Schweitzer Fachinformationen
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Averdeen, 1945
«Du hättest sie sehen sollen, Alfie. Sie war so verdammt beeindruckend. Würdevoller als irgendeiner dieser Säcke im Parlament je sein könnte.»
Mein Vater, Reginald William Constantine Pembrook, der König von Wessco, spricht oft über mich, als wäre ich nicht im Zimmer. Meine Mutter nennt es eine bedauerliche Angewohnheit. Aber mir macht das nichts aus, besonders wenn er wie heute stolz auf mich ist.
«Meine Ratgeber», fährt er fort und spuckt das Wort förmlich aus, «die verstehen das Volk überhaupt nicht. Verdammte Narren, alle miteinander.»
Vaters Ratgeber sprechen auch über mich, als wäre ich nicht im Zimmer. «Mit ihren acht Jahren ist sie zu jung», hatten sie gesagt. «Sie wird sich blamieren», hatten sie gewarnt. «Die Kronprinzessin ist schließlich nur ein kleines Mädchen.»
Als der Krieg letzten Monat endlich zu Ende ging, hatten wir eine Parade in der ganzen Stadt. Es gab Musik und Süßigkeiten, Spruchbänder und Luftballons, und goldenes Konfetti flog, wohin man auch sah. Die Menge winkte und jubelte und hieß die Männer zu Hause willkommen, als sie in ihren schmucken Uniformen die Straße entlangmarschierten.
Heute Morgen waren die Übrigen nach Hause gekommen, doch diesmal jubelte niemand. Die Dudelsäcke spielten, und ein Meer trauriger Menschen - weinende Mütter und Väter und kleine Brüder und Schwestern - war zugegen, als die mit Flaggen drapierten Särge in einer endlos scheinenden Parade aus den Flugzeugen geladen wurden.
Ich wollte auch weinen. Mein Herz fühlte sich an wie eine bleierne Kugel, und mein Magen krampfte sich angesichts der Schrecklichkeit des Ganzen zusammen. Aber ich ließ es mir nicht anmerken. Ich passte auf, dass meine Augen trocken blieben und mein Gesicht beherrscht. Ich nickte ihnen zu und sagte ihnen, dass wir ihre tapferen Söhne niemals vergessen würden. Und ich denke, meine Anwesenheit dort, meine Worte, haben es für sie besser . ein bisschen weniger schrecklich . gemacht.
Genau wie Vater es vorausgesagt hatte.
«Ich bin froh, dass es so funktioniert hat, Reggie», antwortet Alfie Barrister vom Ledersessel am Kamin aus.
Alfie ist Vaters bester Freund. Ich mag ihn sehr. Er ist groß und rund und fröhlich - wie ein rothaariger Weihnachtsmann.
«Ein Anruf, Eure Majestät», sagt ein Diener hinter mir.
«Ich werde ihn im Arbeitszimmer annehmen.»
Ich höre, wie sich die Tür der Bibliothek hinter Vater schließt, als er den Raum verlässt, aber ich schaue weiter aus dem Fenster. Über den Teppich aus grünem Gras hinweg blicke ich zum hinteren Teil des sonnendurchfluteten Gartens, wo eine Schaukel vom dicken Ast eines mächtigen, alten Baumes hängt, der wie ein Ungeheuer aussieht.
Die nette Art von Ungeheuer.
Schaukeln ist mir das Liebste an den Besuchen bei Alfie. Denn obwohl unser Palast Hunderte Zimmer und endlose Flure hat, und Springbrunnen und Gärten mit Blumen in allen Farben, die man sich nur vorstellen kann, hängt in keinem der verdammten Bäume da eine Schaukel.
Ich soll verdammt nicht laut sagen, aber manchmal fühlt es sich gut an, es in meinem Kopf zu sagen.
Alfie kommt neben mich und schaut auch aus dem Fenster.
«Möchtest du gern schaukeln gehen, Küken?»
Ich grinse breit zu ihm hoch und nicke.
Keine zehn Minuten später sind wir draußen, und Alfie schiebt mich auf der Schaukel an, und es ist, als würde ich fliegen - als wäre ich ein Vogel, der überall hinfliegen kann - Sonne auf dem Gesicht und Wind in den Haaren. Mein marineblaues Kleidchen ist unter meine Beine geklemmt, damit es nicht hochflattert.
«Hast du die Schaukel für dich selbst aufgehängt, Alfie?», frage ich. Das Holzbrett, aus dem der Sitz besteht, ist groß genug für ihn.
Er lacht. «Nein. Die ist für meine Kinder.»
Ich drehe mich auf dem Sitz um, starre ihn mit offenem Mund an. «Du hast Kinder?»
«Ganz recht. Zwei Jungs und ein kleines Mädchen.»
Ich drehe mich auf der Schaukel wieder nach vorne und denke über diese unerwartete Neuigkeit nach.
«Ich glaube, ich mag Kinder nicht. Sie kommen mir verwirrend und ungezogen vor.»
Genau genommen kenne ich keine Kinder - nicht offiziell. Meine Schwester Miriam geht zur Schule und trifft da welche, wohingegen ich im Palast unterrichtet werde.
«Aber ich bin sicher, deine würde ich mögen, Alfie.» Ich schaue hoch, um den Garten abzusuchen. «Sind sie hier? Warum habe ich sie noch nie getroffen, wenn wir zu Besuch sind?»
«Sie leben in Schottland, bei ihrer Mutter», erklärt Alfie.
«Warum lebt ihre Mutter in Schottland und nicht hier bei dir?»
Alfie denkt einen Moment lang darüber nach und seufzt dann. «Nun ja . Ich war kein sehr guter Ehemann. Mit dem Geschäft verheiratet und so.»
Alfies Geschäft Barrister's ist das größte von ganz Wessco - dort gibt es Spielzeug und Kleider und alle möglichen tollen Sachen. Ich habe ihn zu Vater sagen hören, dass er bald nach London expandiert, und sobald er damit fertig ist, die Welt zu übernehmen, wird er so nett sein und Vater Wessco behalten lassen.
«Fehlen sie dir?», frage ich.
«Ja.» Alfie nickt. «Aber meine Frau ist in Schottland bei ihrer Familie glücklicher. Und Kinder gehören zu ihren Mums.»
Meine Mutter ist wunderschön, hat eine sanfte Stimme, lange dunkelbraune Haare wie ich und Augen, die genau dieselbe Farbe haben wie der Himmel an einem sonnigen Tag.
«Ich bin fast nie bei meiner Mum», sage ich leise.
Wenn ich nicht mit meinen Lehrern zusammen bin, dann bin ich bei Vater. Manchmal, wenn sie glauben, ich könnte sie nicht hören, nennt mich die Dienerschaft Seinen Königlichen Schatten.
«Ja, ich weiß», antwortet Alfie und klingt dabei ein bisschen traurig. «Aber du bist etwas Besonderes, Küken.»
Ich bin etwas Besonderes, weil ich eines Tages Königin sein werde. Das hat Vater gesagt. Es gab zwei Babys vor mir, und eins davon war ein Junge. Aber sie kamen zu früh, wurden zu klein geboren und haben nicht überlebt. Nachdem meine jüngere Schwester Miriam auf die Welt kam, war Mutter sehr krank, und die Ärzte sagten Vater, dass es keine weiteren Babys geben würde.
Und das bedeutete, ich würde die erste regierende Königin sein, die Wessco je hatte.
Es ist wichtig, dass ich gut darin bin.
«Warum nennst du mich Küken, Alfie?», frage ich beim Aufschwung.
«Weil ich dich in jener Nacht gesehen habe, als du in Ludlow Castle zur Welt kamst. Ich war dabei, als dein Vater dich zum ersten Mal im Arm gehalten hat - und genau so hast du damals ausgesehen. Wie ein blasses, piepsendes Küken ohne Federn.»
Die Beschreibung ist verstörend. Ich runzele die Stirn.
«Ich hoffe, jetzt sehe ich nicht mehr wie ein Küken aus.»
Alfie tritt vor die Schaukel und betrachtet mich. Dann wiegt er den Kopf hin und her, und seine blauen Augen funkeln. «Hm . kommt auf die Lichtverhältnisse an.»
Mir bleibt der Mund offen stehen. «Al-fie!»
Sein Bauch wackelt im Takt zu seinem tiefen Gelächter. «Das ist ein Spitzname, Lenora. Ein Kosename. Jedes Kind sollte einen haben. Und ob du es glaubst oder nicht, Hoheit, du bist tatsächlich ein Kind.» Mit einem Kopfschütteln dreht Alfie sich zum Haupthaus um, und ich höre ihn leise sagen: «Gott weiß, dass wenigstens einer dich wie ein Kind behandeln sollte.»
Guthrie House, Palast von Wessco, 1953
Die Farbe der Kleidung ist wichtig. Sie ist das erste, das die Leute an einem bemerken. Schwarz ist düster, Weiß frömmelnd, Fuchsia zu grell, alles in Pastell zu mädchenhaft. Muster sind ebenfalls wichtig. Pünktchen sind zu frivol, Blumen zu banal, Streifen und Karos können sich gut eignen - aber man darf es nicht übertreiben damit.
Und für die tägliche Garderobe . grau.
Meiner persönlichen Sekretärin Miss Crabblesnitch zufolge ist Taubengrau die perfekte Farbe für mich. Nicht zu trist, nicht zu kühn, sanft, aber nicht schwach, attraktiv, aber nicht oberflächlich.
Ich werde wahrscheinlich in einem grauen Kleid sterben. Und das wird dann mein Gewand als Gespenst sein. Für immer.
«Das da heute, Megan.» Miss Crabblesnitch zeigt auf das Ensemble in der linken Hand der Zofe - ein kurzärmeliges Tweedkleid mit bauschigem Petticoat und dazu passendem Jäckchen. In grau. Natürlich.
Nachdem ich angekleidet bin, setze ich mich an den Schminktisch, und Megan beginnt, meine langen Haare zum üblichen Knoten zu stecken, mit zur Seite gestrichenem Pony und ein paar losen Strähnen, um den Look weicher zu machen.
«Guten Tag, Ladys.» Mutter rauscht ins Zimmer, elegant und lächelnd, in einem schmalen dunkelblauen Seidenkleid mit zartem weißen Blumenmuster. Miriam folgt ihr auf den Fuß, in Blassgrün, mit passendem Haarreif in ihren hellbraunen Locken.
«Danke, Megan. Ich übernehme das hier», sagt Mutter und nimmt den Platz der Zofe hinter mir ein. Miss Crabblesnitch und Megan knicksen und verlassen den Raum.
«Lass dir nie die Haare schneiden, Lenora», sagt Mutter, während sie die Haarnadeln in meine Frisur schiebt. «Sie sind so wunderschön.»
Mutter ist die Einzige, die mich schön und süß und hundert andere Worte nennt, die mir ein herrliches Gefühl geben. Die mir das Gefühl geben . normal zu sein. Oder wie ich mir normal vorstelle.
Sie frisiert mein Haar fertig, dann fängt sie meinen Blick im Spiegel auf und rümpft die Nase. «Miss...
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