Schweitzer Fachinformationen
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PROLOG
Mittwoch, 6. Januar 2016 9.52 Uhr
»Es gibt keinen Gott. Punkt.«
Detective Chief Inspector Emily Baxter betrachtete sich in dem verspiegelten Fenster des Vernehmungsraums, lauschte möglichen Reaktionen ihres Publikums nebenan auf diese unpopuläre Wahrheit.
Nichts.
Sie sah furchtbar aus: eher wie fünfzig als fünfunddreißig. Dicke schwarze Fäden hielten ihre Oberlippe zusammen, spannten beim Sprechen und erinnerten sie an Dinge, die sie lieber vergessen hätte, alte und neue. Die Schürfwunde auf ihrer Stirn wollte nicht heilen, ihre gebrochenen Finger waren geschient, und unter ihrer leicht feuchten Kleidung verbargen sich noch mindestens ein Dutzend weitere Verletzungen.
Demonstrativ gelangweilt drehte sie sich zu den beiden Männern um, die ihr am Tisch gegenübersaßen. Keiner von beiden sagte etwas. Sie gähnte und fuhr sich mit den unversehrten Fingern durch ihr langes braunes, leicht verfilztes Haar, dem die drei Tage Trockenshampoo anzusehen waren. Dass Special Agent Sinclair ihre letzte Antwort ganz offensichtlich nicht gefiel, war ihr egal. Der beeindruckend glatzköpfige Amerikaner notierte etwas auf einem Blatt mit aufwendigem Briefkopf.
Atkins, der Kontaktbeamte von der Metropolitan Police, wirkte neben dem elegant gekleideten Ausländer eher unscheinbar. Baxter hatte die vorangegangenen fünfzig Minuten größtenteils damit verbracht, zu überlegen, welche Farbe sein beiges Hemd ursprünglich einmal gehabt haben mochte. Seine Krawatte saß locker, als hätte ein menschenfreundlicher Henker sie ihm gebunden - leider bedeckte sie nicht den relativ frischen Ketchupfleck.
Atkins verstand das Schweigen als Stichwort und schaltete sich ein:
»Das muss Thema einiger recht interessanter Gespräche mit Special Agent Rouche gewesen sein«, bemerkte er.
Atkins lief Schweiß seitlich am rasierten Schädel herunter. Grund waren die Lampen und die heiße Heizungsluft, die bereits vier Paar verschneite Stiefelabdrücke auf dem Linoleumboden in dreckige Pfützen verwandelt hatte.
»Soll heißen?«, fragte Baxter.
»Das soll heißen, dass laut seiner Akte .«
»Scheiß auf seine Akte!«, unterbrach Sinclair Atkins. »Ich habe mit Rouche zusammengearbeitet und weiß ganz sicher, dass er ein gläubiger Christ ist.«
Der Amerikaner blätterte in einem mit Einlegeblättern fein säuberlich unterteilten Ordner zu seiner Linken und entnahm ihm ein Dokument mit Baxters Handschrift. »Genau wie Sie, jedenfalls geht das aus den Unterlagen hervor, mit denen Sie sich auf Ihre aktuelle Stelle beworben haben.«
Er hielt Baxters Blick stand, kostete es aus, die streitsüchtige Frau eines Widerspruchs überführt zu haben. Jetzt da er bewiesen hatte, dass sie in Wirklichkeit denselben Glauben hatte wie er und ihn lediglich hatte provozieren wollen, war seine Welt wieder im Lot. Baxter jedoch guckte so gelangweilt wie zuvor.
»Ich bin der Überzeugung, dass Menschen im Allgemeinen Idioten sind«, fing sie an, »und viele davon hängen der irrigen Vorstellung an, es gäbe einen Zusammenhang zwischen hirnloser Gutgläubigkeit und einem gefestigten Moralverständnis. Mir ging es eigentlich nur um die Gehaltserhöhung.«
Sinclair schüttelte angewidert den Kopf, als wollte er seinen Ohren nicht trauen.
»Dann haben Sie gelogen? Das spricht allerdings auch nicht gerade für ein gefestigtes Moralverständnis.« Er lächelte dünn, machte sich weiter Notizen.
Baxter zuckte mit den Schultern:
»Sagt aber einiges über hirnlose Gutgläubigkeit.«
Sinclairs Lächeln verschwand.
»Wollen Sie mich bekehren oder was?«, fragte sie, konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Geduld ihres Gegenübers weiter zu strapazieren. Plötzlich sprang Sinclair auf und beugte sich über den Tisch.
»Ein Mann ist tot, Chief Inspector!«, brüllte er.
Baxter zuckte nicht mit der Wimper.
»Viele sind tot . nach allem, was passiert ist«, murmelte sie, aber dann wurde auch sie wütend, »und aus unerfindlichen Gründen verschwenden Sie und Ihre Leute Ihre Zeit mit der einzigen Person, die den Tod verdient hat!«
»Wir fragen«, schaltete Atkins sich ein, versuchte die Situation zu entschärfen, »weil neben der Leiche entsprechende Hinweise gefunden wurden . religiöser Art.«
»Die können von jedem x-Beliebigen stammen«, sagte Baxter.
Die beiden Männer warfen sich einen Blick zu, dem sie entnahm, dass es noch mehr gab, das sie ihr nicht mitteilen wollten.
»Haben Sie Informationen darüber, wo Special Agent Rouche sich aktuell aufhält?«, fragte Sinclair sie.
Baxter schnaubte: »Soviel ich weiß, ist Agent Rouche tot.«
»Wollen Sie wirklich dabei bleiben?«
»Soviel ich weiß, ist Agent Rouche tot«, wiederholte Baxter.
»Sie haben also seine Lei.«
Die vierte Person an dem kleinen Tisch, die Psychologin Dr. Preston-Hall, bei der Metropolitan Police in beratender Funktion tätig, räusperte sich laut, und Sinclair verstummte, verstand die unausgesprochene Warnung. Er lehnte sich zurück und rollte die Augen in Richtung des verspiegelten Fensters. Atkins kritzelte etwas in sein Notizbuch und schob es Dr. Preston-Hall zu.
Sie war eine gepflegte Frau Anfang sechzig, deren teures Parfüm lediglich eine zarte Blütenduftnote setzte, ohne den überwältigenden Gestank der durchnässten Schuhe zu übertünchen. Sie hatte mit ihrer unangestrengten Autorität bereits deutlich gemacht, dass sie die Vernehmung sofort beenden würde, sollte sie den Eindruck haben, die Befragung sei der Genesung ihrer Patientin abträglich. Langsam nahm sie das mit Kaffee bekleckerte Notizbuch und las die Mitteilung mit der Miene einer Lehrerin, die eine Geheimbotschaft ihrer Schüler abgefangen hat.
Fast die gesamte Stunde über hatte sie geschwiegen und offensichtlich auch jetzt nicht das Bedürfnis, etwas zu sagen, denn sie schüttelte nur den Kopf.
»Was steht da?«, fragte Baxter.
Die Therapeutin ignorierte sie.
»Was steht da?«, fragte Baxter erneut und wandte sich an Sinclair: »Stellen Sie Ihre Frage.«
Sinclair wirkte verunsichert.
»Stellen Sie Ihre Frage«, verlangte Baxter.
»Emily!«, fuhr die Therapeutin sie an. »Kein Wort, Mr. Sinclair.«
»Fragen Sie einfach«, ermunterte Baxter ihn mit raumgreifender Stimme. »Die Station? Sie wollen mich nach der Station fragen.«
»Die Vernehmung ist beendet!«, verkündete Dr. Preston-Hall und erhob sich.
»Fragen Sie!«, fiel Baxter ihr laut ins Wort.
Sinclair beschloss, die Gelegenheit zu ergreifen und sich über die Konsequenzen hinterher Gedanken zu machen:
»Sie haben ausgesagt, dass Sie Special Agent Rouche für tot halten.«
Dr. Preston-Hall riss empört die Hände hoch.
»Das war keine Frage«, sagte Baxter.
»Haben Sie ihn tot gesehen?«
Zum ersten Mal merkte Sinclair, dass Baxter stockte, doch anstatt sich darüber zu freuen, hatte er ein schlechtes Gewissen. Bei der Erinnerung an die U-Bahn-Station wurde ihr Blick glasig.
Als sie flüsternd antwortete, brach ihr die Stimme:
»Ich hätte ihn doch gar nicht erkannt, oder?«
Erneut herrschte angespannte Stille, als den Anwesenden bewusst wurde, wie irritierend dieser schlichte Satz war.
Schließlich platzte Atkins mit einer halbdurchdachten Frage heraus: »Wie kam er Ihnen vor?«
»Wer?«
»Rouche.«
»Inwiefern?«
»In emotionaler Hinsicht.«
»Wann?«
»Als Sie ihn zum letzten Mal gesehen haben.«
Sie dachte kurz über ihre Antwort nach, dann lächelte sie aufrichtig:
»Erleichtert.«
»Erleichtert?«
Baxter nickte.
»Es scheint, als hätten Sie ihn sehr gerngehabt«, fuhr Atkins fort.
»Nicht besonders. Er war intelligent, ein sehr fähiger Kollege . trotz seiner offensichtlichen Macken«, setzte sie hinzu.
Sie beobachtete Sinclairs Reaktion aus ihren großen braunen Augen, die durch das starke Make-up noch betont wurden. Er biss sich auf die Lippen und schaute erneut in den Spiegel, als wollte er denjenigen hinter der Scheibe, der ihm diese Aufgabe zugeschoben hatte, zum Teufel wünschen.
Atkins übernahm jetzt die Vernehmung. Unter seinen Achseln hatten sich dunkle Schweißflecken gebildet. Ohne dass er es gemerkt hatte, waren beide Frauen jeweils einige Zentimeter unauffällig mit ihren Stühlen zurückgerutscht, um dem Geruch halbwegs zu entgehen.
»Sie haben das Haus von Agent Rouche durchsuchen lassen«, sagte er.
»Das ist richtig.«
»Also haben Sie ihm nicht vertraut.«
»Nein.«
»Und auch jetzt fühlen Sie sich ihm gegenüber in keiner Weise zu Loyalität verpflichtet?«
»In keiner Weise.«
»Erinnern Sie sich an das Letzte, das er zu Ihnen gesagt hat?«
Baxter wirkte unruhig: »Sind wir nicht fertig?«
»Fast. Beantworten Sie bitte die Frage.«
Er blieb sitzen, der Stift schwebte über dem Notizbuch.
»Ich möchte jetzt gehen«, sagte Baxter zu ihrer Therapeutin.
»Natürlich«, erwiderte Dr. Preston-Hall scharf.
»Gibt es einen Grund, weshalb Sie diese einfache Frage nicht beantworten können?« Sinclairs Worte durchschnitten den Raum, sie hatten etwas Anklagendes.
»Na schön«, Baxter wirkte wütend. »Ich antworte.« Sie dachte kurz nach, beugte sich dann über den Tisch und...
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