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Teheran, Iran
Gehe sorgsam mit deiner Zeit um. Du kriegst sie nie mehr zurück.
Von allen Lektionen, die er von seinem Vater gelernt hatte, war diese bei Jack Ryan junior besonders gut hängen geblieben. Und das wollte etwas heißen, da er diesen Rat als Teenager bekommen hatte, zu einer Zeit also, wo er kaum etwas anderes als Mädchen und Football im Kopf gehabt hatte. Muss man sich bloß mal vorstellen, dachte Jack.
Jetzt gerade vertrieb er sich mit einer Runde »Beobachter beobachten« die Zeit, ein Spiel, das ihm John Clark beigebracht hatte. Jack war zum Mittagessen verabredet; seine Verabredung verspätete sich, womit er aber gerechnet hatte. Die Örtlichkeit machte das Spiel noch ein wenig interessanter: Das Chai Bar Café lag in einer ruhigen Nebenstraße von Teheran, im Garten einer renovierten historischen Stadtvilla. Die schmiedeeisernen kleinen Tische ringsum waren alle besetzt, größtenteils mit Paaren und kleinen Gruppen. Zwischen Topfpflanzen und herabhängenden Weinranken hindurch konnte er Teile einer in gedeckten Farben aufgetragenen Mauerbemalung, ein kunstvolles Blumenmuster, erkennen. Sonnenstrahlen drangen durch das Blätterdach und warfen ein unregelmäßiges Fleckenmuster über den Garten. Der größte Teil der gedämpften Gespräche ringsum wurde arabisch oder persisch geführt, aber Jack fing auch immer wieder ein paar Brocken Französisch oder Italienisch auf.
Die Spielregeln für »Beobachter beobachten« waren recht einfach: Der Spieler befand sich im Feldeinsatz für Hendley Associates, auch Campus genannt. Er wurde beschattet. Aber von wem? Wie konnte man ein Augenpaar entdecken, das einem ein bisschen zu viel Aufmerksamkeit widmete, wenn man mit den Feinheiten des alltäglichen Umgangs der Iraner miteinander nicht vertraut war? Wie entdeckte man jemand, dessen Verhaltensweise ein bisschen vom normalen Verhalten der Umgebung abwich? Mit diesen Fragen im Kopf studierte Jack die Gesichter und die Körpersprache der anderen Gäste und versuchte zu unterscheiden, ob das Geplänkel zwischen den Paaren oder Gruppen an diesem oder jenem Tisch harmlos und normal oder eben irgendwie gekünstelt wirkte.
Nichts, dachte er, nachdem er die Situation eine Weile beobachtet hatte. Keiner der Gäste im Café löste bei ihm auch nur den geringsten Alarm aus. Im wirklichen Leben war das ein gutes Zeichen; für sein Spiel war es nicht so gut.
Wenn Hendley Associates, alias der Campus, tatsächlich das wäre, was die Firma zu sein vorgab, nämlich eine international agierende kommerzielle Finanzmaklerfirma, wäre Jacks Spiel nichts weiter gewesen als ein fantasievoller Zeitvertreib. Aber die wahren Ziele und die Mission des Campus gingen viel tiefer: Der Campus operierte in den grauesten Bereichen der Spionagewelt und der Terrorismusabwehr - ein inoffizieller Geheimdienst, der direkt dem Präsidenten der Vereinigten Staaten unterstellt war. Wenn man die CIA mit einer Bazooka vergleichen wollte, dann wäre der Campus vielleicht so etwas wie ein Stilett.
»Verzeihung, Sir. Wünschen Sie noch einen Kaffee?«
Jack blickte auf. Die Kellnerin war eine zierliche junge Frau Anfang zwanzig. Sie trug eine dunkel gerahmte Brille, und ihr Haar war vollständig von einem hellblauen Kopftuch verhüllt. Sie sprach Englisch mit schwerem Akzent.
Aber sie trug keinen Niqab. Vielleicht waren die gemäßigten Reformpläne des neuen iranischen Präsidenten Kamran Farahani doch mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Noch vor einem Jahr hätte man in einem Café wie diesem jederzeit mit einer Polizeirazzia rechnen müssen, denn die letzte Regierung hatte derartige Lokale als Brutstätten jugendlicher Subversion angesehen.
Jack blickte auf seine leere Tasse. Neben der Version von Kaffee, die hier ausgeschenkt wurde, wirkte sogar der Dark Roast im Starbucks wie ein wässriger Tee.
»Nein danke, zwei reichen mir. Mein Gast wird hoffentlich bald .«
Und wie auf ein Stichwort sah Jack über die Schulter der Kellnerin hinweg einen Mann mit wildem, schwarzem Lockenhaar in den Hof eilen, der sich suchend umblickte. Dieser Haarschopf war unverwechselbar.
»Da ist er auch schon«, sagte Jack zu der Kellnerin und winkte den Mann zu seinem Tisch. »Geben Sie uns noch ein paar Minuten, ja?«
»Selbstverständlich, Sir.«
Der Mann kam herbei; Jack schob den Stuhl zurück, dessen eiserne Füße über das Kopfsteinpflaster scharrten. Sie schüttelten sich die Hände, gefolgt von einer flüchtigen, aber herzlichen Umarmung, und setzten sich.
»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Jack.«
»Bin ich doch längst gewohnt. Lunch mit einem pünktlichen Seth Gregory? Nicht auszudenken.«
So war es schon auf der Highschool gewesen. Wenn ein Film am Abend um halb acht begann, musste man Seth auf 7.00 Uhr bestellen.
»Ja, ja, schon klar. Meine einzige Schwäche. Wenn man alle anderen nicht mitzählt . Wie ist der Kaffee?«
»Der Löffel bleibt drin stecken.«
»Dann wachsen dir endlich ein paar Haare auf der Brust.«
»Wie läuft's denn so bei dir, Seth?«
»Wie geschmiert, Kumpel, wie geschmiert.«
Jack grinste. Das war schon immer Seths Standardantwort auf derartige Fragen gewesen. Übersetzung: Mir geht's besser als die Polizei erlaubt.
»Freut mich zu hören.«
»War schon mal hier, ich weiß, was ich will. Das Ash-e Goje farangi - das ist ein Tomateneintopf mit Hackfleisch, Zwiebeln, Erbsen und Gewürzen -, einfach köstlich. Ah . immer noch kein Alkohol auf der Karte, sehe ich gerade.«
»Das dauert vielleicht noch ein bisschen. Farahani kann der alten Garde nicht zu schnell zu viel zumuten.«
Die Kellnerin kam zurück. Beide bestellten den Eintopf. »Und ein paar Barbari-Fladen«, fügte Seth hinzu. Die Kellnerin nahm ihnen die Speisekarten ab und verschwand.
Seth stützte die Ellbogen auf den Tisch und tätschelte Jacks Hand. »Na, Jack, gut siehst du aus! Hast mir gefehlt. Wie geht's dir denn so?«
»Ging mir nie besser.«
»Echte Überraschung, dein Anruf.«
»Dachte, wir könnten mal zum Lunch gehen, wenn du nächstes Mal wieder in den Staaten bist. Ich hatte keine Ahnung, dass du dich in dieser Gegend herumtreibst.«
Seth zuckte die Achseln und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wie geht's der Familie? Olivia? Und El Presidente . Il Duce?«
»Allen geht's gut.«
Jack musste unwillkürlich lächeln, nicht nur, weil Seth zu den wenigen Leuten gehörte, die Sally bei ihrem richtigen Namen nannten, oder weil er sich beharrlich weigerte, den korrekten Titel von Jacks Vater in den Mund zu nehmen, sondern weil die hektische und fast überschäumende Nachfrage typisch für Seth war. Sein Freund war nicht nur die Verkörperung eines geselligen Menschen, sondern litt auch an ADHS - wobei die Betonung auf dem zweiten Teil der Bezeichnung lag, der Hyperaktivitätsstörung. Die Störung hatte Seth in der Schule große Schwierigkeiten bereitet; Jack war so etwas wie sein inoffizieller Nachhilfelehrer gewesen.
Schon immer hatte Jack unter Seths geselliger Oberfläche eine latente Traurigkeit wahrgenommen. Obwohl er ihn seit ihrer gemeinsamen Zeit an der St. Matthew's Academy kannte, hatte Jack immer gespürt, dass es etwas an Seth gab, was er nicht nur vor aller Welt, sondern sogar vor Jack verborgen hielt. Jack selbst hatte in St. Matthew's nur wenige Freunde gefunden, denn die meisten seiner Kameraden gingen ihm aus dem Weg - entweder, weil sie ihn für den arroganten, verwöhnten Sprössling des damaligen CIA-Großkopfs Jack Ryan hielten, oder weil sie sich von den angeblich vornehmen Kreisen abschrecken ließen, in denen der »Spion-Sohn« verkehrte. Natürlich stimmte keines der beiden Szenarios, und Jack hatte sich während des ersten Jahrs in St. Matthew's große Mühe gegeben, das auch zu beweisen, aber es hatte nicht viel genutzt. Nur Seth hatte Jack so akzeptiert, wie er war - ein schlaksiger Teenager, der wie alle anderen einfach nur seinen Weg ins Leben suchte. Wenn er sich jetzt an diese Zeit zurückerinnerte, war sich Jack bewusst, dass Seth ihn davor bewahrt hatte, sich in sich selbst zurückzuziehen und damit zu isolieren. Seth war es scheißegal, wer Jacks Vater war, wo er wohnte oder ob er bei großartigen Staatsbanketten neben den Kindern ausländischer Könige oder Staatsoberhäupter saß. Tatsächlich hatte Seth nach solchen Gelegenheiten meist nur wissen wollen, ob auch ein paar superscharfe Girls dabei gewesen waren, die Jack angebaggert und anschließend in einem supergeheimen Raum im CIA-Gebäude in Langley vernascht hatten.
Jack hatte immer bedauert, dass er Seth nie gesagt hatte, wie viel ihm diese Freundschaft bedeutete. Vielleicht ergab sich jetzt eine Gelegenheit dazu. Aber bevor er auch nur nach den richtigen Worten suchen konnte, machte Seth mit seiner Schnellfeuer-Befragung weiter. Manchmal fühlte sich Jack bei den Gesprächen mit Seth wie im Auge eines Tornados.
»Was geht bei Olivia ab?«
»Sally?« Jack lächelte. »Das weißt du noch gar nicht? Sie ist Astronautin geworden.«
»Was? Sehr witzig, Jack. Immer noch der alte Scherzkeks, der allen auf den Keks geht, wie?«
Jack lachte. »Mann, sagst du das immer noch? Einer deiner ältesten Sprüche, war nicht mal komisch, als wir noch fünfzehn waren.«
»Im Gegenteil, er war so was von komisch, du willst es nur nicht zugeben. Also: Sally?«
»Hat gerade ihre Zeit als Assistenzärztin im Johns Hopkins hinter sich.«
»Versagerin, deine Schwester. Und du?...
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