Schweitzer Fachinformationen
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Jane zerrieb die Margarine stückchenweise zwischen den Fingern und gab sie auf das Mehl. Eigentlich war es ihr lieber, wenn die Scones nach Butter schmeckten, aber das Budget der Vogelwarte war begrenzt, und die Ausflügler waren ohnehin meist so hungrig, wenn sie zum Mittagessen kamen, dass sie den Unterschied kaum bemerken würden. Als Jane das Flugzeug über dem Haus hörte, hielt sie kurz inne und lächelte. Dann hatte es also doch starten können. Zum Glück. An Bord befand sich ein halbes Dutzend Vogelkundler, die in der Warte übernachtet hatten. Weniger Gäste, das bedeutete auch weniger Arbeit für sie als Köchin, zumal die Leute, wenn sie wegen schlechter Wetterbedingungen hier strandeten, ohnehin schnell nervös und unleidlich wurden. Es lag zwar ein gewisser Reiz darin, beispielsweise einem einflussreichen Geschäftsmann zu erklären, dass da auch mit Geld nichts zu wollen war - wenn ein Orkan bevorstand, verkehrten nun mal weder Schiff noch Flugzeug, egal, wie viel man dem Kapitän oder dem Piloten bot -, aber Jane mochte die Atmosphäre in der Warte nicht, wenn Gäste gegen ihren Willen dort festsaßen. Das hatte immer etwas von einer Geiselhaft, und die Leute reagierten auf ganz unterschiedliche Weise darauf. Manche fügten sich teilnahmslos in ihr Schicksal, andere wurden regelrecht wütend.
Jane goss Dickmilch in den Teig. Obwohl sie tagtäglich Scones buk und die Abläufe im Grunde im Schlaf beherrschte, hatte sie Mehl und Milch sorgfältig abgewogen. So war sie eben: vorsichtig und akkurat. Im Kühlschrank lag noch ein Stück uneingepackter Käse, der dringend aufgebraucht werden musste, den rieb sie jetzt und rührte ihn ebenfalls unter den Teig. Falls das Postschiff am nächsten Tag nicht auslaufen konnte, würde sie wohl Brot backen müssen. Die Tiefkühltruhe war fast leer. Jane drückte den Teig für die Scones flach, stach Kreise daraus aus und legte sie dicht nebeneinander auf das Backblech, damit sie auch gut aufgingen. Der Backofen war bereits vorgeheizt, und sie schob das Blech hinein. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie jemanden in einer grünen Windjacke am Fenster vorbeigehen. Die Mauern des alten Leuchtturms waren fast einen Meter dick, und die Gischt hatte Salzschlieren an den Scheiben hinterlassen, sodass man nicht viel erkennen konnte, doch Jane war sich sicher, dass es Angela sein musste, die von der Inspektion der Vogelfallen zurückkam.
Es war Janes zweite Saison in der Vogelwarte von Fair Isle. Im letzten Frühjahr war sie zum ersten Mal hierhergekommen. Sie hatte die Anzeige in einer Zeitschrift für ländliche Lebensart entdeckt und sich beworben, ohne lange nachzudenken. Ein Impuls, vielleicht die erste impulsive Handlung ihres Lebens. Darauf folgte eine Art Bewerbungsgespräch am Telefon.
«Und warum möchten Sie einen ganzen Sommer auf Fair Isle verbringen?»
Mit dieser Frage hatte Jane natürlich gerechnet, schließlich hatte sie selbst lange genug in der Personalverwaltung gearbeitet und zahllose Gespräche mit Bewerbern geführt. Ihre Antwort war ebenso neutral wie seriös ausgefallen: Sie brauche eine neue Herausforderung, eine Auszeit, um sich darüber klarzuwerden, wie ihre Zukunft aussehen solle. Schließlich ging es ja um eine befristete Anstellung, und sie hörte ihrem Gesprächspartner an, dass ihm kaum eine Wahl blieb. In wenigen Wochen begann die Saison, und die bereits engagierte Köchin hatte sich von heute auf morgen mit ihrem Freund nach Marokko abgesetzt. Eine ehrliche Antwort auf die Frage wäre um einiges komplizierter ausgefallen.
Meine Lebensgefährtin hat beschlossen, dass sie unbedingt Kinder will. Das macht mir Angst. Wieso bin ich ihr denn nicht genug? Ich dachte, wir sind glücklich mit unserem beschaulichen Leben, und jetzt sagt sie mir, dass ich sie langweile.
Die Entscheidung, nach Fair Isle zu gehen, war im Grunde nicht besser, wie sich als Kind unter der Bettdecke zu verstecken. Eine Flucht vor der Demütigung, vor der aufkeimenden Erkenntnis, dass Dee eine andere gefunden hatte, die ihren Kinderwunsch teilte, während Jane allein und fast ohne Freunde zurückblieb. Sobald sie die Zusage von der Vogelwarte hatte, kündigte Jane ihre Stelle im öffentlichen Dienst, und da sie noch einige Urlaubstage übrig hatte, konnte sie das Büro noch am Ende derselben Woche verlassen. Es hatte eine kleine Abschiedsfeier gegeben, Sekt, einen Kuchen. Einen Büchergutschein. Die Kollegen zeigten sich vor allem erstaunt. Sie schätzten Jane für ihre Vernunft und Zuverlässigkeit, ihren klaren Verstand. Ihre Karriere samt der unschätzbar wertvollen einkommensabhängigen Altersvorsorge einfach aufzugeben und alles hinzuwerfen, um auf einer Insel zu leben, die man eigentlich nur wegen ihrer Strickwaren kannte - das passte gar nicht zu ihr.
«Kannst du denn überhaupt kochen?», hatte sich eine Kollegin erkundigt, die sich anscheinend schwer vorstellen konnte, dass die allseits respektierte Personalmanagerin sich mit solch profanen Dingen abgab. Diese Frage war Jane auch in dem chaotischen Bewerbungsgespräch am Telefon gestellt worden.
In beiden Fällen hatte sie wahrheitsgemäß geantwortet: «Aber ja.» Dee, ihre Lebensgefährtin, hatte gern Gäste gehabt. Sie leitete eine unabhängige Filmproduktionsfirma, und am Wochenende wimmelte es bei ihnen im Haus von Menschen: Schauspieler, Produzenten, Drehbuchautoren. Bei all diesen Zusammenkünften war Jane für die Verpflegung zuständig gewesen, von den Kanapees für die legendären Mittsommerpartys bis hin zu mehrgängigen Abendessen für zwölf Personen. Die Überlegung, wer diese Aufgabe wohl in Zukunft übernehmen würde, war ihr ein winziger Trost gewesen, als sie mit ihrem riesigen Rollkoffer das Haus in Richmond verließ. Dees Neue, Flora, mit ihrem spitzen Gesicht und ihrem glänzenden Haar, konnte Jane sich beim besten Willen nicht mit einer Küchenschürze vorstellen.
Jane war nach Fair Isle gekommen, ohne zu wissen, was sie dort erwartete. Dass sie sich vorher kaum über die Insel informiert hatte, war ein Zeichen dafür, wie sehr sie neben sich stand. Unter normalen Umständen hätte sie im Internet recherchiert, wäre in die Bibliothek gegangen, hätte sich einen ganzen Ordner mit wichtigen Informationen zusammengestellt. Doch nun hatten sich ihre Vorbereitungen darauf beschränkt, zwei neue Kochbücher zu kaufen. Sie würde schließlich mit wenig Geld nahrhafte Mahlzeiten zubereiten müssen, und so weit ging die Persönlichkeitsveränderung dann doch nicht, dass sie vorsätzlich einen schlechten Start in ihrer neuen Stelle riskiert hätte.
Sie war mit dem Postschiff gekommen, mit der Good Shepherd. Es war ein sonniger Tag gewesen, mit leichtem Wind aus Südost, und Jane hatte an Deck gesessen und zugesehen, wie die Insel immer näher kam. Sie verspürte die Aufregung des Entdeckertums, und damals wie heute hatte sie das Gefühl, dass diese Annäherung einer beginnenden Liebe ähnelte. Die ersten, zärtlichen Blicke, das langsame Sichnäherkommen. Bei schönem Frühlingswetter war es nicht weiter schwierig, sich in die Insel zu verlieben. Die Klippen wimmelten nur so von Seevögeln, und Gilsetter, die grasgrün überzogene Ebene südlich der beiden Häfen, war ein einziges Blumenmeer. Jane hatte sich Hals über Kopf verliebt, sowohl in Fair Isle als auch in die Vogelwarte. Sie war in den umgebauten Gebäuden am alten Leuchtturm an der Nordspitze untergebracht, der inzwischen auf automatischen Betrieb umgestellt worden war und in erhabener Einsamkeit hoch oben auf den grauen Klippen thronte. Jane war in einem Vorort von London aufgewachsen und hätte es sich nie träumen lassen, jemals an einem so wilden, spektakulären Ort zu leben. Bestimmt würde sie hier jemand ganz anderes sein als die verschüchterte Frau, die sich nie gegen Dee hatte durchsetzen können. Die Küche war sofort zu ihrem Reich geworden. Sie war groß und weitläufig. Früher hatte der Leuchtturmwärter dort seine Stube gehabt, wovon noch ein offener Kamin und zwei große Fenster mit Blick aufs Meer zeugten. Gleich nach der Ankunft, noch bevor ihr Koffer ausgepackt war, hatte Jane in der Küche alles so angeordnet, wie sie es gern hatte. So früh im Jahr kamen noch keine Gäste, aber die Belegschaft musste schließlich auch verpflegt werden.
«Was soll es denn zum Abendessen geben?», hatte sie sich erkundigt, dabei die Ärmel ihrer Baumwollbluse hochgerollt und sich ihre lange blaue Lieblingsschürze umgebunden. Als sie keine Antwort auf ihre Frage erhielt, warf sie einen Blick in den Kühlschrank und in die Tiefkühltruhe. Im Kühlschrank fand sich eine mit Frischhaltefolie abgedeckte Metallschüssel mit Reis, in der Truhe geräucherter Schellfisch. Jane zauberte einen großen Topf Kedgeree mit richtiger Butter und hartgekochten Eiern, die sie in dicke Scheiben schnitt. Zum Essen setzten sich alle um den großen Tisch in der Küche. Die Gespräche drehten sich um die Nistgewohnheiten des Steinschmätzers und die Anzahl der gesichteten Seevögel. Niemand fragte Jane, warum sie beschlossen hatte, Köchin auf Fair Isle zu werden.
Maurice meinte später, ihnen sei es vorgekommen, als wäre Mary Poppins persönlich aufgetaucht und hätte das Regiment übernommen. Sie hätten gleich gewusst, dass es gutgehen würde. Diese Bemerkung bedeutete Jane viel.
Der Duft sagte ihr, dass die Scones bald fertig waren. Sie nahm das Blech aus dem Ofen, stellte es auf den Tisch, zog die Scones auseinander, damit sie auch von innen gar wurden, und schob sie zurück in den Ofen. Dann stellte sie die Eieruhr auf drei Minuten, obwohl das eigentlich gar nicht nötig war. In dieser Küche brannte nichts an. Nicht, solange Jane zuständig war.
Die Tür ging auf, und Maurice kam herein. Er trug ein Flanellhemd...
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