbücher am Nachmittag, mein Pfeifchen und >Robinson Crusoe< am Abend; was konnte mir noch zu meinem Glück fehlen? Sie erinnern sich vielleicht, was Adam entbehrte, als er so allein im Paradies lebte. Und wenn Sie Adam darum nicht tadeln, sollten Sie auch mit mir Nachsicht üben.
Die Frau, auf die ich ein Auge geworfen hatte, führte mir den Haushalt. Ihr Name war Selina Goby. Nun halte ich es mit dem verstorbenen William Cobbett, der da meinte, ein Weib, das sein Essen ordentlich kaut und festen Schrittes einhergeht, könne man ruhig ehelichen. Selina Goby entsprach beiden Forderungen, und so hatte ich schon den ersten Grund, sie zu heiraten. Auf den zweiten kam ich ganz allein. Der unverheirateten Selina mußte ich jede Woche für das Essen und die Haushaltführung ein hübsches Sümmchen zahlen. War sie dagegen meine Frau, konnte sie unmöglich für das Essen und schon gar nicht für die Hausarbeit Geld verlangen. Ich fädelte die Sache also unter zwei Gesichtspunkten ein: Sparsamkeit - mit einem Schuß Liebe.
Pflichtgemäß unterbreitete ich die Angelegenheit meiner Herrin, und zwar mit denselben Argumenten, die ich für mich gebraucht hatte.
»Selina Goby geht mir schon längere Zeit im Kopf herum, Mylady«, sagte ich, »und ich meine, als Ehefrau kommt sie mich nicht so teuer zu stehen wie als Haushälterin.«
Mylady brach in Gelächter aus und sagte, sie wisse nicht, worüber sie mehr schockiert sein solle, über meine Prinzipien oder meine Ausdrucksweise. Irgend etwas an der Sache muß sie sehr belustigt haben - etwas, das nur Personen von Stand verstehen. Ich selbst verstand lediglich, daß ich die Erlaubnis hatte, mit Selina zu reden.
Das tat ich auch; und was sagte Selina? Du lieber Himmel, wie wenig wissen Sie doch von den Frauen, wenn Sie diese Frage überhaupt erst stellen! Natürlich sagte Selina >ja<.
Doch als meine Zeit näherkam und schon davon geschwatzt wurde, daß ich für die Feier einen neuen Rock brauchte, da wurde mir unheimlich zumute. Ich habe mal nachgelesen, was andere Männer zu diesem heiklen Zeitpunkt empfanden. Alle gaben zu, daß sie etwa eine Woche, bevor die Sache endgültig wurde, heimlich wünschten, sie könnten davonlaufen. Ich ging einen Schritt weiter; genauer gesagt, ich revoltierte offen, um meine Freiheit zu retten. Natürlich nicht, ohne eine Entschädigung anzubieten. Die Zahlung von Schmerzensgeld für die verlassene Braut ist in England gesetzlich. Und um dem Gesetz zu genügen, bot ich Selina Goby nach reiflicher Überlegung ein Federbett und fünfzig Shilling für meine Freiheit. Wenn es auch nicht zu fassen ist, so ist es doch wahr: Selina Goby war dumm genug, das Angebot auszuschlagen.
Danach hatte ich keine Hoffnung mehr. Ich erstand den neuen Rock so billig wie möglich und erledigte auch den Rest möglichst sang- und klanglos.
Wir wurden weder ein glückliches noch ein unglückliches Ehepaar, eher sowohl das eine wie das andere. Warum es so kam, weiß ich nicht, jedenfalls schienen wir trotz der besten Vorsätze immer einander im Wege zu sein. Wollte ich die Treppe hinaufgehen, kam meine Frau gerade herunter; wollte meine Frau herunterkommen, mußte ich gerade hinaufgehen. Damit wäre schon das ganze Eheleben beschrieben - wenigstens aus meiner Sicht.
Nach fünf Jahre dauernden Mißverständnissen auf der Treppe gefiel es dem allmächtigen Schicksal, uns durch das Hinscheiden meiner Frau voneinander zu erlösen. Ich blieb mit meinem einzigen Kind, der kleinen Penelope, allein zurück. Kurz darauf starb auch Sir John und ließ Mylady mit ihrem einzigen Kind, der kleinen Miß Rachel, allein zurück.
Mein Bemühen, Ihnen eine Vorstellung von Mylady zu vermitteln, wäre wohl jämmerlich gescheitert, müßte ich noch betonen, daß sie die Erziehung meiner kleinen Penelope in die Hand nahm. Meine Tochter besuchte die Schule und wurde ein kluges Mädchen, und sobald sie alt genug war, ernannte Mylady sie zu Miß Rachels Kammerjungfer.
Ich selbst war noch viele Jahre auf meinem Posten als Myladys Gutsverwalter. Erst Weihnachten achtzehnhundertsiebenundvierzig trat eine Veränderung ein. Am Weihnachtsmorgen lud sich Mylady zu einer Tasse Tee in meinem Häuschen ein. Sie bemerkte beiläufig, daß ich nun, die Kammerdienerzeit beim alten Lord eingerechnet, über fünfzig Jahre in ihren Diensten stünde, und sie beschenkte mich mit einer selbstgefertigten wunderbaren Strickweste, die mich in dem eisigen Winterwetter warmhalten sollte.
Mir fehlten die Worte, um auszudrücken, welche Ehre mir Mylady mit diesem überwältigenden Geschenk angetan hatte. Leider mußte ich bald feststellen, daß die Weste nicht als Ehrengabe, sondern als Bestechungsgeschenk gedacht war. Mylady hatte eher als ich selbst gemerkt, daß ich alt wurde, und sie war zu Besuch in mein Häuschen gekommen, um mich, wenn ich es so ausdrücken darf, aus meinem Gutsverwalterposten und der harten Arbeit im Freien herauszuschmeicheln. Statt dessen sollte ich bis zum Ende meiner Tage die ruhige Stellung eines Butlers bekommen.
Ich protestierte, so gut ich konnte, gegen diese schmachvolle Versetzung in den Ruhestand. Aber Mylady kannte meine schwache Stelle; sie drehte die Sache so, als täte ich ihr damit einen Gefallen.
Und unser Disput endete damit, daß ich mir wie ein alter Trottel mit der neuen Wollweste die Augen trocknete und die Sache zu überlegen versprach.
Da mich diese Überlegungen in helle Aufregung versetzten, griff ich nach Myladys Abschied zu der Medizin, die bei mir in Not- und Zweifelsfällen noch immer angeschlagen hat; ich rauchte ein Pfeifchen und vertiefte mich ein Weilchen in Robinson Crusoe. Noch keine fünf Minuten hatte ich in diesem hervorragenden Buch gelesen, als ich auf eine tröstliche Stelle stieß (Seite einhundertachtundfünfzig). Da stand: Heute lieben wir, was wir morgen hassen. Und ich wußte augenblicklich, was ich zu tun hatte. Heute wünschte ich mir noch zutiefst, Gutsverwalter zu bleiben. Morgen würde ich, laut Robinson Crusoe, das Gegenteil herbeisehnen. Ich brauchte mich nur noch auf das Morgen einzustellen, und das Problem war gelöst. Auf diese Weise fand ich Ruhe und ging als Lady Verinders Gutsverwalter schlafen, um am nächsten Morgen als Lady Verinders Butler zu erwachen. Und das alles ohne große Pein - durch Robinson Crusoe.
Meine Tochter Penelope schaut mir gerade über die Schulter, um nachzusehen, wie weit ich gekommen bin. Sie sagt, alles sei sehr gut beschrieben und wahr bis in das letzte Wort. Aber sie bemängelt, daß nichts von allem, was ich geschrieben habe,...
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