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Der Teufel soll diese stinkende Insel holen«, sagte Brock, blickte sich am Strand um und starrte zu den Bergen hinauf. »Ganz China zu unseren Füßen, und wir bekommen dabei nich' mehr ab als so einen nassen Felsen, auf dem nich' mal was wächst.«
Er stand mit zwei anderen Chinahändlern am Ufer. Rings um sie her standen in Gruppen Kaufleute und Offiziere der Expeditionsstreitkräfte. Sie alle warteten auf den Offizier der Königlichen Marine, der die Zeremonie einleiten sollte. Eine Ehrenwache von zwanzig Seesoldaten war in zwei exakt ausgerichteten Gliedern neben dem Flaggenmast angetreten. Das Scharlachrot ihrer Uniformen bildete einen grellen Farbklecks in der Landschaft. Matrosen, die in ungeordneten Haufen in ihrer Nähe herumstanden, hatten soeben den Flaggenmast in die steinige Erde gesetzt.
»Bei acht Glasen sollte die Flagge geheißt werden«, erklärte Brock, und seine Stimme war rau vor Ungeduld. »Wird eine Stunde später werden. Warum geht's denn nicht endlich los, verdammt noch mal!«
»Es bringt üblen Joss, an einem Dienstag zu fluchen, Mr Brock«, meinte Jeff Cooper. Er war ein hagerer Amerikaner aus Boston, ein Mann mit Hakennase in einem schwarzen Gehrock, den Filzzylinder schief auf den Kopf gedrückt.
»Ganz üblen Joss!«
Coopers Begleiter, Wilf Tillman, gab es einen leichten Ruck, als er aus der näselnden Stimme des jüngeren Mannes die verborgene Schärfe heraushörte. Tillman war untersetzt, hatte ein rötliches Gesicht und stammte aus Alabama.
»Und ich sage Ihnen, dieser ganze gottverdammte Fliegendreck ist nichts anderes als übler Joss!«, erklärte Brock. »Joss« war ein chinesisches Wort, das Glück, Schicksal, Gott und Teufel in einem bedeutete. »Gottverdammt übel!«
»Hoffentlich nicht, Sir«, entgegnete Tillman. »Die ganze Zukunft des Chinahandels liegt jetzt hier - guter oder schlimmer Joss hin oder her.«
Brock sah auf ihn herunter. »Hongkong hat keine Zukunft. Was wir brauchen, sind offene Häfen auf dem chinesischen Festland.«
»Es gibt keinen besseren Hafen in diesen Gewässern«, antwortete Cooper. »Platz genug, um alle unsere Schiffe an Land zu setzen und zu überholen. Platz genug, um Wohnhäuser und Lagerschuppen für uns zu bauen. Endlich keine Einmischung der Chinesen mehr.«
»Eine Kolonie muss anbaufähiges Land und Bauern haben, die dieses Land bearbeiten, Mr Cooper. Eigene Einkünfte«, erklärte Brock ungeduldig. »Ich bin hier kreuz und quer herumgelaufen, ebenso wie Sie. Wie soll man denn hier etwas ernten? Es gibt keine Felder, keine Bäche, kein Weideland. Also gibt's auch kein Fleisch und keine Kartoffeln. Alles, was wir brauchen, müssen wir einführen. Stellen Sie sich einmal vor, was das kostet! Mensch, sogar das Fischen wird lausig sein. Und wer soll denn überhaupt die Unterhaltskosten für Hongkong tragen, he? Wir und unser Handel, verdammt noch mal!«
»Du meine Güte, Mr Brock, an eine solche Kolonie denken Sie?«, rief Cooper. »Ich hatte gedacht, das Britische Reich« - er spuckte geschickt gegen den Wind - »hätte schon mehr als genug solcher Kolonien.«
Brocks Hand verirrte sich in die Nähe seines Messers. »Haben Sie eben gespuckt, weil Sie was im Hals hatten, oder haben Sie vielleicht das Empire gemeint?« Tyler Brock war ein kräftiger, einäugiger Mann, der auf die fünfzig zuging, ebenso hart und ausdauernd wie das Eisen, das er in seiner Jugend in Liverpool hatte verhökern müssen, und ebenso kampfstark und gefährlich wie die bewaffneten Handelsschiffe, auf denen er geflohen war und über die er schließlich als Chef von Brock and Sons herrschen sollte. Seine Kleidung hatte eine Stange Geld gekostet, und das Messer an seinem Gürtel war mit Juwelen besetzt. Bart und Haar waren ergraut.
»Es ist kalt heute, Mr Brock«, erwiderte Tillman hastig, innerlich über das lose Maulwerk seines jungen Partners erzürnt. Brock war kein Mann, den man reizen durfte, und offene Feindschaft mit ihm konnten sie sich noch nicht erlauben. »Ziemlich scharfer Wind, was, Jeff?«
Cooper nickte kurz. Aber er wandte seinen Blick nicht von Brock ab. Er hatte zwar kein Messer, aber dafür in seiner Tasche eine kurze Pistole von schwerem Kaliber. Er war ebenso groß wie Brock, nur schlanker und leichter, und er hatte keine Angst.
»Möchte Ihnen einen guten Rat geben, Mr Cooper«, sagte Brock. »Besser, Sie spucken nicht so oft, wenn Sie gerade vom >Britischen Reich< geredet haben. Könnten ja mal auf Leute stoßen, die so was nicht so ohne Weiteres zu Ihren Gunsten auslegen.«
»Danke, Mr Brock, ich will daran denken«, erwiderte Cooper leichthin. »Und auch ich gebe Ihnen einen Rat: Es bedeutet einen üblen Joss, an einem Dienstag zu fluchen.«
Brock unterdrückte seinen Zorn. Am Ende würde er Cooper, Tillman und ihre Firma, die größte der amerikanischen Kaufleute, doch noch vernichten. Jetzt brauchte er sie allerdings als Verbündete gegen Dirk und Robb Struan. Brock verfluchte den ganzen Joss. Joss hatte Struan & Co. zum größten Handelshaus in Asien gemacht, das so reich und so mächtig war, dass die anderen Kaufleute im Chinahandel es voller Respekt und Neid The Noble House getauft hatten - ein vornehmes Haus also, weil es das erste war an Reichtum und an Großzügigkeit, das erste im Handel, weil es die meisten Klipper hatte, aber vor allem, weil Dirk Struan der Tai-Pan war, der Tai-Pan unter allen Tai-Panen Asiens. Und Joss hatte Brock ein Auge gekostet; das war vor siebzehn Jahren, in dem Jahr, in dem Struan sein Reich gegründet hatte.
Draußen auf See war es passiert, nicht weit von der Insel Tschuschan. Tschuschan lag genau südlich vom großen Hafen Schanghai, in der Nähe der Mündung des mächtigen Jangtsekiang. Brock hatte sich mit einer riesigen Ladung Opium durch den Monsun gekämpft; Dirk Struan war nur ein paar Tage später ausgelaufen, ebenfalls mit Opium beladen. Brock hatte als Erster Tschuschan erreicht, seine Fracht verkauft und war wieder ausgelaufen - voller Schadenfreude darüber, dass Struan nun weiter nach Norden ziehen musste, um an einer neuen Küste und unter neuen Gefahren sein Glück zu versuchen. Brock war nach Süden davongebraust, heimwärts - nach Macao -, die Kästen mit Silber gefüllt und mit großer Fahrt vor dem Wind. Plötzlich aber war ein gewaltiger Sturm aus dem Chinesischen Meer über sie hergefallen. Die Chinesen nannten diese Stürme tai-fung, die Allmächtigen Winde. Die Kaufleute nannten sie Taifune. Sie waren der Schrecken aller.
Der Taifun hatte Brocks Schiff erbarmungslos zusammengeschlagen, und er war unter stürzenden Masten und Spieren begraben worden. Als er hilflos dalag, hatte ein losgerissenes Fall, vom Sturm gepackt, auf ihn eingedroschen. Seine Leute hatten ihn befreit, aber erst, nachdem das wild pendelnde Fall ihm mit dem Schäkel das linke Auge ausgeschlagen hatte. Das Schiff hatte schon schwere Schlagseite, und er half seiner Mannschaft, Takelung und Masten zu zerhacken und über Bord zu hieven. Wie durch ein Wunder hatte sich das Schiff wieder aufgerichtet. Dann hatte er sich Branntwein in die blutende Augenhöhle gegossen. Den Schmerz würde er sein Leben lang nicht vergessen.
Jetzt musste er daran denken, wie er, lange nachdem man ihn als verloren aufgegeben hatte, in den Hafen geschlichen war. Sein schöner Dreimast-Klipper war nichts weiter mehr als ein Rumpf mit klaffenden Fugen; Masten, Kanonen und Takelung hatte die Tiefe verschlungen. Nachdem Brock Rahen und Takelage, Masten und Kanonen, Pulver, Kugeln und Mannschaften wieder ersetzt und eine neue Ladung Opium gekauft hatte, war der ganze Gewinn aus dieser einen Fahrt dahin gewesen.
Struan war in einer kleinen Lorcha - einem Schiff europäischer Bauart mit chinesischer Takelung, das bei gutem Wetter für den Küstenschmuggel benutzt wurde - in den gleichen Taifun geraten. Aber Struan, der einen glücklicheren Joss hatte, stand den Sturm durch und hatte, elegant und ungerührt wie immer, Brock an der Pier begrüßt, Spott in den grünen Augen.
Dirk und sein verdammter Joss, dachte Brock. Joss, der es Dirk ermöglicht hatte, aus dieser einen elenden Lorcha eine Flotte von Klippern und Hunderte von Lorchas zu machen, Lagerhäuser und Edelmetallreserven. Dieses gottverdammte Noble House. Joss hatte Brock and Sons auf einen gottverdammten zweiten Platz verwiesen. Auf den zweiten! Und, dachte er, Joss hat ihm auch das Ohr unseres gottverdammten, knieweichen Generalbevollmächtigten geöffnet, des Ehrenwerten gottverdammten Longstaff. Und das all die Jahre hindurch. Jetzt haben sie uns verraten und verkauft. »Die Pest über Hongkong und die Pest über Struan!«
»Hätte es Struans Plan nicht gegeben, ihr hättet den Krieg niemals so leicht gewonnen«, sagte Cooper.
Zwei Jahre zuvor war der Krieg in Kanton ausgebrochen, als der Kaiser von China, entschlossen, die Europäer zu ducken, den Versuch unternommen hatte, den Opiumschmuggel zu unterbinden, der für den britischen Handel von wesentlicher Bedeutung war. Ling, der Statthalter von Kanton, hatte das Ausländerviertel mit Truppen abgeriegelt und verlangt, dass jede Kiste Opium in Asien als Lösegeld für die wehrlosen englischen Kaufleute herausgegeben wurde. Im Lauf der Zeit waren zwanzigtausend Kisten Opium übergeben und vernichtet worden. Den Engländern wurde gestattet, sich nach Macao zurückzuziehen. Die Briten vermochten sich jedoch weder mit der...