Schweitzer Fachinformationen
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«Überall waren kleine Schiffe und Yachten vor Anker, doch aufregender war ein großes Schiff, das näher glitt, von zwei Schleppern gezogen.»
Daphne du Maurier, Mein Cornwall
Noch am Morgen hätte Daphne als ihre besten Eigenschaften genannt, dass sie hartnäckig wie eine ganze Möwenkolonie sein konnte, Francis immer treu gewesen war und sämtliche Telefonnummern ihrer Freundinnen auswendig kannte. Francis hätte vielleicht noch ergänzt, dass sie mehr über Fowey wusste als jeder andere und dass die Familie ihr gutes Gedächtnis manchmal als ziemlich lästig empfand.
Aber morgens hatte sie auch noch nicht gewusst, dass sich dieser Tag als Wolf im Schafspelz entpuppen würde.
Francis war schon früh zu einem Meeting im Hafenamt gefahren. Daphne mochte es nicht besonders, wenn sie allein frühstücken musste. Sie schlang ihre beiden Toastbrote und ihr Porridge hinunter, band sich vor dem Flurspiegel die braunen Haare zu einem Pferdeschwanz und zählte kurz ihre Falten. Es waren noch alle da. Sie waren erstaunlich treu, seit Daphne über fünfzig war. Dann streifte sie sich ihre orangefarbene Weste mit der Aufschrift Royal Mail über und holte ihr Fahrrad aus der Garage. Sie war die einzige Postbotin der Zentrale, die keinen der üblichen Trolleys für die Briefe benutzte. Obwohl das Fahrradfahren in Foweys steilen Gassen nicht immer ein Vergnügen war, fühlte sie sich ohne Trolley gleich zehn Jahre jünger. Oder zumindest fünf.
Sie liebte den Wind in ihren Haaren, schon immer. Gutgelaunt radelte sie durch die schmale Lostwithiel Street zum Hafen hinunter. Vom Meer wehte eine frische, salzige Brise herein. Über dem Fluss kreisten Schwaden von Möwen, deren egoistisches Geschrei ohrenbetäubend war. Am hinteren Pier hatte ein havarierter Fischkutter festgemacht, das Deck voller Fangreste. Hinter ihm zogen weiße Segel vorbei. Es war Flut, die beste Zeit, das Revier des River Fowey zu verlassen.
Wie terrassiert zogen sich Foweys weiße Häuserreihen über den Hang, zu dessen Füßen die Hafenbucht, der kleine Platz am Quay und die Einkaufsgassen lagen. Daphne wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Touristen oben auf dem Parkplatz eintrafen und die gepflasterten Wege mit den steilen Treppen hinunterwanderten.
An der überfluteten Steintreppe am Quay werkelte David Goodall, hinter ihm schaukelte sein neues Taxiboot. Es war gelb, und noch glänzte es eindrucksvoll. Unter den seitlichen Fenstern stand in großer schwarzer Schrift: Wassertaxi, Kontakt über Kanal 6.
«Glückwunsch zum Boot!», rief Daphne. Früher hatte David Goodall Trawler kommandiert, seit er sechzig war, wollte er Fowey nicht mehr verlassen. «Und keine Möwen an Deck - wie machst du das?»
«Sie kennen mich!» David nahm einen Fender von der Treppe und warf ihn so geschickt, dass er genau auf dem Kajütendach landete. Er war niemand, der unnötig Worte machte. «Dein Mann macht heute eine Probefahrt. Falls du auch Lust hast .?»
«Und wer trägt die Post aus?», fragte sie lachend.
Nachdem sie in der Lagerhalle der Royal Mail ihre Posttasche randvoll mit Briefen gefüllt hatte, begann sie ihre Tour. Jeder Eingang der Fischerkaten und viktorianischen Reihenhäuser erzählte eine andere Geschichte - bunte Kinderbilder, Stiefel und Angelzeug, durchgestrichene Namen an der Klingel. Sie begegnete den vertrauten Gesichtern der begeisterten Rosenzüchterinnen in ihren Gärten, den Pubwirten, den Ladenbesitzern in der Fore Street und den Bootsbauern in ihren Schuppen.
Die meisten Gesichter waren wettergegerbt - und ihre Besitzer so kornisch, dass sie die Engländer für Spaßvögel aus dem Norden hielten. Gab es genügend Wind, ging man auf dem River Fowey segeln. Wenn es regnete, war man auch zufrieden, blieb zu Hause und genoss den Spaß, mit dem mizzle ein paar Verrückten aus London den Urlaubstag verdorben zu haben.
Natürlich war es wie immer, wenn Daphne es eilig hatte. Gerade dann öffneten sich besonders viele Türen, sobald der Briefkasten klapperte. Roger Carlyon wollte seine Post nächste Woche unter der Regenrinne versteckt haben, Peter Ashley maulte über mangelnde Pünktlichkeit, und Mrs. Gallagher brauchte den dringenden Rat ihrer Briefträgerin wegen des Einbaus einer neuen Hüftprothese.
Trotzdem schaffte Daphne es, einen neuen Rekord aufzustellen. Schon um 10:30 Uhr strampelte sie auf die beiden Ferienhäuser am Station Wood zu. Dafür würde ihr die Royal Mail zwar keine Medaille verleihen, aber durch den Zeitgewinn konnte sie früher nach Hause fahren und sich umziehen. Für den Nachmittag hatte sie eine Einladung, wie sie nicht alle Tage kam. Um zwei Uhr sollte sie mit dem Glas in der Hand unter den Palmen im Park von Glendurgan Garden stehen, wo ihr Schulfreund Sir Trevor Tyndale seinen vornehmen Sommerempfang geben wollte. In seiner exzentrischen Art hatte er das Fest Blüten und Bücher genannt - mit Lesungen, weiß gedeckten Tischen und klugen Gästen.
Sie lehnte ihr Rad an eine Eiche und holte die Briefe aus der Tasche. Am Waldrand vor den beiden Ferienhäusern wuchsen die schlanken gefiederten Adlerfarne, als hätte sie jemand gedüngt. In Foweys satter Erde wären sogar Kokosnüsse angewachsen. Neben den Häusern führte ein Pfad in den Wald. Am anderen Ende, hinter den Bäumen, begannen schon die Uferwiesen des Flusses.
Daphne stieg die Stufen zu den hölzernen Cottages hinauf und warf zwei Gemeinde-Briefe ein. Ab August sollte hier wieder jemand wohnen.
Als sie zu ihrem Rad zurückkehrte, hörte sie einen Knall, dessen Echo sich im Wald brach. Sie hatte keinen Zweifel, dass das ein Schuss gewesen war. Er kam aus dem Wald hinter den Cottages. Jemand rief etwas, dann war Stille.
Daphnes erster Gedanke war, dass heute Jäger unterwegs waren, um die Kaninchenplage in den Griff zu bekommen. Doch ihr fiel ein, dass der Forstverband die Jagd ohne Absperrung der Wanderwege verboten hatte. Also sind es wieder heimliche Schießübungen, dachte sie. Erst letztes Jahr hatten zwei übermütige Schüler im Wald herumgeballert, bis einer von ihnen Schrotkugeln im Fuß hatte. Sie beschloss, ein kurzes Stück in den Wald zu gehen und nachzusehen. Notfalls würde sie Francis informieren, der ständig mit der Jagdbehörde in Kontakt stand.
Plötzlich hörte sie das Knirschen von Kies und das Schlingern eines Rades hinter sich. Sie trat zur Seite.
Ein dunkler Schatten raste auf sie zu. Es war jemand auf einem Mountainbike, in schwarzer Jacke und mit dunklem Helm, der tief über die Stirn gezogen war. Das Gesicht unter dem Helm war bis an die Augen mit einem grauen Schal verhüllt.
Im selben Moment erhielt sie einen Tritt gegen das linke Knie. Er war so fest und brutal, dass er sie von den Beinen riss. Wie ein gefällter Baum flog sie rückwärts in die Farne, die neben der großen Eiche wuchsen. Während die Person auf dem Rad weiterraste, spürte Daphne, wie ihr Hinterkopf hart auf der Erde aufschlug, wie kleine Dornen in Haar und Kopfhaut drangen, wie Blätter über ihr Gesicht kratzten.
Benommen blieb sie einen Augenblick liegen. Als sie endlich wieder die Kraft fand, sich aufzurappeln, stellte sie fest, dass zu ihren Füßen Münzen und anderer Kleinkram lagen - lauter Dinge, die ihr beim Sturz aus der Weste gerutscht sein mussten. Kniend sammelte sie alles ein. Dann stand sie vorsichtig auf und klopfte ihre Hose ab. Zum Glück entpuppte sich der hässliche schwarze Fleck am Knie nicht als Blut, es war nur feuchte Erde. Nachdem sie ruhig durchgeatmet und sich die restlichen Blätter aus dem Haar gezupft hatte, ging sie wieder zu ihrem Rad. Erleichtert stellte sie fest, dass es ihr keine Probleme bereitete, das Knie zu bewegen.
Sie wollte gerade auf ihr Rad steigen, als ihr Handy in der Posttasche klingelte. Der Anruf kam von Linda Ferguson.
«Ja, Linda?» Daphne spürte selbst, dass ihre Stimme noch etwas lahm klang.
«Ich wollte dir nur sagen, dass ich doch mit meinem eigenen Wagen zu Sir Trevors Sommerfest fahre. Du musst mich also nicht mitnehmen.» Linda war wie immer in Eile. Nachdem sie kürzlich ihr neues Bed-&-Breakfast-Cottage eröffnet hatte, plante sie alles eisern durch. Jede Minute.
«Okay», sagte Daphne müde. «Dann treffen wir uns also dort. Um zwei Uhr?»
«Ja.» Linda stutzte. «Ist was? Du klingst so komisch?»
«Wie denn?», fragte Daphne. Erschrocken fühlte sie mit der Zunge, ob sie vielleicht einen Schneidezahn verloren hatte. Zum Glück waren noch alle Zähne da.
«Ein bisschen lustlos», meinte Linda. «Muss ich mir Sorgen machen?»
Daphne beschloss, ihr die Wahrheit zu sagen. Als ehemalige Hoteliersfrau hatte Linda ohnehin ein untrügliches Gespür für die Stimmungsschwankungen anderer Leute.
«Mich hat gerade jemand ins Abseits befördert», gestand sie. «Du darfst es aber ja nicht Francis erzählen .»
«Ins Abseits? Was heißt das denn?», fragte Linda erschrocken.
Daphne berichtete ihr von dem Angriff. Während sie das tat, stellte sie fest, dass sie sich zwar detailliert an den Fußtritt und an den Ablauf ihres Sturzes erinnern konnte, aber kaum an den Moment davor. Sie wusste zwar, dass sie vor der Attacke des Mountainbikers irgendetwas im Wald gehört hatte, doch es gelang ihr nicht, sich die ganze Situation ins Gedächtnis zu rufen.
«Was hast du denn gehört?», fragte Linda. «Ich meine, oben im Wald?»
Daphne dachte verzweifelt nach. Es wollte ihr nicht einfallen. Sie wusste nur noch, dass sie etwas Dringendes unternehmen wollte, nachdem sie das Geräusch gehört...
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