Vorwort
Von Klaus Hofsäss
2. August 1987 - VANCOUVER
Finale DEUTSCHLAND - USA
Matchball. Mein Puls auf der Bank springt auf 180. Claudia steht selbstbewusst, mit breiter Brust am Netz und klammert sich am Griff ihres Schlägers fest. Steffi schlägt auf und eiert den zweiten Service auf die Vorhand von Chris Evert. Der Ball ist im Netz. Steffi und Claudia fallen sich jubelnd in die Arme, genauso wie die beiden Väter. Die erste Mannschaft, die für den DTB eine Weltmeisterschaft gewonnen hat.
Fünf Jahre zuvor, im Mai 1982 - ich war gerade, mit 33 Jahren Bundestrainer der Damen geworden - hatte ich das Glück, eine Top-Athletin wie Claudia bei unserem ersten Lehrgang in Hannover näher kennenzulernen. Fleiß, Disziplin, Kreativität und Spielverständnis waren die Eigenschaften, die mir besonders bei ihr auffielen. Mannschaftsgeist ist in der Einzelsportart Tennis normalerweise nicht sehr ausgeprägt. Welch gute Teamplayerin Claudia war, konnte ich bei unserem ersten gemeinsamen Federation Cup im Juli 1982 in Santa Clara feststellen. Ob beim Training, außerhalb des Platzes oder beim Essen, Claudia sorgte immer für positive Stimmung.
27. Juli 1982 - SANTA CLARA
11:00 Uhr
Deutschland steht mit den beiden Youngsters, der 18-jährigen Claudia Kohde und der 19-jährigen Bettina Bunge - und mit mir als Anfänger auf dem Stuhl - im Finale gegen das wohl stärkste Team aller Zeiten: Martina Navratilova, Chris Evert und Pam Shriver. Die ganze Woche über war es sehr heiß, und bis zum Halbfinale mussten wir unsere Matches immer in der Mittagshitze austragen, während die USA den Vorzug hatten und in den kühlen Night Sessions angesetzt wurden. "America first", später von Donald Trump übernommen, war natürlich damals schon selbstverständlich. Und so wurden wir dann um zwanzig Uhr gegen die an Nr. 2 gesetzten Australierinnen angesetzt. Glücklich, aber auch sehr müde, waren wir nach dem 3:0-Sieg gegen drei Uhr nachts im Hotel. Bettina Bunge hatte ich schon bei Satz und 6:5 Führung gegen die australische Wimbledon-Siegerin Evonne Goolagong beim letzten Seitenwechsel einen Absacker verabreicht. Hektisch und mit Zweifel kam sie zum Seitenwechsel, wo ich ihr anstatt Wasser einen Schluck Budweiser gab. Mit großen Augen und einem Lachen stellte sie fest: "Das ist ja Bier!!!" Die anschließenden vier Punkte gingen ihr dann leicht von der Hand. Nach einer kurzen Nacht hörten wir auf dem Center Court ehrfürchtig die amerikanische Hymne, gesungen von einer markerschütternden Stimme. Claudia gegen die 18-fache Grand-Slam-Siegerin Chris Evert - eine Partie, die ich immer noch vor Augen habe - spielte ein taktisch kluges und sehr diszipliniertes Match, was ihr eine 3:1-Führung im dritten Satz einbrachte. Beim Stand von 3:2 wurden die Seiten gewechselt auf dem merklich ruhiger gewordenen Center Court, als plötzlich Martina Navratilova zu der Bank von Christ Evert lief und kniend auf sie einredete. Ein Jahr später hätte ich bei dieser unerlaubten Aktion Einspruch erhoben. Damals war ich noch zu "grün" hinter den Ohren, mit zu viel Respekt vor dieser erfolgreichen Spielerin. Sicherlich war auch Claudia in ihrer Konzentration etwas gestört. Sie verlor nach großem Kampf den dritten Satz mit 4:6 und damit das Match.
Damentennis war zu dieser Zeit noch wenig präsent in der Öffentlichkeit. So war auch nur Hans-Jürgen Pohmann angereist, der einzige Journalist, der uns durch die Woche begleitet hatte. Auch Hanns Joachim Friedrichs, der mit der Kanzlermaschine von Helmut Schmidt in San Francisco war, schaute sich unser Viertelfinale gegen die Schweiz an. Aber immerhin schrieb die FAZ damals in einem Zweizeiler: "Federation Cup Team unterliegt USA im Finale." Mehr Aufmerksamkeit wurde dem Damentennis 1983 nach unserem erneuten Finaleinzug gegen die CSSR gerecht. Auf einer halben Seite in der FAZ schrieb Tennis-Papst Ulrich Kaiser über das "Fräuleinwunder".
Am Anfang eines Matches hatte Claudia manchmal das Problem, dass sie sich der Spielweise und Spielstärke ihrer Gegnerinnen anpasste. So auch im Viertelfinale des Federation Cup 1983 in Zürich gegen die ehemalige Wimbledon-Siegerin Virginia Wade. Schnell stand es 1:4, und Claudia murmelte von der Grundlinie die Bälle zurück. Nach meiner Drohung, sie nicht mehr aufzustellen, sollte sie nicht mit jeder Möglichkeit ans Netz gehen, fegte sie ihre Gegnerin 6:4 6:1 vom Platz.
Damentennis bekam nun auch etwas mehr Aufmerksamkeit beim DTB. Ein Trainingslager auf Gras in Perth (Australien) wurde uns im November 1983 genehmigt. Die damals 14-jährige Steffi konnte ich gegen die Stimmen der Jugendwarte auf die Reise mitnehmen, zusammen mit den drei Top-Spielerinnen Claudia, Eva Pfaff und Bettina Bunge. Claudia und Bettina, mit viel Gras-Erfahrung, unterstützen Klein-Steffi täglich. Diese tat sich in den ersten zwei Tagen schwer auf dem ungewohnten Belag. So rief mich dann auch Peter Graf am Abend an, um mir zu sagen, dass es ein Fehler war, Steffi mitzunehmen. "Sie wird nie eine Gras-Spielerin", sagte er, was heute durchaus hinterfragt werden kann. Jung und ganz jung zu integrieren, war gelungen, und wir hatten damit in Perth einen Grundstein für den späteren Erfolg in Vancouver gelegt.
Steffis Debüt im Federation Cup Team kam dann 1986 in Prag, zusammen mit den alten Hasen Claudia und Bettina. Martina Navratilovas Rückkehr als US-Bürgerin in ihre ursprüngliche Heimat sorgte für großes mediales Interesse. Trotz starker Konkurrenz aus der Tschechoslowakei und den USA glaubten wir an unsere Chance. Nach Siegen gegen Belgien und Brasilien wartete - mit der kompletten Familie Maleeva - Bulgarien als größere Herausforderung auf uns.
Inzwischen begleiteten uns auch mehrere Funktionäre und Offizielle des DTB. So saß dann auch einer der Herren gelangweilt auf der Terrasse der Cafeteria und bewegte einen Sonnenschirm, der in einem Betonklotz festgemacht war. Der Weg vom Trainingsplatz führte uns an der Cafeteria vorbei, wo der Schirm mit Betonständer in dem Moment, als Steffi um die Ecke kam, ihren großen Zeh spaltete. Zurück vom Krankenhaus, musste ich Steffi - ausgestattet mit einem großen Gips - von einem Trainingsplatz wieder runterholen, um ihr dann klarzumachen - was nicht leicht war - dass sie mit dem Gipsfuß unmöglich gegen die Bulgarinnen spielen konnte. Stillschweigen von allen gegenüber der Presse und Steffis Vater war selbstverständlich. Die Bulgarinnen wurden von Claudia und Bettina glatt geschlagen.
Unversehrt überstand der ARD- und Radio-Journalist Erich Laser einen Sturz von einem TV-Kameragerüst zwei Meter in die Tiefe. Er war wohl bei den hohen Bällen von Manuela Maleeva eingeschlafen. Ohne Steffi war dann Endstation im Halbfinale gegen die USA. Ein kleiner Traum war zu Ende, aber der Wille und Glaube, den Federation Cup eines Tages zu gewinnen, war noch stärker geworden.
Claudias Rückhand-Schmetterball, für mich der Beste im Damentennis, hatten wir immer wieder in den Hügeln von Marbella trainiert. Marbella war dann auch für zehn Tage der Treffpunkt für unsere Mission Vancouver. Harte Einheiten, andalusische Küche und Jet Ski sorgten für gute Stimmung. Das Medieninteresse war riesengroß - Steffi hatte Paris gewonnen und im Finale von Wimbledon gestanden. Claudia hatte mit Helena Suková das Doppel in Wimbledon gewonnen. Für mich keine Frage: Nur die beiden können ein entscheidendes Doppel gewinnen! Aufgemacht von der BILD und von anderen übernommen, wurden dann aber Steffi und Bettina Bunge als Doppel favorisiert. Auf dem Flug von Frankfurt nach Vancouver hatte die Lufthansa für genügend Beinfreiheit gesorgt. Jeder von uns glaubte fest daran, den Federation Cup dieses Mal zu gewinnen.
Parallel zu unserer Trainingswoche in Vancouver spielte das Davis-Cup-Team in Hartford gegen die USA um den Abstieg. 6,39 Stunden dauerte das legendäre Match zwischen Boris Becker und John McEnroe. Deutschland konnte den Abstieg vermeiden, und das amerikanische Doppel Flach/Seguso zerlegte das Hotelzimmer.
Dienstag hatten wir unser erstes Spiel in Vancouver. Am Montagabend kamen dann 37 Journalisten und ebenso viele Funktionäre aus Hartford eingeflogen. Einige der Funktionäre hatten Schlafmangel und waren in Hartford sehr durstig gewesen. Da wir uns auf unser erstes Match vorbereiteten und niemand von der Mannschaft präsent war, wurde sofort von schlechter Stimmung in der Mannschaft gesprochen, was dann auch in der Presse zu lesen war. Für den Transport vom Hotel zur Anlage im traumhaften West-Vancouver stand uns ein Kleinbus zur Verfügung. "So far away" von den Dire Straits, eingelegt bei jeder Fahrt von Silke Meier, der besten Ersatzspielerin, die man sich vorstellen kann, brachte uns einen zusätzlichen Motivationsschub und den Glauben: "WIR SCHAFFEN DAS", was am 31. August 2015 auf der Bundespresse-Konferenz übernommen wurde. Zusätzlich gab es von mir zu jedem gegnerischen Team ein kurzes "Briefing", für das mich heute die Bundesbeauftragte für Diskriminierung sicher angehen würde. So wurden dann die Argentinierinnen im Viertelfinale zu "Steaks" verarbeitet, die Tschechinnen im Halbfinale zu "böhmischen Knödeln", und im Finale die USA zu "Hamburgern". Im Halbfinale und Finale stand es nach den Einzeln jeweils 1:1. Claudia und Steffi harmonierten hervorragend, und Ballwechsel über zwanzigmal waren häufig zu sehen. Claudia wird sicher diesem unglaublichen Doppel ein besonderes Kapital widmen. "Schreiben Sie, wir haben gewonnen", war meine süffisante Antwort auf der abschließenden Presskonferenz.
Die Marktanteile der TV-Einschaltquoten wurden immer größer. So...