Schweitzer Fachinformationen
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Ich musste nach Zagreb, um meine Mutter vom Flughafen abzuholen, die natürlich rechtzeitig zum Emigrant's Day auf der Insel sein wollte. Ivan und Nada waren schon früher geflogen und verbrachten noch ein paar Tage bei Freunden in Moscenice.
Ich nahm das Halbachtboot. Mara schlief noch tief und fest, als ich aufstand, also schrieb ich ihr einen Zettel:
Bin in Zagreb, meine Mama holen.
Komme morgen wieder,
Kuss, A.
Es war lange her, dass ich so einen Zettel geschrieben hatte - oder dass ich auch nur das Gefühl gehabt hatte, ich sollte es tun. Es war ein bisschen merkwürdig, dass ich es gerade jetzt tat, denn es entsprach so überhaupt nicht dem, was zwischen Mara und mir lief. Ja, wir hatten viel Zeit miteinander verbracht in den letzten drei Wochen, und ja, wir waren beide ziemlich verknallt, aber das war noch lange kein Grund, sich verpflichtet zu fühlen - jedenfalls war es das in den vergangenen Jahren nicht gewesen, in vergleichbaren Situationen. Aber das mit dem Vergleichen ist ja so eine Sache, im Grunde völlig unzulässig, und Mara . gerade Mara eignete sich so gar nicht dafür. Sie war gleichzeitig spröde und leidenschaftlich, eigensinnig und nachgiebig, sperrig und geschmeidig, und sie schien ihre Unabhängigkeit ebenso zu lieben wie ich. Deshalb war es komisch, das mit dem Zettel. Ich spürte eine leichte Irritation, als ich ihn beim Hinausgehen auf dem Tisch liegen sah, überlegte kurz, ihn wieder wegzunehmen oder aber ihn mit einem Stein zu beschweren, damit ihn ein eventuell aufkommender Wind nicht wegwehen konnte (es war seit Tagen vollkommen windstill). Dann zog ich vorsichtig die Tür zu, um keinen Lärm zu machen, und ging mit einem kleinen Lächeln über mich selbst durch die schlafenden Gassen in Richtung Hafen. Als ich unten am Pier stand und eine Zigarette rauchte, dachte ich noch kurz darüber nach, doch sobald ich am Boot war, hatte ich es vergessen.
Ich freute mich auf den kleinen Ausflug, so wie man sich immer freut, wenn man im Sommer für kurze Zeit die Insel verlässt - in dem Bewusstsein, dass man es nie ohne äußeren Anlass tut und dass man bald wiederkommt. Es war jetzt schon heiß, und die Segeljachten, die in der Bok ankerten, hätten selbst auf dem offenen Meer den Motor anwerfen müssen, um vom Fleck zu kommen, träge lagen sie in der spiegelglatten See wie vollgefressene Krokodile. Kein Wölkchen war zu sehen, das Wasser schimmerte türkis in der sandigen Bucht, die Szenerie erinnerte mich flüchtig an ganz andere Weltgegenden, die Andamanen, die Inseln unter dem Winde, an deren trügerische Friedlichkeit.
Ich traf Goran am Hafen von Losinj, wir tranken einen Kaffee, und er gab mir den Autoschlüssel und die Papiere.
Pass auf deinen rechten Fuß auf, sagte Goran und grinste. Der Motor kann ein bisschen mehr, als er sollte - du weißt ja, mein Bruder kanns einfach nicht lassen, und die Bullen sind so viel schärfer geworden. Außerdem blecht man mehr als früher.
Alles klar, sagte ich. Was tanke ich?
Super, sagte Goran. Geht es deiner Mutter gut?
Ja, unglaublicherweise, sie ist ein Phänomen. Ich glaube, sie wird mich überleben.
Goran lachte. Und dein Vater?
Immer schlechter. Er steht inzwischen fast nicht mehr auf, weil es ihm solche Schmerzen bereitet. Aber das Liegen macht es natürlich auch nicht besser. Außerdem hat er nichts zu tun, also tyrannisiert er Mama.
Na ja, sagte Goran, ihn wird sie auf jeden Fall überleben, und dann hat sie noch ein paar schöne Jahre vor sich.
Ja, sie träumt davon, zurückzukommen und auf der Insel zu leben. Aber das alte Haus gehört uns schon lange nicht mehr, leider, und ein neues zu finden wird nicht leicht sein. Du weißt ja, wie das ist mit den Häusern, die jetzt noch leer stehen - da sitzen immer mindestens zehn Leute drauf, die inzwischen über halb Amerika verstreut leben, und bis man die zwischen New Jersey und Oklahoma aufgespürt hat wegen der Unterschriften . Keine Ahnung, warum die Leute hier früher keine Testamente gemacht haben, aber es ist wirklich ein Jammer, denn die Häuser verfallen einfach.
Goran winkte ab. Die haben einfach nicht an Testamente geglaubt, solche Sachen wurden innerhalb der Familie geregelt, und solange alle zusammen an einem Ort gelebt haben, hat das auch meistens funktioniert. Aber ich kenne das, in Dubrovnik unten ist es nicht viel anders. Wenn das Haus meiner Eltern nicht wie durch ein Wunder stehen geblieben wäre, hätten sie auch ein Problem gehabt.
Ich nickte. Gorans Familie war 1991 vor den Angriffen der JNA aus ihrer Heimatstadt geflüchtet. Sie hatten den Krieg recht und schlecht bei Verwandten in Istrien überstanden, und seine Eltern waren Mitte der 90er in ein zerstörtes Dubrovnik zurückgekehrt. Es war ihre Heimat, und sie hatten sich nicht vorstellen können, dauerhaft woanders zu leben. Goran war bei Kriegsende neunzehn gewesen und direkt nach Losinj gegangen, wo sich in den kommenden Jahren eine Menge junge Leute niederließen. Viele von ihnen hatten ihre Eltern verloren, Verwandte sterben sehen. Sie wollten die Vergangenheit hinter sich lassen, es interessierte sie nicht, ob einer Kroate oder Serbe, Bosnier oder Albaner war. Sie wollten ihre Jugend genießen, sich etwas Eigenes aufbauen, Spaß haben, vergessen. Goran fuhr ungern nach Dubrovnik. Er sagte, selbst jetzt, in der renovierten, aufpolierten Stadt, zwischen den Touristenhorden, sehe er noch die Bilder von damals.
Wir umarmten uns zum Abschied und gingen in verschiedene Richtungen davon. Nach ein paar Schritten hörte ich noch mal seine Stimme.
Hey, Andrej?
Ich drehte mich um.
Was ist mit der Kleinen, die du letztes Mal dabeihattest?
Wer? Wen meinst du?
Na, die hübsche Dunkelhaarige, war sie nicht Künstlerin?
Ach, du meinst Mara?
Ja, was ist mit ihr?
Sie ist Schriftstellerin, sagte ich.
Sie steht auf dich, sagte Goran.
Und, weiter?
Sie passt zu dir, sagte Goran.
Ich machte eine komische Grimasse, weil ich nicht wusste, was ich sagen, wie ich reagieren sollte. Goran lachte, hob die Hand und ging.
Als ich im Auto saß und die schmale Landstraße Richtung Norden entlangbretterte, musste ich grinsen, weil Goran Mara als Kleine bezeichnet hatte - die Kleine, die du letztes Mal dabeihattest -, typisch Goran, und in dem Fall so ganz und gar unpassend, denn weder war Mara eine Kleine, und schon gar nicht eine, die man dabeihatte. Viel eher war sie eine Frau, bei der man von Glück reden konnte, wenn sie zufällig am selben Ort war wie man selbst, was ja an dem bewussten Abend in Losinj genau so gewesen war. Gott, war ich damals froh, sie zu sehen! Gleichzeitig war es mir peinlich, weil ich sie davor so verfolgt hatte - die Aktion mit dem Fisch war wirklich grenzwertig gewesen. Und dann zu Tereza zu gehen, nur weil ich wusste, dass sie gut mit Mara befreundet war, und eine Möglichkeit witterte, so an sie heranzukommen . Danach musste ich einfach weg von der Insel, bevor ich mich endgültig zum Hormontrottel machte. Konnte ich wissen, dass sie so bald in Losinj auftauchen würde? Ich war total überrumpelt, also redete ich und trank und redete und trank, was mir am nächsten Tag unangenehm war, weil ich nicht mehr genau wusste, was ich ihr alles erzählt hatte. Also fuhr ich nach Montenegro und langweilte mich und fotografierte Frauen am Strand, bis ich mir erst recht vorkam wie ein armseliger Stalker. Ich war so verschossen in Mara und so überrascht davon, dass mir anfangs völlig entging, was für eine Anziehung ich umgekehrt auf sie ausübte. Und selbst jetzt schien es mir immer wieder, als würde sie nur meinem Begehren nachgeben, weil es zu stark war, weil es einfacher war - so wie man bei Bora nicht entgegen der Windrichtung geht, wenn man es vermeiden kann. Sie wehrte sich nicht, stemmte sich nicht dagegen, oder nicht mehr. Aber wenn der Wind, der sie in meine Richtung trieb, plötzlich aufhören würde, wenn ich meine ganze testosterongeschwängerte Leidenschaft abdrehen könnte wie eine Turbine, würde sie mir weiterhin in die Arme fallen? Oder würde sie sich in der entstehenden Stille sofort von mir entfernen, lautlos davontrudeln an einen mir unbekannten, unerreichbaren Ort?
Die Fähre nach Valbiska war total überfüllt, wie immer im Sommer, und auf Krk wäre ich vermutlich zu Fuß schneller gewesen. Zum Glück hatte Gorans Auto eine Klimaanlage und ein wirklich gutes Soundsystem. Ich hängte meinen MP3-Player an und staute mich zur Begleitung der letzten Arcade Fire bis zur Festlandbrücke, von dort bis Rijeka versank ich in Ry Cooders Soundtrack zu Paris, Texas. Ich hatte ein bisschen Heimweh. Es ist ein Gefühl, das mich immer wieder überfällt, wenn ich für längere Zeit an ein und demselben Ort bin. Anders als vermutlich für die meisten Menschen bezieht sich dieses Gefühl bei mir nicht auf eine bestimmte Gegend - eine Stadt, ein Dorf, eine Landschaft, eine Insel -, sondern auf den Raum dazwischen. In Europa gibt es nicht so viel von diesem Raum, deshalb habe ich diese Anfälle hier öfter als beispielsweise in Amerika oder in Asien. Eine schnurgerade Straße quer durch die Great Plains mitten in Kansas ist wahrscheinlich der Ort, wo ich mich am ehesten zu Hause fühle. Wenn ich weder vor mir noch im Rückspiegel etwas anderes sehe als dieses Dazwischen. Was für viele einfach nur Ödnis ist, in der sie sich verloren fühlen, hat auf mich genau jene beruhigende Wirkung, die andere mit dem Begriff Heimat verbinden. Ich habe dann das Gefühl, nirgendwo anders...
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