Schweitzer Fachinformationen
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Viola überprüfte das Gepäck des Maultiers. Die Köchin hatte ihnen einen großen Korb mit essbaren Dingen und mehrere Feldflaschen aus Aluminium gepackt. Sie selbst trug einen Rucksack mit ihren Zeichenutensilien. Dabei waren die bunten Stifte das Wichtigste. Wann immer sie einen Ausflug in die Natur machten, gerieten sie in einen Karneval der Farben - Saphirblau, Karmesinrot, Purpur, Smaragdgrün, Zitronengelb und alle Farben eines orangegoldenen Sonnenuntergangs. Die Blüten übertrumpften sich in der Intensität ihrer Kolorierungen.
Onkel Nepomuk trat aus dem Gebäude. Er trug seine helle Expeditionskleidung mit den vielen Taschen. Um den Hals lag locker ein Tuch, das den Schweiß aufsaugen würde. Er setzte einen Strohhut auf seine Halbglatze, wodurch der abstehende Haarkranz eingequetscht wurde. Zu gegebener Zeit würde er ein feines Netz über den Hut streifen, das die Myriaden von Moskitos abhielt. Viola besaß ebenso einen Hut mit Moskitonetz. »Bist du bereit?«, fragte er.
Als sie bejahte, sah er sich nach ihrem Maultierführer um. Er würde sie sicher in den Regenwald bringen. »Und die anderen?«
»Alvaro stärkt sich noch in der Küche«, sagte Viola. »Und Herr de Vries . vielleicht hat er ja verschlafen.« Insgeheim hoffte sie darauf. Wenn es eins gab, das der Onkel nicht mochte, dann war es Unpünktlichkeit. Und sie konnte auf diesen unverschämten Kerl gerne verzichten. Himmel, was hatte sie sich über ihn geärgert. Die halbe Nacht hatte sie wach gelegen und an ihre Zwistigkeiten gedacht. Wie sehr er sie vor den Kopf gestoßen hatte. Dabei hatte sie sich nichts Unrechtes zu Schulden kommen lassen. Aber nun ja, so kannte sie die Männer, zumindest die jungen.
Der Onkel klopfte noch mal seine Westentaschen ab. Blattschere, Taschenmesser und sein Vergrößerungsglas waren gut verstaut. Zwei längliche Botanisiertrommeln aus Blech, mit einem Riemen über den Oberkörper geschnallt, hingen an der Seite. Dort hinein steckte der Onkel einzelne Blüten und Blätter, die er auf dem Weg pflückte. Mehrere Leinensäckchen beulten die Hosentaschen aus. Wenn sie am Abend zurückkehrten, wären sie gefüllt mit allerlei Geäst oder auch Pflanzensetzlingen. Und morgen würde er dann wieder den ganzen Tag seine Fundstücke sortieren und einige ins Herbarium geben. Onkel Nepomuk hatte mehrere dieser Pressbücher mit dem saugfähigen Papier mitgebracht. Schon jetzt waren die Bücher des Onkels hoffnungslos überfüllt.
Als Viola nun Schritte hörte, war es nicht Alvaro, sondern der junge Deutsche, der an der Tür auftauchte. Es war das erste Mal, dass sie Adrian de Vries bei Tageslicht sah. Er überragte den Onkel um einen halben Kopf, hatte breite Schultern und war eine imposante Erscheinung. Sein schulterlanges Haar hatte eine brünette Farbe mit von der Sonne ausgebleichten Strähnen. Es verlieh ihm ein verwegenes Aussehen. Seine hohen Wangenknochen dagegen ließen ihn arrogant erscheinen. Es waren seine strahlend blauen Augen, umkränzt von langen, dunklen Wimpern, die sie sofort in seinen Bann zogen. Auch das noch. Unwillig schaute Viola weg.
»Haben Sie auch nichts Wichtiges vergessen?« Ohne Not überprüfte sie ein weiteres Mal das Zaumzeug des Maultiers.
»Ich denke nicht. Es ist ja nicht mein erster Ausflug in den Dschungel«, gab er besserwisserisch zurück.
Als sie wieder aufschaute, begegnete sie seinem erstaunten Blick. Er musterte ihren nicht einmal knöchellangen Rock, ihre schlichte Leinenbluse und den Hut. Sie trug hohe Stiefel, die ebenfalls wenig damenhaft aussahen. Aber das war ihr egal. Onkel Nepomuk hatte ihr geraten, vor allem praktische Kleidung einzupacken. Und sie war seinem Rat gefolgt. Salonfähig brauchte sie schließlich nur auf der Hin- und Rückreise auftreten. Zu Violas großer Erleichterung kam nun der Maultierführer heraus und gesellte sich zu ihnen.
»Alvaro, vamonos.« Eilig lief sie los und setzte sich an die Spitze der kleinen Gruppe.
Nach über einer Stunde kamen sie am Rand des Regenwaldes an. Onkel Nepomuk und Adrian de Vries hatten sich die ganze Zeit über angeregt unterhalten. Über Pflanzen, die heilten, und Pflanzen, die dufteten. Und über die Orte, die sie bereits besucht hatten, und was den jeweils anderen dort erwarten würde. Bevor sie tiefer in den Urwald hineingingen, machten sie eine kurze Rast, tranken etwas, aßen eine Kleinigkeit.
Als sie wieder losliefen, war plötzlich Adrian de Vries unmittelbar hinter ihr. »Haben Sie denn keine Angst?«
Viola drehte ihren Kopf kurz zu ihm. Der Pfad durch das grüne Dickicht war schmal und das Gelände uneben. Man musste aufpassen, wohin man trat. »Wovor soll ich denn Angst haben?« Welche Unverschämtheit wollte er ihr nun schon wieder an den Kopf werfen?
»Käfer . Schlangen . Spinnen?«
»Nun, die zähle ich alle nicht unbedingt zu meinen engsten Freunden, aber Angst . nein.« Wieder schaute sie kurz zurück und sah, wie Adrian de Vries den Kopf schüttelte.
Es ärgerte sie. Es ärgerte sie, wie sie von Männern betrachtet wurde. Zu wenig damenhaft hörte sie oft. Clemens hatte sie einen Blaustrumpf genannt. Ein Mädchen oder eine junge Frau, die zu aufmüpfig war. Hatte er sich deshalb für eine andere entschieden? Nein, sie wusste doch, weshalb.
Ein verrotteter Baumstamm lag quer über dem Weg. Plötzlich stand Adrian de Vries neben ihr und hielt ihr galant die Hand hin. Viola zog die Augenbrauen zusammen. Es stank ihr gewaltig, wie ein unbeholfenes Frauenzimmer behandelt zu werden. »Nein danke. Es geht schon.« Sie machte einen großen Schritt, war auf dem Stamm und drüber hinweg. Auf der anderen Seite drehte sie sich um.
Ein Lächeln umspielte seinen Mund. »Ihr Onkel hatte recht. Sie klettern und wandern vorzüglich.« Schon war er mit seinen langen Beinen, die in praktischen Hosen steckten, über den Baumstumpf gestiegen. Neben ihr blieb er stehen. »Ich bin wirklich sehr beeindruckt davon, dass Sie mitkommen.« Es klang überraschend versöhnlich.
Sollte das ein Friedensangebot sein? Viola nickte nur. Da er immer noch nicht weiterging, war Viola genötigt, ebenfalls stehen zu bleiben.
»Und dass Sie keine Angst vor dem Getier haben«, setzte er nach.
»O doch, ich hab schon Angst«, erklärte sie. »Aber eher vor einem hungrigen Jaguar. Oder vor den Brüllaffen. Als ich die zum ersten Mal gehört habe, bin ich meinem Onkel fast auf den Arm gehüpft.«
»Die können wirklich einen Höllenlärm veranstalten«, erwiderte Adrian de Vries lachend. Dann sagte er mit feierlichem Tonfall: »Ich denke, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Es war natürlich meine Schuld . Ihr Unfall gestern. Ich hätte nicht . Ich wollte den Kasten nur schnell abstellen und etwas anderes aufs Zimmer bringen. Dass Sie ausgerechnet in der kurzen Zeit . Ich hätte es dort im Dunkeln nicht abstellen sollen. Es war mein Fehler.«
Sie schaute ihn stumm an. Das erklärte nicht sein unverschämtes Verhalten.
»Und ich muss mich auch dafür entschuldigen, dass ich so kränkend war. Das ist dem Umstand geschuldet, dass es wirklich eine überaus kostbare Flüssigkeit war. Im Grunde habe ich mich über mich selber geärgert, es aber an Ihnen ausgelassen.«
Kurz war sie überrascht. Sie hatte ihn arroganter eingeschätzt. »Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Und ich möchte mich meinerseits dafür entschuldigen, dass ich so . schnippisch war.«
»Sie hatten alles Recht dazu. Sie hätten sich tatsächlich das Genick brechen können. Oder nur den Knöchel. Dann wäre es dennoch mit Ihrer Reise vorbei gewesen. Das hätte mir nicht nur für Ihren Onkel leidgetan . Ich war einfach zu unbedacht.«
Sie schauten sich schweigsam an. Kurz wanderte Violas Blick zum Onkel, der weiter hinten mal wieder über eine Pflanze gebeugt war, die er mit dem Vergrößerungsglas begutachtete. »Ich kenne das, wenn man sich mehr noch als über den anderen über sich selbst ärgert«, sagte sie nun versöhnlich.
»Wunderbar. Dann vertragen wir uns, ja?« Er strahlte sie an.
»Ja, vertragen wir uns.« Sie war verblüfft, welche Wendung dieses Gespräch nahm. Und wie sehr es sie freute. Dann war er vielleicht doch nicht durch und durch versnobt und selbstherrlich. Sie ging weiter voran. »Sie erwähnten gestern, dass Sie beruflich reisen.«
»Meinem Vater gehört am Rande von Hamburg eine große Fabrik. Wir stellen Parfums her, Seifen, Hautcremes und auch Waschmittel. Also im Prinzip alles, was mit guten Düften zu tun hat.«
»Was suchen Sie hier genau? Neue Düfte?«
»Ja. Vor allem suche ich nach neuen exotischen Noten. Etwas anderes als die typischen Veilchen- und Maiglöckchendüfte aus Europa. Oder die schweren Düfte aus dem Orient, oft gewonnen aus dem Öl von Gewürzen wie Kardamom, Muskatnuss oder auch Nelke. Und auch etwas anderes als die typischen südländischen Fruchtnoten. Eben etwas ganz . Neues.«
»Und Sie glauben, Sie finden das hier? Im Dschungel?«
»Wieso zweifeln Sie daran?«
Sie musste einen Moment überlegen, warum sie so skeptisch war. Frühling, Sommer, Herbst und Winter gab es hier nicht, nur Regenzeit und Trockenzeit. Während an dem einen Zweig eine Blüte erstarb, wuchs auf dem Nachbarzweig bereits eine neue. Der Rhythmus von Leben und Sterben fand hier nicht nacheinander statt, sondern gleichzeitig. »Weil ich finde, dass es hier nicht nach Parfum riecht. Eher so erdig . Nach dunkler schwarzer Erde. Nach Morast, manchmal nach Sumpf. Gelegentlich streift einen der süßliche Geruch von Verwesung.«
»Und genau so ein Duft kann der Stoff sein, auf dem eine andere Note besonders zur Geltung kommt. Etwas Leichtes, etwas Spritziges. Ein Duft,...
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