Schweitzer Fachinformationen
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Die Quelle hat mich wieder. Heute werde ich meine erste Nacht unter Hausarrest verbringen. Die erste von wie vielen? Ich hatte kaum zu hoffen gewagt, dass man mir die Rückkehr erlauben würde. Doch als die letzte Nacht auf Station anstand, klammerte ich mich an meine tröstenden Schlaftabletten und Anstaltsvorschriften und wünschte mir verzweifelt, noch bleiben zu dürfen. Sicherheit. Nationale Sicherheit. Sichere Unterbringung. Ein unsicherer Schuldspruch. Der mich hier drinnen festhalten wird, während alle Sicherheitsmaßnahmen der Welt die Geister nicht draußen halten können. Bin ich wieder zu Hause, sind sie es auch.
Wenn mich nicht gerade Albträume plagten, habe ich die letzten drei Monate des erzwungenen Nichtstuns mit Tagträumen verbracht, habe mir vorgestellt, wie mich ein Gefängnistransporter aufs Gelände bringt; wie ich in Begleitung das Haus betrete, die Finger durch den Staub auf dem halbrunden Tischchen gleiten lasse, das wir zur Hochzeit geschenkt bekommen haben; wie ich das Foto von uns dreien zur Hand nehme, das von dem Tag stammt, als wir diesen Ort zum ersten Mal sahen, und auf dem ich lachend die feuchte Erde zwischen meinen Fingern zerkrümele. Ich habe mir vorgestellt, dass ich vielleicht die Schlafzimmerfenster aufstoßen, dem beharrlichen Ruf des Bussards lauschen, über die verkrusteten Hügel blicken und mich fragen würde, wie es dazu kommen konnte. Ich würde die Wasserhähne aufdrehen und zusehen, wie das Wasser im Ausguss verschwindet, wie flüssiges Silber, für immer verloren. Was ich ganz sicher nicht tun würde: beten, schreiben, das Land bestellen.
Letztlich aber halte ich mich nicht an dieses Drehbuch, sondern werde von einer Art emsiger Geschäftigkeit erfasst. Vielleicht sind es die Nerven. Von dem Moment an, in dem wir aus dem Tor des Anstaltsgeländes fahren, ist mein Mund trocken, und ich zupfe seitlich an meinen Fingernägeln, wie ich es als Kind immer getan habe. Natürlich sehe ich nichts, denn die Scheiben sind abgedunkelt. Ich frage mich, ob unter meiner Sitzbank ein Sack liegt, den ich über meine grau werdenden Haare und meine leeren Augen ziehen kann, wie es Vergewaltiger und Pädophile manchmal auf dem Weg zum Gericht tun. Die Abwesenheit eines Gesichts macht sie nicht weniger furchteinflößend, ganz im Gegenteil: Für die wartende Presse sind nur die Hände sichtbar, die das Kind erwürgt haben, und die Beine, die nach der Tat vom Ort des Geschehens geflohen sind.
Sind meine Hände die einer Heiligen oder die einer Sünderin? Ich kratze sie immer wieder in der Hoffnung, dass sie aufwachen und es mir verraten.
Die Entscheidung, dass ich zurückgeschickt werden soll, ist sub judice gefällt worden, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ich mag diesen Ausdruck: »unter« der Justiz. Wenn man nur lange genug darunter aushält, bleibt das Recht unangetastet, und alle sind zufrieden.
»Wenn wir bereit sind, uns an die Bestimmungen für beschleunigte Verfahren zu halten, steht einem Vergleich nichts im Wege. Wir müssen uns lediglich zum Verzicht auf unsere Klage gegen die Regierung wegen unrechtmäßiger Landbesetzung bereit erklären, dann wird Ihre Strafe in einen Hausarrest umgewandelt. Und schon ist die Sache geritzt«, erklärte mir mein Anwalt. Ich fragte ihn, was der Staat davon habe, und er sprach von überfüllten Gefängnissen und negativer Presse, von der Dürre und von wissenschaftlicher Forschung. Ich unterbrach ihn und fragte, was ich davon hätte. Sie klang so simpel, seine Antwort.
»Sie dürfen zurück nach Hause zur Quelle«, sagte er.
Der erste Teil der Strecke vom Frauenflügel zur Quelle scheint nur aus Stop-and-go zu bestehen, wir bewegen uns im Schneckentempo voran, begleitet von Polizeisirenen. Die Benzinrationierung hat das Verkehrsproblem der Hauptstadt gelöst, aber das scheint noch niemand den Ampeln mitgeteilt zu haben. Dann ändert sich die Fahrweise, und wir rauschen auf der Autobahn gleichmäßig dahin Richtung Norden. Ich kenne diese Strecke gut, und als die Fahrt in das Gekurve übergeht, das einen über die Hügel und hinunter ins Tal führt, werden meine Atemzüge langsamer, und ich spüre, wie sich Speichel auf meiner Zunge sammelt, die rau ist wie Sandpapier. Fünfzehn Minuten dauert der lange, langsame Anstieg, der an der Little Lennisford Church vorbeiführt; fünfundzwanzig Minuten bis zum flachen, geraden Stück Landstraße, neben dem die Stangen der Hopfenfelder aufragen (die letzte Chance zum Überholen, haben wir immer gesagt). Nach vierzig Minuten kommt die scharfe Rechtskurve an Martins Hof vorbei, und von da quält man sich durch Haarnadelkurven bergauf, schaltet immer wieder durch die Gänge, durchbricht - häufig genug - die Wolken, bis man die Hügelkuppe erreicht, das Dach der Welt. Dann endlich der Schwenk nach links, die fünfhundert Meter Schotterstraße hinunter, die durch meine Felder zur Quelle führen.
»Jetzt sind wir fast da.«
Die Worte der Soldatin wären nicht nötig gewesen.
Der Transporter fährt viel zu schnell für die Schlaglöcher. Es überrascht mich, dass noch niemand sie ausgebessert hat. Andererseits sind auch wir nie dazu gekommen. Es braucht viel Wasser, um Löcher in Stein zu graben, und die Quelle hat ihre Pfützen immer stolz wie eine Auszeichnung getragen. Wir halten an. Das Gitter zwischen Fahrerkabine und Transportraum wird zur Seite gezogen.
»Wir lassen Sie jetzt ein paar Minuten allein und sehen nach, ob alles vorbereitet ist. Geht es Ihnen gut da hinten?«
Es ist nett von den Soldaten, dass sie fragen, aber ich bin nicht ganz sicher, wie ich darauf reagieren soll. Soll ich so tun, als würde ich mich wohl dabei fühlen, in einem Gefängnistransporter zurück in mein eigenes berühmt-berüchtigtes Paradies gebracht zu werden?
»Mir geht's gut. Danke.«
Ich sitze ganz still. Im Grunde traue ich dem Urteil immer noch nicht ganz. Bizarre Bilder aus alten Kriegsfilmen tauchen vor meinem inneren Auge auf, scheinen mir die Gummimatte unter meinen gefesselten Füßen wegziehen zu wollen. Ich sehe, wie ich aus dem Transporter gezerrt, zu meiner geliebten alten Eiche geführt und dort erschossen werde, um zwischen verdorrten Eicheln vom letzten Jahr und Schafskot in einem Haufen zusammenzusinken. Die beiden Soldaten, die mich auf meinem Transport bewacht haben, steigen aus und knallen die Türen hinter sich zu.
»Unglaublich, oder?« Das ist die Frau mit dem Birminghamer Akzent. »Es sieht genauso aus, wie immer alle behauptet haben, genauso wie auf der Website.«
»Was sieht so aus?« Der Fahrer. Schon seine Musikauswahl auf der Fahrt hat mir verraten, dass er von nichts eine Ahnung hat.
»Na alles. Man hat den Eindruck, drei Jahre in der Zeit zurückzureisen. Grüne Wiesen. Wann hast du das letzte Mal grünes Gras gesehen?«
Meine Wiesen sind also immer noch grün.
Neue Stimmen. Begrüßungen. Beinahe förmlich. Dann ergreift ein jüngerer Mann das Wort.
»Ihr könnt die Einheimischen fragen. Sie haben uns bestätigt, was in der Zeitung stand: Als sie noch hier war, regnete es. Als sie verhaftet wurde, hörte der Regen auf.«
»Wo ist das Ganze eigentlich passiert?«, fragt der Fahrer.
»Unten im Wald.«
»Also ich gehöre zu denen, die die Alte eher für eine Hexe als für eine Heilsbringerin halten.«
»Ziemlich sexy für eine alte Hexe.«
Offenbar bewegen sie sich aufs Haus zu, denn den Rest des Gesprächs verstehe ich nicht mehr. Das Wissen, dass draußen so viel Raum und Freiheit warten, erstickt mich im Inneren des Transporters geradezu. Mir wird schwindelig. Nicht jetzt, denke ich. Bitte keine schrecklichen Visionen mehr, kein Ertrinken. Schweiß bricht auf meiner Stirn aus, und ich versuche, die Hand zu heben, um ihn wegzuwischen, vergesse jedoch das Gewicht der Handschellen. Auch ich werde nun unter die Oberfläche gezogen. Ich bin nicht verrückt. Ich beuge mich vor und vergrabe den Kopf zwischen meinen Knien, damit ich nicht ohnmächtig werde. Das Dunkel im Transporter hört langsam auf, sich zu drehen, das zähflüssige Wasser zieht sich zurück, und ich werde wieder ich selbst, während draußen die Schritte auf dem Kies lauter werden und die Hecktüren des Transporters aufgehen.
»Endlich wieder zu Hause, was?«, sagt sie. »Hinaus mit Ihnen!«
Mich begrüßt kein blendendes Sonnenlicht. Stattdessen verschwimmt das ausgewaschene Blau eines frühen Aprilnachmittags mit dem trostlosen Inneren des Transporters, wie zwei Farben, die sich vermischen und schließlich einen grauen Kompromiss eingehen. Das Aussteigen fällt mir schwer. Während ich unter dem niedrigen Dach des Transporters den Kopf einziehe, strecke ich meine in Handschellen steckenden Handgelenke nach vorn, als würde ich beten.
»Wissen Sie was?«, sagt die Frau aus Birmingham zu mir. »Setzen Sie sich hier auf die Kante, dann nehme ich Ihnen die Dinger ab. Home sweet home! Hoffentlich hat jemand das Geschirr gespült. Das wünsche ich mir jedenfalls immer, wenn ich abends nach Hause komme.« Sie tippt verschiedene Codes in die Tastaturen an meinen Hand- und Fußschellen.
Der Fahrer ist inzwischen zu uns getreten. »Als würdest du dir deine zarten Händchen beim Spülen schmutzig machen!«
»Was bleibt einem anderes übrig? Der Geschirrspüler hat uns ein Vermögen gekostet, weil er so viel Wasser verbraucht hat. Aber es hat alles auch sein Gutes: Beim Abwasch kann ich mir wenigstens vorstellen, wie es war, in der Badewanne zu liegen.« Sie fummelt an dem hässlichen Band herum, das mein Fußgelenk umgibt. »Das müssen Sie anbehalten. Nennt sich elektronische Fußfessel.«
Ich sitze wie ein kleines Kind auf der Ladefläche des...
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