Schweitzer Fachinformationen
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Staatsanwalt Bernd Wesseling saß in seiner Aachener Privatwohnung und trank mit seiner Frau Hilde Kaffee. Es war ein Freitagnachmittag, da gab es Kuchen bei Wesselings. Neuerdings. Hilde lief auch nicht mehr wie früher in bequemer Hauskleidung herum, sondern hatte sich in Schale geworfen. Kamelfarbener Hosenanzug, die Jacke hing über der Stuhllehne, ein braunes, knappes T-Shirt. Auch trug sie beileibe keine Hausschuhe, sondern braun-weiße Sneakers. Ihre Frisur schien gerade erst gekämmt, der Lippenstift war frisch.
Wesseling selbst war sowieso immer akkurat gekleidet und frisiert, das hatte er seiner Frau zu verdanken. Er mochte den Anblick, der sich ihm gegenüber bot, und lächelte seine Hilde zufrieden an.
Zwischen ihnen standen eine Kaffeekanne, ein Milchkännchen, ein Zuckertopf und eine Kuchenplatte mit zwei Stückchen Bienenstich. Zwei Stückchen Erdbeerkuchen warteten bereits auf den weißen Esstellern darauf, verspeist zu werden. Wesseling verströmte einen dezenten Herrenduft, der unmittelbar mit Hildes neuem Parfum konkurrierte.
Seit Hilde 2004 im Schwarzwald in Kur gewesen und mit einem gesunden Rücken und einem Schatten namens Schmidt nach Hause gekommen war, hatten sich viele Dinge im Hause Wesseling geändert. Hilde hatte ihn damals regelrecht erpresst. Wenn er, Bernd, nicht ab sofort dies und das täte und dies und das ließe, würde sie mit Herrn Schmidt auf und davon gehen. Für immer.
Herr Schmidt kam von »drüben«, wie sie sagte, als Bernd sich interessiert nach ihrer beider Ziel erkundigte. Nähere geografische Angaben wollte sie nicht machen. Schließlich sollte er sie nicht suchen und finden können.
Wesseling verstand die Welt nicht mehr. Hilde war am Osten nie etwas gelegen, im Urlaub sollte es immer der Süden sein. Je wärmer, je lieber.
»Was gibt es denn Neues, mein Lieber?«, fragte Hilde. Ein Happen Erdbeerkuchen verschwand zwischen ihren roten Lippen. Sie mahlte und legte den Kopf schief.
Früher hätte er geantwortet: »Je nun«, sich in Schweigen gehüllt und hinter einer Zeitung verschanzt. Über seine Arbeit sprach er nicht gern. Das nützte ihm nun nichts mehr. Das war Teil des Arrangements, das er eingegangen war, um Hilde nicht in den Osten ziehen lassen zu müssen.
Auch Herr Schmidt gehörte der Vergangenheit an. Sie hatten ihn bezwungen. Und irgendwie waren sie ihm heute noch dankbar für sein Auftauchen. Wesseling natürlich mehr über sein Abtauchen. Herr Schmidt hatte eine deutliche Spur hinterlassen.
Wesseling hatte Hilde versprochen, sie mehr an seinem Leben teilnehmen zu lassen und ihr mehr Zeit zu schenken und ab sofort einen Herrenduft zu benutzen.
Sie hatte versprochen, öfter einmal mit ihm auszugehen, in ein Konzert, oder zu wandern und nicht nur das Leben einer Hausfrau zu führen, wozu gehörte, dass sie sich immer nett anzog. Manchmal war es ihm fast schon zu modern, was sie trug, aber er würde den Teufel tun und etwas sagen.
Allein bei Hildes Wunsch, gemeinsam Mitglied in einem Fitness-Studio zu werden, war Wesseling hart geblieben. Wann immer sie das Thema zur Sprache brachte, war seine stoische Antwort: »Da gehe ich nicht hin, und wenn du dreimal gen Osten ziehst.« Alles hatte seine Grenzen. Wenn er jemals irgendeinen Sport – außer Wandern – betreiben sollte, dann an der frischen Luft. Das wollte Hilde nicht. Sie wollte sich nicht vom Wetter abhängig machen.
Bei einem Tanzkurs wurde Wesseling allerdings schwach.
Auch der freitägliche Kaffeeklatsch war ihm ein liebes Ritual geworden, das ein Wochenende einläutete. Ihre Ehe stand unter einem guten, neuen Stern. Auch wenn es irgendwo in Wesselings Dienstbereich Tote gab, lagen sie stets erst an zweiter Stelle.
Hildes Frage stand noch unbeantwortet im Raum, als er ihr Kaffee nachgoss und sagte: »Ich habe dir doch von diesem merkwürdigen, angeblichen Autounfall erzählt.«
»Natürlich«, posaunte Hilde stolz hinaus. »Ich bin auf dem Laufenden. Heute vor genau einer Woche, exakt am 5. Mai: Alexander Linden, noch keine dreißig, aus Heimbach. Laut Obduktion bewusstlos am Steuer durch eine Überdosis Schlaftabletten. Ein ausgehebelter oder blockierter Gaszug und ein Baum an der falschen Stelle waren ursächlich …«
»Psst«, machte Wesseling automatisch. Hilde wusste mehr als die Presse.
Sie sah sich um. »Wir sind allein, Bernd. Habt ihr endlich den Täter?«
»Nein, aber so wie es aussieht, einen ähnlichen Fall.«
»Oh Gott«, rief Hilde ehrlich bestürzt aus. Es irritierte Wesseling immer, wenn sie sich seine Fälle so zu Herzen nahm. »Schon wieder?«
»Im Gegenteil, er hat sich schon im Dezember letzten Jahres ereignet, aber wir haben es nicht gemerkt. Kurz vor Weihnachten.«
»Wie schrecklich, gerade an Weihnachten. Davon hast du mir nichts erzählt.«
»Es war auch kein Mordfall für uns, verstehst du, Hilde. Es schien uns ein Unfall zu sein. Der Tote wurde nicht obduziert, das Gaspedal wurde nicht untersucht. Die Akte kam gar nicht erst auf meinem Tisch. Das kann passieren. Du weißt, wie überlastet sie in der Rechtsmedizin sind.«
»Du hast es mir gesagt. Wie seid ihr denn dieses Mal draufgekommen?«
»Die Eltern des ersten Toten haben sich gemeldet, weil sie von dem Unfall in der Zeitung gelesen haben.«
»War die Unfallstelle die gleiche?«, setzte Hilde das Verhör fort.
Wesseling bejahte.
»Da stehen ja genug Bäume.«
»Hilde!«, ermahnte er sie entrüstet. »Als wir dann weitersprachen, kam noch mehr ans Tageslicht.«
»Was denn?«
Wesseling schüttelte den Kopf.
»Verstehe.«
»Das Auto von damals ist natürlich schon in der Presse verschwunden, aber die Eltern waren mit einer Exhumierung des Toten einverstanden.«
»Wie heißt er?«
»Das kann ich dir erst sagen, wenn feststeht, ob er wirklich ermordet wurde.«
»Gut«, beschloss Hilde das Verhör und ging zu ihrem Schlusssatz über: »Ich schweige wie ein Grab.«
Nun war alles gesagt. Wesseling hatte seine Schuldigkeit getan. Er lehnte sich zurück, seufzte und ließ seinen Blick über die kleine Bildergalerie schweifen, die an den Esszimmerwänden hing und Resultat seiner Zeichnungen war, die er während oder nach seinen diversen Wanderungen angefertigt hatte.
Manchmal kam ihm sein neues Leben richtig anstrengend vor. Er, seine Berichte wiederkäuend, und Hilde mit ihrer Fragerei. Aus ihr wäre eine gute Journalistin geworden. Und dann das Versprechen zum Schluss. Ich schweige wie ein Grab. Sicher, er hatte sie anfangs darum gebeten. Aber war es nötig, den Satz ständig zu wiederholen? Auch wenn er signalisierte, dass die bohrende Fragerei ein Ende hatte.
Heute nicht einmal das.
»Ich werde wohl Montag nach Schleiden müssen«, kündigte Wesseling an. »Man kann nicht alles vom Schreibtisch aus regeln.«
»Verstehe.« Hilde kratzte Kuchenkrümel zusammen und fragte beiläufig und ohne hochzusehen: »Darf ich vielleicht dieses Mal mit?«
Wesseling zuckte zusammen. »Im Prinzip, ja«, antwortete er zögernd und musterte seine Frau. Das hatte sie noch nie gefragt. »Natürlich kannst du mit. Wenn es dich interessiert.«
»Das tut es.«
»Dann gehen wir hinterher irgendwo schön essen.«
Hilde nickte. Nach einer Weile hob sie an: »Fährst du auch bei ihr vorbei?«
Wesseling zuckte schon wieder zusammen. Mit ihr konnte Hilde nur Sonja Senger meinen, die Hauptkommissarin aus Trier, mit deren Hilfe er vor zwei Jahren den Fall Alexander Kluska gelöst hatte. Drei Morde waren auf sein Konto gegangen, ehe er den Mut hatte, sich zu erhängen. Dies war nicht Sengers erste Serie gewesen. Sie schien ein Faible für Serien zu haben.
Ganz im Gegensatz zu ihm. Er hasste sie. Trotz aller Fortbildung in Psychologie – oder gerade wegen dieser Kurse. Solche Fälle streckten sich manchmal über Jahre, und er musste sich viel mehr vor Ort einbringen, als ihm lieb war, um den Täter zu verstehen, um einen Blick in seine Denkweise werfen zu können.
Senger hatte vor einiger Zeit angerufen. Nicht hier zu Hause, sondern im Büro der Staatsanwaltschaft. Er hatte Hilde nichts davon erzählt, weil er das Gefühl hatte, dass es zwischen den beiden Damen, die einander nie begegnet waren, eine latente, aber völlig unangebrachte Eifersucht gab. Was ihm einerseits schmeichelte, ihn andererseits aber auch beunruhigte.
Senger hatte sich nicht gut angehört. Kein...
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