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Jedes chinesische Schriftzeichen entspricht einer Silbe. Obwohl die Schrift kein Alphabet verwendet, sind uns eine ganze Reihe chinesischer Wörter bekannt. Nicht nur die Länderbezeichnung China, auch Kungfu, Tofu und Litschi, Tee oder Ketchup, die Städtenamen Peking, Taipeh und viele Wörter mehr gingen als Buchstabenschrift in unseren Sprachgebrauch ein. Im Lauf der Zeit wurden etliche Systeme entwickelt, um die Aussprache der Schriftzeichen anzugeben. Im alten China verwendete man Reimlexika, in denen zwei gängige Zeichen die Aussprache eines Zeichens repräsentierten: Das erste Zeichen gab den Anlaut, das zweite den Rest der Silbe an. Durch Muslime entstanden Umschriften in arabischen Buchstaben, auch in kyrillischer und lateinischer Schrift oder mit anderen phonetischen Symbolen lassen sich die Zeichen lautlich darstellen.
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts halten die Rufe danach an, die Schriftzeichen ganz abzuschaffen und endlich eine lateinische Buchstabenschrift einzuführen. Aber die heutigen Rufe sind weniger lautstark als jene der Mitglieder der Neuen Kulturbewegung oder auch die Mao Zedongs, der sich einst entschlossen zu Wort gemeldet hatte: «Chinesische Schriftzeichen sind so schwierig zu lernen . Früher oder später, davon sind wir überzeugt, werden wir die Schriftzeichen völlig aufgeben müssen, wenn wir eine neue gesellschaftliche Kultur schaffen wollen, an der die breiten Volksmassen voll teilhaben.» Überstürzt wurde seine Forderung in die Tat umgesetzt, noch bevor eine Übereinkunft darüber erzielt worden war, welches System die chinesische Sprache am besten wiedergebe. Bis Anfang der vierziger Jahre erschienen Erzählungen, Übersetzungen westlicher Werke, Schulbücher und Zeitschriften in lateinischer Buchstabenschrift. Aber die Umstellung blieb eine Episode. In den Jahrzehnten nach der Gründung der Volksrepublik hätten die turbulenten politischen Verhältnisse alle Kräfte beansprucht, ließ die Kommunistische Partei als Rechtfertigung verlautbaren, deshalb habe die Regierung die Durchsetzung der Latinisierung vernachlässigen müssen. Doch auch später griff Mao sie nicht wieder auf. Stattdessen leitete er eine große Schriftreform ein, im Zuge deren die so genannte Pinyin-Umschrift entstand. Dieses auf dem lateinischen Alphabet basierende System bezeichnete er als eine gelungene Alternative zur Abschaffung der Schriftzeichen. In Wirklichkeit soll ihn Stalin zum Umdenken bewegt haben. Er habe Mao davon abgeraten, die schlichten lateinischen Buchstaben zu übernehmen, weil ein großartiges Land wie China seine eigene Schrift brauche.
Inzwischen hat sich Pinyin als Schriftsystem durchgesetzt, das die hochchinesische Aussprache der Zeichen einheitlich angibt. Diese Umschrift wurde in der Volksrepublik von dem ehemaligen Banker Zhou Youguang entwickelt und 1958 offiziell eingeführt. Heute ist sie weltweit gebräuchlich, 1991 zur ISO-Norm avanciert und seit 2009 auch in Taiwan gültig. Der Pinyin-Umschrift liegt weitgehend die englische Aussprache des Alphabets zugrunde, sie gibt aber auch Laute an, die europäischen Sprachen fremd sind. Wer Zhou Youguang, der im Januar 2017 im Alter von 111 Jahren in Peking verstarb, als Vater des Pinyin bezeichnete, dem pflegte er mit den Worten zu widersprechen: «Ich bin nicht der Vater des Pinyin, sondern der Sohn!» Denn sein Latinisierungssystem betrachtete er als das Ergebnis einer langen Entwicklung.
Den frühsten umfassenden Versuch, Chinesisch in lateinischen Buchstaben darzustellen, unternahm Ende des 16. Jahrhunderts der bedeutende italienische Jesuitenmissionar Matteo Ricci, dem es gelang, die «Mandarinensprache» perfekt zu erlernen. Er legte 1582 ungeachtet der Gefahren durch Piratenangriffe mit dem Schiff von Indien kommend in Macao an und begab sich nach einem Jahr zusammen mit seinem vorgesetzten Ordensbruder Michele Ruggieri in die südchinesische Stadt Kanton. Sein Ziel war der Kaiserhof in Peking. Doch dorthin gelangte er erst rund zwanzig Jahre später, als er 1601 auf Einladung des Ming-Kaisers Wanli als erster westlicher Ausländer freien Zutritt zum Palast, der «Verbotenen Stadt», erhielt. Unterdessen widmete er sich eifrig dem Studium der chinesischen Sprache und der konfuzianischen Tradition. Um als Religionsvertreter, aber dennoch dem neuen Umfeld angemessen in Erscheinung zu treten, kleidete er sich zu Beginn wie ein buddhistischer Mönch. Als er erkannte, dass seine Mission nur glücken konnte, wenn er die konfuzianische Oberschicht für sich gewänne, wechselte er die Tracht und kleidete sich fortan konfuzianisch. Dank seiner hervorragenden Sprachkenntnisse und seines Einfühlungsvermögens gelang es ihm, enge Freundschaften mit einflussreichen Gelehrten zu schließen. Von seiner Nähe zur konfuzianischen Gesellschaft angeregt, ließ er sich eine Missionierungsmethode einfallen, gegen die die Konfuzianer nichts einwenden konnten: Indem er vermeintliche, oftmals gar nicht vorhandene Gemeinsamkeiten des Christentums und der klassischen chinesischen Tradition hervorhob, hoffte er, andere in China verbreitete religiöse Anschauungen wie den Buddhismus, Taoismus und den volkstümlichen Glauben zu schwächen. Seine Rhetorik, Fremdem einen vertrauten Anstrich zu verleihen, erinnert an die Namensgebung der neuen Staatsform von 1912. Auch dem nach wie vor gebräuchlichen Wort für Republik stand eine günstige Erfahrung vertrauensbildend Pate, die mit der neuen Ordnung in Wirklichkeit nichts politisch gemein hatte. Obgleich Matteo Ricci letztlich nur eine Handvoll Chinesen zu bekehren vermochte, gilt er als der erste erfolgreiche Missionar in China. Der Kaiserhof, der seine weltlich-wissenschaftlichen Erwartungen erfüllt sah, tolerierte im Gegenzug dessen Bekehrungsbemühungen im Volk. Knapp zehn Jahre lang stand Ricci als Mathematiker, Astronom, Kartograph und Übersetzer im Dienst des Kaisers, ohne ihm je zu begegnen. Auf Kaiser Wanlis Geheiß erstellte er die erste chinesische Weltkarte. Nicht nur die Größe von eineinhalb Metern Höhe und dreieinhalb Metern Breite, auch die Benennung als «Gesamtkarte der Myriaden von Ländern» spiegelt ihre Bedeutung für China wider. Von den meisten Ländern erfuhren die Chinesen zum ersten Mal, sodass diese Karte das chinesische Verständnis von der Welt prägte. Allerdings verlangte der Kaiser, dass Ricci sein Werk einmal überarbeitete und China, wie es als Zentrum der Welt seinem Selbstverständnis entsprach und bis heute in chinesischen Landkarten beibehalten ist, in die Mitte versetzte mit Europa im Westen und Amerika im Osten. Matteo Ricci verfasste während seines Aufenthalts in China Berichte auf Chinesisch, Italienisch und Lateinisch, noch heute viel gelesene missionarische und ethische Schriften, er übersetzte Euklid und hatte schon während seiner Zeit in Kanton gemeinsam mit Michele Ruggieri ein portugiesisch-chinesisches Wörterbuch, das erste chinesische Wörterbuch in einer westlichen Sprache, zusammengestellt. Aus diesem Werk geht die eigens dafür entwickelte lateinische Umschrift hervor. Doch das handschriftliche Manuskript ging verloren und geriet jahrhundertelang in Vergessenheit, bis es der Jesuit Pasquale d'Elia 1934 in Rom wiederfand. Erstmals publiziert wurde das Werk von 1588 im Jahr 2001. An Ricci, der 1610 starb, erinnert ein Ehrengrab auf dem Pekinger Jesuitenfriedhof.
Sämtliche Latinisierungsversuche der chinesischen Schrift, die auf Ricci folgten, blieben bis Ende des 19. Jahrhunderts ohne Nachhall. Die erste Umschrift, die in Fachkreisen außerhalb Chinas Bedeutung erlangte und die Grundlage für die Aussprache der seither in unseren Sprachgebrauch übergegangenen chinesischen Wörter bildet, entwickelten die Cambridge-Professoren Thomas Wade und Herbert A. Giles. Dieses «Wade-Giles-System» war nicht standardisiert, unterlag aber trotzdem gewissen Ausspracheregeln. Da sinologisch unbelastete Leser mit den Regeln nicht vertraut waren, werden viele aus dem Chinesischen stammende Wörter abweichend vom Original ausgesprochen. Aufgrund der Schreibweise der Wade-Giles-Umschrift sagen wir nicht Taibäi, sondern Taipeh, nicht Mao Dsedung, sondern Mao Tsetung, nicht Gungfu, sondern Kungfu, und nicht Doufu, sondern Tofu.
Zhou Youguang, Sohn des Pinyin, hatte Kenntnis von Riccis Wörterbuch gehabt und sich auf eine akribische Suche danach begeben. Da die erfolglos blieb, knüpfte er schließlich an das Wade-Giles-System an, um seinen Auftrag zu erfüllen. Bis zum Schluss blieb es für ihn ein Wunder, dass er als Banker und Wirtschaftswissenschaftler von Mao höchstpersönlich mit der Entwicklung eines neuen Umschriftsystems betraut worden war. Zhou hatte China während des Bürgerkriegs Mitte der vierziger Jahre verlassen und für eine Bank in New York gearbeitet. Doch wie viele chinesische Intellektuelle bewog ihn der Glaube an Mao und sein Demokratieversprechen dazu, in die neu gegründete Volksrepublik zurückzukehren. Er wurde Wirtschaftsprofessor in Shanghai und veröffentlichte ein Buch über Chinesisch in einer Buchstabenschrift, bevor er ins Schriftreformkomitee berufen wurde. Sprache war sein Hobby, und die flächendeckende Literalisierung betrachtete auch er als eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Modernisierung der chinesischen Gesellschaft. Immerhin konnte damals nur jeder fünfte Chinese lesen und schreiben. Die Veröffentlichung seines Buches, dessen war sich Zhou sicher, rettete ihm das Leben. Für kritisch denkende Intellektuelle hatte Mao nämlich nicht viel übrig und für kapitalistisch geprägte Wirtschaftsleute noch weniger. Zwischen 1957...
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