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Paul Celan, der meistgedeutete deutschsprachige Dichter nach 1945, ist auch der Autor eines eminenten Briefwerks. Mit dieser Ausgabe wird es nun erstmals als eigenes Werk sichtbar: in 691 Briefen, davon 330 bisher unpubliziert, an 252 Adressaten. Wer sind die Adressaten? Es sind die Mitglieder der Familie, geliebte Frauen, befreundete Autoren, sehr junge und begeisterte Leser, Übersetzerkollegen, französische Philosophen ebenso wie deutsche Germanisten und die Mitarbeiter vieler Verlage. Aus alledem entsteht in chronologischer Folge über vier Jahrzehnte ein Leben aus Briefen. In ihnen zeigt sich Celan als herausragender Korrespondenzpartner mit einer enormen stilistischen Bandbreite, ausgeprägt in seiner Fähigkeit, auch auf Unbekannte einzugehen. Die Briefe offenbaren eine Vielzahl bisher verborgener biografischer Fakten, ermöglichen eine Präzisierung seiner Poetologie und zeigen ihn zugleich als Menschen in seinem ganz gewöhnlichen Alltag.
»Von dieser Briefsammlung darf in besonderem Sinn gesagt werden, daß sie den mit dem Leben vollzogenen Gang eines Menschen durch unser Zeitalter urkundlich darstellt« - mit diesem Satz leitet 1929 Martin Buber seine zweibändige Ausgabe von Briefen Gustav Landauers ein und präzisiert: »Die Briefe sind so ausgewählt, daß die Schritte des Lebensgangs von ihnen abzulesen sind. Die Auswahl versucht, äußere und innere Biographie zu verknüpfen. Jeder Brief soll entweder als Äußerung oder als Dokument, womöglich als beides, bedeutsam sein«.[1] Das Grundprinzip der vorliegenden Briefauswahl könnte kaum besser formuliert werden: Das Leben Paul Celans möglichst umfassend durch Briefe abzubilden und dabei die große Vielfalt seiner Kontakte mit Menschen aller Altersgruppen und Geschlechter aus Familie, Freundeskreis und Beruf sowie die Entwicklung und Vielfalt seiner sprachlichen und stilistischen Möglichkeiten und nicht zuletzt die Vielfalt der ihn bewegenden Themen erfahrbar zu machen. Die hier vorgestellten 691 Briefe an 252 Adressatinnen und Adressaten - davon 330 Erstdrucke, außerdem zahlreiches, bisher an entlegener Stelle Publiziertes - erweitern die Kenntnis von Celans Leben erheblich.
Der unterschiedliche Charakter der beiden Arbeitslager, in denen der durch die rumänischen Rassegesetze ausgegrenzte >Jude< während des Krieges in Rumänien Zwangsarbeit leisten mußte, wie auch die Dauer dieser Internierungen lassen sich durch Briefe und Karten aus der Lagerzeit nun genauer eingrenzen. Die Lebensbedingungen im Lager Tabaresti schildert Celan 20 Jahre später in einem um Genauigkeit bemühten Dokument aus dem Wiedergutmachungsverfahren für einen Mithäftling. Neue Informationen über die Zeit, in der Celan vom Tod seiner Eltern erfuhr, vermitteln zwei so unterschiedliche wie weit auseinanderliegende Briefe: von Anfang 1944 und Frühjahr 1970.
Zwar gibt keiner der gesichteten Briefe Auskunft darüber, wie und wann genau die Umsiedlung Celans von Czernowitz nach Bukarest ablief - wem auch hätte er davon, zudem unter Zensurbedingungen, berichten können? Wohl aber erhalten wir Nachrichten über die Flucht im November 1947 von Bukarest über Budapest nach Wien, und zwar sowohl, in zeitgenössischer Perspektive, aus Wiener Briefen an die in Rumänien verbliebenen Freunde als auch aus Erinnerungen daran fast 20 Jahre später.
An den Lager- und - im besten Fall! - Fluchtbiographien auch der Empfänger liegt es, daß aus der Czernowitzer und Bukarester Zeit heute nicht allzu viele Briefe Celans erhalten sind. Es grenzt an ein Wunder, daß sich der Brief des jungen Medizinstudenten aus Tours an seine Mutter in Celans Nachlaß fand; wie er dorthin gelangte, läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Nahm ihn Celan nach seiner Rückkehr aus Tabaresti aus der elterlichen Wohnung in Czernowitz mit? Erhielt er ihn Jahre später durch Verwandte?
Postkarten an zurückgebliebene Freunde dokumentieren erste Adressen in Wien und Paris; Briefe aus Paris nach Wien den Zeitpunkt erster Bemühungen um die französische Staatsbürgerschaft und die zwiespältigen Gefühle dabei; eine in Zürich geschriebene Karte von 1951 ist Zeugnis einer bisher kaum bekannten Reise; Briefe aus Paris nach Berlin machen im selben Jahr Andeutungen zu den besonderen Umständen von Celans erster London-Reise nach dem Krieg.
Zu erkennen ist Celans große Hilfsbereitschaft, wenn er zwischen Besuchern und wichtigen >Schaltstellen< der Pariser Literatur- und Kunstszene, Rundfunkleuten und Kunstkritikern vermittelt oder wenn er Autoren- und Übersetzerkollegen deutschen Verlagen empfiehlt. Nachzuempfinden ist aber auch die - ja - unbändige Freude des Dichters, als er sein erstes Exemplar von Mohn und Gedächtnis in Händen hält.
Die enorme Übersetzerleistung Celans in den frühen 1950er Jahren zur Sicherung des Lebensunterhalts wird deutlich; darunter sind auch bisher kaum bekannte Projekte - von Jean Effels Création d'Adam bis zum französischsprachigen Briefwechsel zwischen Rainer Maria Rilke und André Gide. Der Briefwechsel blieb Projekt. Die Erschaffung des Menschen aber stellte er fertig; die Übertragung wurde jedoch vom Verleger abgelehnt, obwohl Celan auf die stilistischen Finessen dieser Bildlegenden - wie er mehrfach betonte - besondere Sorgfalt gewandt hatte und stolz auf das Ergebnis war (aufbewahrt hat er das Manuskript trotzdem nicht). In diesem Bereich gibt es sogar zu Celans Goll-Übertragungen neue Informationen: Ihpetonga-Elegie und Aschenmasken wurde von Claire Goll dem Rowohlt Verlag angeboten, der daran durchaus interessiert war.
Daß Celan mit wachen Sinnen die politischen Entwicklungen in Frankreich und Deutschland 1958 und 1968, die Ereignisse in Prag 1968 und die Auseinandersetzungen um Israel 1967 und 1969/70 verfolgte, ist aus bereits publizierten Briefen bekannt. Das Bild des >politischen< Celan wird durch neu hier aufgenommene Briefe ergänzt, die sein Interesse für die Weiße Rose oder seine hellhörige Wahrnehmung von sowjetischem Antisemitismus, von Stalins Tod 1953 sowie der Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn und der Suezkrise 1956 belegen.
Die ihm von Freunden immer wieder vor Augen geführte und von ihm nicht immer wahrgenommene steigende Anerkennung Celans als Dichter wird anschaulich in den spontanen Gratulationen zum Büchnerpreis, den zahlreichen Einladungen aus Westdeutschland, Österreich, der Schweiz, den USA oder der Tschechoslowakei zu Lesungen und in den sich über die 1960er Jahre bis zu seinem Lebensende hinziehenden Verhandlungen wegen der Übersetzungen aus seinem Werk in Frankreich, im englischsprachigen Raum, in Italien und in Rumänien. Mit dem Ruhm aber nahm auch sein Selbstbewußtsein deutlich zu, erhob er doch Ansprüche an die formale Gestaltung derartiger Auswahlbände in fremden Sprachen und legte mit den Jahren immer größeren Wert auf qualitätvolle Übersetzungen. Freilich haben seine Vorwürfe über den Mißbrauch seiner Bekanntheit und seines Namens durchaus ihre Berechtigung: Wenn das Fragment eines Liebesgedichtes als Motto einer Anthologie zum Kriegsende vorangestellt wird, sollen die Leser Celans Namen als den des Juden der westdeutschen Nachkriegslyrik wahrnehmen, und zwar als einen, der nach der Katastrophe nach vorne schauen kann. Die Todesfuge wird im Umkreis der Büchnerpreisverleihung von Claire Goll und ihren Helfern nur deshalb neu in die Plagiatanschuldigungen einbezogen, weil sie zum Alibi-Beispiel für sein Werk, ja, für das >Gedicht nach Auschwitz< gemacht wurde. Celan reagiert, indem er ihren Abdruck für Anthologien kaum mehr freigibt und sie nicht mehr öffentlich liest oder lesen lassen will.
Nicht zuletzt sind Celans Briefe alltagsgeschichtlich von Interesse: Wieviel kostete Anfang der 1950er Jahre in Paris ein einfaches Hotelzimmer am Tag, wieviel im Monat? Wie wurden Staatsbürgerschaftsanträge in Frankreich abgewickelt, was waren die Bedingungen für eine Einbürgerung? Selbst Pariser Sonderlinge und Pariser Cabarets werden in Celans Briefen lebendig. Und man erfährt an Details, daß seine Klagen über den Nachkriegsantisemitismus in der BRD, in Österreich und in Frankreich mit Verfolgungswahn nichts zu tun hatten.
Die Auswahl von Briefpartnern aus möglichst vielen Bereichen trägt dazu bei, die »äußere und innere Biographie« zu verlebendigen. Briefe an Behörden - die Medizinische Fakultät in Tours, das Amt für Wiedergutmachung in Düsseldorf - wurden bewußt nicht ausgeklammert. Auch ein Brief an eine österreichische Gastwirtsfamilie 1959 ist alles andere als banal, vermittelt er doch die Voraussetzungen für Celans Arbeitsabläufe während dieser Familienferien: Er hatte sich viel vorgenommen, von der Korrektur bestehender bis zur Erarbeitung neuer Übertragungen.
Unter den Familienbriefen befinden sich nicht nur an die engsten Angehörigen in Paris gerichtete, sondern auch solche an Mitglieder der Familie, aus der er stammt: Neben der Mutter sind das über die Welt verstreute...
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