Schweitzer Fachinformationen
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Nach Jahren der Gefangenschaft war es dem Fisch endlich gelungen, ins offene Meer zu entkommen. Er war nicht mehr zwischen grauen Stahlwänden eingesperrt und musste sich nicht mehr von seinen Wärtern antreiben und herumschubsen lassen. Jetzt konnte er sich frei dorthin bewegen, wohin auch immer er wollte.
Es hatte einen Tag gedauert, bis sich die Kreatur an ihr Leben in Freiheit gewöhnt hatte. Jahrelang hatte sie nichts anderes gekannt, als in endlosen Kreisen in ihrer vom Menschen geschaffenen Umgebung herumzuschwimmen. Diese Routine hätte beinahe ihre Flucht vereitelt, als sie zum ersten Mal ins offene Wasser gelangte. Erst der aggressive Versuch ihrer Wächter, sie wieder einzufangen, durchbrach diese Gewohnheit. Zunächst lernte die Kreatur, zu kämpfen. Dabei kostete sie zum ersten Mal den Geschmack von Menschenblut. Diese Landbewohner waren so essbar wie jeder Fisch im Meer.
Danach lernte die Kreatur das Geheimnis des Überlebens. Sie war sich einer Existenz, die über den Drang, zu schwimmen und zu fressen, hinausging, nicht bewusst. Aber sie hatte jetzt erkannt, dass der offene Ozean die Umgebung war, die am besten zu ihren Bedürfnissen passte. Die Kreatur war wie ein Vogel, der zum ersten Mal sein Nest verlässt. Sie betrachtete die Menschen nicht mehr als Wächter, die Zackenbarschstücke in ihr Gefängnis warfen. Die Menschen gehörten nun zur wachsenden Liste von Feinden und Beutetieren. Und drittens lernte das Wesen, seine Sinnesorgane optimal einzusetzen. Seine bisher kaum genutzten Instinkte, die ihm eigentlich von Geburt an zur Verfügung standen, wurden wie ein Hightech-Computer aktiviert. Das Wesen nahm unzählige fremde Gerüche wahr, die ihm aus allen Richtungen des Ozeans entgegenströmten. Mit seiner Laterallinie registrierte er die Bewegungen der anderen Meeresbewohner. Seine Nase nahm den Geruch von Blut, Urin und anderen Flüssigkeiten wahr, der die Spur von potenzieller Beute markierte.
In den vierundzwanzig Stunden seit seiner Flucht hatte das Wesen noch nichts gefressen. Es bewegte sich weiter nach Osten und gelangte allmählich in flachere Gewässer. Hier gab es Beute im Überfluss. Das Sonnenlicht sorgte dafür, dass das Wesen selbst mit seinen kleinen Augen gut sehen konnte. Mit seiner Laterallinie nahm er starke Wasserbewegungen an der Oberfläche wahr. Das Wesen näherte sich vorsichtig und erfasste mit seinen Nasenlöchern einen unbekannten Geruch, der von einem großen Gebilde über ihm ausging.
Es ähnelte dem Gebilde, das seine Wärter benutzt hatten. Das Gebilde war viel größer als der Fisch selbst, und wäre er nicht so hungrig gewesen, hätte er sich sofort abgewandt. So aber entdeckte er ein anderes Ding, das in der Nähe in engen Kreisen dahinschoss. Dieses Etwas war zwar schnell, aber berechenbar und bewegte sich kreisförmig über die Oberfläche. Es war deutlich kleiner, sodass ein Angriff erfolgversprechender erschien. Angestachelt durch den verlockenden Geruch, bewegte sich der Fisch näher. Die ersten Meter legte er noch vorsichtig zurück und wartete auf den richtigen Moment, um dann zuzuschlagen.
***
»Oh, Gott! Das tut mir leid, Kyle.« Terrie Forbes ging wie eine gewöhnliche Putzfrau auf die Knie. Mit einem Lappen wischte sie den verschütteten Wein auf. Wie dumm von mir, dachte sie. Sie wusste doch, dass das Glas direkt neben ihrem Fuß stand, schließlich hatte sie es selbst dort abgestellt. Aber der Wunsch, die letzten Tage der Sommerferien zu genießen, bevor sie zu einem Haufen chaotischer Teenager zurückkehren musste, hatte ihr Urteilsvermögen getrübt. Alles, was sie wollte, war, angeheitert zu bleiben und das bevorstehende Elend zu vergessen. »Wie teuer ist dieser Wein?«
Kyle lachte. »Ach, Terrie, mach dir darüber keine Gedanken.«
»Auf keinen Fall«, antwortete sie.
Das Dröhnen des Jetskimotors wurde lauter, als ihr Mann Martin dicht am Boot vorbeifuhr. Er stoppte das Fahrzeug und betrachtete den Rotwein, den seine Frau verschüttet hatte und der eine rote Lache im Wasser bildete. Aus einem Dutzend Meter Entfernung sah es aus wie eine Blutwolke, die von einem großen Wal herrührte.
Martin stieß einen bewundernden Pfiff aus, als er den Körper seiner Frau betrachtete, die noch immer kniete, um das Deck zu säubern. »Ahoi, Kumpel! Vergiss nicht, die Kapitänskajüte zu kalfatern, wenn du damit fertig bist!«
Sie sah zu ihm hinunter. »Kalfatern? Was zum Teufel ist das für ein Wort?«
»Du unterrichtest doch Englisch. Solltest du das dann nicht kennen?«
»Genau, ich unterrichte Englisch, du Idiot. Und dieses Wort gibt es nicht.«
»Doch, das gibt es!«, rief Martin hoch. »Es ist zwar etwas ungebräuchlich, aber es wird von Seeleuten benutzt, die die Wände und das Deck eines Schiffes abdichten müssen.«
»Toll. Wenn wir wieder zu Hause sind, vergiss bloß nicht, die Dusche zu kalfatern, wie du es versprochen hast.« Sie begann erneut zu schrubben. Terrie merkte, dass ihr Mann sie immer noch beobachtete. Schlimmer noch, er hatte inzwischen dieses scheißfreche Grinsen aufgesetzt. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Dreh dich ein bisschen nach rechts.« Widerstrebend entschied sie sich, ihm nachzugeben. »Ein bisschen mehr . nur ein kleines bisschen . DA! Danke!«
Sie blickte an sich herunter und stellte fest, dass sie ihm einen direkten Blick auf ihr Dekolleté gewährte. Sieben Jahre waren sie jetzt verheiratet, und jedes Mal, wenn er ihre Brüste sah, tat er so, als wäre es das erste Mal.
»Du bist ein Schwein!« Terrie wischte ein letztes Mal über das Deck und kehrte dann zu ihrem Liegestuhl zurück. Sie bemerkte Kyle, der sie lachend von der anderen Seite des Decks aus dabei beobachtete. Er saß im Schneidersitz, mit einer Margarita in der Hand, und sah zu, wie sein Marketingdirektor sich gerade sein eigenes Grab schaufelte. »Ich würde ja mit dir meckern, weil du dich vor deinem Chef so unreif benimmst, aber andererseits .«
Kyle und Martin lachten gleichzeitig. »Hallo? Er hat mir doch alles beigebracht, was ich draufhabe!«
»Stimmt!« Kyle hob sein Glas.
Terrie schüttelte den Kopf und murmelte: »Jungs!« Sie sah wieder Martin an. »Also, wann bin ich endlich dran, mit dem Ding zu fahren?«
Martin tat so, als müsse er husten. »Wie war das, Schatz? Ich habe dich nicht verstanden.«
Terrie zeigte ihm den Mittelfinger, als er wieder davonraste.
Wenigstens hatte Martin von seinem Mentor und Arbeitgeber noch etwas anderes gelernt, als Frauen anzustarren. Kyle mochte ein Sprücheklopfer sein, aber er war auch ein sehr selbstbewusster und erfolgreicher Geschäftsmann. Seine Sanitärfirma in Los Angeles lief bereits gut, als Martin an Bord kam. Ihr Mann hatte gerade sein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen, als ihm eine Stelle im Vertrieb der Firma angeboten wurde - alles dank Kyle Woodville, der in ihm Potenzial gesehen hatte. Gute Arbeit führte zu höheren Umsätzen, was wiederum viele Überstunden und Dienstreisen nach sich zog. Terrie erinnerte sich, dass sie sich in den ersten beiden Jahren über die langen Arbeitszeiten beschwert hatte, aber als die ersten Bonuszahlungen eintrafen, änderte sie ihre Meinung ganz schnell. Im Jahr 2018 kündigte Kyle an, dass er ein neues Büro eröffnen würde und dass er Martin als Büroleiter ausgewählt hätte. In den folgenden sechs Monaten nahm Kyle Martin unter seine Fittiche, und im Januar 2019 übernahm Martin die Leitung des Büros in Amadea. Bis Ende des Jahres hatte allein die Verkaufsabteilung einen Umsatz von mehr als 500.000 Dollar erzielt. Und trotz der Pandemie gelang es ihm, im darauffolgenden Jahr, ein Plus von weiteren 100.000 Dollar zu erwirtschaften.
Trotz seiner kindischen Mätzchen war Martin ein ausgezeichneter Geschäftsmann. Mit etwas Glück und Ausdauer könnte sie vielleicht sogar ihren unbefriedigenden Job als Lehrerin aufgeben. Vor vier Jahren hatte sie sich absolut nicht vorstellen können, nur Hausfrau zu sein. Und heute? Es war schon erstaunlich, wie Not die Sichtweise eines Menschen verändern konnte.
Jahr für Jahr schien sie ein weiteres Stück ihrer Seele zu verlieren. Die Kids von heute raubten ihr jede Hoffnung für die Zukunft. Sie schienen alle egozentrisch zu sein, sich nur auf ihre elektronischen Spielzeuge zu konzentrieren und Beziehungen nur als Gelegenheit für Sex zu sehen. Jegliches Mitgefühl, das sie ihren Schülern entgegenbrachte, stieß auf eine Mauer der Selbstgefälligkeit, weil die Kids nur auf sich selbst fixiert waren. Als sie sich deswegen nach einer anderen Stelle umgesehen hatte, musste sie feststellen, dass die Situation an fast allen Schulen in der Nähe genauso schlimm war, wenn nicht sogar schlimmer. Außerdem herrschte zu Hause immer ein ziemliches Durcheinander, und sie hatten beide auch schon darüber nachgedacht, selbst Kinder zu bekommen. Und dann wäre es schön, wenn öfter jemand zu Hause wäre.
Sie beobachtete ihren Spinner von Ehemann dabei, wie er auf dem Jetski seines Chefs seine Runden drehte. Aber sie sollte nicht zu hart mit ihm ins Gericht gehen - dieser dumme Kerl war ihre beste Chance, dem Schuldienst zu entkommen.
Martin vollführte eine weitere Reihe abrupter Wenden, die eher oval als kreisförmig waren.
Sie und Kyle zuckten zusammen, als er sich dabei ziemlich stark zur Seite lehnte.
»Hey! Sei vorsichtig! Lass das Ding nicht kentern!«, rief Kyle.
Martin tat so, als hätte er Kyle verstanden, und fuhr im Zickzack weiter, wobei er bei jedem Richtungswechsel das Wasser aufspritzen ließ. Sie sahen ihm noch einige Minuten lang beim Fahren zu. Als Terrie das Herumsitzen zu langweilig wurde, stand sie auf. Sie winkte ihrem Mann zu.
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