Schweitzer Fachinformationen
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Vorhin, am Tisch, hatte Rosine wieder diese Übelkeit gespürt. Dann war Elisabeth mit ihrem erhabenen Geschwätz gekommen und hatte noch eins draufgesetzt. Tat so, als wisse sie alles. Tat so, als sei sie die Schönste, die Klügste und kenne das Leben und die Welt.
>Nichts weiß sie. Nichts vom Kindergebären und Krankheiten in armseligen Zeiten. Wenn jetzt noch so ein Malefizkerl in Deutschland einen Krieg anzettelt, dann soll's der Teufel holen. Wir haben jetzt schon wenig, dann haben wir gar nichts mehr. Und von gar nichts kann man nichts herunterbeißen.<
Erschöpft saß Rosine auf der Kante ihres Bettes. Eigentlich hatte sie sich ausruhen wollen, aber am helllichten Tag auf der faulen Haut zu liegen, das konnte sie sich nicht erlauben. Allerdings fühlte sie sich verdammt schlecht. Vielleicht waren es die harte Arbeit, die zehn Kinder, das zugige Häuschen. Vielleicht aber hing es mit der kleinen Öffnung zusammen, die sie vor einigen Wochen unter ihrer Brust bemerkt hatte.
»Es stinkt wie verfaulte Zwiebel«, schimpfte sie vor sich hin und sah die Wunde verachtend an.
Sie spuckte darauf, umwickelte die Stelle mit einem sauberen Tuch und setzt sich wieder auf die Bettkante.
»Nicht schlapp machen, Alte. Deine Kinder und dein Mann brauchen dich, auch wenn du nicht mehr viel taugst. Heute hab ich dich mit Spucke behandelt, du Miststück an der Brust. Morgen versuche ich es mit Seiche.«
Sie stemmte sich hoch und stieg schwerfällig die schmale Treppe zur Stube hinunter. Erst als sie hörte, was mit Gottfried los war, wurde sie lebendiger. Sie jagte Elisabeth zum Apotheker, während sie hasserfüllt auf die Quacksalber, auf die Armut und das Leben überhaupt schimpfte. Dann setzte sie sich zu ihrem kranken Sohn.
»Mein Junge, dein Vater sagt zwar immer: Besser ein Kind stirbt als mein Pferd Hubertus. Ich aber sage: Keiner soll sterben. Das Pferd ist so wichtig wie das Kind. Deshalb werde ich es mit einem Essigbad versuchen, bis Elisabeth mit den vermaledeiten Tinkturen zurückkommt.«
Sie faltete die Hände. Da es Gottfried auch am nächsten Tag nicht besser ging, schickte sie Klein-Heinrich zum Pfarrhaus. Viel Hoffnung, dass Pfarrer Gustav Blech seine heiligen Füße ins Köhlerhaus setzen würde, hatte sie nicht, gehörte er doch zu den Menschen, die glaubten, Köhler ständen mit dem Teufel im Bunde. Dennoch wollte sie es nicht unversucht lassen. Ihre Sorge um Gottfrieds Seelenheil war stärker als ihre Zweifel.
Und seltsamerweise ließ der Pfarrer nicht lange auf sich warten. Gab es doch so etwas wie Gerechtigkeit? Bevor der Herr Blech mit gerümpfter Nase eintrat, bläute sie den Kindern ein, diesem Pfarrer, diesem krummbeinigen Gottesdiener, künftig sehr ehrerbietig zu begegnen. Der sei wohl in sich gekehrt, denn er zähle mittlerweile auch die Köhler zu seinen Schäfchen. Solch menschenfreundliche Wendung habe sie ihm nie zugetraut, verriet sie Klein-Heinrich. Ob es wohl geheuchelt sei?
»Mutter, wenn ich ehrlich sein darf: Ich glaube, Heuchler bleibt Heuchler«, antwortete Heinrich-Engelhard kleinlaut.
»Ach geh, schwätz nicht so dumm daher«, brummte sie und zog ihn heftig an den Ohren.
Die Attacken auf seine Ohren hasste Heinrich-Engelhard ganz besonders und er dachte: >Mutter ist zwar nicht so streng wie Vater, aber dafür ist Vater nicht so dumm wie Mutter<.
Aus diesem Grund auch ging er am nächsten Morgen zum Alten.
»Man hätte denken können, der Herr Pfarrer predigt für unsere Elisabeth und nicht für unseren Gottfried.«
Natürlich wollte Vater Heinrich Zacharias sofort wissen, wie er auf diesen Unsinn komme. »Na ja, er hat während der Heilsprechung für Gottfried immerzu nur Elisabeth angeguckt.« Heinrich Zacharias runzelte die Stirn und ein pfiffiges Blitzen zuckte in seinen Augen.
***
Wunderbarerweise überstand Gottfried seine schwere Krankheit und plötzlich wuchsen ihm sogar bleibende Zähne. Vater Steinweg wusste nicht so recht, ob er sich darüber freuen oder grämen sollte.
>Ein Esser weniger täte uns wahrhaftig gut<, hatte er gedacht, als Gottfrieds Leben an einem seidenen Faden hing. >Und ständig muss der Quacksalber geholt werden. Diese studierten Kerle sind nichts weiter als Beutelschneider. Jetzt wird es so weiter gehen, denn Gottfried ist ein schwächliches Kerlchen. Aus ihm wird ebenso wenig ein Köhler wie aus Heinerchen.<
Fünf Monate lag die Krankheit nun zurück, und dass der Arzt im Nachhinein den zögerlichen Zahnwuchs mit Gottfrieds hohem Fieber und seiner körperlichen Schwäche in Verbindung gebracht hatte, interessierte niemanden mehr. Der Junge war gesund. Er lebte. Darüber freute sich Rosine und das war für Heinrich Zacharias Trost genug. Denn litt seine Frau, dann litt die ganze Familie.
>Im Übrigen haben wir andere Sorgen<, dachte der Alte, während er sich an einer Fichte zu schaffen machte. Er und seine Söhne waren im Wald, um Holz zu schlagen. Heinrich Engelhard stand aufmerksam neben ihm. »Wer weiß, vielleicht müssen wir für Napoleon kämpfen, denn wir gehören inzwischen ihm«, murmelte der Alte. »Tja, der Teufel soll's holen: Wir sind keine Franzosen und gehören ihm. Gott verdamm mich! Das wird hart!« Grimmig knurrte er vor sich hin. »Fort mit den unnützen Gedanken!«, rief er nun laut. »Reden wir von unserer Arbeit. Du hast zwar so wenig Talent zu einem Köhler wie ein Wildschwein zu einem Elfentanz, dennoch will ich dir etwas erklären. Hör zu, Junge: Die Bäume müssen gefällt sein, bevor im Frühjahr der Saft aufsteigt.«
Es war Februar. Dicker, harschiger Schnee bedeckte den Waldboden. Heinrichs Schuhe aus schlechtem Leder waren längst durchnässt. Obwohl sie der Flickschuster schon etliche Male zusammengenäht hatte, blieben sie undicht und sahen aus, als zerfielen sie im nächsten Moment in ihre Einzelteile.
Aber Heinrich war stolz und froh darüber, in Lederschuhen gehen zu dürfen, denn die meisten Kinder hatten nichts weiter als grobe Holzpantoffeln oder gingen barfuß.
»Holz ist eine feine Sache, Junge. Ohne Holz läuft nichts auf der Welt. Eigentlich kann man alles aus Holz machen, nur keine Kinder«, lachte Vater Heinrich Zacharias derb. »Holz ist wichtig und wer begriffen hat, wozu Holz gut ist, kann es weit bringen. Noch dürfen wir das Holz in diesem Wald fällen und verwenden. Noch.«
Erneut fiel ein Schatten über sein Gesicht und zwischen zusammengepressten Lippen zischte er: »Allerdings, mein Sohn, es scheint so, als ob die Erde nicht unserem Gott gehört, sondern bald dem Kaiser, den sie den Weltkaiser nennen. Er reißt sie den Herzögen und Fürsten unterm Arsch weg. Beten wir, dass uns Schlimmes erspart bleibt. Gott sei gepriesen.«
Bei diesen Worten trieb er die Axt mit Wucht mehrmals in die Seite des Stammes, die der Fallseite gegenüber lag. Dann schnitt er einen Keil aus dem Stamm. Holzstaub und Späne wirbelten auf und die Luft füllte sich mit Harzgeruch, den Heinrich Engelhard gierig einsog. Nun haute der Vater die Axt so tief in die gegenüberliegende Seite des Baumes, dass sie genau auf die Keilspitze zutrieb. Die Fichte schwankte, ächzte, knarrte und senkte sich. Mit Schwung sprang der Alte zurück, während er gleichzeitig den Fall des Riesen beobachtete.
»Ach, der schöne Baum.«
Ehrfürchtig verfolgte Klein-Heinrich den gewaltigen Sturz.
»Kein Mitleid, Bursche. Wir brauchen das Holz um daraus Holzkohle zu gewinnen, die uns Taler einbringt, mit denen wir unser Brot kaufen können. Das habe ich euch Dummköpfen schon tausendmal vorgebetet. Und das Holz der Fichte ist besonders gut.«
Heinrich horchte auf. »Kann man aus Fichtenholz nicht auch schönere Dinge machen als hässliche Holzkohle, Vater?«
»Es kommt darauf an, Bursche. Was würdest du denn aus Fichtenholz machen?«
Der Vater blickte mürrisch, doch er schien amüsiert.
»Eine Zither«, platzte Heinrich Engelhard heraus.
»Eine Zither?«, wiederholte der Vater und lachte dabei aus vollem Hals. »Eine Zither. Na so was. Eine Zither«, wiederholte er mehrmals lachend.
Heinrichs Gesicht verzog sich beschämt. Stumm sah er dem Vater zu, wie er, seine Brüder Nathanael, Zacharias und Christoph sowie andere Männer im Wald, die nun dazu gekommen waren, ihre gefällten Bäume zerkleinerten und Scheite schlugen. Viele Stunden schwerster Arbeit vergingen. Trotz der Kälte glänzten Schweißperlen in Heinrich-Zacharias' verkniffenem Gesicht, das sich hin und wieder aufhellte, wenn er achselzuckend das Wort >Zither< aussprach.
Während die Älteren hackten und sägten, trugen Heinrich Engelhard und andere Köhlerkinder die Scheite an den Wegrand zu den Pferdefuhrwerken. Dort wurden sie aufgeladen und zu Unterständen gekarrt, wo man sie zum Trocknen aufschichtete. Als der erste Wagen beladen war, trat der Vater...
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