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Januar 1960
Palm Beach
Mit dem Sammeln von Heiratsanträgen verhält es sich ähnlich wie mit dem Entwickeln exzentrischer Wesenszüge. Um in der feinen - oder auch nicht ganz so feinen - Gesellschaft Anerkennung zu finden, ist einer davon unbedingte Voraussetzung. Zwei stellen sicher, dass man auf Partys ein viel umworbener Gast ist. Drei fügen dem Ganzen das gewisse Etwas hinzu. Vier sind ein Skandal. Und fünf? Nun, fünf machen einen zur Legende.
Ich blicke hinunter auf den Mann, der in spektakulärer Geste vor mir aufs rechte Knie gesunken ist. Wie war bloß noch sein Name? Ein Übermaß an Sekt und Albernheit lässt seinen Oberkörper gefährlich schwanken. Es handelt sich um einen Cousin zweiten Grades des altehrwürdigen Preston-Clans, angeheiratet verwandt mit einem ehemaligen Vizepräsidenten und darüber hinaus Cousin eines amtierenden US-Senators. Sein Smoking ist elegant, seine Vermögenslage wohl eher bescheiden - es sei denn man kalkuliert optimistisch eine großzügige Berücksichtigung beim Erbe einer verstorbenen Tante ein -, und sein schwach ausgeprägtes Kinn spricht dafür, dass bereits zu viele Prestons andere Prestons geheiratet haben.
Andrew? Vielleicht Albert. Oder Adam?
Wir sind uns in Palm Beach auf einem halben Dutzend Partys wie dieser begegnet. Früher in Havanna hätte ich auf solchen Festen den Ton angegeben, heute muss ich katzbuckeln, um überhaupt Einlass zu finden. Der zweite Cousin von Amerikas höchsten Kreisen klingt da gar nicht so übel, schließlich können Bettler sich nicht erlauben, wählerisch zu sein, und Exilanten schon gar nicht. Vernünftig wäre es also, seinen Antrag - die sich so glücklich fügende Nummer fünf in meiner Sammlung - anzunehmen und, dem Beispiel meiner Schwester Elisa folgend, in den heiligen Stand der Ehe zu treten.
Nur wo bleibt da der Spaß?
Getuschel umschwirrt mich, Münder zischen meinen Namen - Beatriz Perez -, neugierige Blicke bohren sich in den Rücken meines Abendkleids, geraunte Wörter strömen auf mich ein, krallen sich meinen bauschigen Rock hinauf, grapschen nach den falschen Juwelen um meinen Hals und schmeißen sie zu Boden.
Sieh dir die an.
Hochnäsig. Genau wie der Rest der Sippe. Jemand sollte denen mal klarmachen, dass wir hier nicht auf Kuba sind.
Wie sie die Hüften bewegt! Und dann dieses Kleid!
Haben die nicht alles verloren? Fidel Castro hat doch die Zuckerrohrplantagen, die ihrem Vater gehörten, allesamt verstaatlicht.
Besitzt die denn keinen Funken Schamgefühl?
Mein Lächeln wird noch breiter, bis es die falschen Edelsteine an meinem Hals überstrahlt und zugleich deren Echtheitsgrad entspricht. Ich suche die Menge ab, schaue vorbei am knienden Alexander, der noch immer wie eine Landratte auf hoher See mit dem Gleichgewicht kämpft, vorbei an all den Verteidigern des guten alten Palm Beach, die mich vernichtend anfunkeln - bis ich in einer Ecke meine Schwestern Isabel und Elisa entdecke, die dort mit Sektflöten in den Händen stehen. Ihr Anblick verleiht mir Mut. Er genügt als Erinnerung daran, sich vor nichts und niemandem kleinzumachen.
Ich drehe mich zurück zu Alistair. »Schönen Dank, aber leider muss ich ablehnen.«
Mein Ton ist betont unbeschwert, so als würde ich die ganze Angelegenheit eher als Scherz auffassen. Noch dazu als einen im betrunkenen Zustand herausgerutschten Scherz, worum es sich ja hoffentlich auch handelt. Schließlich hält man doch nicht gleich, wenn man sich in jemanden verliebt, auch schon um dessen Hand an, oder? Ist das nicht . unpassend?
Den armen Arthur macht meine Antwort jedenfalls sprachlos.
Womöglich war die Sache doch kein Scherz.
Dann gewinnt er ganz langsam seine Fassung zurück, und das lässige Grinsen, das seine Lippen permanent umspielte, bevor er auf die Knie sank, kehrt mit aller Macht zurück und sorgt schließlich für die Wiederherstellung eines Gesichtsausdrucks, der sein natürlicher sein dürfte: strotzend vor unbändiger Zufriedenheit mit sich und der Welt, in der er lebt. Er ergreift meine ausgestreckte Hand, presst seine feuchte Handfläche gegen meine und zieht sich mit einem tiefen Grunzen unsicher auf die Beine.
Seine Augen verengen sich, sobald unsere Köpfe auf gleicher Höhe sind - zumindest annähernd auf gleicher Höhe, da mir die von meiner Schwester Isabel geborgten Stöckelschuhe noch einige zusätzliche Zentimeter verleihen.
Sein stechender Blick erinnert an ein Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat und das sich dafür demnächst mit einem öffentlichkeitswirksamen Tobsuchtsanfall rächen wird.
»Sie haben jemanden auf Kuba, der auf Sie wartet, richtig?« Der Unterton ist bissig genug, um körperlich spürbar zu sein.
Erneut setze ich mein hochkarätigstes Lächeln auf, das seinen brillantengleichen Feinschliff einst zu Füßen meiner Mutter erhielt und das in Situationen wie dieser von geradezu unschätzbarem Wert ist. Mit seinen scharfen, eisigen Spitzen warnt es den Adressaten unmissverständlich vor den Risiken, mir zu nahe zu kommen.
Bissig sein kann ich nämlich auch.
»Etwas in der Richtung«, lüge ich nur.
Da der Vertreter ihrer Kreise endlich wieder aufrecht steht und nicht länger herumkriecht vor diesem Eindringling, mit dem man sich in dieser Ballsaison gezwungenermaßen abfinden muss, wendet die Menge naserümpfend, aufseufzend und unter nervösem Rascheln maßgeschneiderter Abendkleider ihre Aufmerksamkeit von uns ab. Meine Familie verfügt gerade noch über ausreichend Geld und Einfluss - Zucker ist in Amerika ein fast ebenso lukratives Geschäft wie auf Kuba -, dass sie es sich nicht leisten können, uns ganz offen zu missachten, aber dieser Status genügt längst nicht, um sie daran zu hindern, über uns herzufallen wie ein ausgehungertes Wolfsrudel, das blutiges Fleisch riecht. Fidel Castro hat uns alle zu Bettlern gemacht, und allein dafür würde ich ihm am liebsten ein Messer ins Herz rammen.
Und plötzlich stehen die Wände zu dicht, ist das Licht im Festsaal zu grell und mein Mieder zu eng geschnürt.
Inzwischen ist nahezu ein Jahr vergangen, seit wir Kuba verließen - für einige wenige Monate, wie wir glaubten. Nur bis die Welt begreifen würde, was Fidel Castro unserer Insel antat. Nahezu ein Jahr, seit Amerika uns in seine nicht unbedingt freudig geöffneten Arme schloss.
So bin ich derzeit umgeben von Menschen, denen meine Gesellschaft missfällt, die ihre Abneigung allerdings hinter einem höflichen Lächeln und geheucheltem Mitgefühl verbergen. Sie recken ihre Patriziernasen in die Luft und sehen auf mich herab, weil meine Familie noch nicht seit den Gründerzeiten in Amerika ansässig ist, nicht auf einem Schiff von England hersegelte oder irgend so ein Unfug. Meine Züge sind eben eine Spur zu dunkel, mein Akzent zu fremd, mein Glaube zu katholisch, und mein Nachname zu kubanisch.
Wie ein geölter Blitz eilt eine ältere Frau, deren Teint und Gesichtszüge denen von Anderson ähneln, auf uns zu und befreit mich von diesem starren Blick, der mich in die Schranken weisen soll. Mein abgewiesener Verehrer entschwindet in einem Wirbel von Givenchy, und ich bin wieder allein.
Ginge es nach mir, würden wir solche Partys - diese einmal ausgenommen - grundsätzlich meiden und gar nicht erst versuchen, uns in die besseren Kreise von Palm Beach zu integrieren. Es geht jedoch nicht um das, was ich möchte. Es geht um meine Mutter, meine Schwestern und um die Bemühungen meines Vaters, seine Geschäftsbeziehungen mithilfe dieser sozialen Kontakte ausreichend zu erweitern, sodass nie wieder jemand die Macht hat, uns zu zerstören.
Und natürlich geht es auch, wie stets, um Alejandro.
Ich steuere einen der Balkone des Ballsaals an und nehme dabei den Saum meines Kleids auf, um nicht irgendwo mit dem feinen Stoff hängen zu bleiben.
Die Türen stehen offen, und kaum trete ich auf den steinernen Balkon hinaus, fährt die Abendbrise in den Rock meines Kleides. Die Luft ist angenehm frisch, der Himmel klar und mit hell leuchtenden Sternen überzogen, der Mond voll. In der Ferne ist das dumpfe Rauschen des Meeres zu hören. Dieses Geräusch hat meine Kindheit geprägt, meine ersten Erwachsenenjahre, und es ruft mich wie Sirenengesang. Ich schließe die Augen, die unvermittelt zu brennen beginnen, und stelle mir vor, auf einem anderen Balkon zu stehen, in einem anderen Land, zu einer anderen Zeit. Was, wenn ich jetzt einfach zum Wasser gehe, die Party hinter mir lasse, mir die drückenden Schuhe ausziehe und meine Zehen in den Sand grabe, während das Meerwasser meine Knöchel umspült?
Eine Träne läuft mir über die Wange. Ich hätte nie gedacht, dass man einen Ort so sehr vermissen kann.
Mit dem Handrücken wische ich mir über die feuchte Haut und lenke meinen Blick auf den Rand der Balkons, hinter dem sich die Palmen im Wind wiegen.
Ein Mann lehnt an der Balustrade, halb in Dunkelheit gehüllt, halb beschienen vom Mondlicht.
Er ist groß, hat blonde, eigentlich schon rötliche Haare. Seine Arme stützen sich auf das Geländer, seine Schultern spannen den maßgeschneiderten Smoking.
Ich mache einen Schritt zurück, und er bewegt sich .
Ich erstarre.
Oh.
Wenn einem die Leute das ganze Leben lang erzählen, wie schön man ist, dann hat das zur Folge, dass es immer stärker an Bedeutung verliert, je häufiger man es hört. Was meint »schön sein« überhaupt? Dass die eigenen Gesichtszüge in einer Weise geformt sind, die irgendjemand irgendwo...
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