Schweitzer Fachinformationen
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Am Morgen des dritten Tages trifft Tom Laurie Sheldon in ihrem Büro. Tom will wissen, wo Jennys Gefängnis liegt.
Die Anwältin holt eine Karte hervor und zeigt auf einen Punkt. »Hier, Gatesville, etwa - nach europäischer Rechnung - hundertfünfundzwanzig Kilometer nördlich von Austin, fünfundvierzig Fahrtminuten von Waco entfernt. Die Stadt Gatesville hat fünf Gefängnisse und das staatliche Gefängnis für Frauen, betrieben vom Texas Department of Criminal Justice. Eine dieser Einrichtungen, die Mountain View Unit, beinhaltet die Todeszelle für Frauen. Das ist etwas vier Meilen nördlich von Gatesville entfernt.«
Tom kann sich vage an einen Eintrag bei Wikipedia erinnern. Mountain View Unit is a Texas Department of Criminal Justice prison housing female offenders in Gatesville, Texas. ?Ein Schauer durchfährt ihn. Female Offender - weiblicher Täter. Seine Jenny!
»Wie weit ist es dorthin, von hier aus?«
»Etwas über zweihundert Meilen. Drei bis vier Stunden Fahrtzeit. Wenn es dir passt, Tom, könnten wir morgen hinfahren.«
»Du würdest mich begleiten?«
»Ja, ich bin Jennys Anwältin in Nachfolge von Mr Garathy. Dann kommen Sie schneller zu ihr als ohne mich.«
»Das ist mir schon klar.«
»Okay, ich werde alles arrangieren. Unsere Handynummern haben wir ja bereits ausgetauscht - falls etwas dazwischen kommt. Ansonsten hole ich dich morgen früh gegen sieben Uhr ab. Okay?«?
Tom nickt. Er überlegt, ob er Laurie über seine Recherchen informieren soll. Schließlich hält er es für besser, seine Entdeckungen für sich zu behalten.
Nachdem er der Anwältin einige formale Fragen gestellt hat, verlässt er die Kanzlei und seine Uhr verrät ihm, dass genügend Zeit verbleibt, sich etwas von Houston anzusehen. Tom nimmt sich den Rest des Tages frei, um sich von seinen trüben Gedanken abzulenken. Er entscheidet sich zunächst für das Museum of Fine Arts, das größte texanische Kunstmuseum, besichtigt anschließend die restaurierte Downtown mit dem Schauspielhaus Alley Theatre und das Wortham Center, Heimstätte der Houston Grand Opera. Doch seine Absicht, sich mit diesen Aktionen wenigstens für ein paar Stunden freizumachen von den trüben Gedanken, scheitert an dem Kopfkino, das nicht weichen wird: seine Schwester in der Düsternis einer schmuddeligen Todeszelle.
Am frühen Abend nimmt er schließlich seinen letzten und einzigen Termin für diesen Tag wahr. In der Lobby des Sheraton erwartet ihn Lory Bowman, Jennys Hauptbelastungszeugin und ehemalige Freundin. Tom erkennt die 26-Jährige sofort wieder. Aus dem Au-pair Mädchen von damals ist eine junge Frau geworden. Sie begrüßen sich. Lory scheint etwas mulmig zumute zu sein. Ihre Begrüßung fällt verhalten aus. Tom sucht einen abgelegenen Platz aus, an dem sie ungestört reden können.
»Danke, dass du gekommen bist, Lory.«
»Schon gut.« Lory wirkt verlegen.
Tom muss sich zu dem nächsten Satz überwinden. Der Anwalt in ihm muss das Kalkül eingehen, ihr Vertrauen zu gewinnen und so zwingt er sich zu den Worten, die ihm schwerfallen. »Ich möchte eines vorwegschicken, Lory. Ich gebe dir keinerlei Schuld. Du musstest die Wahrheit sagen.«
Dankbar nickt sie Tom zu.
»Ja, das musste ich.«
»Darf ich dir dennoch die Frage stellen, ob du Jenny für schuldig hältst?«
Lory senkt die langen Puppenwimpern über ihren verlorenen Blick. »Darf ich ehrlich sein, Tom?«
»Ich bitte darum. Du musst keine Angst haben, Lory, ich werde dir wirklich keinerlei Vorwürfe machen.«
»Okay. Also, Jenny ist von Mike vergewaltigt worden. Das habe ich ihr sofort geglaubt. Der Staatsanwalt hat das im Kreuzverhör allerdings - zumindest für die Geschworenen - widerlegt. Jenny war seiner Kanonade an unanständigen Fangfragen hilflos ausgeliefert. Obwohl sie Verletzungen hatte, obwohl diese Verletzungen dem Gericht dokumentiert wurden - für die Anklage war es wilder, aber einvernehmlicher Sex. Jedenfalls hat ihr Staatsanwalt Decker einen Strick gedreht - heimtückischer Mord aus niederen Beweggründen.«
Tom schluckt. Der Kellner beschert beiden eine kleine Pause. »Darf ich Ihnen was bringen?« Lory sucht sich einen alkoholfreien Caribbean Cocktail aus - Maracuja und Ananassaft mit Kokoscreme und Mangosirup.
»Für mich auch«, sagt Tom und wartet, bis der Kellner außer Hörweite ist. Dann fährt er fort: »Das ist furchtbar, aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Glaubst du, Jenny ist schuldig?«
»Für mich steht fest, dass Mike sie vergewaltigt hat. Die Folgen einer solchen Vergewaltigung kann ich mir allerdings nicht vorstellen, Tom. Was kommt danach? Dreht man durch? Wut, Demütigung - wer weiß, wie man da reagiert. Demnach könnte ich verstehen, dass Jenny diesen Mann umbringt. Aber ich glaube das nicht. Es spricht zu viel dagegen.«
»Und was spricht deiner Meinung nach dagegen?«
»Dass sie Mike umbringt, okay - würde ich verstehen. Aber seine Frau?«
Lory putzt sich die Nase. Sie ist jetzt sichtlich bewegt, aufgeregt. Sie muss sich fassen. »Weißt du, Tom, ich kannte Mike und seine Frau Ann. Schließlich habe ich sie Jenny vermittelt. Meine Eltern und die Fosters waren, na ja, sagen wir, befreundet. Keine tiefe Freundschaft, aber sie haben, Verzeihung, hatten gleiche Interessen. FKK und so.«
»Verstehe.«
»Also, jedenfalls, Mike Foster war einhundert Kilo Mann. Jenny gehört nicht gerade zur Olympiamannschaft der Gewichtheberinnen. Also, wie hätte sie es allein geschafft, diesen 1,90 m großen, kräftigen Mistkerl herumzudrehen? Wie hätte sie es schaffen können, ihn und seine Frau zu töten? Ann war auch nicht gerade die Schwächste. Ich glaube, aber natürlich hat das niemanden interessiert, dass Jenny zu dieser Tat nie in der Lage gewesen wäre.«
Tom kann ihr nur aufmerksam zuhören und gönnt ihr eine Verschnaufpause, in deren Verlauf der Kellner die Caribbeans serviert.
»Jenny ist unschuldig. Sie hat aber am Telefon gesagt, sie wird das Schwein umbringen. Das musste ich vor der Jury aussagen. Der Staatsanwalt führte in seinem Plädoyer aus, das Jenny ein starkes Motiv hatte, egal ob sie wirklich vergewaltigt wurde oder nicht. Das lag an der Aussage der Nachbarn. Die haben sich darüber ausgelassen, dass Jenny eine junge Deutsche gewesen sei, die sich an Mike herangemacht habe, um ihn abzuzocken. Nach deren Beobachtung hätten sie gesehen, das Mike auf Jenny lag - am Strand. Und das, als Ann nicht zu Hause war. Staatsanwalt Decker hat daraus abgeleitet, dass Mike seine Ehe nicht riskieren wollte und somit war für ihn ein starkes Motiv, wie Hass oder Eifersucht, nicht auszuschließen. Wäre es hingegen eine Vergewaltigung, sei das Motiv ebenso stark, nur - in diesem Fall .« Lory lässt den Schluss offen. Tom ergänzt ihn für sie.
»In diesem Fall wäre es fraglich gewesen, Jenny zum Tode zu verurteilen.«
Tom denkt lange über Lorys Ausführungen nach. »Das alles hört sich mehr als fragwürdig an.«
»Ja, der ausschlaggebende Punkt war, dass man in Jennys Schlafzimmer zwanzigtausend Dollar gefunden hat. Und zwar versteckt. Das Geld wurde erst Tage nach dem Mord von der Spurensicherung gefunden. Staatsanwalt Decker hat nachgewiesen, dass dieses Geld von den Fosters stammte. Die hatten genau diese Summe am Freitag von ihrer Bank abgehoben.«
Tom muss jetzt einige Synapsen in seinem Gehirn verbinden. Wieso steht das nicht in den Akten, die er erhalten hat? Seine Eltern hatten ihm doch alle Unterlagen ausgehändigt. Sie selbst waren nicht an jedem Prozesstag präsent und von diesen Tagen hatte ihnen der abgetauchte Garathy ein Protokoll über die wichtigsten Verhandlungspunkte und den Prozessverlauf überlassen. Von einer Geldsumme, die bei Jenny gefunden wurde, war nirgends die Rede. Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft war Toms Akten nur in Auszügen beigelegt. Die Wolferts hatten die Schlussplädoyers nicht persönlich verfolgt - Ron hätte das nicht verkraftet.
Tom blättert den Ordner durch, in dem er alles abgelegt hat. Er findet den Zeitungsartikel, den er zu Hause gelesen hatte, sucht den Absatz über das Urteil und findet die Passage, in der es heißt: »Jennifer W. habe somit keine Aussicht auf eine erfolgreiche Berufung des Urteils, könne nun aber zwölf Jahre lang darüber nachdenken, ob dieser skrupellose Mord in Tateinheit mit Raub im Verhältnis zu dem stehe, was ihr Mike Foster angeblich angetan hatte.«
»In Tateinheit mit Raub«, murmelt er vor sich hin. »Als ich das las - ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass es um meine Jenny ging, habe ich das überlesen oder ignoriert.«
Lory liest den Artikel. »Haben eure Eltern nicht erzählt, welche Anklagepunkte der Prozess enthielt?«
»Papa und Mama sind ziemlich von der Rolle. Alles, was ich weiß, habe ich den Unterlagen entnommen, die Laurence Garathy ihnen gegeben hat. Sie waren die meiste Zeit während des Prozesses in Houston, aber selten im Gericht.«
»Oder sie wollten alles ignorieren, was Schlechtes über ihre Tochter verhandelt wurde«, mutmaßt Lory.
»Ja, dessen bin ich mir sogar sicher.« Seine Gedanken durchforsten die Unterlagen, die er gelesen hat. Seltsam, dass der Anwalt in den Protokollen wichtige Fakten unterschlagen hat.
Tom wird klar, warum Jenny zum Tode verurteilt wurde: Mord aus Habgier, dazu Raub und zwei Zeugen: Lory und die Nachbarn. Und niemand war darauf gekommen, dass Jenny aus reichem Haus stammte und es wohl kaum nötig gehabt hätte, zwanzigtausend Dollar zu entwenden.
»Sag mal, Lory, wenn du glaubst, Jenny kann diese Tat nicht begangen haben, dann müsste das ihr Anwalt auch vertreten haben. Wie hat der sich eigentlich verhalten? Hast du den ganzen...
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