Schweitzer Fachinformationen
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Myron Bolitar blickte mit seinem Papp-Periskop über die erdrückende Menge lächerlich gekleideter Zuschauer. Er versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal ein Papp-Periskop benutzt hatte, und vor seinen Augen flackerten Bilder von Sammelmarken auf Cap'n Crunch Frühstücksflocken auf wie Kopfschmerzen auslösende Sonnenflecken.
Im mehrfach gespiegelten Bild beobachtete Myron einen Mann in Knickerbocker - Herrgott noch mal, Knickerbocker -, der neben einer kleinen weißen Kugel stand. Die lächerlich gekleideten Zuschauer murmelten aufgeregt. Myron unterdrückte ein Gähnen. Der Mann in Knickerbocker beugte sich vor. Die lächerlich gekleideten Zuschauer drängten sich nach vorne und verfielen dann in ein unheimliches Schweigen. Es entstand eine so reine Stille, als würden selbst die Bäume, die Sträucher und die perfekt geschnittenen Grashalme kollektiv den Atem anhalten.
Dann schlug der knickerbockrige Mann die weiße Kugel mit einem Stock.
Wieder setzte ein gleichmäßiges Hintergrundmurmeln ein, dessen Lautstärke mit der Flugbahn des Balles anstieg. Einzelne Worte waren vernehmbar. Dann Sätze. »Schöner Golfschlag.« »Super Golfschlag.« »Wunderbarer Golfschlag.« »Wirklich feiner Golfschlag.« Immer wieder Golfschlag, als könnte man es sonst mit einem Boxschlag verwechseln oder - wie Myron in der brennenden Sonne in den Sinn kam - mit einem Hitzschlag.
»Mr. Bolitar?«
Myron nahm das Periskop vom Auge. Er war versucht, »Periskop einfahren« zu rufen, fürchtete aber, dass man das hier im vornehmen, snobistischen Merion Golf Club als unreif empfinden könnte. Besonders während der U. S. Open. Er blickte auf einen rotgesichtigen Mann um die siebzig hinunter.
»Ihre Hose«, sagte Myron.
»Wie bitte?«
»Sie haben Angst, von einem Golfwagen überfahren zu werden, stimmt's?«
Die Orange- und Gelbtöne waren nur wenig greller als die einer berstenden Supernova. Fairerweise musste man aber sagen, dass die Kleidung des Mannes dennoch nicht besonders herausstach. Die meisten Menschen in der Menge sahen aus, als hätten sie sich nach dem Aufwachen überlegt, welche ihrer Kleidungstücke sich beißen würden mit, sagen wir, praktisch allem in der freien Welt. Orange- und Grüntöne, wie sie sonst nur in den geschmacklosesten Leuchtreklamen Verwendung fanden, zierten hier viele. Auch Gelb- und ein paar seltsame Lilatöne waren recht stark vertreten, meist gemeinsam, wie eine Farbkombination, die die Cheerleadergruppe einer Highschool im Mittleren Westen abgelehnt hatte. Es wirkte fast, als würden die Menschen in Gegenwart dieser gottgegebenen Schönheit alles in ihrer Macht Stehende tun, dem etwas entgegenzusetzen. Vielleicht handelte es sich hier aber auch um einen anderen Mechanismus. Vielleicht hatte diese hässliche Kleidung ja eine praktische Funktion. Vielleicht stammte dieses Verhalten schon aus grauer Vorzeit, als noch wilde Tiere herumstreunten und Golfer sich so gekleidet hatten, um sie abzuschrecken.
Gute Theorie.
»Ich muss mit Ihnen reden«, flüsterte der ältere Mann. »Es ist dringend.«
Die runden, jovialen Wangen straften seine flehenden Augen Lügen. Plötzlich ergriff er Myrons Unterarm. »Bitte«, fügte er hinzu.
»Worum geht es?«, fragte Myron.
Der Mann bewegte seinen Hals, als wäre sein Kragen zu eng. »Sie sind doch Sportagent?«
»Ja.«
»Sie suchen hier Klienten?«
Myron kniff die Augen zusammen. »Woher wollen Sie wissen, dass mich nicht das faszinierende Spektakel hierhergelockt hat, erwachsene Männer bei einem Spaziergang zu beobachten?«
Der alte Mann lächelte nicht, aber Golfer waren auch nicht unbedingt bekannt für ihren Humor. Wieder reckte er den Hals und trat näher. Sein Flüstern klang heiser. »Sagt Ihnen der Name Jack Coldren was?«
»Natürlich«, antwortete Myron.
Hätte der alte Mann ihm diese Frage gestern gestellt, hätte Myron noch keine Ahnung gehabt. Er verfolgte den Golfsport nicht so genau (wenn überhaupt), und Jack Coldren war in den letzten zwanzig Jahren kaum mehr als ein Mitläufer gewesen. Aber nach dem ersten Tag der U. S. Open hatte Coldren plötzlich völlig überraschend an der Spitze gelegen, und jetzt, da am zweiten Tag nur noch wenige Löcher zu spielen waren, führte Coldren mit eindrucksvollen acht Schlägen. »Was ist mit ihm?«
»Und Linda Coldren?«, fragte der Mann. »Wissen Sie, wer das ist?«
Diese Frage war einfacher. Linda Coldren war Jacks Ehefrau und die mit Abstand beste Golferin des letzten Jahrzehnts. »Ja, ich weiß, wer sie ist«, antwortete Myron.
Der Mann beugte sich zu ihm hinüber und machte wieder diese Sache mit dem Hals. Wirklich nervig - und dazu auch noch ansteckend. Myron musste den Drang niederkämpfen, ihn nachzuahmen. »Die beiden stecken in großen Schwierigkeiten«, flüsterte der alte Mann. »Wenn Sie ihnen helfen, haben Sie zwei neue Klienten.«
»Was für Schwierigkeiten?«
Der Mann blickte sich um. »Bitte«, sagte er, »hier sind zu viele Leute. Kommen Sie mit.«
Myron zuckte die Achseln. Kein Grund zu bleiben. Der alte Mann war der einzige Kontakt, den er geknüpft hatte, seit sein Freund und Geschäftspartner Windsor Horne Lockwood III, kurz Win, ihn hierhergeschleppt hatte. Weil die U. S. Open im Merion stattfand, seit ungefähr tausend Jahren der Heimplatz der Familie Lockwood, war Win der Meinung, dies wäre eine gute Gelegenheit für Myron, ein paar erstklassige Klienten an Land zu ziehen. Myron war sich da nicht so sicher. Seiner Ansicht nach unterschied ihn insbesondere seine absolute Abneigung gegen Golf von den Horden anderer Agenten, die wie Heuschrecken über den Platz schwärmten. Nicht unbedingt ein werbewirksames Alleinstellungsmerkmal.
Myron Bolitar war der Chef von MB SportsReps, einer Sportagentur mit Sitz in der Park Avenue in New York. Die Räume hatte er von seinem früheren Collegezimmergenossen gemietet, Win, einem Spitzeninvestmentbanker aus einer weißen, angelsächsischen, protestantischen Familie mit altem Geld, der das Lock-Horne-Securities-Building in der Park Avenue in New York gehörte. Myron führte die Vertragsverhandlungen, während Win, einer der angesehensten Broker des Landes, sich um Investitionen und Finanzen kümmerte. Für alles Weitere war Esperanza Diaz, das dritte Mitglied im MB SportsReps-Team zuständig. Drei Bereiche, die sich gegenseitig kontrollierten. Wie die amerikanische Regierung. Sehr patriotisch.
Slogan: MB SportsReps - alle anderen sind linke Sozis.
Der alte Mann wurde von diversen Männern begrüßt, als er Myron durch die Menge führte. Die meisten trugen grüne Blazer - ein weiterer Look, den man vorwiegend auf Golfplätzen antraf, vielleicht um sich auf dem Gras zu tarnen. Sie flüsterten »Wie läuft's, Bucky« oder »Siehst gut aus, Bucky«. Alle sprachen mit dem Akzent der Reichen und Schönen, wo mommy »mummy« ausgesprochen wird und man in der entsprechenden Jahreszeit auf dem Landsitz »sommern« oder »wintern« fährt. Myron wollte schon eine Bemerkung über erwachsene Männer machen, die Bucky genannt werden, aber wenn dein Name Myron ist, na ja, Glashaus und Steine und so.
Wie bei jedem Sportereignis in der freien Welt, war das Spielfeld eher eine gigantische Werbefläche als eine Wettkampfstätte. Das Leaderboard wurde von IBM gesponsert. Canon verteilte die Papp-Periskope. An den Essensständen arbeiteten Angestellte von American Airlines (eine Fluglinie, die Essen ausgab, welchem Think Tank war das wohl entsprungen), in der Sponsorengalerie prästentierten sich lauter Firmen, die jeweils hundert Riesen geblecht hatten, um ein paar Tage lang ein Zelt aufzustellen, vor allem damit die leitenden Angestellten einen Grund hatten herzukommen. Travelers Group, Mass Mutual, Aetna (offenbar mögen Golfer Versicherungen), Canon, Heublein. Heublein. Was zum Teufel war Heublein? Sah nach einer netten Firma aus. Myron hätte sich gern ein Heublein gekauft, wenn er gewusst hätte, was das war.
Das Lustige daran war, dass die U. S. Open weniger kommerzialisiert war als die meisten anderen Golfturniere. Zumindest hatten sie ihren Namen noch nicht verkauft. Viele andere Turniere waren nach den Sponsoren benannt, sodass sie etwas alberne Namen trugen. Wer wollte schon die JC Penney Open, die Michelob Open oder gar die Wendy's Three Tour Challenge gewinnen?
Der alte Mann führte ihn zu einem exquisiten Parkplatz. Mercedes, Cadillac, Limousinen. Myron entdeckte Wins Jaguar. Die USGA hatte kürzlich ein Schild mit der Aufschrift NUR FÜR MITGLIEDER aufgestellt.
Myron sagte: »Sie sind Mitglied im Merion.« Meisterliche Schlussfolgerung.
Der alte Mann verwandelte seine Halsmacke in ein zustimmendes Nicken. »Meine Familie gehörte zu den Gründern«, sagte er, der versnobte Akzent trat noch deutlicher hervor. »Genau wie die Ihres Freundes Win.«
Myron sah den Mann an. »Sie kennen Win?«
Der alte Mann brachte eine Art Lächeln zustande und zuckte die Achseln. Unverbindlich.
»Sie haben mir Ihren Namen noch nicht genannt«, sagte Myron.
»Stone Buckwell«, sagte er und streckte die Hand aus. »Aber alle nennen mich Bucky.«
Myron schüttelte ihm die Hand.
»Außerdem bin ich der Vater von Linda Coldren«, fügte er hinzu.
Bucky öffnete die Tür eines himmelblauen Cadillacs, und sie stiegen ein. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Das Radio schaltete sich ein....
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