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RUNE
MIRAGE (m.): Die niederste und einfachste Form von Zauber.
Bei einem Mirage-Zauber handelt es sich um einfache, nur kurz währende Illusionen, die wenig Blut erfordern. Je frischer das Blut, desto stärker die Magie und desto leichter die Umsetzung.
Aus: Regeln der Magie von Königin Callidora der Kühnen
Blitze zuckten über den Himmel, als Rune Winters den nassen Wald durchquerte. Die Kiefern boten ihr kaum Schutz vor dem Regen. Das sanfte Licht ihrer Laterne fiel auf den Pfad voller knorriger Wurzeln und Pfützen, der sich vor ihr zwischen den Bäumen entlangschlängelte.
Die Nacht war denkbar ungeeignet, um einen Zauber zu wirken. Der Regen durchtränkte ihren Umhang und löste die Symbole auf, die sie sich mit Blut aufs Handgelenk gezeichnet hatte. Sie würde sie erneuern müssen, ehe der Regen sie und damit auch ihre magische Wirkung vollständig entfernt hatte.
Die Illusion, hinter der sich Rune verbarg, musste halten, bis sie sicher sein konnte, dass Seraphine sie nicht umbringen würde.
Seraphine Oakes war früher einmal die Beraterin der Königinnenschwestern gewesen. Entsprechend groß war ihre Hexenkraft. Zwei Jahre hatte es gedauert, bis Rune sie endlich aufgespürt hatte. Doch was würde sie wohl am Ende dieser bewaldeten Landspitze erwarten - Freundin oder Feindin?
Rune vergrub die Zähne in ihrer Unterlippe. Die letzten Worte ihrer Großmutter kamen ihr wieder in Sinn.
Liebes, du musst mir versprechen, Seraphine Oakes aufzusuchen. Sie wird dir alles erklären, wofür mir keine Zeit mehr bleibt.
Nachdem die Blutwache Nan aus dem Haus geschleift hatte, hatten die Männer mit Blut ein X quer über die Haustür geschmiert, sodass alle Welt sehen konnte, dass hinter diesen Mauern eine Feindin der Republik festgenommen worden war, die nun für ihre Sünden würde büßen müssen.
Die Erinnerung an jenen Tag vor zwei Jahren saß tief und schmerzte so sehr, als hätte jemand Rune ein Messer in die Eingeweide gerammt.
Auf ihrem Weg durch den Wald wurde sie von einem beklemmenden Rauschen in ihren Ohren begleitet, das gleich einer Ouvertüre mit jedem Schritt lauter und schneller wurde. Wenn Seraphine die Illusion durchschaute, in die sich Rune gehüllt hatte, ehe sie den Grund für ihren Besuch erklären konnte, würde sie Rune aus dem Haus werfen - oder sie sogar an Ort und Stelle töten.
Denn wo auch immer Rune Winters hinging, folgte ihr der Ruf, den sie sich so sorgsam erarbeitet hatte.
Der Ruf einer Informantin. Einer Hexenhasserin. Sie war ein Liebling der Neuen Republik. Das Mädchen, das seine eigene Großmutter verraten hatte.
Das war auch der Grund dafür, dass sie sich heute als alte Hausiererin maskiert hatte, die ein mit Waren beladenes Maultier durch die Nacht führte. Der Geruch von nassem Fell hing in der Luft, und die Töpfe und Pfannen klapperten bei jedem Schritt, den das Tier tat. Die Magie, die durch Runes Adern floss, hatte eine bis in die kleinsten Einzelheiten glaubwürdige Illusion ins Leben gerufen. Zusammengehalten wurde sie durch die Symbole, die sie sich aufs Handgelenk gemalt hatte, um den Zauber an sich zu binden.
Es handelte sich um einen Mirage, den niedersten aller Zauber, und doch hatte Rune all ihre Kraft aufwenden müssen, um ihn zu wirken. Seitdem wüteten stechende Kopfschmerzen hinter ihrer Stirn.
Die Zweige über ihr schwankten im Regen. Blitze durchfurchten den Nachthimmel und erleuchteten das winzige Cottage, das dort, wo der Wald endete, am Rande der Klippen kauerte. Durch die Fenster fiel warmes Lampenlicht, und Rune stieg der Duft des Holzrauchs in die Nase, der aus dem Schornstein aufstieg.
Ihre Blutzeichen waren inzwischen so verwaschen, dass die Illusion um sie herum flackerte. Doch der Zauber musste unbedingt noch ein wenig länger halten.
Sie stellte die Laterne ab, holte die Glasphiole hervor, die sie in ihrer Tasche bei sich trug, und entkorkte sie. Dann gab sie etwas Blut auf ihre Fingerspitze, hielt das Handgelenk ins Licht und zeichnete die Symbole nach, um ihre Wirkung zu verstärken. Eines veränderte ihr Aussehen - graues Haar, faltige Haut, gebeugte Schultern -, das andere diente dazu, den Muli an ihrer Seite zu manifestieren.
Kaum war sie fertig, dröhnte der Zauber wieder lauter in ihren Ohren, und auf ihrer Zunge breitete sich ein salziger Geschmack aus. Die Illusion klärte sich, die Verbindung zu Rune wurde gestärkt - und damit auch das Pochen hinter ihrer Stirn. Sie schluckte das stechende Aroma der Magie in ihrem Mund herunter, streifte sich die Kapuze über den Kopf und biss die Zähne zusammen, um den beißenden Kopfschmerz so gut es ging auszublenden. Dann griff sie nach ihrer Laterne und verließ den Wald auf dem Pfad Richtung Haus.
Immer wieder musste sie ihre Stiefel kraftvoll aus dem Matsch ziehen, und Regen peitschte ihr ins Gesicht. Ihr Herz schlug so heftig, als wollte es ihr aus der Brust springen. Was auch immer geschehen mochte, wenn sich die Tür vor ihr öffnete, lag nun einzig in den Händen der sieben Ehrwürdigen. Wenn Seraphine ihre Magie durchschaute und einen Todesspruch wirkte, bekäme Rune nur, was sie verdiente. Wenn sie aber Gnade walten ließ .
Rune biss sich auf die Lippe und versuchte, sich keine allzu großen Hoffnungen zu machen.
Auf dem Weg durch den Garten hörte sie das aufgeregte Wiehern eines Pferdes aus dem Stall dringen, der sich verschwommen im Dunkel abzeichnete. Vermutlich fürchtete es sich vor dem Gewitter. Als sie das Haus erreichte, stand die Haustür bereits offen, und ein Dreieck aus goldenem Licht fiel nach draußen.
Sie schloss die steifen Finger um den Messingring am Griff ihrer Laterne. Erwartete Seraphine sie bereits?
Manche Hexen waren dazu in der Lage, einen kurzen Blick in die Zukunft werfen. Doch inzwischen war diese Fähigkeiten selten und unzuverlässig geworden und hatte kaum mehr etwas gemeinsam mit den klarsichtigen Prophezeiungen der mächtigen Seherinnen aus vergangenen Zeiten. Ob Seraphine wohl eine von ihnen war?
Bei der Vorstellung straffte Rune die Schultern und zwang sich, ihren Weg fortzusetzen. Wenn Seraphine dieses Treffen vorhergesehen hatte, wusste sie, wer Rune war und dass sie kommen würde. Ein Grund mehr, es hinter sich zu bringen.
Sie ließ die Maultier-Illusion im Garten vor dem Haus stehen und trat ein. Doch niemand war dort, um sie zu empfangen. Im Herd erstarben rot glühend die letzten Kohlen eines Feuers, und auf dem Tisch stand ein Teller mit Essen. Die Bratensauce war bereits geronnen. Offenbar befand sich der Teller schon länger dort. Durch die offene Tür drang Regen herein und benetzte den Steinboden zu Runes Füßen.
Sie runzelte die Stirn. »Hallo?«
Stille.
»Seraphine?«
Beim Klang des Namens seiner Besitzerin ächzte das Haus auf. Die Deckenbalken knarrten, und die Wände bogen sich im Wind. Rune sah sich um, suchte nach einer Spur der Frau, die hier lebte. Das winzige Häuschen bestand aus nur einem einzigen Raum. In der einen Ecke befand sich die Küche, in der anderen ein kleiner Arbeitsbereich.
»Irgendwo hier musst du doch stecken .«
In der Raummitte führte eine grob gezimmerte Leiter auf den Dachboden. Rune kletterte empor, wo sie ein ungemachtes Bett und drei brennende Kerzen fand, von denen honigfarbenes Wachs auf die Bodendielen tropfte. Sie stieg wieder hinab und sah durch die Tür an der rückwärtigen Hauswand, die in einen leeren Garten führte.
Keine Spur von Seraphine.
Runes Haut prickelte vor Unbehagen.
Wo steckt sie?
Erneut schwebte das Wiehern des Pferds durch die Nacht.
Aber natürlich! Der Stall! Wenn sich das Tier erschreckt hatte, war Seraphine sicherlich nach draußen gegangen, um es zu beruhigen.
Mit hämmerndem Schädel und der Laterne in der Hand trat Rune wieder hinaus in den Regen. Sie ließ die Haustür offen stehen und nahm ihren Maulesel beim Strick. Regen prasselte auf ihr Handgelenk, und der Zauber geriet ins Schlingern, versuchte, sich an ihr festzuklammern. Sie war bereits auf halbem Weg zum Stall, als sie mit dem Stiefel an etwas Feuchtem hängen blieb. Bei Dunkelheit und Regen war es kaum zu erkennen, also ging sie in die Hocke und stellte ihre Lampe im Schlamm ab.
Ein Kleidungsstück.
Rune hob den tropfnassen Stoff auf und erhob sich wieder, um ihren Fund im Lampenlicht zu untersuchen. Es war ein einfaches, wollenes Arbeitskleid, wie es eine Dienerin tragen würde, während sie den Boden schrubbte.
Nur dass es jemand am Rücken aufgeschlitzt hatte.
Warum sollte jemand .
Sie sah sich um und entdeckte ein zweites Kleidungsstück auf dem Pfad. Es war ein Baumwollhemd. Schlammverschmiert. Sie bückte sich. Auch dieses war hinten aufgeschlitzt.
Nein, dachte Rune und zeichnete mit den Fingern die ausgefransten Ränder nach. Nicht geschnitten. Zerrissen.
Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
Sie achtete nicht mehr darauf, ihr Handgelenk vor den Elementen zu schützen, sodass der Regen das Mal vollständig abwusch und die Illusion verblasste. Mit ihr verschwand auch der Kopfschmerz. Aber ehe Rune die Symbole nachziehen konnte, heulte wütend wie ein Wolf ein Windstoß ums Haus.
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