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Februar 1788, Frankreich
»Elle est morte!«
Mit diesen drei winzigen Worten und dem Schrei, der sie begleitete, brach Lenobias Welt zusammen.
Jeanne, das Küchenmädchen, das neben ihr Brotteig knetete, hielt in der Arbeit inne. »Cécile? Tot?«
»Oui. Möge die Muttergottes ihr gnädig sein.«
Lenobia sah auf. In der rundbogigen Küchentür stand ihre Mutter. Ihr hübsches Gesicht war ungewöhnlich bleich, und sie umklammerte den abgegriffenen Rosenkranz, den sie stets um den Hals trug.
Lenobia schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber vor ein paar Tagen hat sie noch gelacht und gesungen. Ich habe es gehört. Ich habe sie sogar gesehen!«
Jeanne schüttelte traurig den Kopf. »So hübsch, aber viel zu zart, das arme Kind. Immer so bleich. Das halbe Château hatte dieses Fieber, auch mein Bruder und meine Schwester, und sie sind so leicht wieder genesen.«
»Jäh und grausam schlägt der Tod zu«, sagte Lenobias Mutter. »Irgendwann kommt er zu jedem von uns, sei er Herr oder Knecht.«
Von da an war der Geruch nach Hefe und frisch gebackenem Brot für Lenobia auf unerträgliche Weise mit dem Tod verbunden.
Jeanne bekreuzigte sich erschauernd. Ihre mehlweiße Hand hinterließ einen halbmondförmigen Fleck auf ihrer Stirn. »Heilige Mutter, beschütze uns.«
Automatisch machte Lenobia einen frommen Knicks, doch ihre Augen blieben auf ihre Mutter gerichtet.
»Komm mit, Lenobia. Ich habe deine Hilfe nötiger als Jeanne.«
Niemals würde Lenobia vergessen, welch sonderbare, böse Ahnung die Worte ihrer Mutter in ihr auslösten. »Aber es wird Besuch kommen - Trauergäste - wir brauchen Brot«, stammelte sie.
Die grauen Augen ihrer Mutter, die ihren eigenen so sehr glichen, verwandelten sich in Sturmwolken, und sie wechselte übergangslos ins Englische über. »Das war keine Bitte.«
Jeanne zuckte mit den wohlgerundeten Schultern und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. »Du weißt, wenn deine mère dieses barbarische Englisch spricht, musst du gehorchen.«
Lenobia wischte sich die Hände an einem Leinenhandtuch ab und ging widerstrebend zu ihrer Mutter hinüber. Elizabeth Whitehall nickte ihrer Tochter zu, drehte sich um und winkte ihr, zu folgen.
In zügigem Schritt durchquerten sie die breiten, eleganten Flure des Château de Navarre. Gewiss, es gab Adelige, die mehr Geld hatten als der Herzog von Bouillon - er zählte nicht zu König Ludwigs Vertrauten oder Höflingen. Doch er war der Spross eines altehrwürdigen Geschlechts und Herr über einen Landsitz, um den ihn nicht wenige reichere, aber nicht ganz so altehrwürdige Fürsten beneideten.
Heute lag Schweigen über den Gängen, und die spitzbogigen Doppelfenster, durch die sonst helles Sonnenlicht auf den blankpolierten Marmorboden fiel, wurden bereits von einer Armee schweigender Dienstmägde mit schwerem schwarzem Samt verhängt. Lenobia fand, das Haus selbst schien wie in Trauer und Schrecken erstickt.
Dann fiel ihr auf, dass sie sich immer weiter von dem bewohnten Teil des Schlosses entfernten und auf einen der Nebenausgänge zustrebten, der in die Nähe der Stallungen führte.
»Maman, où allons-nous?«
»Sprich englisch! Du weißt, wie ich dieses Französisch hasse«, schalt ihre Mutter.
Lenobia unterdrückte einen verärgerten Seufzer und wechselte in die Sprache ihrer Mutter über. »Wohin willst du?«
Ihre Mutter blickte sich nach allen Seiten um, nahm Lenobias Hand und sagte leise und dringlich: »Vertrau mir, und tue genau das, was ich sage.«
Das aufgewühlte Gesicht ihrer Mutter erschreckte sie. »I-ich vertraue dir doch.«
Elizabeths Züge entspannten sich etwas. Sie strich ihrer Tochter über die Wange. »Mein braves Mädchen. Du warst immer brav, immer. Es ist allein meine Schuld, dass wir so leben müssen, die Folge meiner Verfehlungen.«
Lenobia schüttelte den Kopf. »Nein, es waren nicht deine Verfehlungen! Der Herzog nimmt sich eben zur Geliebten, wen er will. Du bist so schön, wie hätte er dich nicht bemerken können? Du konntest nichts dafür.«
Elizabeth lächelte, und ihre Züge ließen etwas von ihrem früheren Liebreiz ahnen. »Nun, aber ich war nicht schön genug, um ihn lange genug zu fesseln. Und da ich nur eine Bauerntochter aus England bin, konnte er mich leicht abtun. Wobei ich ihm wohl ewig dankbar sein muss, dass er mir und auch dir einen Platz in seinem Haushalt gewährt hat.«
Lenobia spürte die alte Bitterkeit in sich aufsteigen. »Er ist uns einen Platz schuldig - dir und mir. Dich hat er einfach mitgenommen und deiner Familie geraubt, und ich bin seine Tochter!«
»Seine illegitime Tochter«, berichtigte Elizabeth. »Und nur eine von vielen - wenn auch bei weitem die Schönste. Ebenso schön wie seine eheliche Tochter, die arme tote Cécile.«
Lenobia wandte den Blick ab. Es war eine unangenehme Tatsache, dass sie und ihre Halbschwester sich derart ähnelten - so sehr, dass immer mehr geflüstert und getuschelt wurde, seit die beiden Mädchen zur Frau erblüht waren. Im Verlauf der letzten beiden Jahre hatte Lenobia gelernt, dass es besser war, ihre Schwester und den Rest der fürstlichen Familie zu meiden, da diese schon an ihrem bloßen Anblick Anstoß zu nehmen schienen. Lieber flüchtete sie sich in die Stallungen - einen Ort, den die Herzogin, Cécile und ihre drei Brüder kaum je aufsuchten. Ihr flog der Gedanke durch den Kopf, nun da die Schwester tot war, die ihr so ähnlich sah und sie doch verleugnete, ihr Leben entweder um einiges leichter werden oder die finsteren Blicke der Herzogin und ihrer Söhne sich verschlimmern würden.
»Es tut mir leid, dass Cécile tot ist«, sagte sie laut, um ihre wirren Gedanken zu ordnen.
»Ich hätte ihr niemals Übles gewünscht, aber wenn es ihr bestimmt war zu sterben, so bin ich dankbar, dass es gerade jetzt, am heutigen Tage, geschehen ist.« Elizabeth hob das Kinn ihrer Tochter an und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. »Céciles Tod wird dir ein Leben ermöglichen.«
»Ein Leben? Mir? Aber ich habe doch schon eines.«
»Ja, das Leben einer unehelichen Dienstmagd in einem Haushalt, dem es missfällt, dass der Herr seinen Samen wahllos verstreut und sich dann an den Früchten seiner Schandtaten ergötzt, als müsste er sich wieder und wieder seiner Männlichkeit versichern. Nicht das Leben, das ich mir für mein einziges Kind wünsche.«
»Aber ich verstehe -«
»Komm, dann verstehst du schon.« Ihre Mutter nahm sie wieder an der Hand und zog sie den Flur entlang bis zu einer Tür in der Nähe des Hinterausgangs. Elizabeth öffnete sie und führte Lenobia in eine kleine Kammer, in die kaum Licht drang. Zielstrebig ging sie zu einem großen Korb, der aussah wie diejenigen, in denen benutzte Bettwäsche zur Wäscherei gebracht wurde. Tatsächlich lag zuoberst ein Leintuch darin. Sie zog es heraus. Darunter lag ein Kleid, das selbst in dem schwachen Licht blau, cremefarben und grau schimmerte.
Sprachlos sah Lenobia zu, wie ihre Mutter das Kleid und die teuren Unterkleider aus dem Korb nahm, sie ausschüttelte, die Falten glattstrich und die Flusen von den zierlichen Samtschuhen bürstete. Dann sah ihre Mutter sie an. »Beeile dich. Wenn das hier gelingen soll, müssen wir schnell sein.«
»Mutter? Ich -«
»Du wirst jetzt diese Kleider anlegen und mit ihnen eine neue Identität. Heute wirst du zu Cécile Marsan de la Tour d'Auvergne werden, der legitimen Tochter des Herzogs von Bouillon.«
Lenobia fragte sich, ob ihre Mutter verrückt geworden war. »Mutter, aber alle wissen doch, dass Cécile tot ist.«
»Nein, mein Kind. Nur hier im Château de Navarre ist das bekannt. Aber in der Kutsche, die Cécile noch zur Stunde nach Le Havre bringen wird, und auf dem Schiff, das dort auf sie wartet, weiß niemand etwas von ihrem Ableben. Und sie werden auch nie etwas davon erfahren, denn eine gewisse Cécile wird diese Kutsche nehmen und das Schiff besteigen, das sie in die Neue Welt bringen wird, wo in Nouvelle-Orléans ein neues Leben als legitime Tochter eines französischen Herzogs und ein Ehemann auf sie warten.«
»Das kann ich nicht!«
Ihre Mutter ließ das Kleid fallen, packte ihre Tochter an beiden Händen und drückte diese so fest, dass Lenobia zusammengezuckt wäre, wäre sie nicht so fassungslos gewesen. »Du musst! Weißt du, was dich hier erwartet? Du wirst bald sechzehn Jahre alt. Seit zwei Sommern bist du eine Frau. Du versteckst dich in den Ställen, in der Küche - aber du wirst dich nicht für immer verstecken können. Ich habe gesehen, wie de Beaumont dich vor einem Monat angesehen hat, und dann wieder letzte Woche.« Ihre Mutter schüttelte den Kopf. Erschüttert sah Lenobia, dass sie mit den Tränen kämpfte. »Wir haben zwar nicht darüber gesprochen, aber gewiss ahnst du, warum wir seit einigen Wochen nicht mehr in der Messe in Évreux waren und dass es nicht daran gelegen hat, dass mich meine zahlreichen Pflichten ermüdet hätten.«
»Ich habe mich das auch gefragt . aber ich wollte es gar nicht wissen!« Lenobia presste die Lippen aufeinander - sie fürchtete das, was sie hätte sagen müssen.
»Du musst dich der Wahrheit stellen.«
Lenobia holte tief Atem, dennoch durchlief sie ein Schauder. »Der Bischof von Évreux. Wenn er mich ansieht, kann ich beinahe die Hitze in seinen Augen spüren.«
»Ich habe gehört, dass er mit jungen Mädchen mehr tut, als sie nur anzusehen«, sagte ihre Mutter. »Dieser Mann hat etwas...
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