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Das Komplott
Eine Woche nach dem Treffen mit dem Kommandanten wurde Song verhaftet. Die Anklage lautete: Mord.
Dass man zu unkonventionellen Mitteln greifen würde, um ihn zum Schweigen zu bringen, das hatte Song vorausgesehen. Die üblichen disziplinarischen und politischen Mittel wären bei jemandem wie ihm, der so viel wusste und auch schon die entsprechenden Schritte eingeleitet hatte, zu riskant gewesen. Aber dass sein Gegner so rasch und so brutal zuschlug, traf ihn dann doch unvorbereitet.
Der Tote war ein Nachtclubtänzer namens Luo Luo. Er war in Songs Auto gestorben. Die Türen waren von außen verschlossen gewesen, und in das Wageninnere hatte man zwei Gasflaschen mit Propan, wie man es für Feuerzeuge verwendet, geworfen. Die Flaschen hatte man aufgeschlitzt, sodass das hochkonzentrierte Gas restlos herausgeströmt war. Das Opfer war an Vergiftung gestorben. Als man Luo fand, hielt er noch sein zerschmettertes Handy umklammert, mit dem er versucht hatte, die Scheibe einzuschlagen.
Die Polizei trug reichlich Beweismaterial zusammen. Zweistündige Videoaufzeichnungen belegten, dass Song über drei Monate lang ein intimes Verhältnis mit dem Toten unterhalten hatte. Der belastendste Beweis aber war der Notruf, mit dem Luo Luo vor seinem Tod die Polizei alarmiert hatte:
»Schnell! Kommen Sie schnell! Ich kann die Autotür nicht öffnen! Ich bekomme keine Luft mehr, und ich habe Kopfschmerzen .«
»Wo sind Sie? Erklären Sie Ihre Situation genauer!«
»Song . Song Cheng will mich umbringen .«
Damit endete die Aufzeichnung.
Später fand die Polizei auf dem Handy des Opfers die Aufzeichnung eines kurzen Gesprächs zwischen ihm und Song:
Song: »Nun, wo wir schon so weit sind, machst du mit Xu Xueping besser Schluss.«
Luo Luo: »Aber wieso denn? Ich habe mit Xueping doch bloß eine ganz normale Affäre laufen. Das hat keinen Einfluss auf unsere Sache. Vielleicht hilft es uns sogar.«
Song: »Ich fühle mich dabei nicht wohl. Also zwing mich nicht, etwas dagegen zu unternehmen.«
Luo Luo: »Kumpel, das ist mein Leben.«
Das Komplott war äußerst professionell eingefädelt. Das Brillante daran war, dass die Beweise, die die Polizei gegen Song in der Hand hatte, fast zu hundert Prozent echt waren.
Tatsächlich hatte Song längere Zeit heimlich mit Luo Luo verkehrt. Man konnte ihren Umgang sogar intim nennen. Die beiden Aufnahmen waren nicht gefälscht. Allerdings war die zweite manipuliert.
Der Grund dafür, dass Song die Bekanntschaft mit dem Nachtclubtänzer gesucht hatte, war Xu Xueping. Als Generaldirektorin des Changtong-Konzerns war Xu wirtschaftlich eng verflochten mit vielen Knotenpunkten des Korruptionsnetzes und mit dessen Hintergründen und geheimen Funktionsweisen bestens vertraut. Natürlich konnte Song von ihr direkt keinerlei Informationen erhalten, aber mit Luo Luo hatte er eine undichte Stelle gefunden.
Der Tänzer versorgte ihn nicht etwa aus einem Gerechtigkeitsempfinden heraus mit Informationen. In seinen Augen war die Welt nur dazu gut, sich damit den Hintern abzuwischen. Er sann auf Rache.
Seine Stadt, gehüllt in den Rauch der Fabriken, lag nicht an der reichen Ostküste, sondern im Landesinnern, und unter den Großstädten dieser Größenordnung bildete sie das Schlusslicht, was das durchschnittliche Jahreseinkommen anging. Trotzdem gab es hier einige der luxuriösesten Nachtclubs von ganz China. In Peking mussten die Nachkommen hoher Kader einigermaßen auf ihren Ruf achten und konnten sich nicht so hemmungslos amüsieren wie die gewöhnlichen Neureichen; deshalb brausten sie an jedem Wochenende auf der Schnellstraße vier oder fünf Stunden ins Landesinnere, um in dieser Stadt zwei Tage und eine Nacht mit ihren verschwenderischen Ausschweifungen zu verbringen, ehe sie am Sonntagabend wieder nach Peking zurückrasten. Der Nachtclub namens Blue Wave, in dem Luo Luo arbeitete, war einer der luxuriösesten von allen. Ein Lied auf Wunsch kostete hier mindestens dreitausend Yuan, und jede Nacht wurden dutzendweise Cognacflaschen Martell oder Hennessy zu mehreren tausend Yuan das Stück verkauft. Aber der wahre Grund, dem das Blue Wave seine Berühmtheit verdankte, war die Tatsache, dass es nur weiblichen Gästen offenstand.
Anders als seinen Kollegen war es Luo Luo gleichgültig, wie viel seine Kundinnen ihm zahlten - entscheidend war die Relation. Wenn beispielsweise eine ausländische Angestellte mit einem Jahresgehalt von bloß zwei- oder dreihunderttausend Yuan (also eine der wenigen Hungerleiderinnen im Blue Wave) nur ein paar hundert Yuan für ihn übrig hatte, gab er sich damit zufrieden - nicht aber, wenn ihn die milliardenschwere Xu Xueping, die in den letzten Jahren schon südlich des Jangtse für Aufsehen gesorgt hatte und nun auch noch in beeindruckendem Tempo nach Norden expandierte, nach monatelanger Affäre mit vierhunderttausend Yuan abspeiste.
Es war alles andere als leicht, die Gunst von Xu zu gewinnen, und wenn seine Kollegen an seiner Stelle gewesen wären, hätten sie sich, um es mit Luo Luos Worten zu sagen, ein Loch in den Bauch gefreut. Er dagegen empfand bloß Hass. Als dann ein hochrangiger Disziplinarbeamter auftauchte, sah er die Gelegenheit zur Rache gekommen und setzte all seine Talente ein, um von Neuem mit Xu anzubändeln. Für gewöhnlich gab sie ihm gegenüber keine Interna preis, aber das änderte sich, wenn beide viel getrunken oder geschnupft hatten. Gleichzeitig war er kaltblütig genug, sich, wenn die Nacht am dunkelsten war, lautlos von der tief und fest neben ihm schlafenden Xu davonzustehlen, ihre Aktentasche und ihre Schubladen zu durchsuchen und von allem, was für ihn und Song von Nutzen war, Fotos zu machen.
Die Videoaufzeichnungen der Polizei, die die Beziehung von Song und Luo Luo bewiesen, waren größtenteils im Haupttanzsaal aufgenommen worden. Meist richtete sich die Kamera zunächst auf die Bühne, auf der eine Schar aufreizender junger Männer wie entfesselt umherwirbelte. Dann schwenkte sie zu den kostspielig gekleideten weiblichen Gästen hinüber, die sich im Dunkel drängten und auf die Bühne zeigten, wobei sie gelegentlich ein zweideutiges Gekicher von sich gaben. Am Ende aber tauchten unweigerlich Song und Luo Luo im Bild auf. Gewöhnlich saßen sie in der hintersten Ecke und steckten die Köpfe zu einem Gespräch zusammen, das sehr intim wirkte. Als einziger männlicher Gast stach Song naturgemäß ins Auge.
Tatsächlich hatte er gar keine andere Wahl gehabt, denn meist konnte er nur hier im Blue Wave mit Luo Luo Kontakt aufnehmen. Doch obwohl es im Tanzsaal sehr dunkel war, waren die Aufnahmen gestochen scharf; offensichtlich hatte man ein extrem lichtempfindliches Hightech-Objektiv verwendet, eine Ausrüstung, über die normale Leute nicht verfügten. Also hatten sie ihn von Anfang an im Visier gehabt. Das zeigte ihm, wie naiv er gewesen war gemessen an seinem Gegner.
In jener Nacht wollte Luo Luo ihm seine neuesten Informationen mitteilen. Als Song ihn im Nachtclub traf, bat der Tänzer ihn ganz gegen seine Gewohnheit darum, dass sie sich in Songs Auto unterhielten. Nach ihrer Unterredung erklärte er, er fühle sich nicht wohl und wolle nicht in den Club zurückkehren, sonst würde ihn sein Chef gewiss gleich wieder auf die Bühne schicken. Deshalb wollte er sich eine Weile im Wagen ausruhen.
Song hatte den Verdacht, sein Informant wolle bloß Drogen nehmen, aber er konnte ihn schlecht aus dem Auto werfen. Also fuhr er zu seinem Büro, um ein paar Arbeiten zu erledigen, die am Tag liegengeblieben waren. Er hielt vor dem großen Gebäude, in dem seine Abteilung untergebracht war, und stieg aus, während Luo Luo im Wagen blieb. Als Song gut vierzig Minuten später wieder zurückkam, hatte man Luo Luo schon tot in dem mit Propangas geschwängerten Auto gefunden, und er musste die Tür von außen aufschließen.
Ein enger Freund von Song, der zu der Polizeieinheit gehörte, die die Ermittlungen übernahm, erzählte ihm, dass man an den Türschlössern des Autos keine Spuren von Gewalteinwirkung gefunden hatte. Auch aufgrund der übrigen Beweislage konnte man die Möglichkeit ausschließen, dass ein anderer den Mord begangen hatte. Deshalb war es nur natürlich, dass jedermann Song für den Mörder hielt. Er selbst dagegen wusste, dass es nur eine mögliche Erklärung gab: Luo Luo selbst hatte die Gasflaschen in den Wagen gebracht.
Diese Erkenntnis nahm ihm jede Hoffnung. Er gab alle Anstrengungen auf, sich reinzuwaschen - wenn jemand ihn mit dem eigenen Leben in eine Falle gelockt hatte, konnte er unmöglich daraus entkommen.
Dabei kam der Selbstmord des Tänzers nicht einmal überraschend - er war HIV-positiv getestet worden. Trotzdem musste ihn irgendjemand dazu angestiftet haben, Song mit seinem Tod zugrunde zu richten. Aber was hatte der Tänzer dadurch gewonnen? Was für eine Bedeutung konnte Geld für ihn jetzt noch haben? Oder hatte er das Geld für jemand anderen kassiert? Womöglich war es ihm auch gar nicht um Geld gegangen - aber worum dann? Welche Verlockung oder welche Angst war stärker gewesen als sein Durst nach Rache an Xu Xueping? Auf diese Fragen würde Song niemals eine Antwort finden, aber er erkannte nun deutlicher denn je, wie mächtig sein Gegner und wie einfältig er selbst war.
Das also war das Bild, das man sich nun von ihm machte: ein hochrangiger Kader der Disziplinarkommission, der ein verkommenes, perverses Leben geführt hatte und verhaftet worden war, weil er im Streit seinen schwulen Lover getötet hatte. Selbst dass er in seinen vorigen Liebesbeziehungen nach außen eine weiße...
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