Schweitzer Fachinformationen
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Das Haus war groß, gekrönt von einem hohen Speicher. Die steil ansteigende Straße zwang Pferdeställe und Remisen, Hühnerhöfe, Waschküche, Milchkammer, sich ein Stückchen tiefer rings um einen geschlossenen Hof zu kauern.
Auf die Gartenmauer gestützt, konnte ich mit dem Finger am Dach des Hühnerstalls kratzen. Der Obere Garten überragte einen Unteren Garten, den eingepferchten, warmen Gemüsegarten, wo Auberginen gediehen und Paprikaschoten und im Juli der Geruch von Tomatenblättern sich mischte mit dem Duft der am Spalier gereiften Marille. Im Oberen Garten zwei Zwillingstannen, ein Nussbaum, dessen unverträglicher Schatten alle Blumen umbrachte, Rosen, vernachlässigte Rasenstücke, eine wacklige Laube . Ein kräftiger Gitterzaun ganz hinten, entlang der Rue des Vignes, sollte die beiden Gärten schützen; ich habe diese Gitterstäbe jedoch immer nur verbogen gekannt, aus dem Zement ihrer Mauer gerissen, hochgehoben und in die Luft gestemmt von den unwiderstehlichen Armen einer hundertjährigen Glyzinie .
Die Hauptfassade, an der Rue de l'Hospice, war eine Fassade mit doppelter Außentreppe, schwarz geworden, mit großen Fenstern und ohne jegliche Anmut, ein Bürgerhaus in einem alten Dorf, aber die steil ansteigende Straße brachte seinen würdigen Ernst ein bisschen ins Wanken, und seine Außentreppe hinkte, sechs Stufen auf der einen Seite, zehn auf der andern.
Großes tiefernstes Haus, grimmig mit seiner Waisenhausglocke an der Tür, seiner Toreinfahrt samt großem alten Gefängnisriegel, ein Haus, das nur seinem Garten zulächelte. Die Rückseite, unsichtbar für jeden Vorübergehenden, von der Sonne beschienen, trug einen Mantel aus Glyzinie und Bignonie, ineinander verschlungen, schwer lastend auf dem ermüdeten, in der Mitte wie eine Hängematte durchgebogenen Eisengerüst, das einer kleinen gefliesten Terrasse und der Schwelle zum Salon Schatten spendete . Lohnt es sich, dass ich den Rest beschreibe, mit armseligen Worten? Ich helfe niemandem, all das zu sehen, was in meiner Erinnerung den roten Ranken einer herbstlichen Weinrebe Glanz verlieh, zerstört durch ihr eigenes Gewicht, in ihrem Sturz festgekrallt an ein paar Kiefernzweigen. Die mächtigen Fliederbüsche, deren Blütentraube, blau im Schatten, purpurn in der Sonne, rasch verrottete, erstickt durch ihre eigene Üppigkeit, diese längst abgestorbenen Fliederbüsche steigen durch mich nicht wieder herauf ans Licht, so wenig wie der furchteinflößende Mondschein - Silber, Bleigrau, Quecksilber, scharfkantige Amethystfacetten, stechende spitze Saphire -, der zusammenhing mit einer gewissen blauen Fensterscheibe, am Pavillon ganz tief im Garten.
Haus und Garten leben noch, ich weiß, doch was soll's, wenn der Zauber sie verlassen hat, wenn das Geheimnis verloren ist - Licht, Gerüche, Harmonie aus Bäumen und Vögeln, Gemurmel menschlicher Stimmen, ausgelöscht durch den Tod -, das eine Welt eröffnete, derer ich nicht mehr würdig bin? .
Es kam vor, dass ein Buch, aufgeschlagen im Gras oder auf der steinernen Terrasse, ein sich schlängelndes Springseil in der Mitte eines Wegs oder ein winziger Garten, von Kieseln gesäumt, mit Blütenköpfen bepflanzt, einstmals, in jener Zeit, als dieses Haus und dieser Garten bewohnt waren von einer Familie, die Anwesenheit der Kinder verrieten und auch ihr verschiedenes Alter. Aber diese Zeichen waren fast nie begleitet von kindlichem Geschrei oder Lachen, und das Logis, warm und vollgestopft, glich auf wunderliche Weise jenen Häusern, denen ein Ferienende in Nullkommanichts alle Freude raubt. Die Stille, der bezähmte Wind im umfriedeten Garten, die vom unsichtbaren Daumen einer Sylphe gewendeten Buchblätter, alles schien zu fragen: »Kinder, wo seid ihr?«
Da tauchte unter dem betagten eisernen Bogen, den die Glyzinie nach links drückte, meine Mutter auf, rundlich und klein in jener Zeit, als sie noch nicht abgezehrt war vom Alter. Sie spähte ins dichte Grün, hob den Kopf und schleuderte ihren Ruf in die Lüfte:
»Kinder! Wo seid ihr, Kinder?«
Wo? Nirgendwo. Der Ruf drang durch den Garten, stieß gegen die hohe Mauer des Heuschuppens und kam zurück als ganz schwaches und wie erschöpftes Echo: »Ohhh . Kinder .«
Nirgendwo. Meine Mutter warf den Kopf in den Nacken, blickte hoch in die Wolken, als erwartete sie, ein Schwarm geflügelter Kinder müsse herabschießen. Nach einer Weile stieß sie noch einmal denselben Schrei aus, dann wurde sie der Himmelsbefragung überdrüssig, knackte mit dem Fingernagel eine trockene Mohnkapsel, schabte an dem von grünen Blattläusen umhäkelten Rosenstock, steckte die ersten Nüsse in ihre Tasche, schüttelte den Kopf über die verschwundenen Kinder und ging ins Haus. Doch über ihr, zwischen den Blättern des Nussbaums, glänzte das dreieckige, nach unten schauende Gesicht eines Kindes, hingestreckt auf dem dicken Ast wie ein Kater und mucksmäuschenstill. Hätte eine nicht ganz so kurzsichtige Mutter aus den hastigen Verneigungen, welche die Zwillingswipfel der beiden Tannen austauschten, eine Ursache herausgelesen, die nichts zu tun hatte mit den jähen Oktoberwindböen? Und hätte sie in der quadratischen Luke unter der Seilrolle fürs Viehfutter nicht mit ein bisschen Blinzeln die zwei hellen Flecken im Heu erraten: das Gesicht eines jungen Burschen und sein Buch? Doch sie hatte es aufgegeben, uns zu entdecken, verlor jede Hoffnung, uns zu erwischen. Unsere seltsame Wildheit begleitete kein einziger Schrei. Ich glaube nicht, dass es quirligere Kinder gab und stillere. Erst jetzt wundere ich mich darüber. Niemand hatte von uns diese fröhliche Stummheit verlangt, auch nicht diese beschränkte Geselligkeit. Mein neunzehnjähriger Bruder, der hydrotherapeutische Apparate aus Tuchwürsten, Draht und gläsernen Lötlampen baute, hinderte den jüngeren, mit seinen vierzehn Jahren, nicht daran, eine Uhr auseinanderzunehmen, noch eine Melodie, ein in der Kreisstadt gehörtes symphonisches Stück fehlerlos am Klavier nachzuklimpern; und auch nicht, mit unergründlichem Vergnügen den Garten mit kleinen, aus Pappe geschnittenen Grabsteinen zu schmücken, wobei jeder unterm Kreuz einen Namen trug, ein Epitaph und die Genealogie des ausgedachten Toten . Meine Schwester mit dem allzu langen Haar konnte endlos, pausenlos lesen: Die zwei Burschen liefen vorüber, streiften, wie ohne es zu sehen, dieses dasitzende, verzauberte, entrückte Mädchen und störten es nicht. Ich durfte, als ich klein war, dem großen Schritt der Burschen folgen, ihnen hinterherrennen, wenn sie in die Wälder stürmten, auf der Jagd nach dem Großen Eisvogel, dem Segelfalter, dem scheuen Schillerfalter, oder der Blindschleiche nachstellten oder den hochgewachsenen Julifingerhut zu Sträußen banden, tief in den schütteren Wäldern, rot von Heidekrautpfützen . Aber ich folgte ihnen geräuschlos, sammelte Brombeeren, Vogelkirschen oder Blumen, streunte durchs Unterholz und über die wasserdurchtränkten Wiesen wie ein eigenwilliger Hund, der keinem Rechenschaft gibt .
»Kinder, wo seid ihr?« Plötzlich stand sie da, ganz außer Atem durch ihr ständiges Suchen, wie eine allzu zärtliche Hundemutter, mit erhobenem Kopf im Winde schnüffelnd. Ihre in weißem Leinen steckenden Arme erzählten, dass sie gerade Galette-Teig geknetet hatte oder Englischen Pudding, übergossen mit einer heißen Samtschicht aus Rum und Konfitüre. Eine große blaue Schürze hatte sie umgebunden, wenn sie die Havaneser Hündin wusch, und manchmal fuchtelte sie mit einer Fahne aus knisterndem gelben Papier vom Metzger; denn sie hoffte, zusammen mit den verstreuten Kindern auch ihre stromernden Kätzinnen anzulocken, gierig auf rohes Fleisch .
Zum gewohnten Schrei kam noch, im selben dringlichen und flehenden Ton, die Erinnerung an die Zeit: »Vier Uhr! Sie sind nicht zur Jause erschienen! Kinder, wo seid ihr? .« - »Halb sieben! Kommen sie zum Abendessen? Kinder, wo seid ihr? .« Die hübsche Stimme, ich weinte vor Freude, wenn ich sie hörte . Unsere einzige Sünde, unsere einzige Missetat war das Schweigen und eine Art wundersames Verschwinden. Unschuldiger Vorhaben zuliebe, einer Freiheit zuliebe, die niemand uns streitig machte, kletterten wir über Zäune, zogen die Schuhe aus, benutzen auf dem Rückweg eine überflüssige Leiter, die niedrige Mauer eines Nachbarn. Die feine Nase der besorgten Mutter erschnupperte an uns den Bärlauch aus einer fernen Schlucht oder die Minze aus den unter Gras...
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