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»Wir bitten Sie, die Sicherheitsgurte anzulegen.« Die verschiedenen Passagiere an Bord des Flugzeugs kamen dieser Aufforderung nur langsam nach. Allgemein herrschte der Eindruck, man könne Genf eigentlich noch nicht erreicht haben. Die Schläfrigen ächzten und gähnten. Die noch Schläfrigeren mussten von einer Stewardess sanft, aber nachdrücklich geweckt werden.
»Bitte schnallen Sie sich an.«
Die tonlose Stimme erklang gebieterisch aus den Lautsprechern. Sie erklärte auf Deutsch, Französisch und Englisch, dass man demnächst einige Turbulenzen zu erwarten habe. Sir Stafford Nye öffnete den Mund so weit wie möglich, gähnte und setzte sich aufrecht hin. Er hatte einen überaus schönen Traum vom Angeln an einem englischen Fluss geträumt.
Er war ein Mann mittlerer Größe, fünfundvierzig, mit einem ebenmäßigen, olivfarbenen, glattrasierten Gesicht. Er kleidete sich gerne ziemlich exzentrisch. Als Spross aus bestem Hause frönte er absolut sorglos jeder Textilmarotte. Und wenn das einige seiner eher konventionell gekleideten Kollegen bisweilen zusammenzucken ließ, war dies für ihn lediglich ein Quell boshafter Freude. Er hatte etwas von einem Dandy des 18. Jahrhunderts an sich. Er fiel gern auf.
Auf Reisen schmückte er sich bevorzugt mit einer Art Räuberumhang, den er einmal auf Korsika erstanden hatte. Außen war er in sehr dunklem, bläulichem Violett gehalten, innen mit scharlachrotem Futter. Hinten hing wie bei einem Burnus eine Art Kapuze herab, die er nach Wunsch über den Kopf ziehen konnte, etwa um sich vor Zugluft zu schützen.
Sir Stafford Nye war in diplomatischen Kreisen eine Enttäuschung gewesen. In der Jugend schien er aufgrund seiner Fähigkeiten zu Höherem berufen, aber es war ihm völlig misslungen, diese frühen Erwartungen zu erfüllen. Für gewöhnlich befiel ihn gerade im entscheidenden Moment ein eigentümlicher, diabolischer Sinn für Humor. Wenn es darauf ankam, stellte er jedes Mal fest, dass er lieber seiner koboldhaften Bosheit freien Lauf ließ, als sich zu langweilen. Er war eine bekannte Person des öffentlichen Lebens, ohne es jemals zu Ansehen gebracht zu haben. Man war der Meinung, dass Stafford Nye - obschon zweifellos brillant - nicht zuverlässig sei und dies wohl auch nie sein würde. In diesen Zeiten verworrener Politik und verwickelter auswärtiger Beziehungen war Zuverlässigkeit - gerade wenn man zum Rang eines Botschafters aufsteigen wollte - allerdings der Genialität vorzuziehen. Sir Stafford Nye wurde auf das Abstellgleis verbannt, wiewohl man ihn von Zeit zu Zeit mit Aufträgen betraute, die zwar kunstvolle Intrigen erforderten, aber nicht allzu wichtig oder für die Öffentlichkeit wahrnehmbar waren. Journalisten nannten ihn manchmal die unbekannte Größe der Diplomatie.
Ob Sir Stafford von seiner Karriere enttäuscht war, wusste niemand. Wahrscheinlich noch nicht einmal er selbst. Er war durchaus eitel, gab aber eben auch liebend gerne seiner Neigung zu Unfug nach.
Nun kehrte er gerade von einem Untersuchungsausschuss in Malaya - an das er aus patriotischer Gepflogenheit noch immer nicht als »Malaysia« denken mochte - zurück, den er als ganz besonders uninteressant empfunden hatte. Seiner Meinung nach hatten seine Kollegen schon vorher entschieden, was sie dort herausfinden würden. Zwar nahmen sie alles wahr und hörten zu, ihre vorgefertigte Meinung beeinflusste das allerdings nicht. Sir Stafford hatte ihnen ein paar Knüppel zwischen die Beine geworfen, mehr aus Spaß an der Freude als aus wirklicher Überzeugung. Immerhin, so fand er, war es dadurch etwas lebhafter geworden. Er wünschte sich mehr Gelegenheiten, so etwas zu tun. Seine Kommissionskollegen waren anständige, verlässliche Kerle gewesen - und bemerkenswert langweilig. Selbst die bekannte Mrs Nathaniel Edge, einziges weibliches Mitglied und bekannt für ihre fixen Ideen, war vollkommen vernünftig, wenn es um Fakten ging. Sie beobachtete, hörte zu und ging auf Nummer sicher.
Er war ihr schon einmal begegnet, als es ein Problem in einer der Hauptstädte des Balkans zu lösen galt. Bei dieser Gelegenheit hatte Sir Stafford Nye es sich nicht verkneifen können, einigen interessanten Andeutungen nachzugehen. In der skandalverliebten Zeitschrift Inside News war unterstellt worden, Sir Stafford Nyes Anwesenheit in jener Balkanhauptstadt sei eng mit größeren Problemen auf dem Balkan verbunden und er befinde sich auf einer äußerst heiklen Geheimmission. Ein vermeintlicher Freund hatte Sir Stafford eine Ausgabe zugeschickt und die entsprechenden Passagen angestrichen. Sir Stafford war keineswegs bestürzt gewesen; er hatte den Artikel mit entzücktem Grinsen gelesen. Darüber nachzudenken, wie lächerlich weit von der Wahrheit entfernt die Journalisten in diesem Fall waren, amüsierte ihn sehr. Seine Anwesenheit in der Gegend von Sofia war lediglich einem unschuldigen Interesse für seltene Wildblumen und dem Drängen einer betagten Freundin geschuldet - Lady Lucy Cleghorn. Diese war unermüdlich auf der Suche nach derlei scheuen floralen Seltenheiten und jederzeit bereit, eine Felswand zu erklimmen oder fröhlich in einen Sumpf zu hüpfen, sobald sie ein Blümchen erspähte, dessen Größe in umgekehrtem Verhältnis zur Länge seines lateinischen Namens stand.
Seit etwa zehn Tagen war eine kleine Schar von Enthusiasten dieser botanischen Suche an verschiedenen Berghängen nachgegangen, da kam Sir Stafford in den Sinn, wie schade es sei, dass diese Meldung nicht den Tatsachen entsprach. Er hatte die Blumen ein wenig - nur ein klein wenig - satt, und sosehr er die gute Lucy auch mochte, ging ihm ihre Fähigkeit, trotz ihrer über sechzig Jahre Hügel in Windeseile zu erklimmen - und ihn dabei mühelos abzuhängen -, doch manchmal gegen den Strich. Dauernd sah er direkt vor sich die Rückseite dieser leuchtend königsblauen Hosen, und wenn Lucy auch an anderen Stellen bei Gott genug Knochen aufwies, war sie achtern entschieden zu ausladend, um königsblaue Cordhosen tragen zu können. Wie wäre es, hatte er gedacht, mit einem netten kleinen internationalen Durcheinander, bei dem er seine Finger im Spiel hätte, mit dem er sich vergnügen könnte?
Im Flugzeug fing die metallische Lautsprecherstimme erneut zu reden an. Sie setzte die Passagiere davon in Kenntnis, dass das Flugzeug wegen dichten Nebels über Genf nach Frankfurt umgeleitet und von dort nach London fliegen würde. Passagiere nach Genf würden von Frankfurt aus so bald wie möglich dorthin befördert. Sir Stafford Nye war das gleich. Falls es in London Nebel gab, würden sie, wie er annahm, das Flugzeug wohl nach Prestwick umleiten. Er hoffte, dass es dazu nicht käme. Er war ein- oder zweimal zu oft in Prestwick gewesen. Das Leben, dachte er, und insbesondere Flugreisen waren wirklich hochgradig langweilig. Wenn doch nur - er wusste auch nicht - wenn doch nur - was?
Es war warm in der Transitlounge des Frankfurter Flughafens, deshalb schlug Sir Stafford Nye seinen Umhang zurück, sodass sich das scharlachrote Futter spektakulär um seine Schultern legte. Er trank ein Glas Bier und hörte mit halbem Ohr auf die verschiedenen Durchsagen.
»Flug 4387 nach Moskau. Flug 2831 nach Ägypten und Kalkutta.«
Reisen über den gesamten Erdball. Eigentlich sollte das alles sehr romantisch sein. Irgendetwas jedoch hatte die Stimmung in einem Warteraum am Flughafen an sich, das jede Romantik erkalten ließ. Es gab zu viele Leute, zu viele Dinge zu kaufen, zu viele ähnlichfarbene Sitze, zu viel Plastik, zu viele Menschen, zu viele schreiende Kinder. Er versuchte sich zu entsinnen, wer gesagt hatte:
I wish I loved the Human Race;
I wish I loved its silly face.
[Ich wollte, ich liebte das Menschengeschlecht;
Ich wollte, ich liebte sein dummes Gesicht.]
Chesterton vielleicht? Auf jeden Fall stimmte es. Genug Menschen auf einem Fleck, und sie sahen sich so quälend ähnlich, dass es kaum auszuhalten war. Jetzt ein interessantes Gesicht, dachte Sir Stafford. Wie viel das ausmachen würde. Abschätzig betrachtete er zwei junge Frauen, aufwendig geschminkt, gewandet in der nationalen Montur ihres Heimatlandes - England, so nahm er an. Ein Minirock kürzer als der andere. Dann war da noch eine andere junge Frau, noch aufwendiger geschminkt - tatsächlich ziemlich hübsch - und in einem Aufzug, den man, wie er meinte, Hosenrock nannte. Modisch war sie weiter fortgeschritten.
Er war nicht sonderlich interessiert an hübschen Mädchen, die wie alle anderen hübschen Mädchen aussahen. Er mochte es, wenn jemand anders war. Jemand ließ sich neben ihm auf der plastikbezogenen Kunstlederbank nieder. Ihr Gesicht erregte sofort seine Aufmerksamkeit. Nicht unbedingt, weil es anders war: Tatsächlich schien er es fast von irgendwo her zu kennen. Hier saß jemand, den er schon einmal gesehen hatte. Zwar konnte er sich nicht entsinnen, wo oder wann, doch kam ihm das Gesicht bekannt vor. Vielleicht fünf- oder sechsundzwanzig, dachte er, was das Alter anging. Eine feingeschnittene Adlernase, ein schwerer schwarzer Busch von Haaren, der ihr bis zu den Schultern reichte. Sie hielt ein Magazin in der Hand, nahm aber keine Notiz davon. Vielmehr schaute sie ihn an, mit fast so etwas wie Ungeduld. Dann plötzlich sprach sie. Es war eine...
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