Schweitzer Fachinformationen
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+++ Newsticker +++ 20. Mai 2042 +++ verbleibende australische und südamerikanische PTNMs unauffindbar +++ Versteck der MEO-Aktivisten in der Antarktis entdeckt +++ Erdbebenwarnung für Europa: Bricht die Eurasische Platte entlang des Rheins auseinander? +++
Seltsames Gefühl, wieder in Gormanns Büro zu sitzen und auf Dalís zerfließende Uhr zu starren. Der Rektor sieht verändert aus. Tiefe Schatten liegen unter seinen Augen, und die Wangen wirken hohl und eingefallen. Als hätte er tagelang weder geschlafen noch gegessen, überlege ich. Sein Blick ruht auf mir, und ich erkenne Besorgnis darin. Ich hasse Mitleid. Obwohl er schweigt, schreit es mich an und erdrückt mich.
Er putzt seine Brille und schlägt meine Akte auf. Dann erklärt er mir umständlich, warum ich mir um meinen Schulabschluss keine Sorgen machen müsste und welche Sonderregelung die Schulbehörde für mich getroffen habe. Immerhin hätte ich die Welt vor der Organisation MEO gewarnt und sie dadurch vor ihrem sicheren Untergang bewahrt.
Er redet und redet, und ich steige irgendwann aus.
Meine Gedanken kreisen um die heutigen Nachrichten, und ich frage mich, was mit den Bewohnern passiert, die in den nächsten Stunden aus Terranova City herausgeholt werden. Der Reporter hat keinen Zweifel daran gelassen, dass diese Menschen für ihn Verbrecher sind - einer wie der andere, da machte er keinen Unterschied.
Für mich gibt es diesen Unterschied allerdings schon. Ich denke an Booz und Dotfrog und daran, dass sie aus der Wunschdenkergabe ein Geschäft gemacht haben: Macht gegen Leben. Wer heute zugreift, bekommt Rabatt für die nächsten Jahre und eine Abschussliste mit Namen und Wohnorten der Wunschdenker gratis obendrauf! So läuft kein Jäger mehr Gefahr, seine durch Mord gewonnene Gabe nach Ablauf eines Jahres wieder zu verlieren. Einfach den nächsten Wunschdenker auf der Liste aufsuchen, töten und seine Fähigkeit übernehmen. Nichts leichter als das.
»Chris, hast du mich verstanden?«, unterbricht Gormann meine Gedanken, und mir bleibt nichts anderes übrig, als den Kopf zu schütteln.
»Ich möchte, dass du weißt, wie leid mir das alles tut.«
»Nicht Ihre Schuld, Herr Gormann«, gebe ich abwesend zurück. Ich sehe, dass Gormann widersprechen will, doch in diesem Moment klopft es an der Tür.
»Kommen Sie herein, Frau Decker!«, ruft der Direktor. Mein Puls beschleunigt sich, und ich muss heftig schlucken.
»Wir sind dann wohl fertig, Herr Gormann?« Ich stehe auf.
»Nein, Chris. Setz dich! Genau das wollte ich dir gerade erklären.«
Ich höre, dass die Decker hinter meinen Stuhl tritt, doch ich ignoriere sie. Stattdessen starre ich Gormann an.
»Erklären? Wollen Sie mir erklären, warum Frau Decker in unsere Wohnung eingedrungen ist? Warum sie meine Mutter entführt und mich gejagt hat? Sie haben keine Ahnung, wozu diese Frau fähig ist!«
»Doch, das habe ich. Sie hat es mir selbst erzählt. Und zum Teil ist es auch meine Schuld. Ich hatte vor Jahren dafür gesorgt, dass Frau Decker die Stelle in der Schule bekommt. Ich kannte sie noch aus meinen Anfangszeiten bei MEO.«
Ich sehe Gormann an und warte darauf, dass er weiterspricht. Doch stattdessen ergreift die Decker das Wort.
»Direktor Gormann war ein Kollege deines Vaters. Als er durchschaute, welchen Weg Andreas einschlug, zog er sich aus der Organisation zurück.«
»Chris, hätte ich gewusst, was Manuela plante .«
»Und jetzt?«, falle ich ihm ins Wort. »Tun wir einfach so, als wäre alles gut? Als hätte sie nicht jugendliche Wunschdenker an meinen Vater und seine drei Handlanger verraten? Diese Menschen leben nicht mehr, Herr Gormann. Mir ist vollkommen egal, ob sie heute bereut, was sie getan hat. Sie sind gestorben, und es ist ihre Schuld!«
Erst jetzt drehe ich mich zu ihr um. Sie hält ihre Augen gesenkt und krallt ihre Fingernägel in die Stuhllehne, hinter der sie steht. Was immer sie mit dieser Show bezweckt - ich kaufe ihr die reuige Sünderin nicht ab. Vermutlich sieht sie mich nur deshalb nicht an, weil sie befürchtet, ein einziger fieser Wunsch meinerseits könnte sie bloßstellen. Sie wusste schon immer ganz genau, dass sie der Manipulation durch Wunschdenker nur entgehen kann, wenn sie Augenkontakt vermeidet und sich nicht berühren lässt.
»Ich habe mich geändert, Chris! Was glaubst du, warum ich euch sonst die Standorte der PTNMs durchgegeben habe?«
»Um meinem Vater eins auszuwischen. Immerhin hat er dich einfach abserviert und gegen eine junge Krankenschwester ausgetauscht.«
Die Decker nickt. Dann schiebt sie plötzlich ihr Kinn nach vorn und wirft ihre Locken zurück.
»Du musst mich nicht mögen, Chris. Aber du musst mir zuhören. Nur einen Augenblick.«
Ich denke nicht daran und laufe zur Tür.
»Es gibt andere wie dich!«, ruft sie mir hinterher.
Jetzt bleibe ich doch stehen und schließe sekundenlang die Augen. Die Decker redet weiter auf mich ein.
»Du erinnerst dich an den Überfall auf das Hütercamp? Damals ging es nicht nur darum, dich zu finden. Dein Vater wollte auch, dass wir nach Beweisen suchen. Er war sich sicher, dass du nicht der einzige Wunschdenker sein konntest, der noch außergewöhnlichere Fähigkeiten hatte. Und er lag richtig mit seiner Vermutung.«
Langsam drehe ich mich um und sehe sie abwartend an.
»Im Hütercamp ist mir ein Buch in die Hände gefallen.«
»Was für ein Buch?«, frage ich und ärgere mich im nächsten Moment darüber, dass ich ihr tatsächlich zuhöre.
»Ein Buch mit Namen. Und Piktogrammen. Auch dein Name tauchte darin auf. Und daneben ein Piktogramm für das Element Erde.«
Ich zucke mit den Schultern, denn ich habe noch immer keine Ahnung, warum sie mir das erzählt und worauf sie hinauswill.
»Chris, es muss noch PTNMs geben, von denen auch ich nichts weiß. Warum sonst hören die Katastrophenmeldungen nicht auf? Finde dieses Buch und dann diejenigen, die darin erwähnt werden.«
»Du meinst, da stehen die Namen von Kids drin, bei denen ein Elternteil Hüter und der andere Wunschdenker ist?«, frage ich nach, und Manuela Decker nickt.
»Du musst diese anderen finden. Vielleicht gelingt es euch gemeinsam, die Zerstörung der Erde mit eurer Gabe aufzuhalten.«
Ich gebe einen glucksenden Laut von mir. Einen Moment lang kann ich mich zusammenreißen, dann lache ich lauthals, bis mir die Tränen über die Wangen laufen.
Gormann nimmt erst die Brille ab und packt mich dann am Arm. »Findest du das witzig, Chris?«, fragt er und schüttelt bedrückt den Kopf.
»Ja, irgendwie schon. Manuela Decker will, dass ich in Ordnung bringe, was sie und diese Umweltterroristen in jahrelanger Arbeit zerstörten. Dabei waren sie doch so sorgfältig, die MEOs.«
Ich sehe der Decker direkt in die Augen. Sie weicht meinem Blick sofort aus. »Ich will keine Absolution von dir, Chris. Für das, was ich getan habe, gibt es keine Vergebung. Anfangs wollte Joseph, dass ich dich finde und in seinem Camp testen lasse. Damals hatte ich noch ein Gewissen und habe abgelehnt. Aber die Jahre, die ich in seinem Auftrag bei Autenburg und MEO verbrachte, haben mich verändert. Ich habe mich wirklich in deinen Vater verliebt, und seine Ziele wurden immer mehr auch zu meinen eigenen.«
»Natürlich«, gifte ich. »Jetzt fehlt nur noch die Leier von seiner gemeinen Manipulation, gegen die du dich nicht wehren konntest.«
Manuela Decker senkt den Blick. »Es war nicht nötig, mich zu manipulieren«, stammelt sie leise. »Ich war völlig verbohrt und besessen.« Sie streckt ihren Rücken durch und zieht ihre Schultern zurück. »Erst als die Kugel aus meiner Waffe Georg traf, wachte ich auf. Die Menschen, die starben, kamen vorher ja nie direkt durch meine Hand um. Doch Georg im Schnee fallen zu sehen, die Angst, tatsächlich einen Mann getötet zu haben - erst das hat mich begreifen lassen, was aus mir geworden war.«
»Warum stellst du dich nicht der Polizei und machst eine Aussage? Wenn du wirklich bereust, wäre das das Mindeste, was du als Wiedergutmachung tun könntest«, schlage ich vor und sehe sie abwartend an.
»Das hat sie getan«, mischt sich Gormann plötzlich ein. »Aufgrund ihrer Aussage wurden Booz und Dotfrog befragt und noch weitere MEO-Mitglieder, die man ausfindig machen konnte.« Gormann legt eine Pause ein und schielt mich über seine Brillengläser hinweg an. Dann begreife ich, was er mir mit seinem Schweigen sagen will.
»Sie haben ihr nicht geglaubt«, stelle ich ruhig fest.
»Wie denn auch?«, wendet die Decker ein. »Alle befragten Zeugen waren sich einig darüber, dass ich ein armes Opfer deines Vaters bin - von Schuld so zerfressen, dass ich nun auch alle anderen mit in den Abgrund reißen will. Wenn ich wiedergutmachen will, bleibt mir nur noch ein Weg: Ich muss dich und andere, die eine ähnliche Gabe wie du besitzen, dazu bringen, die Zerstörung aufzuhalten.«
»Ich habe getan, was ich konnte, um euch aufzuhalten. Chris Tiedemann, der Schutzengel der Welt? Sicher nicht! Ich habe ein Recht auf mein eigenes Leben. Ihr habt mir schon genug davon genommen!«
Während die Decker auf und ab tigert und die richtigen Worte zu suchen scheint, platzt Fabian herein.
»Nicht jetzt, Junge. Und seit wann reißen wir Türen einfach auf?«, faucht Gormann ihn sofort an.
»Tut mir leid, Herr Gormann. Ich wusste nicht .«
»Wir sind hier mitten im Gespräch. Also bitte: Schließ die Tür!«
Fabian und ich starren uns an, und mir fällt wieder ein, wie ich vor etwa einem Jahr seine Schultasche ins Klo stopfte, nachdem er Jenna beleidigt hatte. Zum ersten Mal seit damals stehen...
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