Schweitzer Fachinformationen
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Auf Gotland sind endlich die ersten Frühlingsboten angekommen. Anki Karlsson lernt bei einem mehrtägigen Ausflug die Journalistin Ninni Weström kennen, die für einen Artikel die Geschichte eines alten Frauenhauses recherchiert. Schnell wird klar, dass mit diesem Haus viele gemischte Gefühle und ein dunkles Geheimnis verbunden sind. Und plötzlich verschwindet Ninni spurlos! Anki verbeißt sich in den Fall und bittet ihren Nachbarn, Ex-Kommissar Tryggve, um Unterstützung bei den Ermittlungen. Überrascht stellen die beiden fest, dass Ninnis Mutter für einige Zeit im Frauenhaus gelebt hat. Offenbar ist Ninnis Verschwinden kein Zufall und war erst der Anfang .
Dienstag, 3. Mai
Wo zur Hölle hatte er seinen Koffer nur hingestellt? Tryggve Fridman, Mullvalds ureigenster Kriminalkommissar a. D., wühlte in einer seiner großzügigen Abstellkammern im Obergeschoss. Es war nicht gerade gestern, nicht mal vergangenes Jahr, dass er sich zuletzt auf Reisen begeben hatte, deshalb ließ sich der Verwahrungsort nicht im Handumdrehen rekonstruieren. Und in der Zwischenzeit war nicht gerade wenig Gerümpel dazugekommen. Er zog einen Karton mit Weihnachtsdekoration aus dem Weg und schob mit dem Fuß einen zusammengerollten Teppich beiseite. Der Teppich steckte noch in der Plastikfolie von der Reinigung, obwohl es sicher bereits mehrere Jahre her war, dass er ihn abgeholt hatte. Tryggve hockte sich hin und schaute prüfend in den gerade freigelegten Bereich. Und genau dort stand sein Koffer. Tryggve zog ihn hervor.
Als er gerade Weihnachtsschmuck und Teppichrolle wieder zurückschieben wollte, fiel sein Blick auf etwas ganz anderes. Eine viereckige Schachtel, etwas größer als ein Schuhkarton. Ordentlich mit einer Schnur versehen, oben sorgfältig mit einem Kreuzknoten verschlossen. Er hob den Karton hoch und trug ihn hinaus. Blies eine Staubschicht vom Deckel, um das Etikett lesen zu können, obwohl er eigentlich wusste, was sich im Karton befand. Smissarve - ungelöst, er hatte es selbst beschriftet. Ein alter Fall, den er beiseitegelegt und fast vergessen hatte, obwohl das anders gedacht gewesen war. Mit der Hand wischte er weiteren Staub vom Etikett. Erinnerte sich an die Frau, die bei ihm gesessen und ihm von einem nächtlichen Besucher erzählt hatte. Von unwillkommenen Händen, die unter die Decke und das Nachthemd gewandert waren. Und von dem kleinen Mädchen, was ihr am schwersten fiel.
Er klemmte sich den Karton unter den Arm, nahm den Koffer in die Hand und ging hinunter in die Küche. Putte, sein Rottweiler und treuer Begleiter, erhob sich langsam aus seinem Korb. Er schlenderte zum Koffer und beschnüffelte ihn flüchtig, um dann wieder an seinen Liegeplatz zurückzukehren.
Tryggve schob die Zeitung vom Tisch, machte Platz für seinen Fund, löste die Schnur und hob den Deckel an. Obenauf lag ein kleines schwarzes Notizbuch, darunter ein Stapel verblichener Kopien. Er öffnete das Notizbuch und las ein paar Namen. Was all diese Menschen wohl mittlerweile machten? Manche lebten vermutlich nicht einmal mehr.
Das Tor quietschte, und schon waren Schritte auf dem Kiesweg vorm Haus zu hören. Er musste wirklich dringend die Scharniere ölen, wie sonderbar, dass ihm das immer wieder entfiel. Jedes Mal, wenn er selbst hindurchtrat, dachte er daran, aber kaum machte er einen Schritt ins Haus, hatte er es wieder vergessen, es war wie verhext. Schnell verschloss er den Karton mit dem Deckel und schob ihn hastig unter den Küchentisch. Wer auch immer sich da näherte, musste die vierzig Jahre alten Dokumente nicht gerade zu Gesicht bekommen.
Anki Karlsson, seine nicht mehr ganz neue Nachbarin und gute Freundin, trommelte gegen die Tür und wurde umgehend hereingebeten. Mittlerweile bekam er meist sehr gute Laune, wenn er sie sah, aber so war es nicht immer gewesen. Ganz am Anfang hatte es ihn erzürnt, um nicht zu sagen rasend gemacht, dass Anki sich in die polizeilichen Ermittlungen eingemischt hatte. Allerdings musste er sich schnell eingestehen, dass sie mehr half als schadete. Oft begriff sie bloß nicht, in welch große Gefahr sie sich begab, wenn sie völlig ahnungslos, aber voller Eifer auf eigene Faust nach Lösungen suchte. Manchmal steigerte sich ihre Durchtriebenheit zu wahrer Dummdreistigkeit, was der eigentliche Anlass dafür gewesen war, dass er aufgehört hatte, gegen sie zu arbeiten. Er war zu dem Schluss gekommen, dass es besser war, wenn sie auf derselben Seite standen. Außerdem wollte er nicht, dass Anki sich selbst in Schwierigkeiten brachte, und letzten Endes war es immer noch er, der sich mit schweren Verbrechen auskannte.
»Hallo, Tryggve«, sagte Anki und lächelte. »Oh, bist du schon bei den Reisevorbereitungen?«
Ihr Blick wanderte zu seinem staubigen Koffer, der plötzlich einen alten und verwahrlosten Eindruck machte, ja fast verlegen schien, dort in der Küche auf dem Boden zu stehen. Tryggve kratzte sich im Nacken und ließ sich Zeit mit der Antwort. Putte strich Anki derweil zur Begrüßung um die Beine.
»Bald«, sagte er schließlich. »Ein paar Tage bleiben ja noch, aber es schadet nicht, rechtzeitig mit dem Packen anzufangen.«
»Dann bist du ja weg, wenn hier alles anfängt zu blühen«, stellte sie fest und nickte zum Garten hinüber. »Hast du dich denn schon entschieden, wohin es gehen soll?«
»Spanien, Andalusien«, antwortete er. »Ich bin auf eine Anzeige gestoßen, eine günstige Ferienwohnung, da musste ich einfach zuschlagen. Aber du hast natürlich recht, sehr klug ist es nicht, all die Himmelsschlüssel und Buschwindröschen zu verpassen. Schöner als auf Gotland ist es im Mai nirgendwo.«
»Ach was!«, sagte Anki. »Ist ja nicht der letzte Frühling. Du hast es dir verdient, mal von hier fortzukommen und was anderes zu sehen.«
Dann wurde sie still, streckte sich nach dem Koffergriff und hob das gute Stück daran hoch, um es von allen Seiten zu begutachten.
»Damit willst du verreisen?«, fragte sie schließlich und stellte ihn wieder auf den Boden.
Ankis Tonfall war nicht direkt boshaft, sie klang eher verwundert. Tryggve starrte das gute alte Stück an und wusste, was seine Freundin meinte, wollte es aber nicht zugeben. Ganz besonders nicht vor Anki.
»Ja, wieso nicht? Gibt es daran vielleicht etwas auszusetzen?«, fragte er zurück.
Sein Ton war vielleicht unnötig schnippisch, aber Anki lachte trotzdem.
»Nun«, sagte sie, »es sieht nicht gerade so aus, als habe er irgendwelche Mängel, soweit ich das beurteilen kann. Aber du wirst der einzige Mensch in Europa sein, der sein Gepäck noch trägt.«
»Sein Gepäck trägt? Was genau soll daran denn ungewöhnlich sein? Es ist doch klar, dass man sein eigenes Zeug trägt.«
»Tryggve«, sagte sie, »wo hast du denn die letzten Jahrzehnte gelebt? Heutzutage haben alle Rollkoffer. Das ist viel einfacher, und man schleppt sich nicht mehr unnötig kaputt.«
Es war ungerecht von ihr, zu behaupten, dass er die neuesten Entwicklungen nicht mitbekam. Selbstverständlich war ihm aufgefallen, dass die Leute heutzutage Rollkoffer hatten, aber das hieß ja noch lange nicht, dass er sich auch einen anschaffen musste.
»Fahr nach Hemse oder Visby und kauf dir einen mit Rollen«, fuhr Anki fort, »oder leih dir meinen. Man muss sich ja nicht mehr abkämpfen als nötig.«
»Du hattest ein Anliegen, vermute ich?«, fragte er, um das Gespräch von seinem alten Koffer abzubringen. »Möchtest du einen Tee?« Er setzte sich an den Tisch und forderte sie mit einer Handbewegung auf, dasselbe zu tun. Gern nahm sie die Einladung an, und er schenkte ihr aus der Thermoskanne ein, die er vorbereitet hatte, bevor er im ersten Stock auf die Suche nach seinem Koffer gegangen war.
»Du hast recht«, sagte Anki, »ich hatte ein Anliegen. Ich wollte nur nachhören, ob du einen Stellplatz für mein Pferd aufgetan hast, wenn ich meinen mehrtägigen Ausritt mache. Du meintest doch letztens, dass du eine Idee hättest.«
Wie ärgerlich, er hatte völlig vergessen, dass er Anki seine Hilfe angeboten hatte. Nun denn, es war sicher noch nicht zu spät.
»Und du willst wirklich ganz allein reiten?«, fragte er und sah sofort vor sich, wie Anki in den gotländischen Wäldern verloren ging. »Noch dazu mehrere Tage am Stück?«
Sie lächelte ihn an.
»Na, so kurzfristig werde ich keine Begleitung finden, aber ich habe ja Austri. Er ist ein ganz zauberhafter Kamerad. Außerdem gibt es keinen besseren Zeitpunkt, schließlich ist Osk bei ihrer Züchterin.«
»Oh, warum das denn?«, fragte Tryggve. »Willst du sie wieder zurückgeben?«
»Nein, nein, sie besucht dort einen Hengst. Wenn ich Glück habe, dann sind die beiden Hübschen sich sympathisch, und dann bekomme ich bald ein Fohlen«, erklärte Anki.
Tryggve streckte die Beine aus und trat dabei versehentlich gegen den Karton, den er unter dem Tisch versteckt hatte. Vielleicht war Smissarve ja eine gute Idee? Dort oben hatte er ein paar gute kirchliche Kontakte, er kannte sowohl die Küster als auch die Pfarrerin. Erstere hatte er des Öfteren bei Fortbildungen in Visby getroffen, und mit der Pfarrerin, Ulrika Trogen, spielte er hin und wieder eine Partie Schach. Auf der Insel gab es ein paar schachbegeisterte Kirchenmitglieder, die einen Club gegründet hatten. Die Strecke sollte Anki durchaus an einem Tag auf dem Pferd bewältigen können, und vermutlich taugte der alte Stall, der zum Pfarrhof gehörte, noch für eine Übernachtung.
»Wie lange wolltest du reiten?«, fragte Tryggve. »Und in welche Richtung?«
Anki trank einen Schluck Tee, bevor sie antwortete.
»Da muss ich mich ganz danach richten, wo es eine Herberge gibt«, antwortete sie und lachte über ihre biblische Wortwahl.
Tryggve stand auf und holte sein Handy, das auf der Arbeitsfläche lag. Er wählte die Nummer und ging zum Telefonieren ins Wohnzimmer. Anki musste nicht das ganze Gespräch mitbekommen.
Nach einer ganzen Weile angenehmen Geplauders mit Ulrika Trogen kehrte er in die Küche zurück, wo er Anki in die Tageszeitung vertieft vorfand. Sie hob den Kopf und schaute ihn an.
»Und? Gute Nachrichten?«
»Alles geregelt«, sagte Tryggve. »Wenn du dir vorstellen kannst, bis nach Smissarve zu reiten - das liegt gut dreißig Kilometer von hier entfernt -, dann kannst du Austri in den alten Stallungen des dortigen Pfarrhofs unterbringen. Stroh besorgt die Pfarrerin beim nächstgelegenen Bauernhof.«
»Großartig!«,...
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