Schweitzer Fachinformationen
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Der heiße Schirokko umwehte die weitläufige Terrasse des Gutshauses über dem Meer, das mit seinem rustikalen Charme und gediegener Eleganz den Besucher vom ersten Augenblick an in seinen Bann zog. Das Haus schmiegte sich an einen Felsen, in dessen breitester Nische eine von flackernden Kerzen in mystisches Licht gehüllte Madonnenstatue stand. Von hier aus bot sich ein unvergleichlicher Blick auf die kurvenreiche Küstenstraße, die sich durch die wilde Macchia-Landschaft schlängelte. Hier und da blitzten pittoreske Dörfchen aus dem Grün, und der Duft der Oliven- und Orangenhaine betörte die Sinne. Ein Bild voller herber Schönheit, Anmut und Harmonie.
In dieser eindrucksvollen Atmosphäre hätte Calliope Costa den Abend zu Ehren des siebzigsten Geburtstags ihrer Mutter Azalea gerne gebührend gefeiert. Doch es würde ein Abend wie viele andere auch werden, die gleichen Gesichter, die gleichen Gespräche, die gleichen Rituale. Die sanfte Abendbrise würde über das blasse Lächeln auf ihren Lippen streicheln, das Lächeln für einen Mann, der auch diesmal nicht hier sein würde.
Ettore würde nicht an ihrer Seite sein, das hatte er ihr bereits ein paar Stunden zuvor per SMS mitgeteilt: »Die Sitzung wird länger dauern, die Amerikaner machen Druck wegen des Preises. Gratuliere deiner Mutter in meinem Namen, wir sehen uns zu Hause. Ich liebe dich.«
Das ist nichts Neues, hatte sie gedacht, als der Name ihres Mannes im Display des Handys erloschen war. Sie war erschöpft, auch wegen der endlosen Diskussionen mit ihrer Schwiegermutter. Contessa Lucia Benvenuti ließ keine Gelegenheit ungenutzt, um ihr vorzuwerfen, dass sie ihr immer noch kein Enkelkind geschenkt hatte, und selbst an diesem Abend gab sie keine Ruhe.
Calliopes Einwand, dass sie keinen Ersatz für einen immer abwesenden Ehemann großziehen wolle, ließ Lucia nicht gelten. Calliope wollte ihre Zeit mit dem Mann verbringen, den sie einmal geheiratet hatte, und mit niemand anderem.
Sie schob den Vorhang aus Sangallo-Spitze zur Seite und sah zu, wie die Dämmerung langsam hereinbrach. Der Himmel färbte sich dunkel und nahm die Farbe ihrer von langen Wimpern umrahmten Augen an. Ein klarer Abend Ende Mai, die nachmittäglichen Wolken hatten sich verzogen. Die im Zwielicht liegende Landschaft schien vor sich hin zu dösen, die Silhouetten der prächtigen Orangenbäume und der knotigen Olivenbäume hoben sich wie Scherenschnitte von der rötlichen Erde ab. Calliope suchte zwischen den ersten Sternen am silbrigen Himmel nach einer Richtung, nach einem Kompass, der ihr in all dem Chaos den Weg wies. Doch sie spürte nur die kalte Hand des unerbittlichen Schicksals. Aus der Mauernische neben dem Fenster strahlte ihr Ettores Gesicht von ihrem Hochzeitsfoto entgegen, das vor der Sakristei der Kathedrale von Salina aufgenommen worden war. Wie sehr sie dieses Lächeln vermisste! Sie liebte ihn noch genau wie damals, vielleicht noch mehr, aber sie spürte, wie der Ring an ihrem Finger immer weiter wurde.
»Die Nudelfabrik reibt ihn auf, aber wenn er sich erst einmal eingefunden hat, wird alles wie früher«, hatte ihr Vater, der Calliopes Lächeln von Tag zu Tag schwinden sah, sie immer wieder zu trösten versucht. Eugenio hatte sich um ihre Ehe gesorgt. Dabei war er an der Situation nicht ganz unschuldig gewesen. Er hatte gerade mal gewartet, bis die Tinte der Unterschrift unter der Heiratsurkunde getrocknet war, um noch beim Hochzeitsessen die Gäste um Aufmerksamkeit zu bitten und zu verkünden, dass er die Leitung des traditionsreichen Familienunternehmens, der im Jahr 1880 gegründeten Nudelfabrik Costa, in die Hände von Ettore Benvenuti legen würde. Des »Tierarztes«, wie die Leute ihn hier nannten, nachdem er sich geweigert hatte, in die Fußstapfen seines Vaters, einem weltbekannten Herzchirurgen, zu treten, und nach Bologna gegangen war, um dort Veterinärmedizin zu studieren. Danach hatte er ein Reittherapiezentrum für behinderte Kinder eröffnen wollen. Sein Lebenstraum.
Damals hatte Eugenio ihr beruhigend die Hand auf die Schulter gelegt, doch sein Versprechen war genauso verblüht wie ihr Brautstrauß, den ihre Mutter immer noch aufbewahrte, obwohl seit dem Jawort inzwischen mehr als sechs Jahre vergangen waren.
Erinnerungen, die Calliope um jeden Preis bewahren wollte. Sie hatte es sich versprochen.
»Seit diesem Tag ist zu viel Zeit vergangen, Papa, viel zu viel. Und auch du bist von uns gegangen, und es hat sich nichts geändert«, flüsterte sie zu sich selbst und ließ das Handy in ihre Tasche gleiten. Wie aus dem Nichts überfiel sie panische Angst, von den rauen, weiß gekalkten Wänden erdrückt zu werden und zu ersticken. Sie griff sich an den Hals. Da war es wieder, dieses beklemmende Gefühl, wie damals, als sie zu spüren begann, dass Ettore ihr immer mehr entglitt. In ihrer Ehe, in ihrem Leben war die Wärme erloschen, geblieben war die Kälte, die sie auch jetzt spüren konnte, trotz des warmen Windes, der zwischen den Bougainvilleen hindurchwehte, die die Fassade des Gutshauses emporrankten.
»Willst du dein Kleid jetzt endlich mal anziehen, oder willst du es noch länger auf dem Bügel bewundern?«, drängte ihre Schwester Diana, die gerade ins Zimmer kam. Sie deutete mit einer resoluten Geste auf den Schrank, die Absätze ihrer Louboutin-Pumps entschlossen in den Fußboden gestemmt. Sie betrachtete die jeden Tag schmaler werdenden Schultern ihrer großen Schwester und verlagerte das Gewicht auf den anderen Fuß, die Arme über der fast mädchenhaften Brust verschränkt. Wenn Calliope nicht mit Sicherheit gewusst hätte, dass sie Diana vor sich hatte, der sie noch vor Kurzem Märchen erzählt und jeden Abend die Haare gekämmt hatte, hätte sie glauben können, dass diese gazellenhafte Schönheit direkt vom Cover der neuesten Ausgabe der Vogue entsprungen wäre. Und Diana wusste um ihre Ausstrahlung.
Sie strich sich eine lästige schwarze Locke aus der Stirn, während sich ihre Lippen zu einem wissenden Lächeln verzogen. »Ich wette, Ettore kommt auch heute Abend nicht.« Calliope atmete tief durch. Auch wenn ihre Schwester inzwischen erwachsen war, hatte sie die Bedeutung des Wortes »Taktgefühl« noch immer nicht begriffen. Womöglich würde sie es nie lernen. Sie nickte, ihre Augen hatte sie hinter ihrem Pony versteckt, das Kleid schaukelte weiter auf dem Bügel hin und her. Ettore hatte es ihr gekauft, als er von der Sitzung mit den Amerikanern erfahren hatte, die zufällig genau am Geburtstag ihrer Mutter stattfinden sollte, das x-te Entschuldigungsgeschenk für seine dauernde Abwesenheit. Und jedes Mal tat es weh. Sie fuhr über die Seide, samtweich und geschmeidig, wie ein langsamer Walzer in seinen Armen. Ein Traum, den seine kaum 150 Zeichen lange SMS nicht zunichtemachen konnte.
»Es ist wirklich schön, aber .«
»Nichts aber, zieh es an und Schluss. Wir feiern unsere Mutter mit oder ohne Ettore.« Dianas Stimme duldete keinen Widerspruch.
»Schon gut, zu Befehl.« Calliope hob beschwichtigend die Hände.
»Geht doch.«
Calliope ging an ihrer Schwester vorbei, die sich mittlerweile in die Lektüre einer Modezeitschrift vertieft hatte, und stellte sich auf die Zehenspitzen vor den Massivholzschrank aus dem neunzehnten Jahrhundert, in dem der Familienschmuck aufbewahrt wurde: das Collier, mit dem ihre Großmutter vor den Altar getreten war, die Perlenkette, die als verflucht galt, weil sie Tante Addolorata gehört hatte, die von einem Blitz erschlagen worden war, der Goldschmuck, den Azalea anlässlich der Geburt ihrer beiden Töchter bekommen hatte, und schließlich die Smaragdgarnitur, ein Geschenk ihres Mannes Eugenio nach der Geburt Augustos, des erstgeborenen Sohnes.
Eine Kollektion von unschätzbarem Wert, materiell, aber auch emotional, Erbstücke und persönliche Geschenke zu besonderen Anlässen. Der Schatz der Costa-Frauen, der sich hier vor Calliopes schokoladenbraunen Augen präsentierte.
»Wunderschön, nicht wahr?«, sagte Azalea leise, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Sie räusperte sich und trat an den Schrank, die Hände über dem türkisfarbenen Satinkleid verschränkt, das perfekt mit dem Blaugrün ihrer Augen harmonierte, die früher den Männern in Salina den Kopf verdreht hatten. Sie strich zärtlich über jede einzelne auf ihrem Samtbett ruhende Kostbarkeit, das Herz voller Erinnerungen. »Ich weiß nicht, was ich heute Abend tragen soll, ich brauche eure Hilfe.« Sie legte den Finger auf die schmalen Lippen.
»Ich helfe dir gerne. Du solltest etwas ganz Besonderes wählen, immerhin ist das heute dein Abend«, meinte Diana, die aus dem Sessel aufsprang, wobei ihre Zeitschrift achtlos zu Boden fiel. Sie ließ den Blick über die Kleinode schweifen, deutete auf eine Spange in Weißgold mit einem Rubin in der Mitte, ein Erbstück ihrer Urgroßmutter, änderte dann jedoch ihre Meinung. »Wir brauchen etwas, das deinen Teint und deine Augen betont.« Aber sosehr sie sich auch bemühte, sie fand nicht das Richtige. »Die Perlen sind etwas für ganz junge oder ganz alte Frauen, du bist keins von beiden.« Sie schob eine in die Stirn gefallene schwarze Haarlocke zur Seite.
Azalea betrachtete ihre Jüngste im Spiegel. »Ich danke dir für deinen Rat, Liebes, aber Calliope soll für mich aussuchen. Was Mode und Stil angeht, hattest du schon immer deinen eigenen Kopf, daran hat auch dein Romaufenthalt nichts geändert.« Bei diesen Worten warf sie einen kritischen Blick auf den langen Schlitz in Dianas Kleid, der ihre nicht enden wollenden Beine betonte. Diese senkte den Blick und versuchte ihre Blöße zu verbergen.
Calliope wandte sich unmerklich ab und hoffte, dieser Moment würde schnell vorbeigehen. Wie sie solche...
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