Schweitzer Fachinformationen
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13
Ich ließ mir zum zweiten Mal Kaffee nachschenken. Jake starrte die Bedienung an, als hätte er noch nie davon gehört, dass so etwas möglich war. Sie verlor schließlich das Interesse an ihm und ging weg. Jake schob mir die Visitenkarte wieder hin. Ich nahm sie und steckte sie ein. Er sagte: »Das gefällt mir nicht.«
Ich sagte: »Mir würde es auch nicht gefallen.«
»Ich sollte zurückgehen und mit dem NYPD reden.«
»Sie hat sich erschossen, Jake. Das ist das Fazit. Mehr brauchen sie nicht zu wissen. Wie, wo oder warum ist ihnen egal.«
»Sie sollten sich aber darum kümmern.«
»Schon möglich. Aber sie tun's nicht. Täten Sie's denn?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte er. Ich sah seinen Blick leer werden. Vielleicht ließ er sich alte Fälle durch den Kopf gehen. Große Häuser, schattige Alleen, Rechtsanwälte, die von unterschlagenen Mandantengeldern ein Luxusleben führten, die Gelder nicht mehr zurückgeben konnten und vor Schande, Skandal und Entzug der Anwaltszulassung flüchteten. Oder Lehrer, von denen eine Schülerin ein Kind bekam. Oder Familienväter mit homosexuellen Freunden in Chelsea oder im West Village. Die örtlichen Cops, taktvoll und mitfühlend in den hübschen stillen Häusern, besichtigten die Tatorte, überprüften die Fakten, tippten Berichte, schlossen die Akten, vergaßen, wandten sich dem nächsten Fall zu, kümmerten sich nicht um wie, wo oder warum.
Er fragte: »Haben Sie eine Theorie?«
Ich sagte: »Für eine Theorie ist's noch zu früh. Bisher haben wir nur Tatsachen.«
»Welche Tatsachen?«
»Das Pentagon hat Ihrer Schwester nicht hundertprozentig vertraut.«
»Das ist eine verdammt schlimme Unterstellung.«
»Sie hat auf einer Watchlist gestanden, Jake. So muss es gewesen sein. Sobald ihr Name eingegeben wurde, haben die Feds ihre Pferde gesattelt. Gleich drei Kerle. Das war ein festgelegtes Verfahren.«
»Sie sind nicht lange geblieben.«
Ich nickte. »Das heißt, dass sie nicht sehr misstrauisch waren, nur vorsichtig. Vielleicht hatten sie irgendeine kleine Sache im Kopf, ohne selbst wirklich daran zu glauben. Sie sind hergekommen, um sie ausschließen zu können.«
»Was für eine Art Sache?«
»Informationen«, antwortete ich. »Das ist alles, was das Human Resources Command hat.«
»Sie haben sie verdächtigt, Informationen weitergegeben zu haben?«
»Sie wollten es ausschließen.«
»Das bedeutet, dass sie's irgendwann für möglich gehalten haben.«
Ich nickte erneut. »Vielleicht ist sie im falschen Büro gesehen worden, wo sie den falschen Karteischrank geöffnet hat. Vielleicht hätte es eine harmlose Erklärung gegeben, aber sie wollten eben sichergehen. Oder es ist irgendwas verschwunden, und sie haben nicht gewusst, wen sie beobachten sollten, und deshalb alle beobachtet.«
»Welche Art Informationen?«
»Keine Ahnung.«
»Wie eine kopierte Akte?«
»Kleiner«, sagte ich. »Eine zusammengefaltete Notiz, ein USB-Stick. Irgendetwas, das in der U-Bahn von Hand zu Hand weitergegeben werden könnte.«
»Sie war eine Patriotin. Sie hat ihr Land geliebt. So was hätte sie nie getan.«
»Und sie hat es auch nicht getan. Sie hat niemandem etwas gegeben.«
»Dann haben wir also nichts.«
»Wir haben Ihre Schwester mit einem geladenen Revolver in der Tasche, Hunderte von Meilen von zu Hause entfernt.«
»Und verängstigt.«
»Bei dreißig Grad in einer Daunenjacke.«
»Und zwei herumgeisternde Namen«, sagte er. »John Sansom und Lila Hoth, wer, zum Teufel, sie auch ist. Und Hoth klingt ausländisch.«
»Auch nicht mehr als früher Markakis.«
Er verstummte wieder, und ich trank einen Schluck Kaffee. Der Verkehr auf der Eighth Avenue nahm zu. Die Hauptverkehrszeit begann allmählich. Die Sonne war aufgegangen. Ihre Strahlen fielen nicht parallel zur Fahrbahn ein. Sie trafen in flachem Winkel auf und warfen lange Schatten.
Jake sagte: »Geben Sie mir irgendwas, mit dem ich anfangen kann.«
Ich sagte: »Wir wissen nicht genug.«
»Spekulieren Sie.«
»Das darf ich nicht. Ich könnte eine Story erfinden, aber sie hätte große Lücken. Und sie könnte von Anfang an grundfalsch sein.«
»Versuchen Sie's wenigstens. Geben Sie mir irgendwas. Wie beim Brainstorming.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Haben Sie jemals Leute gekannt, die bei den Special Forces waren?«
»Zwei oder drei. Vielleicht auch vier oder fünf, wenn ich die State Trooper dazuzähle, die ich getroffen habe.«
»Wahrscheinlich kennen Sie gar keinen. Die meisten Karrieren in den Special Forces hat es nie gegeben. Das ist wie bei den Leuten, die behaupten, in Woodstock gewesen zu sein. Würde man allen glauben, wären dort zehn Millionen Menschen gewesen. Oder bei den New Yorkern, die gesehen haben, wie die Flugzeuge in die Twin Towers gerast sind. Hört man sie reden, hat jeder sie beobachtet. Keiner hat gerade in die falsche Richtung geschaut. Viele Kerle, die bei den Special Forces gewesen sein wollen, geben bloß an. Die meisten sind nie aus der Infanterie rausgekommen. Manche waren überhaupt nicht in der Army. Eine Menge Leute hübschen ihre Biografie ein bisschen auf.«
»Wie meine Schwester.«
»Das ist nur menschlich.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich arbeite mit dem, was wir haben. Wir haben zwei zufällige Namen, den bevorstehenden Wahlkampf und Ihre Schwester, die im HRC arbeitet.«
»Glauben Sie, dass John Sansom in Bezug auf seine Vergangenheit lügt?«
»Wahrscheinlich nicht«, entgegnete ich. »Aber auf diesem Gebiet wird viel übertrieben. Und Politik ist ein schmutziges Geschäft. Sie können darauf wetten, dass in diesem Augenblick jemand den Mann überprüft, bei dem Sansom vor zwanzig Jahren seine Anzüge hat reinigen lassen, um festzustellen, ob er eine Green Card hatte. Deshalb versteht es sich von selbst, dass Leute auch seine Biografie unter die Lupe nehmen. Das ist ein Nationalsport geworden.«
»Vielleicht ist Lila Hoth eine Journalistin. Oder sie recherchiert. Für einen Nachrichtenkanal. Oder fürs Radio.«
»Vielleicht kandidiert sie gegen Sansom.«
»Nicht mit diesem Namen. Nicht in North Carolina.«
»Okay, sagen wir, dass sie Journalistin oder Rechercheurin ist. Vielleicht hat sie eine HRC-Angestellte unter Druck gesetzt, um an Sansoms Militärakte zu kommen. Vielleicht hat sie sich Ihre Schwester ausgesucht.«
»Was hätte sie gegen Susan in der Hand gehabt?«
Ich sagte: »Das ist die erste große Lücke in meiner Story.« Das war wirklich eine. Susan Mark war ängstlich und verzweifelt gewesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie eine Journalistin so viel Druck ausüben sollte. Journalisten können überreden und manipulieren, aber niemand hat besondere Angst vor ihnen.
»War Susan politisch interessiert?«, fragte ich.
»Wieso?«
»Vielleicht konnte sie Sansom nicht leiden. Oder ihr hat das, wofür er steht, nicht gefallen. Vielleicht hat sie deshalb mitgemacht. Oder sich sogar freiwillig gemeldet.«
»Wieso wäre sie dann so verängstigt gewesen?«
»Weil sie dabei war, sich strafbar zu machen«, antwortete ich. »Das Herz muss ihr bis zum Hals geschlagen haben.«
»Und wozu hat sie den Revolver mitgenommen?«
»Hat sie den nicht normalerweise dabeigehabt?«
»Niemals. Er war ein Erbstück. Wie die meisten Leute hatte sie ihn in der Sockenschublade aufbewahrt.«
Ich zuckte mit den Schultern. Der Revolver war die zweite große Lücke in meiner Story. Leute nehmen ihre Waffen aus allen möglichen Gründen aus ihrer Sockenschublade - um sich zu schützen, aus Aggression. Aber niemals nur für den Fall, dass sie impulsiv beschließen sollten, sich weit von zu Hause entfernt eine Kugel in den Kopf zu jagen.
Jake sagte: »Susan war kein sehr politischer Mensch.«
»Okay.«
»Deshalb kann's keine Verbindung mit Sansom geben.«
»Wieso ist sein Name dann genannt worden?«
»Das weiß ich nicht.«
Ich sagte: »Susan muss mit dem Auto hergekommen sein. Im Flugzeug kann man keine Waffe mitnehmen. Ihr Auto wird vermutlich gerade abgeschleppt. Sie muss durch den Holland Tunnel gekommen sein und in der Innenstadt geparkt haben.«
Jake äußerte sich nicht dazu. Mein Kaffee war kalt. Die Bedienung hatte es aufgegeben, uns nachzuschenken. Wir waren ein unrentabler Tisch. An anderen Tischen hatten die Gäste schon zweimal gewechselt. Arbeitende Menschen, die es eilig hatten, rasch etwas in sich hineinstopften, sich auf einen anstrengenden Tag vorbereiteten. Ich stellte mir Susan Mark vor zwölf Stunden vor, als sie sich auf eine anstrengende Nacht vorbereitete. Wie sie sich anzog. Wie sie den Revolver ihres Vaters nahm, ihn lud und in die schwarze Umhängetasche steckte. Wie sie sich ins Auto setzte, auf der Route 236 zum Beltway fuhr, ihm im Uhrzeigersinn folgte, vielleicht noch mal tankte, dann die I-95 erreichte und nach Norden weiterfuhr - mit verzweifelt weit aufgerissenen Augen in die Nacht starrend.
Spekulieren Sie, hatte Jake gesagt. Aber das wollte ich plötzlich nicht mehr. Denn ich glaubte die Stimme Theresa Lees zu hören. Die der Kriminalbeamtin. Sie haben sie in den Abgrund gestoßen. Jake sah, dass ich nachdachte, und fragte: »Was?«
»Nehmen...
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